Chinesisch
Ich könnte mich ohrfeigen. -- Ich könnte mich doppelt und dreifach ohrfeigen ! Ich habe mich verführen lassen.
-- -- Von Zimmermann. -- --
Nicht, was Sie denken ! ! -- -- Ich ließ mich von Zimmermann dazu verleiten, seine
Einladung zum Essen in einem Chinarestaurant anzunehmen !
-- Ich kenne Zimmermann. -- Seit Jahren ! -- Trotzdem schlug ich seine Einladung nicht von vorneherein aus. -- Schützte nicht irgendwelche unaufschiebbaren Arbeiten oder eine
Reise vor, sondern sagte tatsächlich zu !
-- -- Ich könnte mich ohrfeigen. -- --
Das Resultat meiner vorschnellen Entscheidung war – wie vorauszusehen – verheerend :
Drei Wochen angestrengtester Arbeit mit dem ungeschickten Zimmermann, der – auch wie
vorauszusehen, - einfach nicht in der Lage schien, wie ein gesitteter und kultivierter abend –
ländischer Mensch, mit dem Eßbesteck der morgenländischen Menschen, - den berühmt –
berüchtigten Stäbchen, - umzugehen.
Die Pflicht, diesen entwürdigenden Zustand zu beenden, oblag selbstverständlich – wie
vorauszusehen – mir, der ich ja als Nutznießer ( ! ) der Zimmermannschen Einladung auser –
sehen war.
-- -- Ich könnte mich...! -- --
Nach diesen drei Wochen war ich felsenfest davon überzeugt, daß wir Dante’s `Höllisches
Inferno´ einem Zusammentreffen des begnadeten Dichters mit dem weniger begnadeten
Zimmermann – oder zumindest einem Dessen Vorfahren – zu verdanken haben.
Wie auch immer; - jeder gesunde Mensch ist – nach einer gewissen Übungszeit, deren
Dauer natürlich von den Fähigkeiten des jeweiligen Individuums abhängt – in der Lage, die
beiden Hölzchen zweckgemäß zu verwenden, ohne ernsthafte Verletzungen davonzutragen.
Selbst Zimmermann hatte es endlich geschafft, - und die Sache machte ihm schließlich
sogar Spaß !
Am Vorabend des von Zimmermann angesetzten Termines zur – voraussehbaren –
Katastrophe fand die Generalprobe statt und nach einer – von mir – schlaflos verbrachten
Nacht und der Einnahme unzähliger Beruhigungspillen, war es denn soweit.
Punkt zwölf Uhr drei klingelte es und Zimmermann stand da in seinem besten dunkeln ( ! )
Anzug - ich fühlte mich ohnehin wie zu meinem eigenen Begräbnis eingeladen - , um mich
abzuholen. Er ließ mir keine Zeit, den plötzlich in mir aufkeimenden Gedanken an eine herannahende Grippe, verbunden mit einem leichten Schwindelanfall, zu überzeugender
Reife gelangen zu lassen, umklammerte meinen Oberarm, zerrte mich buchstäblich nach
hinten in die Diele; von da weiter bis vor meinen Kleiderschrank – und hätte mich wohl gar
noch eigenhändig umgekleidet, wenn ich nun nicht doch – mit zwar etwas schwacher Stimme,
doch entschieden energischer Geste, - protestiert hätte. Er erlaubte mir also, mich selbst
anzukleiden und trieb mich lediglich zur Eile an. Ich mußte mir eingestehen, daß es zweck-
los sei, zu versuchen, Zimmermann umzustimmen und ergab mich also in mein Schicksal.
Auf dem Weg zum Restaurant bereute ich bitter, daß mir nicht schon früher der Gedanke an
irgendeine Verkleidung – eine Maske etwa, mit der ich mich hätte unkenntlich machen können – gekommen war.
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- - Doch wie ich Zimmermann kenne, hätte es wohl ohnehin keinen Zweck gehabt, da er eine
solche Sache gewiß persönlich aufgefaßt und sie sich verbeten hätte. - - -
Auch meine allerletzte Hoffnung – wir hatten keinen Tisch reserviert – auf ein vollbesetztes
Lokal wurde zunichte gemacht. Es gab ausreichend Platz !
