Furcht
Furcht ist das Gefühl konkreter Bedrohung. Im Gegensatz zur Angst ist die Furcht meist rational begründbar und angebracht. So steht es geschrieben und so ist es, was mich betrifft, sicherlich. Meine Furcht ist begründbar und mehr als angebracht.
Doch kann Furcht so extrem auf Jemanden einwirken, dass sie sich manifestiert und Formen annimmt? Kann Furcht in Gestalten erscheinen, vor denen man sich schon immer gefürchtet hat? Ich denke ja. Nein, ich weiß es.
Ich habe in früheren Zeiten viel Schabernack mit der Angst anderer Leute getrieben, müssen sie wissen. Ich habe mich daran ergötzt Menschen zu ängstigen, sei es nun durch Geschichten die ich erfand, oder rein körperlich. Nicht einmal vor meinen Kindern machte ich halt. Ich nutzte jede Gelegenheit alles und jeden zu schocken.
Ich denke diese Erscheinungen sind meine Nemesis. Sie sind gekommen um mich zu bestrafen und um mir wahre Furcht zu bringen. Furcht, die mich früher oder später geistig zerstören wird. Meine liebsten taten gut daran, mich zu verlassen. Als ich nachts schreiend aus dem Bett sprang und anfing mit Gegenständen nach diesen Erscheinungen zu werfen, beschloss meine Frau schließlich, dass es wohl besser wäre mit den Kindern zu ihren Eltern zu ziehen. Heute denke ich, sie hat richtig gehandelt. Damals verletzte es mich sehr.
Offensichtlich bedienen sich diese Gestalten extremen Schocksituationen meiner Kindheit, um mich das Fürchten zu lehren. Wie zum Beispiel dieses prägende Ereignis mit meinem Vetter. Ich war Damals vier oder fünf Jahre alt, als mein gleichaltriger Cousin und ich in unserem Garten zusammen spielten. Es war ein heißer Sommertag. Demnach trugen wir beide lediglich eine Badehose und planschten fröhlich in einem kleinen, aufblasbaren Schwimmbecken. Meine Mutter sah uns dabei zu. Als sie jedoch kurz ins Haus ging um uns etwas Kaltes zum trinken zu holen, biss mir mein Cousin in den Oberschenkel. Schock und Furcht machten mich unfähig zu schreien, trotz des Schmerzes. Ich schlug ihm immer wieder auf den Kopf, doch er ließ und ließ nicht los. Meine Mutter zerrte ihn schließlich von mir weg. Ein blau-rotes, geschwollenes Mal, an der Innenseite meines Schenkels, erinnerte mich noch etliche Wochen daran, und bescherte mir zahllose Albträume.
Der Beißer, wie ich ihn nenne, erscheint jedoch als erwachsener Mann. Erst gestern stand er in einer Ecke Meines Wohnzimmers und starrte mich an. Er trägt einen viel zu engen, schwarzen Anzug. Sein überdimensional großer Mund steht weit offen, und gibt den Blick auf ein makelloses und lückenloses, weißes Gebiss frei. Die übergroßen Zähne schlagen stetig aufeinander. Wie bei diesem Spielzeug-Gebiss zum aufziehen, das ich als Kind schon so hasste. Er hebt den Arm und zeigt mit dem Finger auf mich. Dann kommt er rasch näher. Ich schließe dann immer meine Augen, doch ich höre das Klappern der Zähne, und rieche seinen fauligen Atem. Manchmal höre ich nachts Schritte auf der Treppe, begleitet von diesem klappernden, quälenden Geräusch.
Ein anderer Albtraum meiner Kindheit war, dass ich träumte ich würde plötzlich blind und stumm. Dann sprang ich aus dem Bett und schlug so lange mit den Fäusten gegen die Wand, bis meine Mutter in mein Zimmer stürmte um mich zu beruhigen. Ich wollte schreien, doch brachte aus Panik nur ein heiseres krächzen zustande. Mutter musste mich dann immer heftig schütteln, bis ich mich dann schließlich entkrampfte.
