Romane & Erzählungen
Bizzaro Island - Kapitel 1-3

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"Bizzaro Island - Kapitel 1-3"
Veröffentlicht am 19. Februar 2011, 104 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Alles oder nichts!Meine Kunst bist mein Leben, und mein Leben zu leben ist manchmal ebenfalls eine Kunst. Ich male und zeichne gern, schreibe alle möglichen Arten von Texten, würde Mediengestaltung gern zum Beruf machen (Film,Foto, etc.), liebe Schauspielerei und wäre ohne Musik tot.Ich bin praktisch meine eigene Kunstfigur. DeviantArt: http://zoeylane.deviantart.com/
Bizzaro Island - Kapitel 1-3

Bizzaro Island - Kapitel 1-3

2. Gestrandet

Ich konnte das Meer rauschen hören. Der Sand auf dem ich lag, war unangenehm heiß. Irgendwas oder irgendwer stieß mir in die Seite. Ich dachte gar nicht daran, mich umzudrehen. Ich wusste eh, wer es war. Er würde versuchen, mich zur Vernunft zu bringen, ich würde mich stur stellen. Ich hatte keine Lust, mit ihm zu reden. "Sarah." Das war nicht er. Das war eine weibliche Stimme. Ich hatte diese Stimme schon öfters gehört. Dabei hatte ich gehofft, diese Stimme nie wieder hören zu müssen.

...

Vor meinen Augen war alles schwarz. Ich wollte sie nicht öffnen. Mir war klar, was ich sehen würde. Nirwana. Gar nichts. Ich bin gestorben. Ich war tot. Ich bin gute 8000 Meter aus einem Flugzeug gefallen. Aber wenn ich tot war, wieso konnte ich dann das Meer rauschen hören? Wenn ich tot war, wieso kribbelte dann mein ganzer Körper? Wenn ich tot war, wieso hatte ich dann nasse Füße? Tote kriegen keine nassen Füße. Und selbst wenn sie welche bekämen, würden sie es bestimmt nicht mehr merken. Da war ich mir sicher.

Ich machte die Augen auf.

...

...

...

Sand.

Das Nirwana schien komplett aus Sand zu bestehen. Sand. Massenhaft Sand. Auch in meinen Augen. Ich rieb ihn mir aus den Augen. Auch ohne dass er mir im Gesicht klebte, sah ich einen Haufen Sand. Ich rappelte mich hoch und schaute mich um. Vor mir lag ein dichter Palmenwald. Hinter mir nur Wasser. Nur Meer, Meer und noch sehr viel mehr Meer. Ich brauchte eine Weile, um meine aktuelle Situation zu analysieren und dann zu realisieren.

Erstens: Ich war nicht tot, was schon mal gut war.

Zweitens: Ich war auf einer einsamen Insel gelandet. Vermutlich irgendwo im Atlantik. Drittens:

"Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaargh!"

Das durfte doch alles nicht wahr sein. Ich war ganz allein irgendwo auf irgendeiner Insel. Ohne Essen. Ohne Trinkwasser. Ohne Ausweg. "O.K." sagte ich zu mir selbst. "O.K., ganz ruhig. Das wird schon. Ich komm hier irgendwie wieder raus." Ganz im Ernst: Das glaubte ich mir selber nicht.

Nachdem ich ein paar Minuten den Strand entlang gegangen war, sah ich plötzlich etwas, das mein Herz höher schlagen ließ. Mein Gepäck. Mein gesamtes Gepäck! Zuerst hielt ich es natürlich für eine Fatahmorgana oder so was in der Art, aber als ich dann direkt davor stand wurde mir klar, dass ich gerettet war. Vorerst. Ich durchwühlte eine der Taschen und fand schnell, was ich suchte. Eine Flasche Limo. Als ich die halbe Flasche in einem Zug geleert hatte, fiel mir ein kleiner Zettel auf, welcher unter der Flasche gelegen hatte:

 

Da ich ja nun kein Unmensch bin ...“

 

Ich verstand den Sinn dieser Nachricht zunächst überhaupt nicht. Dann fiel mir allerdings etwas ein: Wie bitte hatte mein Gepäck, welches ursprünglich nicht mal bei mir gestanden hatte, sondern im Kofferraum des Flugzeuges gelegen hatte ... Wie konnte das denn hierher kommen? „Da ich ja nun kein Unmensch bin ...“? Da fiel mir nur eins ein. Das Mädchen, dass mich aus dem Flugzeug hatte fallen lassen. Das vermummte Mädchen. Das Mädchen in schwarz.

Aber wie um alles in der Welt hatte sie es geschafft mein Gepäck hier runter zu bringen? Warum hatte sie mir diesen Gefallen überhaupt getan? Ich trank noch einen Schluck Limo und musste feststellen, dass es mir eigentlich doch relativ egal war.

Ich kramte kurz in meinem Ranzen, wo ich noch einige Bonbons fand. Ich wusste zwar, dass ich mich von den Dingern nicht dauerhaft ernähren konnte, aber immer noch besser als gar nichts. Während ich an einem Karamellbonbon kaute, überlegte ich mir, was ich für Möglichkeiten hatte. Ich hatte zur Zeit offensichtlich nur vier Optionen:

  1. Ich mache so weiter, ernähre mich von Limo und Süßkram, und schau einfach mal, wie lange ich und mein Vorrat das aushalten.

  2. ( worauf ich ehrlich gesagt nicht gerade scharf war) Ich geh einfach so weit ins Wasser bis mir das Wasser bis über den Kopf geht und warte, dass ich keine Luft mehr bekomme.

  3. Ich mache so weiter, ernähre mich von Limo und Süßkram, und schau einfach mal, wie lange ich und mein Vorrat das aushalten und hoffe dabei auf ein Wunder.

  4. (was am wahrscheinlichsten ist und mir persönlich auch am liebsten wäre) Ich wache einfach auf, bemerke, dass ich nur geträumt habe, dass wir noch nicht mal losgeflogen sind, und wenn ich dann im Flugzeug sitze, vermeide ich sicherheitshalber einfach den Gang aufs Klo.

Ich entschied mich vorerst für Drittens. Denn, wie heißt es so schön: Die Hoffenden sterben zuletzt. Naja, oder so ähnlich. Jedenfalls eine bessere Idee als Zweitens. Ich packte meine Hängematte aus und spannte sie zwischen zwei Palmen. Ich warf mich hinein und bekam es überraschender Weise fertig, einzuschlafen.

...

Nach einer ganzen Weile, ich weis nicht genau, wie lang, wachte ich wieder auf. Das Wetter hatte sich nicht groß verändert. Zumindest nicht im positiven Sinne. Die Sonne prasselte mir ins Gesicht. Bei geschätzten 100°C brutzelte ich auf der Hängematte und die aktuelle Luftfeuchtigkeit muss bei geschätzten 100% gelegen haben. Ich lag einfach nur schwitzend da. Mir war nicht ganz klar wieso, aber das kam mir alles seltsam vertraut vor. Seltsam, als hätte ich das alles schon einmal geträumt. "Ha! Déjà Vu." lacht ich. Und plötzlich dämmerte es mir. Natürlich. Ich hatte so etwas wirklich schon geträumt. Als ich vorgestern in der Hängematte gedöst hatte. In der Nacht vor unserem Flug. Jetzt fiel es mir wieder ein. Krampfhaft versuchte ich mich an das zu erinnern, was als nächstes passiert war, doch dann kam es wie von selbst. Plötzlich hörte ich ein leises Rascheln. Ein kleiner Affe war auf eine meiner zwei Palmen geklettert. Er sah mir ins Gesicht. Genau das war auch in meinem zweiten Traum passiert. Nun wartete ich gespannt auf das, was am Ende des Traumes kam. „Eine fremde Stimme krächzte meinen Namen.“ Doch es kam nichts. Keine Stimme, weder eine bekannte noch eine fremde. Keine Stimme. Ich sah mir das kleine Äffchen nun etwas genauer an. So etwas Ähnliches hatte ich mal in einer Tierdoku gesehen. Es war ein Lemur. Ich streckte ihm meine Hand ein kleines Stück näher. Der Lemur schrak sofort zurück und verschwand dann im dichten Palmenwald. Eine Zeit lang blieb ich noch so auf der Hängematte sitzen, bis mir langweilig wurde und ich aufstand, um kurz ein Stück zu gehen. Als ich am Wasser angekommen war, blieb ich stehen und starrte auf den Horizont. Es dauerte nicht sehr lange bis ich mich hinsetzte, um diesen Anblick noch etwas länger zu genießen. Die Sonne ging gerade unter. Der Himmel schien wie ein wunderschönes Bild in orange, lila und einem Hauch von rosa. Für eine kurze Weile konnte ich meine ganzen Probleme einfach vergessen, so lange, bis ich das nächste Problem hatte. Wegen dieser unerträglichen Hitze, welche hier offenbar dauerhaft zu sein schien, hatte ich schon wieder Durst. Mein Mund war schon etwas klebrig. Ich hatte echt keinen Bock auf Limo. "Ich hab Durst." quengelte ich meinen Bauch an. " Ich hab Durst. Ich hab Durst. Ich hab Durst. Ich hab - AU!" Irgendetwas Hartes hatte mich von hinten am Kopf erwischt. Als ich mich umdrehte, sah ich den Lemur, welcher neben einem kleinen Haufen Kokosnüssen stand. Eine hielt er zwischen seinen Pfoten. Ich sah neben mich: eine Kokosnuss. Die Schlussfolgerung daraus fand ich ziemlich seltsam: Ein Affe hatte mich mit einer Kokosnuss beworfen. "Na warte, du kleiner..." grollte ich. Gerade wollte ich die Nuss zurückwerfen, da fiel mir etwas ein. Das war eine Kokosnuss. Kokosnüsse enthielten im Idealfall Kokosmilch. Der Lemur kam zu mir herüber gerannt. Er setzte sich vor mir in den Sand und schaute mich erwartungsvoll an. Naja. Insofern ein Tier halt erwartungsvoll gucken kann. "Hör mal, das is’ zwar ’ne total süße Idee, Kleiner, aber deshalb musst du das Teil doch nicht nach mir schmeißen. Das nächste mal werfe ich nämlich zurück." Der Affe legte den Kopf schräg. "Haben wir uns verstanden?" fragte ich ihn. Er legte stumm den Kopf auf die andere Seite. "Sag mal, glaubst du das? Ich sitz hier auf einer einsamen Insel, unterhalt mich mit einem Miniprimaten und erwarte sogar eine Antwort. Ist schon traurig, oder?" Der Affe pulte einen kleinen schwarzen Käfer aus seinem Fell und steckte ihn sich ins Maul. "Besonders gesprächig bist du nicht, oder?" Er machte ein komisches Gurrgeräusch. "Hör mal," blaffte ich ihn an, "ich kann auch Selbstgespräche führen, ist das klar? Ich bin ein Mensch und somit der geborene Alleinunterhalter. Du bist ein Affe. Du musst nich nur aus Mitleid mit mir reden. Wenn du mir nicht sagen willst ob es hier noch irgendwelche Menschen gibt, wüsste ich nicht, was wir beide noch für Gesprächsstoff hätten." Der Affe guckte mich noch kurz an, dann drehte er sich um und rannte wieder in den Wald. "Warte, komm zurück! Ich hab es doch nich so gemeint." Er kam nicht zurück. Ich drehte mich wieder zum offenen Meer und starrte trotzig in die Ferne. "Pah, Männer." sagte ich abwertend.

 

Riddle

 

Ich musste stundenlang so dagesessen haben, denn als ich endlich aufstand, war es bereits dunkel geworden. Als ich mir kurz durch die Haare fuhr und gähnte, hörte ich wieder ein Rascheln. Ich grinste. "Hast du es dir anders überlegt?" fragte ich den Affen lachend. Er saß auf meiner Hängematte. Ich wollte gerade zu ihm gehen, als ich es erneut Rascheln hörte. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Das Äffchen saß immer noch regungslos da. "Ist da jemand?" rief ich in Richtung Palmen. Keine Antwort. Nur erneutes Rascheln, diesmal lauter. "Hallo?" Wieder keine Antwort. Ich trat ein paar Schritte zurück. Der Schweiß rann mir über die Stirn, wobei das wahrscheinlich weniger an meiner Angst als an der bulligen Hitze lag. Das Rascheln kam immer näher. Ich hielt gespannt die Luft an. Ich erwartete entweder eine hundertköpfige Schar Lemuren oder ein wildes Raubtier und machte mich zum Weglaufen bereit. Doch das was da aus dem Dschungel kam, war weder die Schlägertruppe des Äffchens noch eine wilde Bestie. Es war... "Ein Mensch?"

Es war ein Mensch. Ein Junge. Er musste ungefähr in meinem Alter sein. "Hallo?" rief er zu mir herüber. Er kam nicht näher. "Hallo." antwortete ich. Ich war extrem erleichtert. Dann startete er einen kleinen Gestrandeten-Kennenlern-Smalltalk:

 

"Bist du hier gestrandet?"

"Ja, ich glaube schon."

"Tja, ich wette, dein Reiseziel war ursprünglich ein anderes, oder?"

"Ich schätze schon."

"Brauchst du vielleicht Hilfe?"

"Kann gut sein. Ich hab seit Wochen nichts Vernünftiges mehr gegessen."

"Und seit wann bist du hier?"

Ich schaute kurz auf meine Armbanduhr. Es war zehn Sekunden nach Mitternacht.

"Vorgestern. Und du?"

"Schon seit ungefähr fünf Jahren, glaube ich."

"Aha."

"Wie heißt du?"

"Sarah. Sarah Brooks. Und du?"

"Du kannst mich Riddle nennen."

"Gut, Riddle. Sagst du mir trotzdem noch deinen richtigen Namen?"

"Meinen richtigen Namen? Den weiß ich selber nicht mehr."

"Schade."