-- -- Und hier an diesem Orte erlitt ich in den folgenden anderthalb Stunden einen wahrhaft
schweren Schicksalsschlag, der mich zwang, meine Beziehung zu Zimmermann von Grund
auf noch einmal neu zu überdenken.
- - Zum ersten Male seit unserer Bekanntschaft enttäuschte Zimmermann meine
Erwartungen. -- --
Meine schlimmsten Albträume – etwa, daß die anderen anwesenden Gäste beginnen könnten, meinen Begleiter mit Erdnüssen und dergleichen zu füttern – wurden nicht erfüllt.
Es geschah -- -- nichts !
Ich konnte es nicht fassen ! ---
Zimmermann saß da - fast wie ein Mensch – handhabte seine Eßstäbchen mit stoischer
Gelassenheit und tat, als sei es die natürlichste Sache der Welt für ihn, in einem Restaurant
dieser Art zu sitzen, ohne von Jedermann angestarrt zu werden !
Es war phantastisch – einfach umwerfend ! !
Auch nach unserem Weggehen noch erfreute sich der asiatische Ober beider unversehrter
Augen; - kein noch so kleiner Brand war durch Zimmermann ausgelöst worden; - nichts –
einfach nichts war geschehen !
Ich muß zugeben; - ich war fast etwas ärgerlich; zumindest jedoch stark enttäuscht.
-- -- Es war nicht normal. Nicht bei Zimmermann !
Dieses Erlebnis – oder dieses Nichterleben eines Ereignisses – bereitete mir eine weitere
schlaflose Nacht.
Ich begriff es einfach nicht. Warum hatte sich Zimmermann diesmal nicht – wie es seiner
Art entsprach – danebenbenommen ?
Die Woche darauf – ich hatte mich mittlerweile schon wieder etwas beruhigt – lud Zim –
mermann mich erneut zu einem kleinen Essen ein. Diesmal bei sich zu Hause. Ich
sagte zu.
-- Warum auch nicht ?
Angekommen, stellte ich fest, daß es wiederum ein chinesisches Essen sein würde.
Zimmermann hatte Stäbchen besorgt und wieder verlief die Sache reibungslos .
Ich war beruhigt.
-- Ich könnte nun auch meinerseits Zimmermann hin und wieder einladen; vielleicht gar zu
einem Arbeitsessen mitnehmen.
Allerdings begriff ich noch immer nicht, was denn nun eigentlich den Wandel in Zimmer –
manns Eßkultur hervorgerufen hatte. Sei’s drum ! Wichtig war, daß ein solcher statt –
gefunden hatte.
Ich ergriff nun die Gelegenheit und führte den geläuterten Zimmermann – auch aus Gründen
der ja notwendigen Revanche – das Wochenende darauf in ein erstklassiges Balkanrestaurant.
Wir bestellten, tranken zuvor einen Aperitif – und dann wurde das Essen gebracht. –
-- Verschiedene Salate, Schafskäse mit Oliven und herzhaft garnierte und scharf angebratene
Fleischstückchen am Spieß.
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Ich griff zu. Auch Zimmermann griff -- -- in seine Jackentasche und zog – zu meiner
nicht geringen Verblüffung – einen Satz Eßstäbchen aus makellos weißem Elfenbein hervor !
Ich begann zu schwitzen. -- -- Da kam es also ! Zwar reichlich verspätet: aber da kam
es nun ! !
Zimmermann, in einem Balkanrestaurant sitzend – mit mir an seiner Seite ( ! ! ) -, mit
chinesischen Stäbchen in der Hand .....!
Ich wünschte mich weit weg. Nach China, meinetwegen; oder auch auf den Balkan.
Hauptsache, ohne Zimmermann !
Doch ich saß hier. -- Mit ihm.
-- -- -- Zimmermann begann. -- -- --
Nach dem Salat war mein Hemd durchgeschwitzt. Beim Käse bereits die Jacke; -
und die ersten Blicke begannen sich auf Zimmermann – und mich an seiner Seite ( ! ! ) – zu
richten.
