Beschreibung
Akin hat seine Beute laufen lassen. Durch sein Verhalten ist er seinem Bruder in gewisser weise stets ein Dorn im Auge, doch J.D. gedenkt, seinem fehlgeleiteten Bruder ein wenig zu "unterstützen"...
Die Abart
Das Mädchen lag zu J.D.s Füßen als Akin wieder zurück kam. Sie zitterte vor Angst und ihre Auge wahren im Angesicht des Monsters vor ihr schreckgeweitet. "J.D.!" rief Akin und beschleunigte seine Schritte. Er durfte unter gar keinen Umständen zulassen, dass J.D. Dieses Mädchen tötete. Sie war nicht diejenige, die sie finden sollten. Es war nicht diese Monica, nach der man sie aus geschickt hatte, sondern Cathy. Sie hatten sie gesucht, Tage und Nächte lang gesucht. Und wer hatte sie gefunden? Akin. Akin, der heldenhafte, Akin, der Welpe. Der einzige der sie nicht finden wollte, um Gottes Willen und unter allen Umständen nicht finden wollte. Doch er hatte sie gefunden, offensichtlich als erster. Wäre dem nicht so wäre sie entweder tot oder längst kein Mensch mehr. Doch genau das war sie. Ein Mädchen, im Grunde unschuldig wie ein Kind. Und sie war es, die er fangen sollte. Warum? Schon vor langer Zeit hatte er sich das erste mal gefragt, nach welchem Muster die Nacht ihre Opfer ersann. Aus Willkür? Das hatte er schon ein mal gedacht, doch dieser Gedanke schien ihm absolut unsinnig zu sein. Nein. Die Nacht hatte ihre Gründe. Sie wusste wessen Leben sie wollte und wessen Existenz sie nicht kümmerte. Es gab einen Grund, warum sie das Mädchen mit den Sternenaugen zum Leben in der Dunkelheit verbannen wollte. Nur was dieser Grund war, das vermochte er nicht zu sagen.
"Hör auf!" sagte er bestimmt und baute sich vor den beiden auf. Das Ungetüm, welches sich zu dem zarten Wesen am Boden hinunter gebäugt hatte, blickte auf. "Was denn?" grollte das Wesen und das Fell in seinem Nacken stellte sich leicht auf. "Ich will doch nur... ein bisschen Spaß." mitten im Satz unterbrach das Monster kurz um sich etwas Speichel von seinen Lippen zu saugen. Einen Moment lang erwiderte Akin nichts und versuchte die Kreatur vor sich mit Blicken zu strafen. "Spaß!" stieß er angewidert hervor und sah hinunter auf das vor Angst gelähmte Mädchen. "Du hast eine abartige Vorstellung von Spaß." "Nun hör mir mal gut zu, mein Freund! Von uns beiden..." das Monster krächzte nur und man konnte ihm anmerken, dass ihm das Licht und die Hitze des Tages zu schaffen machten "...von uns beiden... bin ja wohl nicht ich die Abart... sondern du." Akin gab ein missbilligendes und doch zeitgleich resigniertes Grollen von sich, welches klang wie das Knurren eines Raubtiers. Das Problem bestand für ihn nicht darin, dass der andere dies gesagt hatte. Es bestand darin, dass er sich wie ertappt fühlte. Warum? "Eine Abart..." begann das Ungeheuer seine Rede mit etwas verrauchter Stimme "ist in meinen Augen der Abkömmling einer Art, welcher sich in seinem Wesen gänzlich anders verhält, als es sich für einen seiner Rasse geziemt. Nach den Vorstellungen die in dir umgehen bin ich vielleicht verabscheuungswürdig, doch nach den Maßstäben unseres Stammes... bin ich in nahezu jeder Hinsicht ein wahres Prachtexemplar." Es ließ seine Worte einen Moment wirken bevor er weiter sprach. "Du benimmst dich weit hingehend gar ritterlich und versuchst ganz offenkundig nach bestem Gewissen die Gaben der Nacht zu missachten. Nach... den Maßstäben der Menschen bist