Eine Erzählung von "LovingMusic". Das Original ist hier zu finden: http://www.weg-des-stifts.de/smf/drama/die-familie-des-drogenbarons/
Und das einzige, was ich noch sehen konnte, war, wie sich seine strahlend blauen Augen schlossen, sein Lächeln verschwand, das ganze Gesicht sich entspannte. Dann umfing mich die Dunkelheit. Doch noch ehe ich von ihr aufgesogen wurde, hörte ich, wie sein Körper auf den kalten Boden fiel, ein dumpfer Aufschlag, gefolgt von dem Geräusch meines landenden Körpers.Â
Es tut mir Leid… Tobi…
Dann verschluckte mich die Dunkelheit.Â
„Geht es Ihnen gut?“ Ich kniff die Augen zusammen. Sie sollten nicht wieder das sehen, was sie als Letztes gesehen haben. „Hey!“ Die männliche Stimme kam mir immer näher, ich spürte einen plötzlichen Druck an meinen Schultern, Hände schüttelten mich sachte.
„Geben Sie mir ein Zeichen, wenn Ihnen etwas wehtut!“, sagte die Stimme. Eigentlich war sie ganz angenehm, nur sollte sie verschwinden. Ich wollte nur noch alleine sein, alleine mit mir, wieder in meinem Zimmer. Staub auf dem Schreibtisch, dessen Beine von Ratten angenagt waren, der Stuhl, dessen Kissenauflage vollkommen durchgesessen war, der Kleiderschrank, alt und an einigen Stellen schon fast schimmelig. Das Fenster, das, mit den Gittern davor, wo nur wenig Licht durchschien. Das Bett… eher nur die Matratze, die auf dem holzigen Boden lag, nahe eines Mäuselochs.Â
„Miss!“ Ich gebe kein Zeichen, mir tut nichts weh… seelisch, aber das kann niemand behandeln. Vielleicht schicken die mich in eine geschlossene Anstalt, Medikamente zur Beruhigung, keine Gegenstände, die einem ermöglichen, sich umzubringen.
„Wir nehmen sie mit, Tobi!“ Ich atmete tief durch, dann schlug ich die Augen auf. Ich muss mein Leben in den Griff bekommen, alleine, James war nicht mehr da… der Einzige, dem ich vertrauen konnte.
James… der gerade vor mir lag, blutverschmiert, seine Augen geöffnet und sie starrten in meine Richtung, seine Hand zu mir ausgestreckt. James, mein bester Freund, ich konnte ihm wirklich alles sagen.
„Hey!“ James verschwand, ein Mann, kurze, schwarze Haare, ein rundlicheres Gesicht tauchte vor mir auf. Seine braunen Augen blickten mich an. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“ Ich blinzelte. „Helfen Sie mir… auf…!“, flüsterte ich, meine Stimme war heiser. Er nickte, dann war James wieder da, und dann wurde ich hochgezogen und ich sah die Menschen um mich herum, die mich anstarrten. „Wir nehmen Sie mit, Miss. Ins Krankenhaus! Wir müssen Sie untersuchen!“ Ich blinzelte, dann sah ich wieder diesen Mann mit den kurzen Haaren. Ich nickte leicht, dann spürte ich, wie er mich in einen Wagen zog, ein Krankenwagen. Ich setzte mich auf eine der Liegen dort und verharrte an dieser Stelle, der Mann mit den kurzen Haaren verschwand, dafür aber war ein anderer Mann bei mir, mit kurzen braunen Haaren und unendlich reinen blauen Augen.
Ich habe mal gelesen, dass Leute, die solch schöne blaue Augen haben, etwas Besonderes seien. Der hier war ein Sanitäter, er war etwas Besonderes. Er half Menschen, rettete diese. Und er musste gut zuhören können. Vielleicht könnte er mir zuhören.
„Miss, mein Name ist Tobi Dinford. Wie heißen Sie?“, fragte er mich, wieder eine angenehme Stimme, der ich lange zuhören könnte. „Mia!“, sagte ich nur. „Mia… Wir werden Sie jetzt ins Krankenhaus bringen!“ Er sagte das Gleiche, wie sein Kollege, ich war nicht dumm. Ich hatte es verstanden, aber vielleicht hatte er das nicht mitbekommen.Â
„Sie konnten James nicht mehr retten?“, fragte ich leise und blickte in seine blauen Augen, es schien, als könnte er mir direkt in die Seele schauen, vielleicht konnte er Gedanken lesen. Davon hatte ich auch einmal gelesen.Â
„Nein… er war bereits tot. War er Ihr Freund?“ Er musste diese Fragen stellen, im Krankenhaus wird dann wahrscheinlich auch ein Polizist kommen und mich befragen. Personalien aufnehmen, nochmal befragen. Vielleicht wird das FBI auch noch kommen, es war ja nicht nur ein… Mord. Ich schloss die Augen, der Mann… Tobi, er sollte nicht meine Gedanken lesen.Â
„Er war mein Freund!“, sagte ich. „Mein Beileid…“, hörte ich ihn ebenso leise sagen und ich nickte. „Haben Sie Schmerzen, Mia? Verletzungen?“ Ich? Nein, ich hatte nur ein paar aufgeschrammte Gelenke, vom Hinfallen, als wir gerannt sind. Aber ansonsten… James hatte mich gerettet, er hat die Verletzungen alle bekommen. Mindestens zwei Kugeln. In seinem rechten Arm.