Bei den Spießen angelangt, war auch die linke Augenbraue des Oberkellners direkt unter
Dessen Haaransatz angelangt.
Ich überlegte fieberhaft, welche eventuellen Möglichkeiten sich mir noch böten. Ich konnte nicht so tun, als gehörten wir nicht zusammen – man hatte uns gemeinsam das Lokal
betreten sehen. -- -- Zimmermann als Chinesen auszugeben, war ein Ding der Unmöglich –
keit. -- -- Es blieb also nur noch eine letzte Alternative : Sitzenbleiben und mir einbilden,
alles sei nur ein böser Traum ....
-- -- Beim Pfirsich – Melba wurde ich jäh aus meinem Traum gerissen. - Die ersten Gäste
hatten sich um unseren Tisch versammelt und begannen, Beifall zu klatschen.
--- -- Der Augenbrauenkünstler weigerte sich tatsächlich, die Rechnung zu bringen.
Etwas Derartiges habe er noch niemals erlebt und es sei ihm eine Ehre, uns als seine
Gäste – im Sinne des Wortes – zu betrachten.
-- -- Ich ergriff Zimmermann am Arm und zerrte ihn – der er gerne noch eine Zulage gegeben hätte – auf die Straße.
Zu Hause angekommen, - nach einem Bad und mehreren mehrstöckigen Drink’s, - begann
ich über das Erlebnis nachzudenken.
Nun, nachdem ich etwas Abstand gewonnen hatte, mußte ich mir selbst eingestehen, daß
Zimmermann – bis auf die Tatsache, daß er in einer artfremden Lokalität eben diese vermale-
deiten Stäbchen benutzt hatte, - diese doch mit akrobatischer Geschicklichkeit zu handhaben
wußte.
Sogar die anderen anwesenden Gäste und selbst das Personal waren begeistert. Lag der
Fehler vielleicht ausschließlich bei mir ? War ich zu streng mit meinen Maßstäben ?
-- -- Wie auch immer; - ich beschloß, Zimmermann vorerst nicht mehr zu seinen künstle –
rischen Darbietungen zu begleiten, sondern ihn für eine Weile zu beobachten.
Die nächste Gelegenheit ergab sich rasch.
Ich saß mit einem Bekannten bei angeregter Unterhaltung in einem italienischen Restaurant,
als sich an einem der Nebentische unvermittelt ein Aufruhr erhob.
Gäste, die neugierig jenen Tisch umringten, um das dortige Geschehen verfolgen zu können,
versperrten uns die Sicht.
Auch mein Bekannter erhob sich, um festzustellen, was der Grund für die offensichtliche
Begeisterung der Menge sei.
-- -- Ich kannte den Grund. -- --
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Trotzdem näherte auch ich mich vorsichtig dem Geschehen, um, gedeckt durch die anderen
Anwesenden, Zimmermanns neue Darbietung beobachten zu können.
Dieser saß da, hantierte mit südländischer Eleganz mit seinen Wunderstäbchen, mit deren
Hilfe er mit asiatischer Gleichmütigkeit eine Portion Spaghetti – Bolognese verspeiste !
Damit nicht genug. Durch die Begeisterungsstürme der Zuschauer angefeuert, ließ er sich
zu immer neuen Höchstleistungen hinreißen !
Er aß Salate, Eiscreme mit Sahne und was weiß ich noch alles.
-- -- Alles mit seinen Stäbchen !
Auf die Frage meines Begleiters, ob der Künstler nicht mein Freund sei, leugnete ich
kaltblütig jegliche Bekanntschaft mit Diesem.
Es war wie im Traum.
Zimmermann war in der Lage, die kompliziertesten Speisen mit diesen beiden primitiven
Stäbchen aufzunehmen und zum Munde zu führen. -- -- Ich hätte so Etwas niemals für
möglich gehalten. -- --
Doch als ich hörte, wie er – am Höhepunkt seiner kulinarischen Laufbahn angelangt,
jedoch deren Zenit noch nicht überschritten – nach einer Champignon – Creme – Suppe
verlangte, ergriff ich die Flucht....
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