Beschreibung
Um Missverständnisse möglichst aus dem Weg zu räumen: Die folgenden Kapitel werden je nach dem, aus wessen Sicht sie erzählt werden, mit dem entsprechenden Namen gekennzeichnet (Untertitel).
Ein Kapitel von ein Mädchen wird anders zu lesen sein als ein Kapitel von einem Wolf...
Pech
"Jetzt hör mir doch mal zu!" unterbrach Cathy ihre Freundin Monica völlig entnervt. "Du musst mir glauben, es war ein blöder Unfall." "Na klar, das glaub ich dir aufs Wort." sagte Monica sarkastisch. "Echt mal, Cathy, so blöd is Keiner. Die ganzen Sachen die dir in letzter Zeit passiert sind ... du willst mir doch wohl nicht immer noch erzählen, dass das alles Unfälle waren, oder?" "Doch." erwiderte sie. "Du denkst doch wohl nicht etwa ich blamier mich mit Absicht. Ich hätte zum Beispiel sehr gerne auf die Nacktschnecken-Szene neulich in der Cafeteria verzichtet." "Boah! Erinnere mich bloß nicht daran!" stieß Monica angewidert aus. "Aber trotzdem mach ich mir Sorgen um dich, Cath. Ich geh langsam davon aus, dass du -" "Ich will den ganzen Schrott echt nicht mehr hören. Entweder du hilfst mir jetzt, oder ich lege auf." "Ich mein ja nur, wenn du irgendwas -" Beep. Cathy hatte aufgelegt. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich in ihr Bett fallen. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf gehen, warum Monica immer noch dachte, sie macht diese ganzen Sachen mit Absicht. Wer, der noch ganz bei Trost ist, würde sich mit Absicht eine Wendeltreppe runterrollen lassen? Wer, der noch alle Tassen im Schrank hat, steckte mit Absicht sein Bein in die Toilette um dann dort stecken zu bleiben? Und wer, der nicht komplett lebensmüde ist, warf sich mit Absicht in einen See, in dem es vor Schlangen nur so wimmelte? Cathy war sich absolut sicher: sie jedenfalls nicht. Warum dachten alle, dass sie das alles mit Absicht tat? Cathy selbst schien die einzige zu sein die wusste, was wirklich hinter der ganzen Pannen-Show steckte, nämlich: Pech. Das war es. Was sollte es auch sonst sein? Die einzige Möglichkeit, das auch den anderen Leuten klar zu machen schien darin zu bestehen, künftig alle möglichen Fettnäpfchen zu umgehen. Wenn ein paar Wochen weithingehend ereignislos vergangen waren, würde mit Sicherheit niemand in der Schule je wieder darüber sprechen.
*
Am folgenden Schultag musste Cathy jedoch feststellen, dass sich das mit dem Umgehen von Fettnäpfchen doch etwas schwierig gestaltete.
