Weg- geschaut Teil 3
Katrin ist inzwischen fast 17 Jahre alt und auf der Suche nach der Liebe.
Endlich darf ich alleine weg. Naja nicht ganz alleine. Mein Cousin Karli und seine Freundin Hanna, haben mich zu Hause abgeholt. Gemeinsam fahren wir, in dem funkelnagelneuen roten Käfer, zur Tenne. Die Tenne ist die absolut tollste Disco, die es gibt. Alleine hätten mich meine Eltern natürlich nie da hin gelassen, aber mit Karli und Hanne, das war etwas anderes.
Bis 10 Uhr darf ich bleiben. Das ist so was von toll, so lange durfte ich nämlich noch nie weg. Ich musste immer um acht Uhr zu Hause sein. Ich habe das beigefarbene Chanel-Kostümchen, von meiner Konfirmation an. Dazu trage ich drei lange Perlenketten, die von einer goldenen Gliederkette umschlungen sind. Die Kette gehört meiner Mutter und da sie diese fast nie trägt, wird sie auch nicht merken, dass ich sie ein bisschen aufgehübscht habe. Ja und die Perlen, die sind von der Weihnachtsdekoration, die hingen mit kleinen Engelchen am Fenster. Das habe ich mir selbst ausgedacht, weil ich natürlich kein Geld für so etwas habe. Ja ich sehe total erwachsen aus, bestimmt wie achtzehn.
Als wir in der Tenne ankommen ist es so voll, dass wir kaum Platz haben. Karli hat endlich drei Plätze an einem größeren Tisch gefunden. Ich setze mich natürlich so, dass ich die Tür im Auge habe. Hanne und meinem Cousin ist das nämlich egal wo sie hinschauen, sie haben eh nur Augen für sich.
Am anderen Ende sitzt ein Mädchen, das kenne ich vom Schwimmbad und neben ihr der Mann, kommt mir irgendwie bekannt vor. Er sieht wirklich toll aus, seine Hand liegt ganz locker auf ihrer. Ich bin mir sicher, dass die Beiden zusammen gehören.
Das Mädel steht auf, geht den langen Tisch entlang und bleibt neben mir stehen. Meine Güte, wie heißt die jetzt bloß, es fällt und fällt mir nicht ein. „Na, du, wie geht’s dir denn so“ sage ich ganz fröhlich, „O sehr gut, ich bin mit meinem Verlobten hier. Uns ist es eigentlich ein bisschen langweilig. Weißt du, alles nur Kinder, kaum Erwachsene, das ist nicht so ganz unser Ding, aber wir wollten halt auch nicht zu Hause bleiben“. „Du bist verlobt, Wahnsinn“. „Ja Horst und ich wollen im nächsten Sommer heiraten“. Mit diesen Worten geht sie weiter, um der nächsten von ihrer Verlobung zu erzählen.
Heiraten? Na ich weiß nicht, sie ist doch auch nicht älter als ich. Der Mann schaut immer wieder zu mir herüber, durch die abgedunkelten Lampen kann ich zwar seinen Blick spüren, ihn aber nicht ganz genau erkennen.
Alle anderen, die am Tisch sitzen habe ich noch nie gesehen. „Hanna, ich muss mal auf`s Klo, bin gleich wieder da“ rufe ich Karlis Freundin zu. Hänge meine grüne Nappa-Ledertasche über die Schulter und gehe raus.
Plötzlich steht Helgas Verlobter neben mir. Endlich weiß ich wieder den Namen von dem Mädchen, ne die ist ja wohl jetzt eine Frau. Also der Typ von Helga steht neben mir und bietet mir eine Zigarette an. Ich gestehe, ich kann nicht rauchen, aber nun tue ich echt cool und stecke sie zwischen den Ring- und Mittelfinger, dann schaue ich zu ihm hoch. Das Feuerzeug beleuchtet genau seine Augen. Blau, fast wasserblau, mit irre langen Wimpern. Jetzt erkenne ich ihn, erst jetzt. Helga hatte mir doch sogar gesagt, dass er Horst heißt. Wieso hab ich das denn nicht gleich gemerkt. Ich weiß nicht, ob ich schreien, wegrennen oder in Ohnmacht fallen soll. Mein Herz steht still, aber es pocht auch ganz laut. Ich kann nicht mehr atmen, ich kann gar nichts mehr. „Na ihr Zwei“ höre ich da Helgas Stimme „habt ihr euch schon bekannt gemacht?“ Sie hängt sich bei ihm ein und strahlt ihn ganz glücklich und stolz an.“Ja ja „ sagt Horst und dabei schaut er mich so flehend und bittend an, dass ich nichts sagen kann. Alle Drei gehen wir wieder rein und setzen uns auf unsere Plätze.
Als die Band „Only you“ spielt, schupst Helga ihren Bräutigam an und deutet auf mich. Ganz langsam steht er auf, kommt auf mich zu und fordert mich zum Tanz auf. Wie hypnotisiert gehe ich mit ihm auf die Tanzfläche. Ich bin unfähig abzulehnen. Vorsichtig legt er den Arm um mich und sagt ganz leise „Bitte, Kleines, bitte erzähl Helga nichts davon. Es tut mir so leid, was ich damals mit dir gemacht habe. Du glaubst nicht wie oft ich an dich denken musste. Ich hätte mich so gerne bei dir entschuldigt, aber wie kann man das entschuldigen. Du musst mich hassen, hab ich recht? Du bist danach nie mehr in der Gartenwirtschaft gewesen. Deine Freundin übrigens auch nicht. Keiner wusste wo du wohnst. Nicht einmal die Jungs aus deiner Klasse, haben es mir gesagt“.
