Kurzgeschichte
Haben sie doch Verständnis!

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"Haben sie doch Verständnis!"
Veröffentlicht am 25. Februar 2011, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

...Schreiben, ein reines Hobby. Bin noch relativer Neuling und hoffe, hier eine geeignete Plattform zum austauschen gefunden zu haben. Feedbacks sind sehr wichtig, sowohl positive für die Seele, als auch negative zum eventuellen Verbessern. Traut euch! ;-)
Haben sie doch Verständnis!

Haben sie doch Verständnis!

„Die 3 bitte!“ Jens blickte nur auf seine Geldbörse, die freundliche Dame hinter dem Tresen der Tankstelle bemerkte er kaum. Er wühlte verkrampft in der Mixtur aus alten Einkaufszetteln, Kassenbons, Passfotos von 1988 und einigen Geldscheinen. Hinter ihm stand ein Herr mittleren Alters, der ungeduldig mit den Fußspitzen auf den Boden tappte. Dieses, sich stetig mit der Genauigkeit einer Taschenuhr wiederholende Geräusch machte ihn fast wahnsinnig. Ein richtig wütender Blick hätte ihm zwar gut getan, er verkniff ihn sich aber. „Wenn die Leute keine Zeit haben, sollen sie halt früher los fahren!“, dachte er sich still. Viel mehr

Sorge bereitete ihm die Anzahl der Geldscheine, die sich vor ihm auftat. Lediglich drei sehr zerknitterte 10 Euro-Scheine sowie ein wenig des kümmerlichen Münzgeldes kamen zum Vorschein, als er zu allem Überfluss mit einer unglücklichen Handbewegung das Portemonnaie seitwärts kippte und das komplette Entleeren nur durch einen blitzartigen Reflex abwenden konnte. „49,99 Euro bekomme ich dann bitte von ihnen, mein Herr.“ Die Stimme der freundlichen Dame hatte sich kein bisschen verändert, sie war immer noch sehr gefasst und gelassen. Beinahe routiniert. Lediglich, so bemerkte Jens, als er seinen Blick von dem Fiasko, dass

er vor einigen Minuten noch als sein Bargeld bezeichnet hätte, abwendete, ihr Lächeln hatte sich ein wenig verändert, wirkte nun etwas gestellt. „Sarah muss das Schulgeld für die Jungs herausgenommen haben, ich hatte doch gestern noch einen Fünfziger…“ dachte er, während er das instinktive, gequälte Lächeln aufsetzte, dass jeder Mensch in einer ähnlichen Situation über sein Gesicht huschen lässt, als würde es auf magische Weise die Zeiger der Uhr verlangsamen. „Einen Moment, “ stammelte er, „ich habe irgendwo noch….“. Er sprach den Satz nicht zu Ende, wühlte vehement in den Tiefen seiner Kleidung. Eigentlich wusste er,

dass dort niemals Geld zu finden war, doch die lange Schlange, die sich hinter ihm gebildet hatte, das Tappen gleich mehrerer ungeduldiger Füße, sagte ihm, dass es besser war, wenn niemand mitbekommt, dass der Fehler bei ihm lag, weil er vor dem Tankvorgang seine Barschaft nicht ausreichend überprüft hatte. Die Kassiererin war immer noch freundlich, das Lächeln wich aber einem Gesichtsausdruck, der Verständnis signalisierte, zumindest signalisieren sollte, eine gehörige Portion Ungeduld mischte sich aber ungewollt dazwischen, ihr Gesicht glich nun etwas einem Kampf zwischen den Beiden. „Sie dürfen auch gerne mit Karte bezahlen,

mein Herr!“ „Wenn sie schon kein Geld haben, sie Flasche!“ Das hatte sie natürlich nicht wirklich gesagt, Jens meinte aber genau diese Worte in ihrer Mimik gelesen zu haben. Die ganze Situation war ihm nun mehr als peinlich. Er steckte in der Klemme, die Leute hinter ihm drängelten, stießen, jedenfalls kam es ihm so vor, ihre Ellenbogen immer wieder und wieder gegen seine Rippen. Aber die Dame hatte ja Recht. Die Karte! Das war seine Rettung! Mit einem verwegenen Blick spreizte er seinen Daumen und Zeigefinger und griff selbstsicher in das Kartenfach. Die Leute hinter ihm haben bestimmt so eine Karte zum Bezahlen gar

nicht, dachte er und konnte sich ein innerliches Kichern nicht verkneifen. Die bekommen schließlich nur Leute, die hart für ihr Geld arbeiten. Naja und Leute, die Geld von ihrem Konto abheben wollen. Also eigentlich alle. Bevor er wegen dieses in dieser Situation unglaublich verwirrenden Gedankenspiels seine Geheimzahl vergaß, schob er ihn zur Seite, und schob lieber die Karte in den Kartenleser. Dabei zwinkerte er der Kassiererin in seinem optimistischen Überschwang kokett zu. Sie lächelte wieder. Sie lächelte ihn sogar an, dazu hatte sie den Daumen nach oben gestreckt, während sie den Blick nicht

von ihm abwand. Jens fühlte sich ein bisschen geschmeichelt, war nun auch viel sicherer. Ihm war nur nicht ganz klar, warum die Dame die ganze Zeit eine Flasche mit Glasenteiser in der Hand hielt, die Mütze hatte sie doch vorhin auch noch nicht aufgehabt. „Sie müssen die Karte andersrum in das Gerät schieben, mein Herr, mit dem Chip nach oben.“ Merkwürdig, sie spricht ohne die Lippen zu bewegen, dachte Jens. Er drehte die Karte also ordnungsgemäß um, das Gerät ließ wieder das „Suche Verbindung“ Signal aufleuchten. Dann blinkte es auch schon wild auf dem zweifarbigen Display, der Apparat verlangte sein Intimstes, seine