 

Ich ging auf ihn zu. Als ich direkt vor ihm stand fiel mir auf, dass seine Klamotten gar nicht zerrissen waren, dass seine Haare halbwegs gekämmt wirkten und er auch nicht übermäßig stank. So stellte ich mir einen Menschen, der vor Jahren auf einer einsamen Insel gestrandet war, nicht vor. Nach dem ich damit fertig war ihn mir anzusehen, musterte er mich von oben bis unten. "Nichts für ungut, aber du bist doch kein Kannibale, oder?" Er zog die Augenbrauen hoch. "Ähm... nein? Nicht dass ich wüsste." Er sah mich noch eine Weile an dann sagte er: "O.K. Was würdest du sagen, wenn ich dich zu einer Pizza einladen würde?" Ich sah ihn kurz an. Ich hatte mit einem Affen gesprochen, aber wenn der Typ mir auf einer Insel, welche ganz offensichtlich von jeglicher Zivilisation vergessen worden war, eine Pizza anbot, wobei er mich nicht mal kannte, dann stellt sich bei mir doch die Frage, wer von uns beiden am meisten durchgedreht war. "Hmmm! Ich würde wahrscheinlich sagen: Eine große „Hawaii“ mit extra Käse, den Boden bitte schön knusprig, und als Beilage nehme ich eine große Portion „Verarschen-kann-ich-mich-alleine“." Er rollte die Augen. "Lass mich raten: Du denkst dass du auf einer ganz normalen einsamen Insel gelandet bist, hab ich recht?" Das Wort „normalen“ sprach er irgendwie seltsam aus. "Nein. Jetzt wo ich dich, den Affen und den Parasiten im Fell des Affen getroffen habe, glaube ich, dass ich auf einer ganz normalen viersamen Insel gelandet bin." Er schmunzelte. "Wobei der Käfer vorhin gestorben ist." "Dann... hast du so ziemlich... null Ahnung." sagte er mit geheimnisvoller Stimme. "Was würdest du sagen, wenn ich dir jetzt offenbaren würde, dass dieser kleine, bewachsene Sandhügel nichts weiter als eine Fassade ist?" Ich starrte ihn nur ungläubig an. "Ganz im Ernst? Ich würde sagen, dass du ’nen Knall hast." "Soll ich es dir beweisen?" "Wie denn?" Er überlegte kurz. "Wie wär’s denn nun mit Pizza?" Jetzt überlegte ich. War doch wohl sein Problem, warum er wildfremden Menschen Pizza anbot. Was hatte ich schon zu verlieren? "Also schön. Eine große Pizza „Hawaii“." "Oh nein, ich werd dir ganz bestimmt keine große bringen. Die bekomm ich wahrscheinlich nicht mal aus dem Laden." Er ging wieder zurück in den Dschungel, aus dem er gekommen war. "Und nicht wegrennen!" rief er mir noch zu. "Wohin denn?" erwiderte ich schnippisch, aber da war er bereits verschwunden. Ich setzte mich also in den Sand und wartete... und wartete... und wartete. Ich glaubte zwar nicht, dass er zurück kam, aber ich hatte mich ja für Möglichkeit drei entschieden: Auf Wunder hoffen.

Nach einer Weile kam er wieder zurück. Natürlich ohne irgendwas. Ich stand auf und lächelte ihn siegesgewiss an. "Also äh... Pizza?" "Sie hatten deine Pizza nicht." nuschelte er. "Ich wusste nicht, ob auch eine andere in Ordnung gewesen wäre." So eine miese Ausrede. Obwohl ich von Anfang an nicht an ein Meet & Greet mit einer Pizza geglaubt hatte, war ich schon ein Bisschen enttäuscht. "Was wäre denn gewesen, wenn die Sorte egal gewesen wäre?" Er wandte sich von mir ab und pfiff. Aus dem Wald kam der Affe, welcher eine Pappschachtel hinter sich herzog. Als er näher kam, sah ich, dass es ein Pizzakarton war. "Dann hättest du die hier bekommen." antwortete er. Ich starrte wie hypnotisiert den Karton an. Als er in Reichweite war schnappte ich nach ihm und zog ihn dem Affen aus den Pfoten. Das Teil war sogar noch warm Ich öffnete die Schachtel. Der Mund blieb mir offen stehen. Da war wirklich eine Pizza drin. "Aba… aba… aba wie hadde ha hast du... woher hadd du diese... Pizzeh?" stotterte ich. Ich war so verblüfft, dass ich keinen vernünftigen Satz herausbrachte. Wo hatte der die her? "Wolltest du die Pizza nur vollsabbern oder auch essen?" Ich wollte gerade ein Stück in die Hand nehmen, da schob er mir mit seinem Arm den Riegel vor. "Nur wenn du versprichst, dass du dann mitkommst." Ich überlegte nicht lange. "Jaja, na klar." mampfte ich.

Als ich die Pizza verdrückt hatte - alleine, wohlgemerkt – ließ ich mich rücklings in den Sand fallen. "Das war... die beste Pizza... aller Zeiten." sagte ich und strich mir über den Bauch. "Erzähl das nicht mir, sag es Luigi." Ich sah kurz auf. "Wer is’ Luigi?" "Der beste Pizzabäcker der Stadt." antwortete er. "Welcher Stadt, bitte?" Er beugte sich über mich. "Das wirst du ja schon relativ bald herausfinden, hab ich nicht Recht?" Ich setzte mich aufrecht hin. "Wie das?" "Weil du mir vor ungefähr..." Er warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr. "...ungefähr zehn Minuten versprochen hast, dass du mitkommen wirst." "Hab ich?" "Hast du?" "Oh." Das hatte ich wohl. "Also komm!" Ich rappelt mich auf. "Warum?" "Weil ich lange keinen klardenkenden Gesprächspartner hatte und diese Situation ausnutzen will." "Woher weiß ich, dass du mich nicht doch essen willst?" Er starrte mich fassungslos an. "Komm schon! Sehe ich aus, als würde ich Menschen essen? Sehe ich für dich etwa wirklich wie ein Kannibale aus?" Ich stand nur da: "Ääääh." "Sag nichts, O.K.? Komm einfach mit, ja?!" Er drehte sich um und ging. Ich griff mir schnell meine Taschen und hechtete hinter ihm her, wobei ich hin und wieder stehen bleiben und zurückgehen musste, weil ich etwas verloren hatte.

*

Mir schien es fast als ob wir Stunden gelaufen waren, bis er endlich stehen blieb und sagte: "So da wären wir." Ich ließ sofort meine Taschen fallen und ließ mich keuchend auf sie sinken. Ich sah mich um. Keine Stadt. Das Einzige was ich abgesehen von massenweise Palmen sehen konnte war... "Ein Steinbogen." Ich ging zu dem Ding rüber. Einfach nur ein paar Steine, die zusammen ein Tor ergaben. "Du schleppst mich dreitausend Kilometer für einen Steinbogen?" "Nein. Ich schleppe dich knapp tausend Meter für die Rutsche hinter dem Steinbogen." "Du willst mich echt veräppeln, oder?" Ich stellte mich ihm gegenüber auf die andere Seite des Tores und sah ihn an. "Ich sehe hier keine Rutsche." "Das liegt daran, dass du auf der falschen Seite stehst." Ich sah ihn skeptisch an. Dann klatschte ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn, als wäre mir nun endlich ein Licht aufgegangen. "Ach, natürlich. Ich Dummerchen steh auf der falschen Seite. Na, das erklärt natürlich alles." Ich stapfte auf die andere Seite des Bogens. "Ich hätte mich doch ganz einfach nur auf die andere Seite dieses durchgehenden Tores stellen müssen, dann wäre mir auch sofort aufgefallen, da – Verdammt, da ist echt ’ne Rutsche!" Ich starrte durch eine scheinbar endlose, schwarze Röhre. Ich ging noch mal um den Bogen herum. Die Rutsche war wirklich nur von einer der beiden Seiten zu sehen. "Na, was hab ich gesagt?" Riddle grinste siegessicher. " Du sagtest „Stadt“." "Sag ich doch." Er wies in die Rutsche. "Ladys first." Ich sah erneut in die Rutsche. "Ganz – sicher – nicht." "Wieso?" "Ich hab schlechte Erfahrungen mit langen, dunklen Rutschen, bei denen ich das Ende nicht sehen kann gemacht." Er kam jetzt ganz nah an mein Ohr und flüsterte: "Und Menschen, die sie auf die Probe gestellt haben, haben meist schlechte Erfahrungen mit meiner Geduld gemacht." "Was hast du gesagt?" "Guten Rutsch!" "NEIN! Stopp! Warte!" Zu spät. Er hatte mir von hinten einen kräftigen Stoß versetzt. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel mit dem Kopf voraus in die Rutsche. Nach nur wenigen Metern war es so dunkel, dass ich absolut nichts mehr sehen konnte. Eine Zeit lang fragte ich mich, wo dieses Kreischen herkam, bis mir klar wurde, dass ich das war. Gerade als ich mich breit machen wollte, um zu halten und die Rutsche wieder hinauf klettern wollte, da sah ich plötzlich ein Licht am Ende des Tunnels. Sofort machte ich mich bereit für de Aufprall. Uuund... Rumms! Ich lag mit dem Bauch scheinbar auf Parkettboden. Als ich aufstand und mich umsah, wurde mir klar: Es war Parkett. Ich befand mich in einem quadratischem, kleinen, weißen Raum. Maximal 4x4 Meter groß. Rumms! Meine Taschen kamen alle nacheinander die Rutschbahn hinunter. Wenig später folgte Riddle. "Bin ich jetzt tot." fragte ich ihn. "Klar. Das ist der Warteraum der Unwürdigen, in welchem die verschiedenen Seelen darauf warten, Himmel oder Hölle zugeteilt zu werden." "WAS?" "Mensch, reg dich ab!... Sekunde, du hast mir das doch nicht etwa geglaubt, oder?" Ich blinzelte verlegen. Das war mir oberpeinlich. "Nein. Natürlich nicht, nein. Also ehrlich, ha. Für wie blöd hältst du mich. War doch völlig klar dass... das... ein Scherz... war." Ich kicherte verlegen. Er schnaufte. "Das ist nur noch so eine dieser zusätzlichen Schutz - Ahrg! - -fassaden." Er nahm Anlauf und trat mit voller Kraft gegen eine der Wände. Alle vier fielen um wie aus Pappe und gaben nun den Blick frei auf das, was Riddle meinte als er „Stadt“ sagte.