„Beruhig dich“ ich erzähl schon nichts. Es sind noch zwei Tänze, die wir zusammen bleiben. Dann bringt er mich zurück an den Tisch und geht zu seiner Helga. Zwei dreimal tanze ich mit einem Jungen, den mein Cousin mir ausgesucht hat. Polizist ist er und ja, er sieht gut aus, aber total brav und was mich am meisten stört, er himmelt mich an und will immer wieder mit mir tanzen.
Ich bin so froh, als er sich endlich mit den Worten: „Liebe Katrin, ich habe heute noch Dienst, leider muss ich Sie verlassen. Darf ich Sie für nächsten Samstag, zu einer kleinen privaten Party, einladen? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie ja sagen“, verabschiedet.“Ja natürlich“ ruft Karli aus dem Hintergrund. „Willst du sie abholen oder soll ich Kati bringen?“ Bitte, was geht denn hier gerade ab? Ich will da nicht hin und schon gar nicht mit diesem Typen. „Vielleicht kann ich ja“ sage ich, um ihn los zu werden. Er gibt sich zufrieden und will sich bei Karl melden.
Horst schaut immer wieder zu ganz vorsichtig zu mir und als ich das nächste Mal rausgehe, kommt er hinter mir her. „Bitte lass uns reden. Gib mir wenigstens die Chance, dich richtig um Verzeihung zu bitten. Natürlich nicht heute, das geht nicht. Vielleicht könnten wir uns morgen im Eis-Cafe treffen. Bitte überleg es dir, ich bin um drei Uhr dort“. „Und was soll das bringen? Du brauchst keine Angst zu haben, ich sage Helga nichts, was hätte ich denn davon. Mir ist egal was ihr macht und passiert ist passiert, soll ich sagen danke, nun weiß ich wie beschissen das ist? Danke Horst, lass es einfach gut sein.“
„Bitte!!“ sagt Horst noch einmal. „Ok, vielleicht, aber ich weiß es noch nicht“ und ehrlich ich weiß es auch wirklich nicht, ob ich mich mit ihm treffen will.
Keine Ahnung, was mich in die Stadt getrieben hat, aber ich bin um drei Uhr am Eis-Cafe. Horst sitzt hinten in einer Ecke und winkt mir zu. Ich setze mich gegenüber von ihm, auf den Hocker. Horst nimmt meine Hand und schaut mich wie ein geprügelter Hund an: „Es tut mir so leid Katrin, wenn ich es rückgängig machen könnte, glaub mir, ich würde es tun. Aber das geht doch nicht. Ich weiß, dass ich mich wie ein Schwein benommen habe, aber das alles kann ich nicht mehr ändern. Ich kann dich nur immer und immer wieder um Verzeihung bitten“. „Ja erwartest du einen heiligen Schein von mir, soll ich jetzt sagen, toll, war alles nicht so schlimm, oder was? Was willst du von mir, sag`s einfach und dann geh zu deiner Helga und werd glücklich. Hoffentlich“.
Als wir die Eisdiele verlassen, ist es draußen stockdunkel. Geld für die Straßenbahn habe ich nicht, also muss ich zu Fuß gehen. Horst begleitet mich bis nach Hause. Irgendwann liegt meine Hand in seiner Hand. Ich weiß nicht wie das passiert ist, es war einfach so.
Am Freitag steht er vor meiner Haustür und erklärt mir, dass er sich von Helga getrennt hat. „Ich musste ihr einfach erzählen, was ich dir angetan habe. Ich konnte das nicht mehr allein mit mir ausmachen und es vor ihr verheimlichen. Helga konnte nicht fassen, was ich mit dir gemacht habe. Sie sagte zu „was für ein Mensch muss in dir vergraben sein, wenn du so etwas tun kannst.“ Ich hätte sie bitten können, dass sie mir verzeiht, so wie ich auch dich nur um Verzeihung bitten kann, immer und immer wieder. Aber es geht nicht mehr. Ich denke nur noch an dich und das wäre Helga gegenüber unfair. Ich habe gestern die Verlobung aufgelöst“. In seinen Augen schwimmen Tränen. Irgendwie habe ich Mitleid mit ihm. Ich, hab Mitleid? Ja das habe ich wirklich.
„Ja und warum erzählst du mir das jetzt?“ sage ich so hart, wie meine Stimme das im Moment kann ich und schau zu ihm hoch. „Kleines, weil ich mich in dich verliebt habe. Gib mir bitte die Chance, dir zu zeigen, dass ich anders bin, als du mich kennengelernt hast“.
Wir waren ein halbes Jahr zusammen. Ich wollte ihm verzeihen, wollte uns eine Chance geben. Aber immer, wenn er mich angefasst hat, habe ich diese alte rote vergammelte Matratze gesehen, den Reißverschluss gehört, seine Hand auf meinem Mund gespürt und das Blut in meinem Mund geschmeckt. Ich konnte nicht, es ging einfach nicht und obwohl ich auch heute noch immer an ihn denke, bin ich mir sicher, wir hätten es niemals schaffen können.
Wer verzeihen kann,
der kann sein Leben retten.
Ich habe verziehen
und mich selbst gerettet.
© UteAnneMarie Schuster 2009/2011 überarb.