Es wurde bereits dunkel über Kasidien. Nicolas Conti saß mit seinem Lehrling am kargen Esstisch.
Paul nahm eine Scheibe Brot, belegte sie mit einer Scheibe Schinken und garnierte sie liebevoll mit einem Gürkchen. Contis Speisekammer war niemals voll gewesen. Er hatte nie das Geld besessen sie zu füllen. Die Qualität der Nahrungsmittel hatte in den letzten Jahren ebenfalls beträchtlich abgenommen. Sein Brot war nicht mehr von normaler Qualität. Es war jetzt schon auf der Stufe, kurz vor verbrannter Ware, die die Bäcker sofort in Angst versetzte, denn Brote mit ähnlicher Kruste waren akute Brandherde. Ein Funke genügte und sie verwandelten sich in die gefährlichsten Waffen, die ein Bäcker schaffen konnte, abgesehen von steinhartem Brot, welches selbst den größten Dickschädel zum Platzen brachte. Schinkel sah von seiner Brotscheibe zu Conti herüber. „Herr Conti, welche wichtigen pädagogischen Werte kann mir das Reinigen des Büros vermitteln?“
In Conti schrie es. Warum wohl? Ist doch klar! Wir mussten wieder mal richtig sauber machen im Büro! Das hatte nichts mit Erziehung zu tun törichter Bauernjunge! Diese Worte kamen ihm jedoch nicht über die Lippen, denn diese Worte sprach ein vor Jahren verschollener Conti in seinem Inneren. „Nun ich wollte dich lehren, dass auch die scheinbar unwichtigen Arbeiten zu gutem, ehrlichen Tagewerk dazugehören. Ich wollte sehen wie viel Genauigkeit du in diese scheinbaren nichtigen Kleinigkeiten steckst. Du hast die Prüfung mit Bravour bestanden.“ Conti lächelte gequält. Paul war scheinbar glücklich, denn er schien von innen nach außen zu strahlen. „Ich möchte nicht neugierig erscheinen, aber könnte ich einen Ausblick auf kommende Aufgaben erhalten?“ „Na schön“, verkündete Conti, „die nächste Lektion ist...“ Conti musste eine fast schon zulange Denkpause einlegen und lehnte sich dann zufrieden zurück als er eine Lösung für diese Zwickmühle gefunden hatte. „Du wirst lernen was es heißt zu warten.“ „Das ist eine
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schon fast religiöse Handlung.“ „Ich kann mich wirklich glücklich schätzen dich als meinen Lehrmeister zu haben.“ Paul Schinkel schien wirklich von Grund auf bewegt zu sein. Conti hatte etwas in dem jungen Mann ausgelöst, was er nicht in seinen kühnsten Träumen gedacht hätte. „Ja so ist es“, belobigte er sich selbstzufrieden.
„Herr Talerraff, schön dich wieder zu sehen. Ich hoffe du kannst mir ein paar Neuigkeiten überbringen.“, begrüßte Maasregel den Eintretenden. „Ich kann dir verblüffende Neuigkeiten liefern. Du wirst nicht glauben was ich gesehen habe.“ Talerraff setzte sich an den Schreibtisch des Stadthalters und öffnete seinen ledrigen Aktenkoffer. „Alle Schuldner haben eine ordentliche Reaktion gezeigt. Alle haben brav bezahlt.“ „Bis auf einen, Conti.“, sagte der Stadthalter ohne Regung in der Stimme. „Wie ich sehe bist du bestens informiert. Ja Conti hat nicht gezahlt, aber er hat sozusagen einen Vertrag abgeschlossen. Innerhalb der nächsten vier Monate muss er
einen Auftrag abgeschlossen haben und das meiste Geld dann mir anvertrauen.“ Talerraffs Augen glänzten wie die eines Tigers kurz vorm Sprung auf ein ahnungsloses Opfer. „Es scheint mir jedoch so vorzukommen als wäre das nicht deine einzige Neuigkeit. Du willst mir bestimmt noch die Kirsche auf dem Eisbecher servieren.“ Talerraff war nicht überrascht über das Verhalten des Stadthalters. Immerhin war dieser Mann der vielleicht bestinformierte der ganzen Stadt. Man konnte vor Maasregel nicht einmal die kleinsten und unwichtigsten Gedanken geheim halten. Damit war er immerhin besser gewesen als sein Vorgänger, Lord Edward von Eisenberg. Für die Persönlichkeiten der feinen Gesellschaft war er nur Lord Weißnichts gewesen. Er hatte sich intensiv den Regierungsarbeiten gewidmet, war allerdings recht schlecht informiert. Deshalb erfuhr er von einem Giftanschlag auf ihn als Letzter. „Conti hat einen Lehrling.“ Der Stadthalter blieb unbeeindruckt. „Er hat die Erlaubnis dazu jemanden einzustellen.