Schon als sie vor der Schule aus dem Bus stieg stolperte sie und fiel bäuchlings zu Boden. "Guten Morgen." flötete ihr jemand fröhlich zu. Sie richtete sich auf. Natürlich war es Monica. "So ganz wach bist du noch nich, oder?" Sie half ihr hoch. "Das war ein Versehen." versicherte Cathy Monica. "Den Rest des Tages wird mir nichts weiter passieren." Von wegen. Ãœber den ganzen Schultag verteilt rutschte, stolperte und fiel Cathy am laufenden Band. Bei jedem Zimmerwechsel zum Beispiel mindestens zwei mal, wobei einige lachten, andere nur besorgt auf sie herabsahen. Als sie am Ende des Tages wieder über eine Mülltonne auf die Straße stolperte half Moni ihr nicht, sondern stöhnte nur genervt. "Bist du bald mal fertig?" Cathy setzte sich auf. "Mir geht’s gut, danke der Nachfrage." zischte sie. Plötzlich weiteten sich Monicas Augen. "Cathy, geh weg da!" schrie sie. "Was?" Cathy sah nach oben und sah einen großen Jeep auf sie zu fahren. Sie war vor Schreck wie gelähmt und bewegte sich nicht einen Zentimeter von der Stelle. "Cathy!" schrie Moni, doch das Auto fuhr nur noch näher an sie heran. Kurz bevor der Jeep Cathy erfasste sprang Monica vor sie auf die Straße. Cathy rollte sich zur Seite und das Auto fuhr noch einige Meter bis es zum Stillstand kam. Monica hatte es mitgerissen. "Monica!" rief Cathy entsetzt und rannte zu ihrer Freundin hinüber. "Moni!?" Besorgt beugte sie sich über sie. Sie war blutüberströmt. "Moni, sag doch was!" Sie sagte nichts. Ein junger Mann stieg aus dem Auto und sah die beiden an, tat aber nichts. "Cath?" "Ich bin hier." Moni zögerte. "Blute ich?" Cathy konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Keine Sorge, alles wird gut, glaub mir!" "Glaub ich nicht." flüsterte Monica. Langsam schloss sie die Augen. "Moni! Moni, nein! Bleib bei mir, Moni!" Cathy begann haltlos zu schluchzen. "Nun tun sie doch was!" brüllte sie den Mann durch ihre Tränen an. Sie meinte zu sehen wie er hämisch lächelte bevor er wieder in das Auto stieg und davon fuhr. "Aaaaargh!" stieß Monica aus, als er ihr über die Hand fuhr. Kurz starrte Cathy dem Jeep völlig fassungslos hinterher, bis sie sich wieder ihrer Freundin zuwandte. "Hör mal, alles wird gut." Sie ging in die Hocke und rief den Umstehenden zu: "Ruft einen Krankenwagen!" Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass ein Mädchen aus ihrer Parallelklasse allem Anschein nach bereits den Notdienst an der Strippe hatte. Als nach wenigen Minuten endlich der Wagen kam atmete Moni nur noch schwach in Cathys Armen.
*
Wie auf glühenden Kohlen saß Cathy auf ihrem Bett, das Handy kontinuierlich in der Hand. Es hatte sie immer noch niemand wegen Moni angerufen. Sie machte sich extrem Sorgen, aber vor allem plagte sie sich mit Selbstvorwürfen. Wenn sie nicht zu blöd gewesen wäre über die Straße zu gehen oder gleich von der Straße runter gegangen wäre, wäre das alles nicht passiert. Ihretwegen war ihre beste Freundin schwer verletzt oder gar tot. Da sie die derzeitige Situation aber eh nicht ändern konnte entschied sie, sich mit etwas fernsehen abzulenken. Das war nicht wirklich hilfreich. "Wie die Polizei vor kurzem bekannt gab wurde vor wenigen Stunden ein Mädchen vermisst gemeldet, welches nach einem schweren Autounfall ins Krankenhaus gebracht wurde und von dort aus spurlos verschwand." Cathys Augen weiteten sich vor Schreck als neben der Nachrichtensprecherin ein altes Foto von Monica Ahkess eingeblendet wurde. "Die Ermittlungen ergaben, dass es sich beim Verschwinden des Mädchens um Entführung handelt, da auf ihrem Krankenhausbett ein Zettel gefunden wurde, auf welchem stand: „Sie ist nicht zuhause, aber fast.