3. Bizzarro Island:

Ich war schlicht weg sprachlos. Vor mir lag eine Stadt. Eine riesige Großstadt. Riddle legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte feierlich: "Willkommen in Underbeach City." Es herrschte geschäftiges Treiben auf den Straßen. Viele Menschen rannten hin und her. Einige von ihnen sahen allerdings etwas seltsam aus. "Riddle?" fragte ich. "Kann es sein, dass hier zur Zeit irgendein Kostümfest, ein Umzug oder etwas in der Art stattfindet?" Er lachte. "Wie kommst du denn auf diese Idee?" Ich sah mich noch einmal um. "Weil hier einige Menschen verkleidet zu sein scheinen." Er lächelte. "Verkleidet? Meinst du?" "Ja." "Na dann pass mal auf!" Er durchsuchte kurz die Menge und schien dann jemanden gefunden zu haben, den er kannte. "Da, der Mann da. Nach was sieht der deiner Meinung nach normalerweise aus?" Er wies auf einen korpulenten Kerl in Anzug und Hut, der gerade mit dem Rücken zu uns stand. "Wie ein... äh... Mensch?" "Mensch, meinst du? O.K. Hey, Herbert!" rief er dem Kerl zu. Als er sich umdrehte und ich sein Gesicht sah, erschrak ich. Der „Kerl“ hatte eine mit vielen, sehr ungesund aussehenden Pusteln versehene Haut, welche einen leichten Grünstich aufwies. Seine Haut war allerdings noch harmlos im Vergleich zu seinen Augen. Das eine war braun und befand sich mitten über seinem Nasenbein. Das andere war grün und befand sich mit ungefähr einem Zentimeter Abstand direkt über dem anderen Auge, wobei es in etwa die Größe eines Baseballs besaß. "Meine Freundin sagt, du gibst heute einen ordentlichen Homo Sapiens ab." Herbert schien sichtlich geschmeichelt aufgrund dieser eher fragwürdigen Bemerkung. Er machte einen Bückling in meine Richtung und nahm seinen Hut ab. Als er sich aufrichtete zwinkerte er mir noch schelmisch zu, bevor er sich wieder umdrehte und ging. Ich schüttelte den Kopf: "Pah! Aliens. Natürlich. Dass ich da aber auch nicht früher drauf gekommen bin. Ein Alien hat mich in seine unterirdische Erdsiedlung befördert." "Sekunde!" protestierte Riddle. "Ich bin kein Alien." "Aber hey, selbst wenn:" erwiderte ich ernsthaft. "Zuerst habe ich dich für einen Kannibalen gehalten, da wäre Alien doch ein Fortschritt, oder?" Er antwortete nicht. Stattdessen sah er sich noch mal um. "Morph? Morph? Wo steckst du?" "Wer... oder was ist Morph?" "Der kleine Lemur. Ich hab ihn Morph genannt." "Du kennst ihn?" fragte ich erstaunt. "Natürlich." sagte er in einem Tonfall, als ob er einem erwachsenen Menschen erklären wollte, dass eins und eins immer noch zwei ergibt. "Sonst wäre ich ihm ja wohl kaum zu dir gefolgt, oder?" "Er hat dich zu mir geführt?" "Ja, zu deinem Glück, würde ich sagen. Schlaues Kerlchen, dieser Morph." "Warum nennst du ihn eigentlich Morph?" fragte ich aus purer Neugierde. "Wirst du vermutlich bald merken. Vorrausgesetzt, dass er hier heute noch auftaucht, versteht sich." Er starrte die dunkle Rutsche hinauf. "Morph, jetzt komm endlich, sonst kannst du heute A... . Ach, ich seh’ ihn schon." Wenige Sekunden später kam der Kleine aus der Rutsche und landete in Riddles ausgestreckten Armen. Er setzte ihn vor meinen Taschen ab und wandte sich dann zu mir um. "Nichts für Ungut, Sarah, aber wenn du den Rest des Weges weiter so wie vorhin trägst, fürchte ich, werden wir morgen noch nicht angekommen sein." Ich schnaubte missbilligend. "Aber hey, dafür haben wir unsere Packesel, hab ich Recht?" Skeptisch zog ich die Augenbrauen hoch "Was für einen Packesel? Willst du mich vielleicht auf den Arm nehmen? Du meinst doch nicht etwa den Affen?" Riddle grinste breit. "Nein, ich meine den Packesel. Den Packesel Morph." Er wies an meine Seite. Ich drehte mich um und erschrack erneut etwas als ich sah, dass neben mir wirklich ein kleiner Esel stand, der offenbar Gefallen daran fand zu versuchen, ein Karamellbonbon mit seinen Zähnen aus meiner linken Hosentasche zu fischen. Riddle streichelte den Esel. "Verstehst du jetzt, warum ich ihn Morph genannt habe?" Als ich endlich checkte worauf er damit hinaus wollte, blieb mir erst mal nur der Mund offen stehen. Riddle verwuschelte Packesel Morphs Mähne. "Trägst du die Taschen ein Stück, mein Großer? Schaffst du das? Klar schaffst du das, deswegen bist du ja auch mein Lieblingsgestaltwandler auf der ganzen Insel, mein kleines Morphy, stimmts? Na klar bist du das, mein Minimorph, ja. Morphy, Morphy, Morphy Worphy." Er schien völlig vergessen zu haben, dass ich auch noch da war. Als er es endlich mitbekommen hatte, ließ er Morphy Worphy wieder Luft holen und räusperte sich. "Wir müssen auch noch überlegen, wo du hinkommst." sagte er nachdenklich. Ich ging einfach davon aus, dass er mit mir sprach, obwohl er mich nicht ansah. "So wie ich das sehe, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder du ziehst in das Mädcheninternat im Rotwolkenviertel oder du wohnst bei mir. Wobei..." Er schien noch mal scharf nachdenken zu müssen. "Ich hab gehört, dass in diesem Internat regelmäßig so ein Maskenmörder auftaucht, deshalb würde ich dir davon abraten." "Ein Maskenmörder?" fragte ich entsetzt. "Weiß nicht genau. Es könnte auch „Massenmörder“ geheißen haben, aber ich glaube, dass du dich so oder so gegen das Internat entscheiden wirst, oder?" Ich nickte so heftig mit dem Kopf, dass ich kurz Bedenken hatte, dass er mir gleich abfallen würde. "Gut. Das heißt, dass du vorerst bei mir wohnst." Er hatte gerade den letzten Koffer auf Morph aufgeladen. Er klapste ihm vorsichtig auf den Hintern und sagte: "Komm, Morphy! Ab nach hause." Der Esel trabte vorwärts, Riddle und ich folgten. Nachdem wir eine Zeit lang an seltsamen Schildern, noch seltsameren Gestalten und Läden mit höchst dubiosen Namen vorbeigegangen waren, stellte ich endlich die Frage, die mir schon seit unserer Ankunft in dieser seltsamen Stadt auf der Zunge lag. "Riddle? Kann es sein, dass auf dieser Insel alles sehr... seltsam ist?" Er lachte kurz auf. "Kurze Frage: Sprichst du französisch?" Ich fand das einen wirklich blöden Themenwechsel. "Ja, ein bisschen. Warum?" "Was würdest du zu all dem auf französisch sagen?" "Vielleicht... « C’est très bizarre.»." "Richtig. Und daher auch der Name der Insel." "Wie heißt diese Insel?"

"Bizzarro Island." sagte er mit rauchiger Stimme.

"Verstehe." erwiderte ich trocken. Das erklärte schon so einiges. "Willst du hier eigentlich auch auf die Schule gehen?" "Hier gibt es Schulen?" Ich war immer erstaunter. "Selbstverständlich. Denkst du etwa, auf dieser riesigen Insel gibt es keine autorisierten Bildungseinrichtungen?" Er lachte. Vermutlich über das, was er gerade selbst gesagt hatte. "Es ist irgendwie lustig, die Schulen hier mit normalen Schulen zu vergleichen." "Insofern Schulen halt normal sein können, meinst du." "Klar. Also was ist jetzt? Du willst doch ganz sicher nicht das wunderbar sonderbare Vergnügen verpassen, wenigstens ein einziges Mal eine Schule auf Bizzarro Island besucht zu haben, oder täusch ich mich da etwa?" Ich dachte kurz darüber nach. "Muss ich mich da nicht zuerst einmal anmelden, mein Zeugnis vorzeigen, einen festen Wohnsitz auf der Insel angeben können oder irgendetwas so in dieser Richtung?" "Ha! Anmelden. Zeugnis vorzeigen. Fester Wohnsitz. Der war echt gut, Sarah." Wir bogen in eine spärlich beleuchtete Seitenstraße ein, in welcher einige ziemlich zwielichtig aussehende Gestalten standen. "Schau den Typen bloß nicht in die Augen!" warnte Riddle. "Die sind fast alle größenwahnsinnig, krank, gestört oder alles zusammen." Ich musste Schlucken. "Na, das hört sich doch schon mal sehr einladend an." "HEY!" Plötzlich sprang ein dürrer Kerl im Trenchcode vor uns auf die Straße und öffnete seinen Mantel. Riddle stieß ein angewidertes Geräusch aus und rief mir hastig zu: "Schau bloß nicht hin!" Der Typ hatte an der Innenseite seines Trenchcodes einige seltsam aussehende Steine und ein Paar getrocknete Kräuterbüschel befestigt. "Ritsteine und bestes Mindlostkraut. Das ist echt feinste Ware, Freunde. Interessiert?" Er fuhr behutsam mit seinen Fingern über die Kräuterbüschel. Riddle ging nach vorn und stieß den Kerl zur Seite. "Nein danke, wir hatten schon. Los, kommt!" sagte er zu Morph und mir, und wir liefen weiter. Ich drehte mich noch mal um und blieb stehen. Der Typ sah uns noch kurz nach. Dann zuckte er die Achseln, pflückte ein Kräuterbüschel aus seinem Mantel und roch, scheinbar unter höchstem Genuss, daran. Ich wandte mich ab und rannte zu Riddle, der mit Morph inzwischen weitergegangen war. "Was war das für ein Typ?" "Ich glaube, bei euch nennt man die „Dealer“." zischte Riddle. Er klang irgendwie wütend, aber ich dachte gar nicht daran, ihn nach dem Grund für seinen plötzlichen Stimmungswechsel zu fragen. Ich hatte das beunruhigende Gefühl, dass es mit etwas zu tun hatte, was mich absolut nichts anging. Etwas mit dem Dealer? Entgegen meines ersten Eindrucks, den ich von dieser Stadt hatte, schien das hier doch kein reiner Happy place zu sein. Nach einigen Minuten des Schweigens sagte Riddle: "Nur noch hier um die Ecke und schon sind wir da." "Stört es deine Eltern auch wirklich nicht, wenn ich bei dir wohne?" Er war vermutlich ungefähr so alt wie ich, weshalb ich davon ausging, dass seine Eltern noch bei ihm wohnten. Wie angewurzelt blieb er stehen, den Blick starr nach unten gerichtet. "Ich schätze, meinen Eltern dürfte das im Großen und Ganzen doch relativ egal sein." sagte er tonlos. Ich schnallte selbstverständlich nicht, was da Sache war. "Wieso? Sind deine Eltern getrennt? Bist du denen etwa egal? Sind die vielleicht Säufer?" "Meine Eltern sind tot." erwiderte er, genauso tonlos wie zuvor und ging weiter. "Oh! Tut mir Leid." murmelte ich beschämt. Riddle schüttelte den Kopf: "Brauchs nicht." Kurz darauf blieb er stehen und sagte: "So, da wären wir." Wir standen vor etwas, das für mich auf den ersten Blick wie eine Garage mit Wellblechdach aussah. Auf den zweiten Blick allerdings wirkte es eher wie eine möblierte Garage mit Wellblechdach, wobei das Dach mit einigen seltsamen Dingen behangen war. "Hier... wohnst du?" Mir fiel sofort auf, dass ich einen ziemlich abwertenden Tonfall verwendet hatte, deswegen fügte ich noch schnell hinzu: "Sieht ja echt cool aus. Hast du das Ding ganz alleine gebaut?" Er zuckte mit den Achseln. "Das meiste. Los, komm rein!" Das Innere von Riddles Haus war, wie bereits gesagt, möbliert und wie ein ganz normales Zimmer eingerichtet. An den Ecken an der hintersten Wand befanden sich links ein Bett, rechts ein Sofa. Am Fußende des Bettes befand sich ein gut bestücktes Bücherregal, am Fußende des Sofas stand ein Schrank, der mit vielen Aufklebern zugekleistert war. „Stoppt die Pyreer!“, „I’m a WildWolf!“ und „Antibizzarristenfetischist“ hieß es da unter anderem. Ich konnte mit einem Großteil der Begriffe und Symbole absolut nichts anfangen. Direkt vor dem Eingang lag ein Fußabtreter, auf welchem ein rotes, dickes „B“ abgebildet war. Links davon stand ein großer runder Tisch, um welchen drei verschiedene Stühle gestellt worden waren, welche weder farblich noch in den Stilrichtungen irgendwie zusammenpassten, rechts davon stand noch ein Schrank, welcher ein wenig wie einer dieser Fernsehschränke in unserer Schule aussahen. Riddle stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um, als wäre er selbst zum ersten mal hier. Nach einem tiefen Seufzer sagte er: "Naja, es ist zwar nichts Besonderes, aber es ist... es ist... nichts Besonderes." "Ich finds cool." sagte ich, als ich mein Gepäck von Morph ablud. "Hast du das etwa alles alleine gemacht?" Er zuckte nur mit den Achseln. "Das Meiste, wie gesagt." sagte er knapp. Mir wurde peinlich bewusst, dass ich ihn das schon gefragt hatte. "Wie spät ist es eigentlich?" Ich wusste nicht ganz, was das mit dem Thema zu tun hatte, sah aber trotzdem auf meiner Uhr nach. "Kurz vor eins." Es schien, als hätte ich genau das gesagt, was er eigentlich nicht hören wollte. Er schien für einen kurzen Moment die Fassung verloren zu haben, seine Augen hatten sich geweitet und er schnappte nach Luft, fing sich dann aber sofort wieder. Er ging kurz zur Tür und rüttelte an der Klinke, vermutlich um zu sehen, ob auch wirklich zu war. Dann ließ er das Rollo an einem Fenster herunter. "Is’ was?" Morph, der inzwischen wieder zu einem kleinen Äffchen geworden war, machte ein ängstliches Geräusch und huschte flink auf Riddles Schulter. Allerdings sah er anders aus als zuvor. Es musste eine andere Rasse gewesen sein. Vermutlich ein Totenkopfäffchen. Riddle stellte sich vor mich und sah mich eindringlich an. "Ein extrem wichtiger Ãœberlebenstipp: Sei niemals zwischen eins und zwei draußen auf den Straßen! Nie!" "Wieso? Was ist denn da?" Ich bekam plötzlich etwas Angst. "Ich kann es dir zeigen." Er hob das Rollo einen Spalt an und winkte mich zu sich rüber. "Komm her! Aber sei leise!" flüsterte er. Wie geheißen schlich ich zu ihm ans Fenster und spähte nach draußen. Zunächst war nichts weiter Außergewöhnliches zu sehen. Ich schaute noch mal auf meine Uhr. Nur noch wenige Sekunden bis um. Wieder sah ich nach draußen. Alles was ich sah, war eine junge Frau, welche sich scheinbar verstohlen umsah. Sie ging an eines der Gebäude, wahrscheinlich um ausgestellte Ware im Schaufenster eines Geschäftes zu bewundern. Erst geschah nichts. Dann - "Aaaaaargh!" Die Frau wich schreiend vor dem Fenster zurück. Es schien, als würde etwas aus dem Fenster steigen. Ich konnte nicht erkennen, was das da war, aber es war ganz eindeutig mindestens zwei Köpfe größer als die Frau. Sie wich immer weiter zurück, vorsichtig und langsam, bis sie es offenbar nicht eine Sekunde länger aushielt und unter hysterischem Kreischen davon rannte. Sie kam keine zehn Meter weit, da hatte das Etwas sie am rechten Oberarm gepackt. Ich hätte erwartet, dass sie nun wild mit den Armen fuchteln, schreien und sich wehren würde, aber nein. Mit einem Schlag war sie ganz ruhig und sackte in den Armen des unerkennbaren Dinges zusammen, welches sie in das Geschäft schleppte. Als ich die beiden hinter der Wand verschwinden sah, tauchten plötzlich einige kleine, schwarze Kreaturen wie aus dem Nichts heraus auf. Da sie so wirr durcheinander krabbelten, konnte ich sie nicht zählen, aber es mussten echt viele von ihnen sein. Als eines der Viecher mir plötzlich direkt in die Augen sah, erschrack ich heftig. Es schien keine Augen zu haben, stattdessen zwei bunt leuchtende Spiralen. Aus seinem Maul schien ebenfalls etwas zu leuchten. Es starrte mich irre grinsend an. Mir fiel eine scheinbar menschliche Gestalt zwischen all den seltsamen Geschöpfen auf. Sie schien völlig ruhig, während sie sich umsah, den Rücken zu uns gewandt. Ich versuchte zu erkennen, ob die Person männlich oder weiblich war. Der Mensch drehte sich um. Vor Schreck stolperte ich rückwärts und fiel auf den kalten Boden. Ich hatte diese Person bereits gesehen. Völlig schwarz vermummt. "Was hast du?" fragte Riddle erschrocken. "Die... dieses... das Mädchen." stammelte ich. "Mädchen?" Er schien irgendwie verwirrt zu sein. "Was für ein Mädchen?" Er schüttelte den Kopf, nachdem er noch mal kurz raus ins Dunkle gestarrt hatte. "Da ist kein Mädchen." Ich rappelte mich hoch und stierte nun wieder meinerseits ins Dunkel. Sie war verschwunden. Nur die schwarzen Viecher mit ihren irre leuchtenden Fratzen krochen immer noch auf dem Boden herum. Um von dem kleinen Zwischenfall abzulenken, wechselte ich schnell das Thema und fragte Riddle flüsternd: "Was sind das eigentlich für Teile?" "Das sind Kleine Nocs." antwortete er, wobei er so leise sprach, dass ich ihn kaum verstand. "Kleine Was?" "Kleine Nocs. Mit die unangenehmsten Monster, die du hier auf Bizzarro Island so trifft. Wenn du ’ner Horde von diesen kleinen Mistviechern in die Klauen fällst, dann ist erst mal Feierabend, verstehst du? Erst mal, wenn sie dich überhaupt wieder gehen lassen." Ich musste schwer schlucken. "Ich hab schon mal von weitem gesehen, wie die mal eines ihrer Opfer auseinander genommen haben." Betrübt schüttelte er den Kopf. "Sah echt voll eklig aus." Wir sahen noch eine Weile zu, wie die Biester wie erschreckte Käfer herumkrabbelten, bis es mir langsam aber sicher zu abartig wurde und ich fragte: "Wie lange wollen die eigentlich noch bleiben?" "Die müssten sich demnächst verziehen." sage er, was mich schon etwas beruhigte. Aber auch nur etwas. War das wirklich die gewesen, die mich aus dem Flugzeug fallen lassen hatte und nach eigener Aussage „ja nun kein Unmensch war“? Wie sollte das möglich sein? Die Erklärung kam mir sofort: Es konnte nicht möglich sein. Aber wer war es dann? Morph gähnte. "Ich auch, Kumpel." antwortete Riddle. "Ich würde sagen, dass wir uns jetzt aufs Ohr hauen. Bist du dabei?" fragte er an mich gewandt. Ich nickte. Es war wirklich nicht so, dass ich nicht müde war. Riddle ging zum Bett und legte sich angezogen hinein. Ich nahm an, dass ich das auch so machen sollte. "Morgen zeig ich dir die Insel." gähnte Riddle, als ich mich auf das Sofa gelegt und mit einer dicken Decke zugedeckt hatte. "Versprochen. Nacht." sagte er, drehte sich um und schlief sofort ein. "Nacht." antwortete ich.