„Nein!“ Dann fielen mir die anderen Verletzungen ein, die, die man mir zugefügt hatte, damit ich sprach. Vor mir blitzte das Bild einer Peitsche auf, ich, an ein Bett gefesselt, die Schmerzen auf meinem Rücken. „Ich habe keine Verletzungen!“, beteuerte ich leise und spürte, wie der Wagen zu vibrieren begann- wir fuhren los.
„Was ist geschehen?“, fragte mich Tobi leise, sein Gesicht war ganz nahe, ich spürte seinen warmen Atmen auf meiner Wange. Diese Frage durfte er nicht stellen… oder etwa doch? Schließlich musste er in seinem Bericht schreiben, wieso James gestorben war. Konnte ich es ihm sagen? Ich sah auf, schlug die Augen auf und sah wieder die blauen Augen. Sie sagten mir, dass ich ihm vertrauen konnte.
„Nichts…!“, log ich, wieder kam ein Bild vor meine Augen, ich stand am Fenster, das mit den Gittern und blickte heraus. Es schneite gerade, im Raum neben mir schrie jemand.Â
Natürlich wusste Tobi, das ich log. Niemand starb so plötzlich… wenn doch, dann wünschte ich es mir. Jetzt, sofort. Einfach sterben.
„Wir wurden verfolgt!“, sagte ich dann, den Blick weiter auf seine Augen gerichtet. „Von wem?“, fragte er leise. Nein, ich konnte es ihm nicht sagen. Allein die Tatsache, dass er mich ins Krankenhaus fuhr, würde ihn in Gefahr bringen. Ich durfte ihm nichts sagen, egal wie sehr ich mir wünschte, etwas zu sagen. Ich dufte es nicht. Es sollte nicht noch jemand sterben, meinetwegen.
„Ich weiß es nicht!“, sagte ich dann. „Mia, Sie können mir vertrauen!“ Ja, das wusste ich. Wirklich! Aber ich kann nicht. „Ich habe Ihnen alles gesagt!“, sagte ich, versuchte hart und überzeugend zu klingen. Tobi lehnte sich zurück und sah mich weiterhin an.
„Auf was müssen Sie mich untersuchen?“ Themawechsel. Bei 94 Prozent der Personen, die ich je getroffen habe, funktionierte dieser und sie vergaßen das Thema, worüber wir gesprochen hatten. „Es ist möglich, dass Sie einen Schock erlitten haben, vielleicht haben Sie sich den Kopf angestoßen! Routinecheck!“, antwortete der junge Mann, seine blauen Augen strahlten.
Weiterer Themawechsel? Oder darauf herum kauen? Ein weiterer Wechsel klappte nur bei knapp 60 Prozent. Innerlich seufzte ich. Kein Themawechsel. „Wie erkennt man einen Schock?“ Ausweichmanöver… perfekt, Tobi lächelt und überlegt sich eine Antwort, er geht darauf ein.
Das Krankenhaus war überfüllt, Tobi hielt es für besser, mich auf der Liege zu fahren, so kämen wir schneller durch die Menge. Ich blieb einfach sitzen, während er und sein Partner mich herum kutschierten. Eine Frau kam auf uns zu, in den üblichen hellblauen Kittel gekleidet, sie warf einen fragenden Blick auf Tobi, dann lächelte sie mich an. „Hallo, mein Name ist Doktor Brown!“, begrüßte sie mich. „Mia…“, erwiderte ich. „Verdacht auf Schock und Gehirnerschütterung!“ Tobi nickte dem Doktor zu. „Gut. Mia, ich werde Sie jetzt untersuchen!“ Natürlich wird sie das… aber sie wird nichts feststellen, weil ich nichts habe. Bis auf die Schrammen.Â
Ich spürte ihr kalten Hände, sie tasteten meine Arme und meine Beine ab, zur Vorsicht, der Schock könnte mir vormachen, keine Schmerzen zu haben. Meine Augen schlossen sich einfach automatisch, ich spürte die Griffe noch weiter und mich überkam eine Gänsehaut. Diese Griffe, das Abtasten der Ärztin war sanft, behutsam, vorsichtig. Die anderen Griffe, die mich sonst berührten, waren brutal, unüberlegt, und hinterließen Schmerzen.Â
„Bis auf ein paar Schrammen scheinen Sie keine größeren Verletzungen zu haben, Mia… Wir werden jetzt überprüfen, ob sie eine Gehirnerschütterung haben!“ Die Stimme der braunhaarigen Doktorin war normal, aber sie sprach leiser als nötig, vielleicht wollte sie mich einfach nicht stören. Ich spürte durch den Druck an meinen Schultern, dass ich mich auf meinen Rücken legen sollte, ich ließ mich durch ihren Händedruck führen. Dann bemerkte ich, dass sie die Liege durch den Flur schob, über mir sah ich die Deckenlichter, die mich in regelmäßigen Abständen zum Blinzeln brachten.Â
Plötzlich überkam mich die Müdigkeit und nur wenige Lichter weiter war ich eingeschlafen.