Ein kleiner Junge erscheint mir hin und wieder. Er steht dann in der Nacht vor meinem Bett. Seine Augenlider und die Lippen sind in groben Stichen vernäht. Er schüttelt sich heftig und wippt mit dem Kopf. Seine unwirklich schnellen Bewegungen, erzeugen ein flatterndes Geräusch, das sich wohl für ewig in meine Gedanken gebrannt hat. Auch er zeigt mit dem Finger auf mich und kommt zügig näher. Ich schließe wie immer meine Augen. Dann höre ich sein Zappeln ganz nah bei mir, bis es dann irgendwann verstummt. Ich nenne ihn den stummen Blinden. Passend, nicht wahr?
Der Zahnarzt! Welches Kind der Welt, hatte keine Angst vor dem Zahnarzt. Nur erscheint meiner mir heute als eine Karikatur eines Zeichners, der völlig den Verstand verloren zu haben scheint. Sichtbar sind lediglich der haarlose Kopf und seine viel zu großen Hände. Der Rest ist unter einem langen, weißen Kittel verborgen, der über dem Boden schleift. Allein dieser schleifende Laut erzeugt, nur bei dem Gedanke an Ihn, eine Gänsehaut. Seine großen, starren, hervorquellenden Augen wirken beinahe witzig, wäre da nicht der Rest seiner grotesk, verschobenen Gesichtszüge. Ein Mundwinkel hängt extrem herab, so dass er den Blick auf die linke, untere Zahnreihe freigibt. Speichel rinnt, in enormen Mengen daran hinunter. Die Zähne stellen schwarze, eitrige Stummel dar, der Eiter rinnt ebenfalls herab. Eine Nase oder Ohren besitzt dieses Ding nicht. In einer Hand hält er eine Dentalzange, die er bedrohlich zuschnappen lässt. In der Andreren eine Spritze, deren Nadel die Form eines Korkenziehers besitzt, während er sich auf mich zubewegt. Was er damit anstellen will, möchte ich nicht einmal erahnen.
Nun, dies sind nur einige Beschreibungen der Furcht, die sich ständig in meiner Gegenwart manifestiert. Ich weiß nicht, wie lang ich das noch durchstehe, geschweige denn durchstehen will. Ich sehe ihren Sinn einzig und allein darin mich zu vernichten. Gerade eben höre ich wieder Schritte auf der Treppe. Wann hört das endlich auf?
Bericht der Ehefrau
Als mein Mann sich seit etlichen Tagen nicht meldete, besorgte mich das sehr, da dies eher ungewöhnlich für ihn war. Er meldete sich, trotz seines Geisteszustandes, regelmäßig bei mir oder den Kindern. Da er auch nach ständigem Läuten die Tür nicht öffnete, beschloss ich, durch die Hilfe der Polizei, die Tür öffnen zu lassen.
Mir fällt es sehr schwer, dies zu schreiben. Mein Mann lag, völlig entkleidet, in seinem Lesezimmer vor dem Schreibtisch. Er war offensichtlich das Opfer eines kranken Gewaltverbrechens geworden. Zur Vorlage dieses bestialischen Mordes diente eine Geschichte, die er zuvor verfasst hatte, und noch auf seinem Schreibtisch lag. Seine Augenlider waren zugenäht worden. Sämtliche Zähne wurden gewaltsam herausgerissen, und lagen verstreut im Zimmer. An seinem gesamten Körper zeigten sich tiefe Bisswunden, welche, nach Aussage des Mediziners, zum Tod führten. Die Entfernung der Zähne und das Vernähen der Lider erfolgten postmortal. Ob dies seine Qualen milderte, wage ich jedoch zu bezweifeln. Welches menschliche Wesen ist zu so einer tat fähig? Ich kann nicht weiterschreiben…