...

Es war absolut dunkel um mich herum. Alles was ich hören konnte, waren ihre Schritte hinter mir. Mir war absolut klar, dass ich ihr nicht entkommen konnte, aber ich konnte es hinauszögern. Und ich würde es hinauszögern. Ich wollte so lang wie möglich Zeit schinden. Vielleicht war es möglich, ihr den Spaß an der ganzen Geschichte zu nehmen, wenn es ihr zu lang dauerte. Es hätte natürlich auch sein können, dass ich sofort aufwachte, wenn sie mich erwischt hatte, aber ich war viel zu feige, um es darauf ankommen zu lassen. Ich wollte mein Gesicht mit diesen Augen nicht sehen.

...

Verschlafen blinzelte ich gegen das durch das geöffnete Fenster herein scheinende Sonnenlicht. Erst wunderte ich mich, dass ich nicht in meinem Zimmer lag, bis mir einfiel, was passiert war. Auf dem Flug zu einem Ort der so geheim war, dass Thomas beinahe Björns Beine gebrochen hätte, um ihn bis zu unserer Ankunft geheim zu halten, hatte ein in Schwarz gekleidetes Mädchen mich aus einem Flugzeug fallen lassen, wonach ich auf der Fassade einer extrem seltsamen Insel gelandet bin. „Bizzarro Island“. Erst hatte ich Morph kennen gelernt, einen Affen der seine Gestalt ändern konnte, dann den Parasiten im Fell von Morph, der aber schon gestorben ist, dann Riddle, der mich nur wegen Morph gefunden hatte, und zu Schluss Herbert, der mit Morph relativ wenig zu tun hatte, und wie ein extrem ekliger Alien aussah. Ich setzte mich auf dem Sofa auf und griff mir an den Kopf. Die Träume, die ich in letzter Zeit hatte, waren echt merkwürdig. In meinem letzten Traum ging es um eine „Sie“, die ich eigentlich nicht kannte. Und ich bin weggelaufen.

Als ich mich jetzt umsah, fiel mir auf, dass niemand außer mir hier war. Ich stand auf und ging hinüber zum Tisch, auf dem ein beschriebener Papierschnipsel lag. Ich las:

 

Ich muss noch schnell eine Kleinigkeit erledigen. Du kannst in der Zwischenzeit ja was lesen.

R.“

 

Ich deutete seine Zeichen einfach so, dass ich etwas lesen sollte, währen ich darauf wartete, dass er von seiner „Erledigung“ wiederkam. Also widmete ich mich seinem überladenem Bücherregal, in welchem sich viele, für mich teilweise ziemlich sinnlos, beziehungsweise schlichtweg unverständlich betitelte Bücher befanden: „Die Formen von Heew“, „Mythos der Mischblüter“, „Geschichte des Geerdeten Landes“ oder „Die kleinen und großen Geheimnisse über das Leben der Rotzoogn“ waren nur einige der besonders dubios klingenden Titel. Am bescheuertsten fand ich allerdings den langen Titel des Buches, welches als letztes ganz unten im Regal stand.

„Ein Buch, welches das prinzipiell geringste Etwas in der gesamten Galaxie zu beschreiben versucht, insofern dies möglich ist, wobei das Nichts, welches beschrieben werden soll, insofern dies möglich ist, in mehrere „Etwase“ zerpflückt wurde, was den Titel dieses Buches, welches ursprünglich eigentlich Nichts beschreiben sollte, insofern dies möglich ist, eigentlich überhaupt nicht mehr passend und außerdem auch eigentlich viel zu lang macht“

Total beschränkt. Dann allerdings fand ich ein Buch, welches vielleicht nützlich sein könnte.

„Die Kreaturen auf Bizzarro Island“

Ich hob den dicken Wälzer vom Regal und öffnete das Buch ungefähr in der Mitte.

 

Der Ludix

 

Durchschnittliche Größe: 1 Meter

Wichtige Körpermerkmale:

  • gelbes Fell, meist schwarz gestreift

  • spitze Ohren mit Tasthaaren

  • Revolvergebiss (ähnlich den Haien)

 

Durchschnittliches Alter: zwischen 20 und 25 Jahren

Gebiet: überwiegend im Palmenwald auf Upperbeach, vereinzelt auch bei den Felsen des unteren Strandes (Underbeach)

Bevorzugte Tageszeit: der späte Abend und die frühen Morgenstunden

Diese Wesen fallen nicht in die „Firstclock-Klausel“

 

Die Ludix sind sehr gesellig und daher meist in Gruppen von zehn bis 20 Tieren anzutreffen. Obwohl sie nicht in der Firstclock-Klausel inbegriffen sind (siehe oben), ist der Umgang mit ihnen nicht ganz ungefährlich. Aufgrund ihrer außergewöhnlich scharfen Zähne kann schon das Streifen dieser zu schweren Verletzungen führen. Außerdem ist auch die Länge der Krallen (bis zu 15 cm) an ihren, im Vergleich zum Rest des Körpers, übergroßen Pranken nicht zu verachten. Ihre Krallen, im gemahlenem Zustand als Furiorpulver bekannt, werden auf dem Schwarzmarkt mit Höchstpreisen gehandelt, wobei sowohl die Herstellung, der Verkauf und der Besitz dieses Pulvers illegal ist. Das Furiorpulver wird meist Sportlern vor einem Wettkampf (besonders häufig im Kampfsport) verabreicht, um sowohl das Gefühl von unbegrenzter Energie als auch eine gewisse Unberechenbarkeit bei den Kämpfern auszulösen, was hauptsächlich nur dazu dient, die Intensität der Brutalität zu erhöhen.

 

- Dies ist die zur Zeit des Drucks einzige, detaillierte Beschreibung von Ludix und kann daher Lücken und Fehler aufweisen.

 

Mir wurde sofort klar, dass ich, sobald Riddle zurück war, eine kleine Begriffserklärung von ihm verlangen würde. Ich hasste es, wenn ich Wörter las, die ich absolut nicht verstand. Und davon hatte ich in letzter Zeit für meinen Geschmack genug gelesen. Sowohl bei den Titeln der vor mir stehenden Bücher als auch an Riddles Schrank. Ich entschied mich, zunächst das Inhaltsverzeichnis des Buches aufzuschlagen und nach „Kleine Nocs“ zu suchen.

 

Noc-Wesen...........................................................................Kleine Nocs S.25

 

Kleine Nocs

 

Diese Durchschnittlich 0,9 – 1 Meter großen Wesen gehören zur Familie der Noc-Wesen, welche im allgemeinen zu den gefährlichsten Kreaturen der Welt zählen. Die Kleinen Nocs sind noch die harmlosesten, geschweige dem kleinsten aus dieser Familie. Ihre Augen sind wildleuchtende Spiralen, das heißt es sind spiralförmige Öffnungen in der schwarzen, von einer dünnen Schleimschicht überzogenen Haut, welche das Innere, eine bisher weitestgehend unerforschte Substanz, freigeben, wobei man diese auch sieht, wenn sie ihre Mäuler öffnen.

Die Kleinen Nocs treten stets in Horden von meist ungefähr 100 Tieren auf, wobei sie auch stets in diesen Horden zusammen jagen. Da sie, wie alle Noc-Wesen auf Bizzarro Island (diesbezüglich wurden noch keine Nachforschungen außerhalb der Insel angestellt) unter die Firstclock-Klausel fallen, ist die Zeit um ein Uhr Morgens auch ihre bevorzugte Jagdzeit. Obwohl die Kleinen Nocs im Großen und Ganzen immer nur an sich denken und sich sonst auch nicht wirklich um ihre Artgenossen kümmern, folgen sie auf der Jagd stets den Befehlen eines „Mare-Nocs“ (siehe vorgehende Doppelseite). Ist ein Opfer erst einmal von einer Horde umringt, sind die Chancen zu entkommen denkbar gering. Das Opfer wird von den Umstehenden gegriffen und in der Regel unter der Last erdrückt. Im Folgenden wird die Beute (bei welcher es sich vorwiegend um Menschen handelt) auseinandergenommen, erst die Gliedmaßen, dann noch die Gliedmaßen selbst. Kleine Nocs fressen und trinken Alles (Knochen und Knochenmark, sämtliche Organe, Haut, Muskeln, Augäpfel, Blut, Harnflüssigkeit, Speichelflüssigkeit u.s.w.)

 

Mir wurde speiübel bei dem Gedanken daran, was mit mir wohl passiert wäre, wenn Riddle mich nicht mit in sein Haus-Garagen-Zimmer genommen hätte und ich draußen geblieben

wäre. Jetzt wusste ich, was das für Viecher waren, obwohl ich es so genau eigentlich gar nicht wissen wollte.