Geheimzahl. Im Innern fand er es ein bisschen schade, dass er den Leuten hinter ihm nicht während des Tippens den Mittelfinger zeigen durfte, aber er war ja gut erzogen. Und ziemlich dumm und ein ausgemachter Hornochse. Zu dieser Erkenntnis kam er, als er die Karte aus dem Schlitz zog, sich ebenso frivol lächelnd wieder zu der netten jungen Kassiererin umdrehte um festzustellen, dass sie ein paar Meter weiter rechts stand, direkt neben einem Plakat in Lebensgröße, dass mit einem erotischen Bild für Glasenteiser warb. Es war ihm gar nicht unrecht, dass die Schlange hinter ihm seinen roten Kopf der langen Bezahldauer zuschrieben. Nur

die Karte abziehen, schnell den Laden verlassen, diesen Gedanken hatte er nicht einmal annähernd zu Ende führen können, denn wieder ertönte die Stimme der Dame hinterm Tresen, diesmal versuchte sie scheinbar gar nicht erst, die Ungeduld zu überspielen. „Es tut mir Leid, mein Herr, ihre Karte wurde nicht akzeptiert.“ Wollte diese aufgeblasene Möchtegern-Treibstoff-Hostess nun etwa andeuten, er wäre pleite? Wollte sie ihm sagen, er wäre ein Versager, der all sein Geld bei Fußballwetten auf das falsche Team gesetzt hatte und seine vierköpfige Familie nun hungern ließ? Und diese herzlos verständnislosen Fieslinge hinter ihm in der Schlange?

Hatten die nicht mal ein bisschen Verständnis? Aus seinen Augen strahlte nun vollkommene, nie gekannte Empörung. Aber er hatte ja noch ein Ass im Ärmel. Er konnte mit dem magischen Satz, von dem man ihm erst mal das Gegenteil beweisen sollte, aufwarten. „Müsste aber, gestern bei Aldi ging sie noch!“ Jens wusste nicht genau, wie seine aktuelle Körperhaltung gerade aussah, nach diesem Satz müsste er aber eigentlich mit verschränkten Armen, breiter Brust und geraden Schultern, wie ein mächtiger Krieger, der seinen Gegnern gerade ganz offen den Schlachtplan ausgebreitet hatte, um ihnen zu zeigen, dass Widerstand

sowieso keinen Sinn machte, und jegliches Widerwort allein durch seine Statur verhinderte, dastehen. Beinahe arrogant blickte er zur Kassiererin, die blickte mittlerweile fast feindselig zurück. Und dann passierte etwas, womit Jens nicht gerechnet hätte, sie konterte, mit dem Nonplus-Ultra einer jeden Verkäuferin, machte so all seine Zuversicht zunichte. „Es tut mir leid, ich habe meine Anweisungen!“ Es war soweit. Sie hatte ihn erwischt. Er ergab sich. „Ich muss bitte ihren Ausweis sehen, wir notieren ihre Adresse, sie bekommen dann eine Rechnung, es sei denn, sie bringen den fälligen Beitrag innerhalb der nächsten 60 Minuten hier

vorbei, dann fallen keine Mahngebühren an. Kleiner Service von uns.“ Sie hatte ihr Lächeln wiedergefunden, zwinkerte Jens sogar für eine halbe Sekunde triumphierend zu. Sie hatte gerade eine harte Schlacht gewonnen und sie war sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Jens wusste, wann er verloren hatte, schwor sich aber bittere Rache. Er würde jetzt sofort zur Bank fahren, würde das Geld abheben, sich alles in Zwei-Euro-Münzen auszahlen lassen, dann würde er wieder kommen, sich solange in den Regalen umsehen, bis richtig was los war, und dann würde er sein Schulden belgleichen. Natürlich würde er sich ein paar Mal verzählen.

Auf den Blick der, wie er fand, extrem unhöflichen Kassiererin freute er sich jetzt schon. Er suchte vorsichtig seine Münzen und seine drei Scheine zusammen, trat einen Schritt zur Seite um seine Karte zu verstauen. Der Herr mittleren Alters, der die ganze Zeit hinter ihm gestanden hatte, trat an seine Stelle. „Guten Tag der Herr, was kann ich für sie tun?“ Unglaublich, die Dame hinterm Tresen hat ihr Lächeln wieder, als wäre nichts passiert. „Ich hätte gerne eine Stange Zigaretten, Marke „Anti-Schmacht 600“. „Sehr gerne, mein Herr, 40 Euro wären das bei ihnen dann bitte.“ Der Mann zückte seine Geldbörse, öffnete sein

Münzfach und lächelte freundlich. „Macht es ihnen was aus, wenn ich ihnen mit ein paar 2-Euro-Münzen aushelfe? Ich habe beim Fußball gewettet und gewonnen und nun habe ich so viel davon.“ Die Dame an der Kasse lächelte nun noch mehr als vorher, sie lachte fast freudig. „Aber gerne, mein Herr, wir haben heute einen akuten Mangel an Kleingeld, immer her damit.“ Jens beschloss zu Fuß nach Hause zu gehen und seine Frau das Auto von der Tankstelle holen zu lassen. Er fühlte sich irgendwie nicht gut. ENDE

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elmanu
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Gast Beeindruckend einfühlsam und realitätsnah! Sehr schön zu lesen!
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