“. Da die Nachricht mit aus einer Zeitschrift ausgeschnittenen Buchstaben verfasst wurde ist eine Handschrift-Analyse in diesem Fall nicht möglich. Auch wurden, laut Angaben der Polizei, keine Fingerabdrücke, Fußabdrücke oder andere Spuren hinterlassen, die auf den möglichen Täter hinweisen könnten. Obwohl man die Hoffnung hier noch nicht aufgibt hält die Polizei es für unwahrscheinlich, dass das Mädchen noch am Leben ist…. Und nun zum Wetter." Cathy war aus ihrem Zimmer gestürmt. Völlig von Sinnen hastete sie die Treppe hinunter in den Flur und zog sich schnell eine Jacke vom Kleiderständer. Ihre Mutter bemerkte das. "Cathy, wo um Himmels Willen willst du denn jetzt um diese späte Zeit noch hin?" fragte sie aus dem Wohnzimmer, wo sie offenbar gerade die selbe Nachrichtensendung sah wie Cathy, da sie hörte, wie der derzeitige Wetterfrosch sich verabschiedete mit einem fröhlichen: "Und damit gebe ich zurück ins Studio." Ohne die Frage ihrer Mutter in irgendeiner Form zu kommentieren öffnete Cathy die Tür. "Cathy, wo willst du hin?" fragte sie energisch. Kurz zögerte sie, die Türklinke immer noch in der Hand. Sie hatte das Gefühl, wenn sie jetzt nicht sofort zu Moni ging, würde sie wahrscheinlich platzen vor Sorge und Aufregung. Und sie wusste auch, wo sie mit suchen anfangen würde. „Sie ist nicht zuhause, aber fast.“ "Ich geh zu Moni." rief sie hastig bevor sie die Tür hinter sich zuzog. So schnell sie nur konnte rannte sie los. Sie wusste so ungefähr, in welchem Block Moni wohnte. Es war zwar ein ziemliches Stück zu laufen, aber auf jeden Fall machbar. Cathy war nicht oft bei Moni zuhause gewesen. Nicht etwa, weil eine von Beiden nie gewollt hätte, sondern weil Cathys Mutter nicht wollte, dass sie sich „zu oft im Ghetto blicken lässt“. Nach ungefähr zehn Minuten rennen wurde Cathy etwas langsamer. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie überhaupt noch richtig war. "Moni?" rief sie mit wenig Hoffnung. "Cath?" Cathy zuckte zusammen. Das war Monicas Stimme. "Moni! Wo bist du?" "Cathy hilf mir! Ca-" Es klang, als ob ihr plötzlich jemand die Faust in den Mund gesteckt hatte. "Moni!?" Sie rannte in die Richtung, aus der sie die Stimme von Moni gehört hatte, aber es kam keine Antwort mehr. Immer weiter, immer tiefer verirrte sich Cathy in dem Labyrinth aus Seitenstraßen und Sacksassen. Da plötzlich. Schritte. "Moni?" fragte sie, ohne daran zu denken, dass sie vielleicht noch jemand Anderes hören könnte. Sie hörte leises Getuschel, verstand allerdings kaum ein Wort, nur etwas, was nach „Sozialkompetenz“ klang. "Hallo?" Sie ging weiter, in Richtung der tuschelnden Stimmen. Nach einer Weile blieb sie an einer Ecke stehen. Sie verstand nun jedes Wort der beiden Jungen. "Du bist ja richtig niedlich." spottete der eine. "Willst du jetzt etwa den Helden spielen, oder was?" "Ich verstehe nur nicht, warum du immer unschuldige mit darein ziehen musst." "Du kannst einem mit deiner Nächstenliebe ja wirklich den Appetit verderben." "Wehe, du kommst auf irgendwelche blöden Gedanken." "Ach, i wo, ich doch nicht." "Natürlich. Hör mir mal zu, ich sag dir was! Du lässt das Mädchen gehen und kümmerst dich wieder um unser eigentliches Ziel!" "Warum gefällt mir dein Ton nicht?" Kurz herrschte Stille und während dieser Pause kam Cathy ein Gedanke. Waren das womöglich Monicas Entführer, und einer hatte nasse Füße bekommen? Sie konnte einfach nicht anders und riskierte einen Blick. Um die Ecke standen zwei große, muskulöse Jungen, neben dem größeren saß… Monica. "Hör mir mal gut zu, Puppy!