Ich blätterte noch eine ganze Weile in dem Buch, wobei ich auf immer mehr seltsame Kreaturen stieß. Die Abbildung eines dieser Wesen fand ich so eklig, dass ich das Buch sofort zuschlug. Das Problem war jetzt, dass mir danach ziemlich schnell ziemlich langweilig wurde. Ich setzte mich auf einen der drei Stühle und wartete... und wartete... und wartete. Ich sah zum Fenster hinaus, durch welches helles Sonnenlicht in den kleinen Raum fiel. Die Sonne schien durch die hellgrünen Kronen der im Wind sachte winkenden Bäume. Ich war wirklich verleitet rauszugehen und diese Insel auf eigene Faust zu erkunden. Vielleicht fand ich dabei ja sogar eine dieser Schulen. Und was konnte mir auch schon groß passieren? Wenn ich Riddle richtig verstanden hatte kamen diese Nocs nur nachts auf die Straßen. Ich stand auf und öffnete die Tür. Eine angenehm warme Brise fuhr mir durch die Haare. Ich atmete die frische Luft tief ein und sah mich dann um. Alles Leben was ich weit und breit erkennen konnte waren zwei Mädchen, die sich an einer Straßenlaterne lehnend unterhalten. Ich entschloss mich sie zu fragen ob sie wüssten, wo sich die nächste Schule befand. "Entschuldigung." rief ich, als ich auf sie zukam. Sie unterbrachen ihr Gespräch und drehten sich zu mir um. "Ja?" erwiderte das eine Mädchen höflich. Sie war etwas kleiner als ich, was nun wirklich kein Kunststück war, hatte dunkelrotes, schulterlanges Haar, grüne Augen und trug eine Kombination aus weißer Bluse und blauem Rock von der ich annahm, dass es sich um eine Schuluniform handelte, zumal ihre Freundin ganz exakt das selbe trug. "Wisst ihr zufällig, wo hier die nächste Schule ist?" Die zwei Mädchen sahen sich an. "Die nächste wäre die NiWei, oder?" fragte die rothaarige ihre Freundin. "Ich glaub schon. Das wäre die Notsen-School im Weißnebelviertel." sagte sie an mich gewandt. Die Freundin der rothaarigen war blond, hatte grüne Augen und war nur ein kleines Bisschen größer als die Rothaarige. "Danke. Wisst ihr auch, wie man da hinkommt?" Wieder sahen die zwei sich an. "Willst du dich da etwa anmelden?" fragte die Blonde ungläubig. "Ich denke schon." "Na, da musst du im Prinzip nur diese Straße bis zu Luigis Pizzeria runterlaufen, dann links abbiegen in die Dolce-Mange-Straße und dann am Postamt rechts abbiegen und... tja, dann stehst du im Prinzip fast davor." "Super, danke." "Kein Problem." lächelte die Blonde. "Obwohl ich nicht weiß, was du ohne Ranzen da willst." "Wie?" fragte ich verständnislos. Dann fiel mir ein, dass ich reintheoretisch einen Ranzen hinter der Tür von Riddles Haus stehen hatte, doch diese Tür war leider zu. So ein blöder Mist aber auch. "Ich hab einen Ranzen, aber der ist da drin und ich hab keinen Schlüssel." Ich deutete auf die Garage. "Da drin?" fragte die Rothaarige. "Wo liegt dann das Problem? Du darfst doch sicher da rein, oder?" Ich nickte. "Dann kannst du ja reingehen." "Aber die Tür ist doch zu." seufzte ich. "Hast du selber abgeschlossen?" fragte die Blonde. "Nein." "Na, dann kannst du ja auch rein." "Das glaub ich nicht." "Versuchs!" Ich wusste nicht warum, aber ich probierte es. Ich ging zurück, drückte die Türklinke und, Wunder oh Wunder, die Tür war tatsächlich nicht verschlossen. Ich ging hinein, holte meinen Ranzen und kehrte dann zu den beiden Mädchen zurück, die nur lächelten. Die rothaarige musterte mich. "Wie heißt du?" fragte sie. Ich öffnete gerade den Mund um ihr zu antworten, da bedeutete sie mir mit ihrer Hand zu schweigen. Sie schien kurz zu überlegen. "Du bist... Sarah, richtig?" Mir blieb erst mal der Mund offen stehen. "Ja. Sarah Brook." Ich schüttelte ihr die Hand. "Woher weißt du -" Plötzlich kam mir ein erschreckender Gedanke. War dieses nette Mädchen etwa das Mädchen aus dem Flugzeug. "Kennen wir uns?" fragte ich sie. "Das denke ich nicht." lachte sie. "Ich bin Chloe. Chloe Futer. Und das ist meine Freundin Tina. Tina Arg." Sie deutete auf die blonde, die sich nun wieder zu mir wandte. "Chloe kann manchmal irgendwie hellsehen." sagte sie. "Was einem auf die Dauer ziemlich auf die Nerven gehen kann." "Entschuldige bitte!" sagte Chloe wütend. "Wer will denn immer, dass ich ihr einen auf Love-Guru machen soll?" "Also, ich geh dann mal. Ciao." "Ciao." verabschiedeten sich beide gleichzeitig, bevor sie sich weiter darüber stritten, in was für Lebenslagen Chloes besondere Gabe bereits hilfreich gewesen war. Wie ich so die Straße entlangschlenderte erinnerte ich mich, dass diese Tina etwas von einem Weißnebelviertel gesagt hatte. Riddle hatte gestern, beziehungsweise vor circa elf Stunden, etwas von einem Mädcheninternat im Rotwolkenviertel erzählt. Außerdem hatte er vorher gesagt, dass die Pizza gestern von einem Luigi war. Vielleicht sah ich ihn ja, wenn ich an seiner Pizzeria vorbeiging. Vielleicht stellte sich ja dann noch heraus, dass er hauptberuflich als Klempner arbeitet, stets eine grüne Mütze und ein grünes Hemd trug und einen Bruder hatte der Mario hieß.

Nach wenigen Minuten hatte ich die Pizzeria erreicht. Sie sah ziemlich gut besucht aus, was mich aufgrund des American-Diner Ambientes und der leckeren Pizza, in deren Genuss ich ja schon gekommen war, nicht gerade verwunderte. Ich bog links ab in die Dolce-Mange-Straße, wie Tina es mir gesagt hatte. Sofort wurde mir klar, woher diese Straße ihren Namen hatte. Die Düfte die mir in die Nase stiegen waren schlicht umwerfend. Von Imbiss-Buden bis Sternerestaurant schien alles vertreten zu sein, wobei es auch eine Imbiss-Bude gab, die einen Stern hatte. Es gab Süßwarengeschäfte, gegen die der große „Sweets-Basar“, der ab und an illegal vor dem großen Einkaufscenter in unserer Stadt hausierte, der reinste Dreck war. Hin und wieder kamen mir Leute entgegen und baten mir ein paar Kostproben von großen Platten an, welche ich auch fast alle probiert. Bei einem undefinierbarem Klumpen, der irgendwie seltsam nach Verwesung roch, hatte ich dankend abgelehnt. Das erinnerte mich an einen Vorfall, den ich mal mit Toni in der Mensa unserer Schule gehabt hatte. Das, was abgesehen von einer brechreizerregenden Kräutermischung auf meinem Teller lag, war frittiert, mehr wusste ich darüber nicht. "Ist das Fisch oder Fleisch?" fragte ich, als ich einen Bissen in den Mund genommen hatte. Ich rätselte so lange über die Identität des Tieres, welches ich da im dreifach zerdrechseltem Zustand vor mir liegen hatte, bis Toni mich aufklärte und mir sagte, dass es sich bei diesem Tier wohl um Blumenkohl handelte. Seitdem ziert die Vorderseite von Tonis Biohefter nun der riesige Schriftzug: „BLUMENKOHL! NICHT FISCH, NICHT FLEISCH!“ Als ich an einem großen Gebäude angelangt war auf dem, wohlgemerkt mit Neonbuchstaben, „Postamt-Weißnebelviertel“ stand, wandte ich mich nach rechts und sah, was ich so ungefähr gesucht hatte.

 

Notsen-School

 

„Notsen-School“ stand da in großen Lettern über der riesigen Eingangsforte. Gerade als ich hinein treten wollte stellte sich mir ein bebrillter Junge mit einem riesigen Apparat von Zahnspange im Mund, in den Weg. "Guten Tag, ich bin Theodor Lachnie, was kann ich für dich tun?" Er zwirbelte sich eine seiner schwarzen Locken um den linken Zeigefinger während er mich weiter fixierte. In der rechten Hand hielt er ein Klemmbrett- "Hi, ich bin Sarah Brook. Ich wollte Fragen, ob ich hier vielleicht mal probehalber am Unterricht teilnehmen könnte?" Natürlich dachte ich, dass er auf so eine dämliche Frage hin nur lachend verduften würde. Aber ich lag falsch. "Aber klar doch, Süße." Er lächelte mich an, saugte sich etwas Sabber von den Lippen und rückte seine Brille zurecht. O.K. Dann sah er mich wieder ernst an. "Name: Sarah Brooks? Mit doppel “o”?" "Yo." Nun checkte er einen Zettel auf seinem Klemmbrett und machte mit mir erst mal ’ne große Fragerunde. "Alter?" "Fünfzehn." "Geboren in...?" "New York-City. Aufgewachsen in Deutschland." Er sah kurz etwas skeptisch von seinem Klemmbrett auf. "Haarfarbe?" "Siehst du doch." "Größe?" "Circa einmeterzweiundachtzig." "Gewicht?" "Was geht dich das an?" Er überflog schnell den Fragebogen mit meinen Antworten, die er fleißig mitgeschrieben hatte. Bei „Haarfarbe?“ hatte er als Antwort wirklich „Siehst du doch.“ Hingeschrieben. Jetzt blätterte er ein wenig zwischen seinen Notizen hin und her. "Hm. Klasse 9e. Die müssten gerade Mathe im Zimmer 820 haben. Das ist ganz oben die letzte Etage, einfach den rechten Gang bis ganz nach hinten durchgehen." Er betete es so herunter dass man denken konnte, der Typ hatte den lieben langen Tag lang echt nichts besseres zu tun als Leute über ihr Alter und ihr Gewicht abzufragen, um diese befragten Leute dann nach dem Zufallsprinzip in irgendeine Klasse zu steckten. Bei dem, was ich von dieser Insel bisher mitbekommen hatte, konnte ich mir das durchaus vorstellen. "Wenn du an dem Zimmer angekommen bist, geh erst mal einfach nur rein und setz dich auf einen freien Platz!" Er kritzelte noch schnell einige Wörter auf sein Blatt bevor er es abriss und mir in die Hand drückte. "Soll ich das dann irgendwo abgeben?" fragte ich und hielt den Zettel hoch. "Das kannst du gerne tun, aber dann landet das Teil auch nur im Papierkorb." Ich fasste das schlicht weg als „Nein“ auf und packte das Blatt in meinen Ranzen. "Die werden sich nicht groß wundern, wenn du kommst." murmelte er etwas abwesend, wonach er noch etwas Rotze mit der Nase hochzog. "Die haben erst gestern eine neue Schülerin bekommen Ãœbrigens!" rief er plötzlich. "Apropos neue Mitschülerin..." Er winkte mich zu sich herunter. Ich beugte mich so, dass unsere Köpfe ungefähr auf gleicher Höhe waren, wozu ich mich wirklich ganz schön bücken musste. "Wenn ich dir einen Hinweis geben darf: Nimm unter gar keinen Umständen einen Platz am Fenster! Erstrecht nicht, wenn es geöffnet ist." Ich schluckte. "Wie gesagt, dein Zimmer ist ganz oben." sagte er und deutete nach oben. Meine Blicke folgten seinem ausgestrecktem Arm. Das Dach dieser Schule schien sich, von ganz unten betrachtet, irgendwo am äußersten Rand der Stratosphäre zu befinden.

Als ich reingekommen war hatte ich mir zunächst vorgenommen, jede einzelne Stufe bis ganz nach oben zu zählen. Ehrlich gesagt: Ich tat es doch nicht. Als ich, nach größtem Kraftaufwand, endlich ganz oben angekommen war, kam ich auf ungefähr sechzehn mal zwanzig Treppenstufen. Als ich mich umsah musste ich feststellen, dass der kleine Theodor mir eine sehr hilfreiche Wegbeschreibung gegeben hatte. Er hatte etwas von einem rechten Gang gesagt, aber hier gab es zehn rechte Gänge, allesamt scheinbar so lang wie der Weg vom einen Ende Chinas bis zu anderen, was, wie ich aus dem Geographieunterricht wusste, ein ziemlich langes Stück Weges war. Ich entschied mich intuitiv für den ersten rechten Gang, wobei ich zu meiner Freude schnell mitbekam, dass ich intuitiv richtig geraten hatte. Nachdem ich an einem Raum 800, irgendwann an einem Raum 810 und irgendwann noch später einen Raum 815 vorbeigekommen war hatte ich ihn endlich ausfindig gemacht. Raum 820. Ganz langsam und möglichst leise öffnete ich die Tür. Ich sah nur sehr viele Schüler, ungefähr dreißig aber allesamt Mädchen, an altmodischen Schreibpulten und engen Tische sitzen, während sie stumm etwas von der Tafel abschrieben. Gerade als ich mich ankündigen wollte fiel mir ein das Theodor gesagte hatte, ich solle einfach nur reingehen. Also trat ich wortlos ein, schloss die Tür hinter mir und setzte mich auf den einzig freien Platz im Raum. Das war der Tisch, der offensichtlich den Mittelpunkt des Raumes markieren sollte. Als ich mich gesetzt hatte packte ich einen Block und einen Stift aus und las, was da an der Tafel stand: „ Ein 55-jähriger Busfahrer, der 5 Tage in der Woche (Mo-Fr) eine maximal Lenkzeit von je 5 Stunden hat und dabei jeden Tag eine Strecke von 55 Km mit einer konstanten Geschwindigkeit von 55 Km/h fährt, und dass in einer 150-Zone, fährt zur selben Zeit in einer Stadt A ab, wie ein 66-jähriger Busfahrer, der 6 Tage in der Woche (Mo-Sa) eine maximale Lenkzeit von 6 Stunden hat und dabei jeden Tag eine Strecke von 66 km mit einer konstanten Geschwindigkeit von 66 Km/h fährt, und das in einer 160-Zone, in einer Stadt B, welche wiederum 1100 Km von Stadt A entfernt ist (Luftlinie). Nach welcher Zeit treffen sich die beiden am Samstag, dem 5.6., wenn der 55-jährige wegen einer fünfstündigen Besprechung mit fünf 56-jährigen fünf Stunden später losfährt...“ Ich hörte auf zu lesen. Dieser Schrott war doch absolut sinnlos. Erstens fuhr der eine der beiden Fahrer am Samstag überhaupt nicht, weswegen die beiden sich an diesem Tag ja wohl überhaupt nicht treffen konnten, zweitens fährt der 55-jährige fünf Stunden später ab, was automatisch hieß, dass er nicht zur selben Zeit abfahren konnte wie der 66-jähriger. Und selbst wenn diese beiden sich jemals an einem Samstag treffen würden, wen würde das interessieren? Mit dem Zeigefinger hin und wieder auf den Tisch klopfend sah ich mich im Raum um. An der weißen Wand hing abgesehen von einer Uhr über der Tür nur eine mager behangene Korkpinnwand. „ Diese Woche: E.d.N.w.o.b.s.e.u.-Wettbewerb!“ stand da auf einem kariertem Blatt Papier. Auf dem einzigen, kleinen Zettel daneben stand: „Bisherige Siegerin: Paula“ Natürlich konnte ich weder mit der einen noch mit der anderen Notiz etwas anfangen, denn weder wusste ich, was E.d.-wie-auch-immer hieß, noch wusste ich, wer Paula war. Ich sah vor an den Lehrertisch. Die Lehrerin hatte sich ihr blondes Haar derartig hochtoupiert dass man denken konnte, wie wolle größenmäßig den Eifelturm einholen. Auch sonst sah sie ziemlich bekloppt aus. Oben richtig üppig, in der Mitte total mager und zum Schluss wieder richtig rund. Das Schlimme an der ganzen Sache: Das war erst ihr Kopf. Die Lippen waren knallrot, die Augen von fetten, schwarzen Ringen umrahmt, welche teils aus Eyeliner bestanden und teils schlicht weg Augenringe waren. Dazu grüner Lidschatten. Da sie an einem Tisch saß konnte ich, Gott sei’s gedankt, ihre Beine nicht sehen, ging aber davon aus, dass sie in einer farblich zur Weste passenden Blümchenhose steckten. Sie sah weniger wie eine Lehrerin als ein Clown aus.