du vermutlich... ein... richtiger kleiner Goldjunge. Doch nach den Vorstellungen unseres Stammes, deines Stammes, bist du das sicher nicht. Du scheinst dich von den Gebräuchen der anderen deiner Art absetzten zu wollen. Du gehörst zu unserer Art, benimmst dich aber wie ein Geschöpf einer anderen Rasse, manchmal wie einige unserer Opfer. Und das... macht dich zu einer Abart." Nachdem es geschlossen hatte versuchte es Akin in die Augen zu sehen, der den Kopf weiterhin gesenkt hielt. Es ist wahr. Jedes einzelne Wort aus dem Maul dieses Monsters ist wahr. Und dass musste er sich eingestehen, so sehr er auch suchte, dagegen anzukämpfen. Anstatt etwas zu seiner Verteidigung hervor zu bringen kniete er sich neben das am Boden liegende Mädchen und sagte mit grollender, dennoch manchmal brechender Stimme: "Lass – sie – frei!" "Ich halte sie doch nicht fest." lachte das Wesen und warf wie unschuldig die Hände in die Luft. Doch Akin wusste, dass weder er noch sein Bruder ihre Hände brauchten, um einen Menschen festzuhalten. "Versuche nicht deine Spielchen auch noch mit mir zu treiben. Lass sie los!" Das Wesen sah etwas wütend aus, doch dann wiederum wirkte es belustigt. Die Aura die von ihm ausging ließ spürbar nach. Es war als würde man aus dem tiefsten Punkt eines Sees ans die Wasseroberfläche getrieben werden. "Lauf weg!" flüsterte Akin dem Mädchen zu. "LAUF!" Erschreckt von seinem Brüllen rappelte sich das Mädchen hoch und rannte ohne sich noch ein mal umzusehen davon, in die gleiche Richtung wie zuvor ihre Freundin. Sie rannte, so schnell sie ihre Beine trugen, also viel zu langsam, hätte das blutrünstige Ungeheuer es wirklich darauf angelegt ihr zu folgen. Doch stattdessen sah er auf seinen Bruder hinab, der noch immer im Staub hockte, scheinbar unfähig etwas zu sagen. "Mir scheint als hätten meine Worte gefruchtet, nicht wahr?" sagte J.D. Mit einem Tonfall wie der eines Lehrers, der leichte Nachsicht mit seinem gerügten Schüler hatte. Akin blieb am Boden. Er fühlte sich durch Schande geschlagen. Das war ihm bisher noch nie widerfahren, jedenfalls nicht in dieser Intensität. Brüderlich legte J.D. Ihm die Hand auf die Schulter. "Du weißt genau so gut wie ich, dass ich dich nicht sonderlich mag..." begann er mit einer Stimme, die gegenteiliges vermuten ließ. "Aber du bist mein Bruder. Und als dein Bruder muss ich versuchen, dich... dich zu etwas zu bringen. Oder willst du bis in alle Ewigkeit nur der ausgestoßene Welpe bleiben, der sein Leben mühsam mit sich trägt wie ein Kreuz? Das willst du nicht, und dass kannst du auch überhaupt nicht wollen, es sei denn, du bist ein Masochist, und das wäre mir neu, auch wenn du dich mit deinem Laster, welches du dir immer und immer wieder selbst aufbürdest manchmal wirklich so benimmst. Ich will dir helfen." Akin schwieg. J.D. Wartete noch eine Weile, diesmal etwas länger, und irgendetwas an ihm schien sich zu verändern. Nicht an seinem Aussehen, sondern an seiner Ausstrahlung. "Mal unabhängig davon..." Urplötzlich riss er ihn an der Schulter und presste ihn dann mit in der Luft baumelnden Beinen rücklings gegen die Wand. "Hältst du mich eigentlich für minderbemittelt, Akin?" J.D.s Hand, die nun mehr und mehr einer riesigen Pranke glich, wanderte von seiner Schulter zu seiner Kehle und drückte ihm die Luft ab, weshalb er nicht antworten konnte. Stattdessen fuhr der Wolfsmensch