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Immerhin habe ich sie selbst vor einigen Jahren unterschrieben. Wir dürfen ihm ein solches Verhalten nicht verbieten. Jedenfalls nicht die nächsten vier Monate. Talerraff es muss etwas geschehen. Conti mag vielleicht nicht der ideale Lehrmeister für einen jungen Menschen sein, jedoch kann er ihm einige eventuell sehr lehrreiche Lebenslektionen beibringen.“ Talerraff wusste was geschehen war, Maasregel hatte bereits einen Plan gefasst. „Nun, was soll mit Conti geschehen?“ Maasregel sah Talerraff ohne Mienenregung an. „Es muss dafür gesorgt werden dass er einen Auftrag erhält. Eine Chance hat er verdient. Sollte er erfolgreich sein, dann könnten wir ihn endlich in die Wache eingliedern.“ Ein Wunsch des Stadthalters war es Conti in die Wache zu bringen. Er war sicher, dass er dort nur noch geringen Schaden anrichten konnte. Kommandeur Stehauf hätte ihn schon zu Recht gewiesen. Conti war ein kleines Problem, welches allerdings sofort gestoppt werden musste. Er war jemand, der
unter Umständen Sachen herausfand, die nicht zum Fall gehörten und doch verband er sie. Er mochte keinen anderen Spezien, insofern sie existierten, und er war rufschädigend für die Stadt. In der Wache war er dann nur noch ein Wächter. Dort schaffte er es bestimmt nicht über den Rang eines Unteroffiziers hinaus. Der Rang Feldwebel blieb ihm bestimmt verwehrt. „Du weist wie ich darüber denke. Wenn es Umstrukturierungen geben sollte, du weißt wegen den anderen Arten von nun ja, Wächtern...“ Talerraff fühlte sich plötzlich unwohl in seiner Haut. Von außenpolitischen Verstrickungen hatte er keine Ahnung. „Damit wird er leben müssen. Wenn er es nicht kann, dann bekommt er einen Sonderposten in einem Büro. Dort kann er ruhig seien speziistischen Gedanken nachgehen. Er ist ein Relikt aus früherer Zeit. Wir müssen ihn nun in die Zukunft katapultieren.“ Der Stadthalter erhob sich und ging zu Talerraffs Stuhl. „Ich weiß deinen Besuch zu würdigen. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“ Talerraff erhob sich. Er blickte
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dem Stadthalter in die Augen. „Hoffentlich begehen wir nicht einen großen Fehler. Was wenn alles schief geht?“ Der Stadthalter fixierte einen Punkt auf Talerraffs Stirn. „Dann werden wir ihn zur Strafe in die Wache abkommandieren.“
Kommandeur Lennard Stehauf befand sich im Wartezimmer des Palastes. Man hatte ihn zu einer persönlichen Audienz bestellt. Den Grund dafür konnte er sich nicht erklären. Die Wache hatte ihre Arbeit vorbildlich gemacht. Ohne Komplikationen. Niemand konnte ihm vorwerfen ein schlechter Kommandeur zu sein. Genau deshalb hatte er das Gefühl, dass ihm ein wild gewordener Vogel auf den Därmen herumsprang. Diese Gefühle hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Die letzten Audienzen waren zwar nicht lustig gewesen, jedoch war nichts Schlimmes passiert. Immer öfter traten neue Rekruten der Wache bei. Die Meisten Neuen kamen aus den Neubaugebieten im Osten der Stadt. Es waren gute Polizisten, aber das sagte man auf Beerdigungen zu Jedem.