Als ich die Uhr sah konnte ich sehen, dass es ganz kurz vor zwölf war. Noch vier. Noch drei. Noch zwei. Noch eins. Und...

„Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring!“

Die Klingel in dieser Schule klang wie mein Wecker zuhause, nur ungefähr fünf mal lauter. Plötzlich standen alle wie von der Tarantel gestochen von ihren Plätzen auf und stürmten auf mich ein. Ungefähr dreißig Mädchen, von denen die ein oder andere etwas wohlgenährter war, warfen sich halb auf mich und fragten mich alle durcheinander irgendwelche Fragen. "Heeeeey!" grölte da plötzlich jemand. Es musste die Miss 90-60-90-am-Kopf sein, denn plötzlich ließen mir die anderen ein paar Kubikzentimeter Luft zum atmen. Alle sahen sie nach vorn. "Was ist denn das hier für ein Benehmen?" quiekte sie. Ihre jetzige Stimme stand in so krassem Gegensatz zur vorherigen, dass ich mich zunächst umsah, ob da noch ein kleines Mädchen mit einem Heliumballon reingekommen war. "Wie sagt man?" piepste sie mit strengem Blick. "Hallo!" sagten alle einstimmig zu mir gewandt. Nachdem ich mich noch kurz geräuspert hatte sagte ich schüchtern: "Ähm... hi!" Die Clown-Frau sah sich um und fragte: "Wer von euch will der neuen ein mal das Gebäude zeigen?" Alle meldeten sich und schrien wie die verrückten, als ginge es um eine Jahresration Schokoriegel. "Ich bin übrigens Sarah." meldete ich mich zu Wort, aber mir die Schule zeigen zu dürfen schien irgendwie sehr viel interessanter zu sein als mein Name. "Paula?" quiekte es. Alle erhobenen Arme fielen herunter wie abgehackt und die zu den Armen gehörenden Mädchen trollten sich alle auf ihre Plätze zurück. Nur eine nicht. Das Mädchen, das jetzt noch stand hatte lange, blonde Haare, welche sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie trug ein orangefarbenes, ärmelloses Oberteil und ein sehr, sehr enge Jeans. Zwar lächelte sie mich an, aber irgendwie konnte ich es nicht so richtig nett finden. Trotzdem lächelte ich freundlich zurück. Weiterhin lächelnd kam sie auf mich zu. "Hi, ich bin Paula. Und wie heißt du?" "Ich bin Sarah, hi." Da sie ihren Nachnamen nicht erwähnt hatte ging ich davon aus, dass ich meinen auch nicht nennen musste. "Paula wird dich hier etwas herumführen, wenn du nichts dagegen hast." piepste die Lehrerin. "Klar doch, gerne." antwortete ich nichts ahnend und schulterte meinen Ranzen. Paula wies in Richtung Tür und sagte beschwingt: "Na, dann mal los. Nach dir." Ich ging vor ihr durch die Tür, wo mich vier andere Mädchen, welche alle genau das Gleiche an hatten wie Paula, obwohl das hier keine Schuluniform zu sein schien. Paula stellte uns sofort vor. "Hey, Leute. Das hier ist Sarah, unsere Neue. Sarah, das sind Gina, Ina, Lina und Sina." Die Mädchen machten eine Handbewegung, wenn sie genannt wurden. Ich lächelte nur wieder freundlich und sagte dann etwas schüchtern: "Hi!" "Hi, Sarah." sagte die vier Inas wie aus einem Munde und grinsten mich allesamt an. Irgendwie unheimlich. Dann nahmen mich die vier in ihre Mitte und Paula ging voraus. "Also, was willst du zuerst sehen?" fragte sie. "Ähm..." Ich überlegte stark ob ich nicht vielleicht am liebsten den Ausgang sehen würde. Da mir das aber sehr unhöflich zu sein schien sagte ich: "Ähm... die Cafeteria?" Paula nickte und zu sechst gingen wir voran. Eine Etage weiter unten. Zwei Etagen. Da fragte man sich doch allen Ernstes, warum hier nicht nur Sportler rumrannten, wenn die jeden Tag so viele Treppen latschen müssen? Ganz unten angekommen war ich schon wieder völlig aus der Puste. Gerade als wir nach links in einen großen Gang abbiegen wollten merkt ich, dass ich in irgendetwas reingetreten sein musste. Ich sah mich um und entdeckte schnell eine ziemlich große, gelbe Pfütze. "Was... ist das?" fragte ich. Paula sah zuerst zu der Pfütze, drehte sich dann zu einem vorbeilaufenden Mädchen und sagte: "Hey, Pummelchen! Falls du es immer noch nicht weißt, die Toiletten sind den Gang hoch und dann links." Das Mädchen sah sich erschrocken um und rannte dann mit den Händen vor ihrem Gesicht den Gang hoch. Sollte das etwa heißen, dass ich in... würg. Die anderen gingen schon weiter und ich spurtete ihnen hinterher, wobei ich fast ausgerutscht wäre.

Die Mensa dieser Schule sah ungefähr so aus wie die in meiner Schule, bloß dass es bei uns keine fünf Snack- und Getränkeautomaten gab. Die Dinger wollte ich mir genauer ansehen. Für solche Sachen war ich schließlich immer zu haben. Der erste Automat ganz links spendete offenbar irgendwelche Snacks, von denen ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas gehört hatte. Im zweiten waren viele verschiedene Limonaden, im dritten allem Anschein nach hauptsächlich alkoholische Getränke. Der vierte Automat enthielt wie der erste ebenfalls irgendwelche fragwürdig beschrifteten Tütchen und Schachteln. Der letzte war wohl für ganz gewöhnliche Heißgetränke. Cappuccino, Tee, Milchkaffe und solche Sachen. Wahrscheinlich wäre so ein Cappuccino jetzt genau das Richtige. Gerade als ich fragen wollte, ob mir jemand etwas Geld leihen kann hielt ich inne. Wenn die Leute hier sogar ihre „Geschäfte“ auf den Fluren erledigten wollte ich ehrlich gesagt nicht wissen, wie es um die Hygiene bei diesen Automaten bestellt war. Ich erinnerte mich gerade an eine Animation, die Dete mir mal auf seinem Computer gezeigt hatte. Man sah einen Kaffeeautomaten, bei dem man auf einen von drei Knöpfen klicken musste. Wenn man das tat, stand nach ein Paar Sekunden ein voller Becher im Ausgabeschacht. Nach einem Geräusch das klang, als ob jemand etwas trank, erschien in blauer Schrift auf dem Monitor: „Wollen sie wissen, wie ihr Getränk zubereitet wurde?“ Darunter standen „Ja“ und „Nein“ zur Auswahl. Wenn man auf den Button „Ja“ klickte, sah man den selben Automaten wie zuvor, nur aufgeklappt, woraus einen ein kleiner Comic-Affe frech angrinste, während er in einen braunen Plastikbecher pinkelte. Hier konnte ich mir sowas direkt vorstellen, aber ich wollte jetzt unbedingt einen Cappuccino trinken. "Sorry, aber kann mir vielleicht einer von euch etwas Geld für ’nen Cappuccino leihen?" "Machst du Witze?" lachte sie. "Von wegen „leihen“. Ich gebe dir selbstverständlich einen aus." Sie ging auf den Automaten zu, steckte zwei Münzen hinein, drückte zwei Knöpfe und winkte mich dann zu sich hinüber. Als ich vor dem Kasten stand hörte ich ein ziemlich ungesund klingendes Gurgeln. Dann...“Pfffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffft!“

Ungefähr zehn Liter Kaffee spritzten mit Hochdruck aus dem Automaten auf mich und ließen mich das Gleichgewicht verlieren, sodass ich innerhalb von Sekunden in einer riesigen Cappuccinolache saß. Einige Mädchen, die an zwei Tischen auf der anderen Seite des Raumes saßen, lachten und eine von ihnen rief sogar: "Bravo! Eine glatte zehn!". Schnell bemerkte ich, wie ich rot anlief, was wohl eher weniger daran lag, dass die Brühe in der ich gerade saß kochendheiß war. "Lacht nicht!" sagte Paula mahnend, wobei sie sich selber das Lachen verkneifen musste. Dann reichte sie mir ihre Hand und half mir hoch. "Alles in Ordnung?" fragte sie, als ich wieder auf den Beinen stand. Ich schluckte erst mal runter, bevor ich nickte. Langsam öffnete ich meine Augen und wischte mir mit einem Ärmel meiner Jacke übers Gesicht. "Ich nehme an, dass du jetzt gerne zu den Toiletten gehen würdest." Ich nickte erneut. Die Inas nahmen mich wieder in ihre Mitte und führten mich dann wieder eine Etage höher und bogen dann nach links in eine Tür. Entgegen meiner Befürchtungen waren die Toiletten hier echt sauber. Als ob jeden Tag eine Putzkolonne käme und den Laden bis zu geht nicht mehr wienerte. Als ich mich im Spiegel sah musste ich feststellen, dass irgendetwas nicht stimmte. Angesichts der Tatsache, dass gerade ein Kaffeeautomat vor mir explodiert war müsste ich eigentlich von oben bis unten komplett triefen. Aber das stimmte nicht ganz. Irgendein Wunder musste den Cappuccino von meinen Haaren ferngehalten haben, denn diese waren, im Gegensatz zum Rest von mir, trocken. Gut. Aber meine Klamotten waren leider völlig durchnässt. "Bevor du dich hier ein wenig frisch machst, muss ich dir unbedingt etwas zeigen, Sarah." sagte Paula so euphorisch, dass man meinen könnte, jetzt käme das absolute Highlight von einer Toilette oder was auch immer sie mir zeigen wollte. Sie wollte mir eine Toilette zeigen. An mich gewandt fragte sie: "Das hier ist doch ein ganz normales Klo, richtig?" "Richtig." "Falsch." "Wie?" Das verstand ich nicht. Was sollte, abgesehen davon, dass sie sauber zu sein schien, an dieser Toilette besonders sein? Ich stellte meinen Ranzen neben dem Klo ab. Paula lenkte mein Augenmerk auf drei große Knöpfe, die sich über dem Spülkasten befanden. Sie deutete zuerst auf den kleinsten Knopf ganz links. "Was glaubst du, wofür dieser Knopf ist?" Ich überlegte kurz. "Das ist die Spülung." sagte ich. Paula nickte. "Richtig." sagte sie und drückte den Knopf, woraufhin sich ein Strudel im Toilettenwasser bildete. "Und der nächste Knopf?" "Ich würde mal sagen, dass das die Extremspülung für Problemfälle ist." "Richtig." lachte Paula und drückte den zweite Knopf, was einen stärkeren Strudel im Klo zur Folge hatte. Ich erinnerte mich, dass der Kasten bei uns in der Schule nicht so schnell wieder vollief. Nun grinste Paula. "Jetzt kommt die große Preisfrage." sagte sie, während sie auf den letzten Knopf zeigte und klang dabei wirklich wie eine Quizmasterin im Fernsehen. "Wozu ist der?" Ich kratzte mich kurz am Kopf und zuckte dann mit den Schultern. "Keine Ahnung?" Ihr grinsen wurde noch breiter, als sie sagte: "Nur mal so als Tipp: Wenn du auf dem Klo draufsitzt solltest du diesen Knopf lieber nicht drücken." Mir schwante nichts Gutes. "Geh lieber ein Stück weg!" warnte Paula, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Sie drückte den Knopf. Eine Wasserfontäne schoss aus der Kloschüssel nach oben und ließ dabei eine riesige Menge Wasser auf uns niederregnen. Das konnten meine Haare unmöglich trocken überstehen. Taten sie auch nicht, trotzdem musste ich lachen. "Das ist ja cool." sagte ich. "Aber wozu ist das?" "Das ist eine nette, kleine Spielerei mit freundlichen Grüßen aus der Klempnerei „Wasserwahn“." antwortete eine der Inas grinsend. "Das kann man sogar in verschiedenen Stufen einstellen." sagte eine andere Ina, die es sich scheinbar nicht nehmen lassen wollte, mir dies zu demonstrieren. Irgendwie sinnlos, aber auch irgendwie cool. Ina drehte den Knopf bis zum Anschlag nach links und präsentierte mir dann einen Bleistift aus ihrer Hosentasche wie den Hauptgewinn bei einer dieser Spielshows, bevor sie ihn in die Schüssel fallen ließ. Dann drückte sie auf den Knopf und der Bleistift kam, von nur wenigen Wassertropfen begleitet, wieder zum Vorschein. "Du kannst mit dem Ding so ziemlich alles in die Luft befördern." sagte die Ina. "Zum Beispiel Schlüssel..." sie zog einen Schlüsselbund aus einer ihrer Hosentaschen hervor, warf ihn ins Klo und ließ ihn wieder nach oben flutschen. Eklig, aber es waren ja nicht meine."...Klopapierrollen..." nun nahm sie eine Rolle Toilettenpapier von eine Halterung an der Kabinenwand, warf sie ins Klo und ließ auch diese wieder hervorflutschen, nun allerdings absolut unbrauchbar. "...Toilettendeckel..." sie legte einen kaputten Deckel auf die Klobrille, von dem ich allerdings nicht wusste, von wo die ihn hatte, drehte den Knopf noch weiter nach rechts und drückte, was den Klodeckel in die Luft beförderte und ihn an der Decke des Raumes zerschellen ließ. "...oder auch Rucksäcke." Bevor ich wusste was mit ihm geschah steckte mein Ranzen auch schon fest in der Kloschüssel verankert. Ina drehte den Knopf bis zum Anschlag nach rechts. Ich wollte gerade noch „Halt!“ rufen, aber es war schon zu spät. Die Ina drückte den Knopf. Etwas tat sich da, aber mein Ranzen blieb stecken, wo er war. Da sah ich, wie sich der Stoff an meinem größtenteils hellblauen Ranzen ganz allmählich dunkelblau färbte. Stumm glotzte ich meinen völlig durchtränkten Ranzen an. Ina sah aus, als hätte sie gerade ein wissenschaftliches Experiment durchgeführt und verstand das Ergebnis nicht. "O.K." räumte sie ein. "Bei deinem Rucksack funktioniert es nun gerade nicht." Dann zuckte sie mit den Achseln und sah mich nur an, als ob gerade nichts gewesen wäre. "Ist jetzt aber auch nicht weiter schlimm, oder?" Ohne meine Antwort abzuwarten ging sie mit den anderen aus der Kabine. "Klar!" quiekte ich, wobei ich der Clown-Frau ernstzunehmende Konkurrenz machte. Ich öffnete meinen Ranzen, woraufhin sich eine Wasserlache aus ihm ergoss. Es schien unmöglich, aber die hatten tatsächlich meinen kompletten Rucksack inklusive Inhalt unter Wasser gesetzt. "Ist nicht schlimm, nein!" Langsam zog ich einen triefnassen Notizblock heraus. "Auf dem standen ja nur ungefähr fünfzig Passwörter, die ich mir alle so schlecht merken konnte, weil sie aus irgendwelchen Zahlen bestanden." Dann zog ich noch ein dickes Buch hervor. "Und das Buch war ja auch nur vierzig Euro billig. Also, bitte. Das hab ich doch praktisch hinterhergeschmissen bekommen. Oder hier..." Ich stopfte das klitschnasse Buch zurück und zog mit zitternden Händen mein Handy aus der Tasche. Es war brandneu. Mit Touchscreen, integriertem Navi, umfangreicher Musikbibliothek, Sechsmegapixelkamera und allem nur erdenklichen Schnickschnack. Irgendwie musste das Wasser eine Öffnung im Handy gefunden haben, durch die Lautsprecher oder etwas in der Art, denn ich bekam es nicht mehr an. Völlig von Sinnen drückte ich auf die zwei einzigen Tasten, die mir noch geblieben waren. Kurz versuchte ich sogar den Lautstärkeregler dazu zu überreden, das Ding doch bitte, bitte wieder anspringen zu lassen. Natürlich ergebnislos. "Das Handy hat mich auch keine vierhundertfünfunddreißig eisern gesparter Euros gekostet, ach komm! Das Teil hab ich doch für fünfzig Cent aus dem Kaugummiautomaten!" Ich war sauer. Ich war richtig sauer. Jetzt war auch meine letzte Hoffnung, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, eindeutig ins Wasser gefallen. Wütend stampfte ich aus den Toiletten, ging nach rechts, ging den Gang runter und stürmte durch das Foyer in Richtung Ausgang. "Willst du denn den Rest der Schule gar nicht sehen?" Ich drehte mich um. Da standen Paula und die Inas und grinsten mich allesamt fies an. Jetzt fiel bei mir endlich der Groschen. Die waren nicht irgendwie blöd oder so, die hatten das Alles mit voller Absicht gemacht. Wahrscheinlich war der Automat auch manipuliert gewesen. Gott, was bin ich blauäugig. Ich warf ihnen noch einen möglichst bösen Blick zu bevor ich mich umdrehte und ging unter dem höhnischen Gelächter meiner Peiniger davon. Mit nassen Haaren, menschlichem Urin an den Schuhen und ansonsten mit starker Cappuccinonote. Super Abgang. Als ich so aus der Tür ging hörte ich nur noch das Kratzen von Theodors Kugelschreiber.

