Prolog
Ich starb. Jeden Tag kam ich meinem umvermeidlichen Tod immer näher. Es ließ sich nicht aufhalten. Es gab keine Heilung. Und deshalb hatte ich mich auch mit meinem unabwendbaren Schicksal abgefunden. Ich hatte meinen Frieden damit gemacht, dass ich nicht mehr allzu lange leben würde.
Ich greulte deswegen niemanden. Ich konnte keinem die Schuld daran geben, dass mein Körper nicht so stark war. Das ausgerechnet meine Seele an diesen kranken Leib gefesselt war und ich nichts dagegen tun konnte um diesen Zustand zu ändern.
Mehr als zwei Jahre lebte ich schon mit der Gewissheit, dass es mit mir bald zu Ende gehen würde und dann passierte wohl das Grausamste was Gott sich hatte für mich ausdenken konnte. Ich verliebte mich. Doch das weit aus schlimmere war wohl, dass er sich auch in mich verliebte.
Und da ich so viel für ihn empfand und ich nicht wollte, dass er mich mitleidsvoll ansah, verschwieg ich ihm, dass unsere gemeinsame Zeit nur begrenzt war. Ich redete mir ein, dass es - je mehr Zeit verging - leichter für mich wäre. Oder womöglich in ihm eine Ahnung wuchs, dass etwas mit mir nicht stimmte.
Doch weder das eine noch das andere geschah. Je mehr Zeit verging, desto mehr verdrängte ich den Gedanken an meinen baldigen Tod. Und er war so blind vor Liebe, dass er sich für uns beide eine glückliche und lange Zukunft ausmalte, ohne auch nur einen Gedanken zu hegen, dass irgendetwas uns dazwischen stehen würde.
Allerdings erinnerte der Tod mich sehr schnell an seine permanente Anwesenheit. Er gönnte mir keine Ruhe und er ließ mich schon gar nicht zu lange in unserer utopischen Fantasie verweilen. Er ließ mir damit nur eine Wahl, mich von der Welt vorzeitig zu verabschieden. Und das tat ich, indem ich mich den Menschen verließ, der mich mehr am Leben hielt als alles andere.
Ich ging einfach fort. Sagte nichts. Für uns beide war das weit weniger schmerzhafte. Da war ich mir ganz sicher. Ich würde es nicht ertragen können ihm zu zusehen wie er mir dabei zusah wie ich allmählich verschwand.
Zwei Monate ließ der Tod noch auf sich warten. Zwei Monate lebte ich wie ein Geist, in der Hoffnung, dass er schnell über mich kommen würde und mich von meiner von Liebe gepeinigten Seele befreite. Der Schmerz, denn ich mir selbst zugefügt hatte, war bei Weitem qualvoller, als der, den mein Körper mich hatte durchleiden lassen. Aus diesem Grund sehnte ich mich Tag für Tag mehr nach meinen nahenden Todesengel, der mich auf seinen schwarzen Schwingen, in die andere Welt geleiten würde.
In dieser - so hoffte ich - gäbe es keine Erinnerungen, gäbe es keine Liebe, gäbe es keinen Schmerz. Ich würde - so hoffte ich - vergessen, was ich ihm angetan hatte. Vergessen, dass ich ihn ins Unglück gestürzt hatte, da ich es zu gelassen hatte, dass wir uns liebten. Mit dieser Schuld wollte ich nicht ewig leben. An diese Schuld wollte ich nicht denken - nicht jetzt - nicht kurz bevor ich starb. Denn der Gedanke an sie würde, den wunderschönen zerstören, der mich daran erinnerte, dass ich geliebt wurde und ich die Chance bekommen hatte in meinem kurzen Leben ebenfalls zu lieben.
Mit schweren Augen und vollkommen kraftlosen Körper wartete den Tod, der schon lautstark an meine Tür klopfte. Diese ließ nach einiger Zeit nach und ich konnte schemenhaft die dunkle Siluette seines Körpers erkennen. Er näherte sich mir mit langsamen Schritten, wollte den Moment meiner körperlichen Befreiung noch etwas hinauszögern. Sonst wäre der Tod die Erlösung und nicht ein Fluch und das wollte er auf keinen Fall sein. Er war der Feind und nicht der Freund der Menschen. Und diese Rolle liegte ihm wirklich.
"Bitte." In dieses Wort steckte ich all meine Hoffnungen. Mehr konnte ich nicht sagen, ich war viel zu schwach um einen ganzen Satz zustande zu bringen. Endlich war es soweit. Endlich würde ich dieses Leben verlassen, dass wohl von Anfang an nicht dazu gedacht war länger als achtzehn Jahre zu existieren.
Daraufhin versank die Welt um mich herum in Dunkelheit und in vollkommener Stille. Das einzige was ich noch wahrnehmen konnte waren die kalten Lippen des Todesengels auf meiner kochendheißen fiebrigen Haut.