Es waren sehr viele und Stehauf verlor zum Glück nicht den Ãœberblick. Wenn er ihn verlieren sollte, dann wollte er vom Posten des Kommandeurs zurücktreten. Die schwere Tür des Stadthalterbüros öffnete sich würdevoll. Der untersetzte Feder sah zu Stehauf. „Herr Lennard Stehauf, Sie dürfen eintreten.“ Stehauf bewegte sich wie ein Zombie. Sein Kopf rebellierte und doch lief er der großen Tür entgegen. Dahinter erblickte er das ihm bekannte Bild des über Akten sitzenden Stadthalters. „Herr Feder bitte lassen Sie mich und den Kommandeur bitte allein.“ Feder hatte das Zimmer jedoch bereits verlassen. Er wusste als Sekretär des mächtigsten Mannes der Stadt genau wann er sich entfernen sollte und natürlich auch wenn er zur Stelle sein musste. Maasregel deutete mit einer Handbewegung auf den Stuhl vor seinem Arbeitstisch. Der Stuhl wirkte im Verhältnis zum Raum sehr klein. Er war einfach ein Holzstuhl ohne zusätzlichen Komfort. Stehauf fühlte sich nun in die Schulzeit zurückversetzt. Maasregel
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schien ihn gar nicht zu beachten. Der Kommandeur setzte sich mit wachsender Verzweiflung. Wenige Augenblicke später, die ihm wie Stunden erschienen, sprach der Herr der Stadt zu ihm ohne aufzusehen. „Weist du warum ich dich bestellt habe, Kommandeur?“ Stehauf sah sich in die Enge getrieben. „Nein Herr. Ich bin leider völlig ahnungslos.“ Endlich legte Maasregel seinen Tintenfüller beiseite und sah Lennard an. „Es geht um einen Bürger der Stadt, der mir persönlich sehr am Herzen liegt.“ „Talerraff ist doch nicht etwa etwas zugestoßen?“, fragte Stehauf hoffnungsvoll. „Nun Talerraff ist definitiv einer meiner engsten Vertrauten. Jedoch musst du mit den Mitleidsbekundungen an seine Familie wohl noch einige Jahre warten.“ Der Stadthalter legte eine Pause ein, die sich dehnte wie Kaugummi. „Es handelt sich um Nicolas Conti. Es gibt da eine Sache um die ich dich bitten möchte.“ „Ich soll ihm einen Fall überlassen?“
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Die Mundwinkel von Maasregel verzogen sich minimal nach oben. „Woher wusstest du bereits davon?“, fragte er lauernd. Du weißt die Antwort bereits. Manche Wächter schenken dem Straßentheater immer besondere Beachtung. Warum zwingst du mich zu einer Lüge? „Die Spanner pfeifen es von den Dächern.“ Sofort sagte Lennard Stehaufs innere Stimme dass dieser Satz eine falsche Information enthielt. Spanner stimmte nicht, aber wer wusste schon was solche Ferkel alles taten um etwas Interessantes zu erspähen. Die Temperatur im Raum schien unter die messbare Grenze zu fallen. „Nun dann ist ja alles Bestens, nicht wahr Kommandeur?“ In solchen Situationen sollte man der anderen Person immer zustimmen. Vor Allem wenn sie ein Wurfmesser hervorholte und damit ihre Hände beschäftigte. „Ja, Herr.“ „Welchen Auftrag denkst du könnte man Conti übertragen?“ „Nun es gibt da einen Fall, eine Lappalie. Sie hat sich bei den Alchemisten zugetragen. Es dürfte nicht schwer fallen den
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Täter herauszufinden. Die Verhaftung dürfte höchstwahrscheinlich schwierig werden. Denn ich weiß nicht ob es da noch etwas zu verhaften gibt. Bad Eske...“, er verstummte schlagartig. Der Stadthalter hatte den Satzfetzen jedoch schon aufgegriffen, wie eine Schlange ihre Beute. „Was gibt es in Bad Eske?“ „Ein Mord, doch damit können wir ihn nicht behelligen. Er wäre der Aufgabe nicht gewachsen.“ „Er hat einen Assistenten, einen Lehrling. Der junge Mann soll sehr aufgeschlossen sein und eine erstaunliche Ãœberzeugungskraft haben.“ Lennard Stehauf kochte innerlich. „Und wenn er alle Assistenten und Polizisten des Planeten hätte! Conti findet nicht einmal das Frühstücksbrot auf dem Tisch! Er ist kein schlechter Mensch, aber ein miserabler Polizist.“ „Deshalb wirst du aus ihm einen guten machen“, erwiderte Maasregel prompt. „Die Sondereinheit also? Warum?“ „Dann kann er nicht mehr für außenpolitische Komplikationen sorgen.“ Damit meinte Vincent Maasregel eine Begebenheit in
der Vergangenheit. Sie betraf Conti, denn er war der unglückliche Hauptakteur gewesen.
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