1. (K)eine Urlaubsreise mit Hindernissen

Die Sonne prasselte mir ins Gesicht. Bei geschätzten 100°C brutzelte ich auf der Hängematte und die aktuelle Luftfeuchtigkeit muss bei geschätzten 100% gelegen haben. Ich lag einfach nur schwitzend da und starrte auf das Feuchtbiotop, in welches unser Garten sich verwandelt hatte. Die Apfel-, Kirsch- und Walnussbäume waren großen Kokospalmen, die Vogelbeerensträucher dichten Farngebüschen gewichen. Ich konnte von irgendwo her Wasser rauschen hören. Als würde man sich eine von diesen Schneckenmuscheln ans Ohr halten. Eine Möwe landete auf einer der beiden Stangen, an welchen meine Hängematte befestigt war. Sie sah ziemlich seltsam aus. Vom Gefieder her eher ein Papagei als eine Möwe. Größtenteils war es strahlend türkis, die Spitzen eher ein dunkles Blau. Ich schaute den Vogel an. Der Vogel ließ seinen Blick über das Meer schweifen. Das fand ich ein wenig seltsam. An das große Meer in unserem Garten konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Ich wusste bloß, dass wir mal einen Goldfischteich hatten, in den wir unseren Karpfen Kaddi immer gesteckt hatten, aber ganz so groß war der nicht gewesen. Jetzt sah der Vogel mich an. Diese kleinen Augen hatten etwas Unheimliches an sich. Die komische Möwe öffnete ihren Schnabel. Eine fremde Stimme krächzte meinen Namen.

"Sarah!"

...

"Sarah!" Ich blinzelte kurz, dachte aber gar nicht daran, meine Augen zu öffnen. "Sarah!" Das dieses nervtötende Lebewesen mich auch nie in Ruhe lassen kann. "Sarah. Sarah! SARAH!" "Was ist?" Ich machte die Augen auf. Tobi, mein im wahrsten Sinne des Wortes, „blonder“ Bruder, stand vor mir. "Machst du bald mal los, oder was?" "Das Gleiche wollte ich dich auch fragen. Du wolltest doch schon vor einer Woche nach Timbuktu auswandern. Also mache los, Tobi. Kusch dich und viel Spaß." Er zog die Augenbrauen hoch und sagte genervt: "Dass ich vom Packen rede, hast du nicht wirklich kapiert, oder?" "Doch. Und wenn irgendwann noch dazu kommt, dass es mich auch nur im Geringsten interessiert, was du so redest, dann werde ich vielleicht sogar darauf reagieren. Ich kann es sowieso kaum erwarten, bis ich endlich packe und von dir weg ziehe." "Mann, ich meinte für den Urlaub. Falls du es schon vergessen hast: so viel Zeit ist bis dahin nicht mehr." Ich setzte mich aufrecht hin. "Red' doch keinen Schwachsinn, wir fliegen erst nächsten Monat. Kannst du mir jetzt bitte aus der Sonne gehen?!" Er sah mich verwirrt an. Er öffnete den Mund um zu widersprechen, schien es sich dann aber doch anders zu überlegen. "Stimmt." sagte er mit verschwörerischer Stimme. "Du hast ja total Recht. Nächsten Monat. Ja, ja. Nächsten Monat, hahaha. Nächsten Monat, ha ha. Klar. Dann packe du mal nächsten Monat. Ha ha. Nächsten Monat." Mit dieser irren Lache ging er wieder zurück ins Haus. Ich schüttelte nur den Kopf. Manchmal war Tobi doch wirklich viel zu blöd, um wahr zu sein. Ich ließ mich wieder in die Hängematte fallen und schlief noch ein wenig. Dieses Mal träumte ich nichts.

*

Als ich nach meinem circa zweistündigen Mittagsschlaf im Garten wieder ins Haus ging ,um in meinem Zimmer den Rest meiner Hausaufgaben zu machen, wurde ich von meinem Onkel fast über den Haufen gerannt. "Entschuldigung." sagte er, als er wie ein Blöder an mir vorbeigerauscht kam. Ich wollte gerade in Richtung Treppe als plötzlich von der anderen Seite meine Mutter angeschossen kam. "’tschuldigung" rief sie mir beim Vorbeirennen zu. Das war normalerweise überhaupt nicht ihre Art, so durch die Wohnung zu rennen, im Gegenteil. Sonst war sie eigentlich immer die Ruhe in Person, außer zu bestimmten Feierlichkeiten.Nach diesem Seitenangriff drückte ich mich flach an die Wand und ging so ganz vorsichtig zum Arbeitszimmer von Dete, dem Freund meiner Mutter. "Papa?" sagte ich leise, als ich reinkam. Er war zwar nicht mein leiblicher Vater und er selbst bezeichnete sich auch nicht so, aber mir war vor einer Weile aufgefallen, dass er wesentlich gesprächiger war, wenn ich „Papa“ zu ihm sage. Kann vielleicht auch daran liegen, dass „papas“ das spanische Wort für Kartoffelchips ist, und denen gegenüber ist er nie abgeneigt. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege bin ich mir eigentlich gar nicht mehr so sicher, wie gut es um seine Kenntnisse der spanischen Sprache bestellt ist. "Ja, was gibt’s?" fragte er, allerdings ohne dabei von seinen Rechnungen aufzuschauen. Dete hatte unter anderem einen Job als Buchhalter oder Verwalter oder so was in der Art. Jedenfalls befasste er sich mit derartigem Papierkram meist sehr sorgfältig und wollte dabei für gewöhnlich auch nicht gestört werden."Warum rennen hier fast alle rum wie die Gaskranken?" Ich versuchte es so zu betonen, dass es nicht klang, als würde ich meinen Onkel und meine Mutter wirklich für gaskrank halten. Da hatte es in der Vergangenheit schon arge Missverständnisse gegeben, welche sich alle halbwegs logisch erklären lassen, allerdings nicht ohne Worte wie „Demenz“, „Wahnvorstellungen“ und „Krieg“ zu benutzen. Das ist absolut nicht witzig, aber ich schweife vom Thema ab. Jetzt drehte er sich um. "Die sind im Gegensatz zu mir noch nicht fertig mit packen, würde’ ich mal mutmaßen. Ich habe ihnen ja gesagt, dass sie für den Fall der Fälle schon mal planen sollten, aber nein -" "Aber da müssen die doch nicht so hetzten. Wir haben noch gute drei Wochen bis unser Flieger geht." Er sah mich an, als hätte ich gerade etwa so dummes gesagt, dass ich noch mal in die erste Klasse zurück muss. "Du bist nicht gerade auf dem neuesten Stand, oder?" Er sagte kurz nichts, bis er endlich fortfuhr und mir die ganze Sache erklärte. "Dieser Ausflug soll ja so ungefähr zwei Wochen dauern, richtig? Es war also geplant, dass wir es zeitlich so hinlegen, dass wir leider nicht im Lande sind, wenn die nächste Hochzeit meiner Schwester Beate ansteht. Wir waren ganz einfach der Meinung, dass sie bei ihrer siebten Hoch-" "Achten." verbesserte ihn Mom, die gerade an der Tür vorbei gelaufen war, wo sie ungefähr ein Dutzend Slips fallen gelassen hatte. "Wie auch immer." seufzte Dete genervt und fuhr fort. "Wir waren der Meinung, dass sie bei ihrer achten Hochzeit auf uns verzichten kann. Außerdem glaube ich, dass auch wir auf dieses Event verzichten können, wenn du dich mal an Beates letzte Hochzeit erinnern möchtest." Ich konnte mich noch sehr gut an die letzte Hochzeit von Beate erinnern. Es hieß aus ihrer Sicht die ganze Zeit, wie bei ihren sechs vorhergehenden Eheschließungen auch, dass dieser Mann der eine war, auf den sie schon immer gewartet hatte. Letztlich aber nahm die ganze Sache eine ziemlich unangenehme Wendung, als der Bräutigam in Spe am Traualtar ihrer Meinung nach ein bisschen zu lange für den simplen Satz Ja, ich will. brauchte. Zwar ging dann eine Weile lang alles weitere mehr oder minder korrekt von statten, aber dann war Tante Beate plötzlich der Meinung sich hemmungslos zu betrinken und die gesamte Hochzeit zu schmeißen, was ich als einer der circa fünfzig geladenen Gäste natürlich mitbekam. Was mich anbelangt hatte das ganze mit vier Stunden in einer Besenkammer, dem Gebrauch von mir bis dahin unbekannten Worten und einer Verbrennung am rechten Oberarm zu tun gehabt, genauer will ich darauf nicht eingehen. "Aber jetzt sieht es so aus, als ob sich das nicht mehr umgehen lässt. Weißt du, aus irgendeinem Grund will der Flug, den wir ursprünglich gebucht hatten, nicht starten. Darum sahen wir uns gezwungen einen Flieger zu nehmen, der ein kleines Bisschen früher geht." Mir schwante bereits Ãœbles. "Wie viel früher? Wann... genau?" Tobi kam mit einem kranken Grinsen herein. "Ãœbermorgen, hahaha. Fröhlichen nächsten Monat, Schwesterchen, hahahahaha." "WAS? Der kleine Irre will mich doch verarschen." "Der kleine Irre liegt ausnahmsweise mal richtig." erwiderte Dete tonlos bevor er sich wieder seinem Papierkram widmete. "Du solltest langsam mal anfangen zu packen." fügte er noch hinzu. Ich rannte in mein Zimmer. Das war doch wohl alles nicht zu fassen. Nicht nur, dass unser Flug jetzt ungefähr drei Wochen früher gehen sollte als geplant, was ich ja so wie so nicht wirklich nachvollziehen konnte, zusätzlich mussten wir nun scheinbar doch auf Beates Hochzeit aufwarten, was für mich wahrscheinlich wieder mit einem Krankenhausaufenthalt enden würde. Zuerst mal stellte ich mich vor meinen Kleiderschrank und guckte ihn bestimmt circa drei Minuten lang planlos an. Ich bin grundsätzlich ein Mensch der zusammengenommen mindestens 48 Stunden zum Kofferpacken für eine 14-tägige Reise braucht, frag mich bitte keiner, warum. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich schon alleine was Klamotten anbetraf immer auf alle möglichen und unmöglichen Eventualitäten vorbereitet sein wollte. Wo sollte ich diese zwei Tage denn bitte hernehmen? Es war halb fünf. Ich würde sicherlich drei Stunden für die Hausaufgaben brauchen, eine halbe Stunde für Abendessen und um acht sollte ich spätestens im Bett sein, da am nächsten Tag Schule war. Da blieben mir genau 0,00 Stunden zum Packen. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und zog mein Hausaufgabenheft hervor. Vielleicht beanspruchte das Ganze ja etwas weniger als drei Stunden. Meine Einträge:

 

1. -

2. :)

3. -

4. -

5. 3 Haselnüsse für Herr. Champi

6. 6 Sätze für Englis(c)h“

 

Naja. Das würde vielleicht nicht ganz drei Stunden beanspruchen.