fort: "Glaubst du denn wirklich allen Ernstes ich ließe mich so leicht hinters Licht führen?" Voller Wut warf e seinen Bruder in die umstehenden Büsche und ging dann schnellen Schrittes auf ihn zu. "Glaubst du denn wirklich, ich hätte sie nicht schon viel früher wahrgenommen als du?" Verwirrt blinzelte Akin gegen das Licht und als er begriff worauf er damit hinaus wollte richtete er sich langsam auf, mit Wut in den Augen. Wenn Noctura sie aus schickte eine bestimmte Beute zu fangen war es an dem, das Werk zu beenden, der die Beute zuerst sah. Mit den Augen oder mit der Seele. Sein Bruder musste die Fährte gerochen haben bevor sein Geist den des Mädchens erfasste. Sein Bruder hatte ihn dazu verurteilt, sie zu töten. Einem unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen, ihre Seele zu fangen und ihr Blut zu schänden. Akins Hände ballten sich zu Fäusten, so dass unter seiner leicht gebräunten Haut die Fingerknöchel deutlich hervortraten. "Du..." Akins Worte waren so erfüllt von Wut und Hass dass es klang, als wolle er J.D. mit seinen bloßen Worten erdolchen. "Du hast es gewusst." J.D. lächelte und begann langsam, sich zurück zu verwandeln. Das dunkle Fell zog sich in seine Haut zurück und er schrumpfte wieder auf normale Größe. "Vermutlich glaubst du auch noch, mir damit einen Gefallen getan zu haben." "Das glaube ich nicht nur, dessen bin ich mir ohne jeden Zweifel sicher." antwortete er ernst. Verzweiflung überkam Akin. Wie sollte er das tun? Wie konnte er das tun? "Das ist deine Chance." sagte J.D. und wandte sich zum gehen. Der zurückbleibende raufte sich die Haare. "Verdammt nochmal, das ist mein Untergang und das weißt du ganz genau!" Völlig entkräftet sank er wieder zu Boden. Das einzige was es noch brauchte um Akin den Rest zu geben und ihn mindestens für den Rest des Tages in einen tiefen Abgrund zu stürzen war das, was sein Bruder daraufhin tat:
"Unsterbliches Kind, mit so sterblicher Passion
Gnädiger Tod"
Akin blickte entsetzt auf. Nicht das. Alles nur nicht das!
"Wie liebst du es doch, das Kreuz deiner Schuld zu tragen"
"Hör endlich auf damit, J.D.!"
Er zitierte wieder aus diesem unsäglichen Buch. Wenn es in diesem Moment abgesehen von seinem Bruder etwas gab, dass er brennen sehen wollte, dann war es jede einzelne Ausgabe dieses verfluchten Schriftstückes.
"Doch schüttle ab den irdischen Drang"
"J.D.!"
"Tu aus das Licht"
Akin hielt sich krampfhaft die Ohren zu. Er wollte es nicht hören. In dieser Lage konnte er es nicht hören. Es war, als würde sein Bruder einen Fluch über ihn aussprechen. Er begann zu weinen. Es war zu viel für ihn. Warum konnte es nicht aufhören? Warum gab ihm sein verfluchtes Schicksal nicht den letzten Stoß und ließ sein Leid enden? War dies seine Strafe für alle Ewigkeit?
"Wie hast du sie genannt?" fragte er plötzlich und Akin sah ihn verwirrt an. "Wovon redest du?" "Das weißt du sehr gut. Komm schon, du kannst mir nicht erzählen, dass du ihr keinen Namen gegeben hast." In diesem Moment hätte er sich am liebsten ohrfeigen mögen. Während er langsam aufstand schallt er sich im Geiste für seine eigene Dummheit. Damit hatte er sie endgültig verdammt. Immer noch mit gesenktem Kopf und mit Tränen aus Trauer, Zorn und Verzweiflung in den Augen trabte er an seinem Bruder vorbei, und ohne ein Wort der Erklärung flüsterte er, mehr zu ihr als zu seinem Bruder:
"Sternenauge..."