Beschreibung
Ein historischer Roman von unserem Member "Becky".
Den Originalthread findet ihr hier: http://www.weg-des-stifts.de/smf/hall-of-fame/die-hexe/
Die Hexe
Frierend saß er hinter dem Baum und suchte vergeblich nach Spuren von Wild. Der junge Mann gab schließlich auf und kehrte erneut mit leeren Händen zum Dorf zurück. Böse sah man dem erfolglosen Jäger hinterher und gab seiner Unfähigkeit die Schuld für die Hungersnot. Erst in der Taverne machte er halt und ließ den Kopf auf den Tresen sinken. Fordernd starrte ihn die Wirtin an. Als er nicht reagierte, wurde er an den Schultern gepackt und auf den Boden gezerrt. Keiner der Gäste half ihm gegen die Schläge und Tritte und auch der Jäger selbst hatte nicht die Kraft sich zu wehren. Eine Frau mit kurzen Haaren half ihm schließlich auf und brachte ihn zu ihrer Hütte.
Obwohl sie nicht den Eindruck von Geborgenheit erweckte, gab es ein wärmendes Feuer, dessen Rauch nur durch die Fenster abziehen konnte. Verlegen nahm er den gebotenen Becher entgegen und trank einen Schluck von dem heißen Sud. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf seiner Zunge aus, aber der Hunger ließ ihn weiter trinken. Als er das Haus wieder verließ war er gestärkt und gewärmt wie schon seit einigen Wochen nicht mehr.
Das Feuer unter dem Kessel warf bedrohliche Schatten an die schiefen Wände. Von der tiefen Decke hingen mannigfaltige Kräuter und der Raum war kaum begehbar ob der verschiedenen Utensilien. Ihre rußgeschwärzten Hände wischten den Schweiß von der Stirn, als die Frau sich einen Moment Ruhe gönnte. Jetzt durften ihr keine Fehler mehr unterlaufen, nicht so kurz vor dem Ziel. Ein letztes Mal ließ sie die Mischung aufkochen, dann nahm sie den Kessel vom Haken und goss sie in eine Tonschüssel. Sie hatte die Handschuhe vergessen, aber die Verbrennungen fielen ihr kaum auf. Vorsichtig schob sie die Schüssel auf das Fensterbrett, lief aus dem Haus und sammelte den frischen Schnee in ihrer Schürze. Bedächtig bedeckte sie ihre Arbeit mit einem weißen Mantel, der die Medizin vollenden sollte. Glücklich fuhr sie durch ihr kurzes Haar und fing gleichzeitig an zu lachen und zu weinen.
Die Bürger des Dorfes brauchten nicht nach ihr zu suchen, denn die Hexe stand schon, in ihrem Wahnsinn lachend und weinend, vor ihnen. Die Kälte schien ihr nichts anzuhaben und ihr rußverschmiertes Haupt, die kurzen Haare und die verbrannten Hände ließen auf Teufelsanbetung schließen.
Der Jäger stand in hinterster Reihe und sah zu, wie die Hütte Feuer fing. Taub vor Schmerz und Schuldgefühlen sah er der Frau ein letztes Mal in die Augen, bevor sie sterbend in den Schnee sank.