“ Sagte der Größere. "Meinst du nicht, dass es früher oder später auffällig wird, dass du andauernd irgendwelche unserer Opfer laufen lässt? Willst du immer der Welpe bleiben, oder was?" "Das hat damit nichts zu tun, J.D., sondern damit das unser Ziel nicht... nicht die da ist. Sie kennt sie vielleicht oder ist ihr ein mal begegnet, aber sie ist es nicht. Wir haben Anweisungen, und denen widersetzt du dich grade." J.D. Sah auf Monica herab und sah sie an wie irgendetwas widerliches. "Pass auf, Puppy! Ich würde sagen dass wir -" "Pssst!" Der kleinere legte einen Finger auf den Mund. "Hörst du das?" Erst lauschten die beiden, dann wandten sie sich um und sahen... in Cathys Richtung. Sofort versteckte sie sich wieder hinter der Ecke und schlug erschrocken die Hände vor den Mund in der verzweifelten Gewissheit, dass es zu spät war. Sie hatten sie gesehen. Panik umfing sie. Was sollte sie tun? Weglaufen? Keine Chance. Auf dem weiten Feld neben den Blocks hätten sie die beiden innerhalb weniger Sekunden eingeholt. Blieb nur warten. Sie hörte Schritte auf sich zukommen. Sie rutschte rücklings an der Wand hinunter und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Schon kurze Zeit später spürte sie, dass jemand neben ihr Stand. Von dieser Person schien eine beunruhigende Aura auszugehen. Cathy begann am ganzen Körper zu zittern als sie es endlich wagte, nach oben zu sehen. Neben ihr stand einer der beiden Entführer und sah sie abschätzend an. Er hatte kurzes, dunkelbraunes Haar, welches jedoch ziemlich dicht wuchs. Langsam beugte er sich zu ihr herunter und sah ihr direkt in die Augen. Cathy hätte am liebsten geschrien. Einen Moment lang verharrten sie in dieser Position. Dann rief der andere: "Und? Was ist?" Der Entführer sah kurz auf und wandte sich dann wieder Cathy zu. "Ein Bote!" rief er zurück. "Warte kurz!" Dann stand er auf und streckte Cathy seinen kräftigen Arm entgegen. Sie sah ihn nur verwundert an. "Los!" zischte er leise und zuckte mit dem Kopf was sie als Geste verstand, ebenfalls aufzustehen. Dann ergriff er ihre Hand und zog sie etwas weiter weg von der Mauer. Dann sah er sie nur erneut an. "Und?" stieß sie hervor, was nicht ganz so mutig klang wie es sollte. "Wirst du... mich töten?" Er sah sie nur an. Sein Blick erinnerte sie stark an den des Schäferhund-Mischlings ihrer Tante, wenn er irgendwo ein Rascheln hörte. Nun legte er ihr die Hand auf die Schulter. "Muss jetzt nicht unbedingt sein, oder?" Cathy war verdutzt. Jetzt beugte er sich etwas zu ihr hinunter und flüsterte: "Das ist eine Freundin von dir, richtig?" Ihr war klar dass er Monica meinte und sie nickte. "Hör zu! Wenn ich jetzt schnell wieder rüber gehe kann das Schlimmste für sie vermutlich noch verhindert werden, aber wenn der da drüben von deiner Anwesenheit erfährt, bist du geliefert, Sternenauge." Sie blinzelte verdutzt. Wie hatte er sie gerade genannt? "Lauf weg!" waren seine letzten geflüsterten Worte bevor er sich abwandte und ging. "Aber..." platzte Cathy heraus. "Was ist, wenn du sie nicht retten kannst?" ihre Stimme versagte ihr bei den letzten Worten, doch er musste sie trotzdem verstanden haben. "Das..." sagte er ohne sich umzudrehen. "Das... wäre dann wohl Pech." Mit diesen Worten ließ er sie stehen, allerdings nur für kurze Zeit, denn dann rannte sie wieder. Rannte weg von den Entführern. Rannte weg von dieser erdrückenden Aura. Rannte weg von Monica...