...

Am nächsten Morgen war ich noch tierisch müde, als mein Wecker klingelte, deswegen blieb ich, nachdem ich ihn abgeschaltet hatte noch etwas liegen, wobei ich wie sonst auch in diesem Fall nur auf das „New Yorker-Skyline”-Poster über meinem Bett starrte. Ich bin eigentlich in New York geboren worden, hab bis jetzt aber maximal vierzehn Monate meines Lebens dort verbracht, neun davon im Bauch meiner Mutter. Als ich mich für die Schule fertig gemacht hatte und nur noch schnell eine Schüssel Cornflakes inhalieren wollte, bemerkte ich einen kleinen Klebezettel, der am Kühlschrank ... klebte. Ich nahm ihn ab und las:

 

Guten Morgen,

wenn du mit der Schule fertig bist (du weißt genau, wie ich das meine) solltest du deinen Eiskaffee mit Antonia möglichst schnell zu ende schlürfen. Es gibt sicher noch viel zu besprechen bevor wir morgen losfahren.

Bis später, Mom

 

Aha! Jetzt setzte sie mich also auch noch unter Druck. Vielen Dank dafür.

Ich löffelte schnell mein Frühstück und ging dann los zum Bus.

An der Schule erwartete mich Toni, meine beste Freundin. Sie heißt zwar eigentlich Antonia, aber ich nenne sie nie so.

 

"Hi, Sarah."

"Hi, Toni."

"Und? Freust du dich schon auf die Schule?"

"Na klar. Besonders, weil ich morgen in den Urlaub fahre und noch nicht gepackt hab."

"Wieso nicht?"

"Wir wollten eigentlich erst viel später fahren."

"Wo geht’s denn hin?"

"Keine Ahnung. Mein Onkel hat bloß die ganze Zeit gesungen: Eeeeeeh! Ab in den Süden!"

"Cool. Bringst du mir ein Souvenir mit."

"Was denn?"

"Na zum Beispiel ein Feuerzeug."

"WAS? TONI, RAUCHST DU?"

"Bist du bescheuert? Natürlich nicht. Ich bin doch nicht blöd."

"Ey, pass auf! Nix gegen Raucher."

"Also, was ist jetzt mit dem Feuerzeug?"

"Wozu brauchst du bitte ein Feuerzeug aus dem Süden?"

"Ich hab gehört, dass die da manchmal Nachrichten in fremden Sprachen rein ritzen, die etwas mit dem echten Weltuntergang zu tun haben."

"Erstens sollte die Welt ursprünglich sogar schon 2000 untergehen, zweitens ist Deutsch für die wahrscheinlich auch eine fremde Sprache und drittens hast du ’ne Meise."

 

So ging das weiter bis wir unseren Geographieraum erreicht hatten. Die Lehrerin war schon da. Nach Beendigung der Begrüßungsformalitäten ("Guten Morgen." "Guten Morgen.") begann wie üblich der staubtrockene Unterricht. Viele brandheiße Themen: Was wir letztes Mal hatten, was demnächst drankommt. Wie ist die politische Situation im Himalaya? Wie heiß ist es gerade am Nordpol? Wie hieß der Onkel des fünften Präsidenten der U.S.A.? Hatte der fünfte Präsident der U.S.A. überhaupt einen Onkel? Wie viele Pfannkuchen passen in eine Telefonzelle der deutschen Telekom? Bla. Bla. Bla.

*

Als wir auch die sechste und somit für heute letzte Stunde hinter uns gebracht hatten gingen Toni und ich wie immer nach der Schule in unser Lieblingscafé und tranken noch einen Eiskaffee. Während ich an meinem Glas nippte fiel mir irgendwann auf, dass Toni nur komisch guckte und in ihrem herum rührte. "Hast du was?" fragte ich sie. "Ich hab nur überlegt -" "Ein Wunder ist geschehen!" fiel ich ihr lachend ins Wort. "Du hast überlegt." Sie sah mich vorwurfsvoll an. Anscheinend fand sie das wohl gerade nicht ganz so lustig wie ich. "Sorry, erzähl!" Sie wartete erst ein paar Sekunden, bevor sie weitersprach. "Also: Ich hab überlegt. Was ist, wenn es einen Unfall gibt." Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. "Oh." sagte ich matt. "Stell dir mal vor: Das Flugzeug stürzt auf halber Strecke ab und verbrettert sich irgendwo in den Atlantik. Dann wüsste ich nicht, wo du bist." "Doch: Irgendwo im Atlantik unter Brettern." Mein schwacher Versuch sie wieder zum Lachen zu bringen war zum Scheitern verurteilt. "Wenn ein Flugzeug abstürzt berichten doch bestimmt welche darüber." erklärte ich ihr. "Da wissen dann wahrscheinlich noch tausend andere Menschen wo ich bin." Sie guckte wieder traurig in ihren Eiskaffee. "Und was, wenn nur du abstürzt." "Jetzt hör aber auf!" Ich verstand ja irgendwo, dass sie sich Sorgen um ihre beste Freundin machte, aber irgendwo war Schluss. "Ãœberleg doch mal! Wie soll denn das gehen, dass ich alleine mit einem Flugzeug abstürze. Ich glaube langsam aber sicher, dass du zu viel „X-Faktor“ siehst, und da meine ich grade nicht einmal die Castingshow." Sie wollte gerade etwas sagen als jemand unsere Namen rief. "Yo Toni, Sarah!" Wir drehten uns um. Hinter uns kamen die fünf coolsten und folglich beliebtesten Mädchen der ganzen Schule an. Als sie direkt vor uns standen, sagte Laura, die voraus ging: "Ich hab gehört, du machst Urlaub im Ausland, Sarah." Sie strich sich ihr schulterlanges, dunkelblondes Haar hinter die Ohren und lächelte mich an. Von wem soll sie das bitte gehört haben?Und warum sollte sie das interessieren? Sollte ich ihr vielleicht auch ein Feuerzeug mitbringen?"Wo soll’s denn da genau hingehen?" "In die Karibik." log ich ohne mit der Wimper zu zucken. Ich glaubte, dass würde sicher den meisten Eindruck schinden. Und das tat es. Sie pfiffen alle anerkennend. "Cool. Dann pass aber auf!" lachte Nina, die neben Laura stand." Sonst landest du am Ende vielleicht im nächsten Teil von „Fluch der Karibik“." "Fände ich jetzt nicht unbedingt schlimm." erwiderte ich grinsend. Dann erhaschte ich einen Blick auf Lauras Armbanduhr, welche natürlich eine extrem schicke Rolex war. "Oh, ich muss los." Ich legte schnell das Geld für meinen Eiskaffee auf den Tisch, damit Toni später für mich bezahlen konnte. "Wir sehn' uns!" rief Laura. "Und stell bloß nichts verrücktes an!" "Aber klar!" "Ciao. " rief ich Toni noch schnell zu. Sie sagte zum Abschied nix.

*

Als ich zu hause war, wartete meine Mom schon auf mich. "Hi, Mama." Sie reagierte nicht sofort. Als sie mich dann sah, lächelte sie. "Musst du noch packen?" fragte sie, nachdem sie mir einen Kuss auf die Wange gegeben hatte. "Unbedingt." sagte ich sofort. Ich rannte in mein Zimmer, um den neuen Rekord im Packen aufzustellen. Die Klamotten flogen nur so quer durch den Raum in meine Tasche. Ladekabel, Sonnenbrillen, Badeanzüge und mein Mp3-Player mussten fürs erste hinter Baumwolle verschwinden. Nur meine Zahnbürste packte ich erst mal wieder aus. Ich hatte so das Gefühl, dass ich sie heute noch brauchen würde. Als ich der Meinung war, alles Mögliche und Unmögliche eingepackt zu haben, was ich eventuell gebrauchen könnte, lies ich mich erschöpft auf mein Bett fallen. Später am Abend hatten wir uns alle noch zum kreativen Brainstorming am Küchentisch getroffen. Das hatte letzten Endes allerdings nichts hervorgebracht, was ich noch nicht wusste:

- Reisepass nicht vergessen,

- nie mit Fremden mitgehen,

- Pfefferspray einpacken und Polizeinotrufnummer auswendig lernen, für den Fall dass man doch bei Fremden mitgeht,

  • nicht unbedingt von wilden Tieren beißen lassen, mit diesen nach Möglichkeit auch nicht mitgehen.

Als wir das soweit geklärt hatten und ich gerade ins Bett gehen wollte, fing Tobi mich an der Treppe ab. "Freust du dich schon auf die Kontrolle am Flughafen?" fragte er mit bösartiger Stimme. Ich zuckte mit den Achseln: "Nö, wieso?" "Ich hab gehört, dass die da vielleicht Nacktscanner benutzen." Der Kerl ist ja so was von widerlich. "Gute Nacht, du Idiot." Ich drehte mich um und ging. Schlafen.

...

Sand. Massenhaft Sand. Auch in meinen Augen. Ich rieb ihn mir aus den Augen. Auch ohne dass er mir im Gesicht klebte, sah ich einen Haufen Sand. Ich rappelte mich hoch und schaute mich um. Vor mir lag ein dichter Palmenwald. Hinter mir nur Wasser. Nur Meer, Meer und noch sehr viel mehr Meer. Es war unerträglich schwül. Ich ging zum Rand des Waldes, wo zwischen zwei Palmen meine Hängematte gespannt war.

Die Sonne prasselte mir ins Gesicht. Bei geschätzten 100°C brutzelte ich auf der Hängematte und die aktuelle Luftfeuchtigkeit muss bei geschätzten 100% gelegen haben. Ich lag einfach nur schwitzend da. Ich konnte das Meer rauschen hören. Plötzlich hörte ich ein leises rascheln. Ein kleiner Affe war auf eine meiner zwei Palmen geklettert. Er sah mir ins Gesicht. Eine fremde Stimme krächzte meinen Namen.

"Sarah!"

...

Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring!

Der ohrenbetäubenste Wecker der Welt, und er stand direkt neben meinem Bett. Als ich ihn zum Verstummen gebracht hatte, rieb ich mir den Schlafsand aus den Augen. Kurz dachte ich noch darüber nach, dass ich schon wieder einen Traum mit Palmen gehabt hatte. Es verwunderte mich, dass ich in letzter Zeit so oft von Südsee träumte. Schepper! Ich zuckte zusammen. Irgendjemand musste unten in der Küche eine anständige Menge Porzellan zerdeppert haben. Ein guter Start in den Tag. Scherben bringen ja bekanntlich Glück.

Als ich fertig angezogen war, mit gekämmten Haaren und geputzten Zähnen - ja, ich hatte meine Zahnbürste tatsächlich noch zweimal gebraucht - runter in die Küche ging, sah ich, dass Dete gerade dabei war, meiner Mom eine Tasse Kaffee zu geben, während Tobi mit mürrischem Blick einige Scherben zusammenfegte, welche ursprünglich wahrscheinlich unser bestes und teuerstes Geschirr dargestellt hatten. "Morgen." sagte ich fröhlich, bevor ich mir eine Schüssel Cornflakes machte. Ich schien die einzige zu sein, die schon ausgeschlafen hatte. Vielleicht war ich sogar die einzige, die ihre Nacht zum Schlafen genutzt hatte. Alle außer mir hatten fette, blaue Ringe unter den Augen und ich wagte stark zu bezweifeln, dass diese von einem nächtlichen, familieninternen Boxkampf herrührten, zu welchem einzig und allein ich nicht eingeladen gewesen war. "Kann ... kann ich irgendwas helfen?" fragte ich Mom. "Ja." gähnte sie. "Du kannst deinem Bruder dabei helfen, die ganzen Scherben weg zu fegen." Ich musste ja auch so blöde fragen. Tobi erstarrte sofort in seiner Kehrbewegung. Ich ging zum Putzmittelschrank, um von dort das zweite Paar Kehrschaufel und Besen zu holen. Sowie ich diese in der Hand hatte, ließ er seine Putzutensilien an Ort und Stelle fallen und ging hoch in sein Zimmer. "Vielen lieben Dank." murmelte ich. "Aber wundere dich bitte nicht, wenn du demnächst regelmäßig Glasreiniger in deiner Cola findest." "Hast du was gesagt, Sarah?" fragte Dete. "Ach, nix."

Während ich die Scherben scheinbar kiloweise in den Mülleimer schaufelte, gingen alle kurz weg und kamen nach je circa zehn Minuten fertig angezogen wieder, wobei man seltsamerweise von den Augenringen nun gar nichts mehr erkennen konnte. Dete brachte aus seinem Zimmer etwas mit, was wie ein Stadtplan aussah. Allerdings konnte ich auf der Vorderseite kaum ein Wort lesen. Nur die englische Übersetzung, von der ich auch nicht alles verstand. Als ich alle Scherben entsorgt hatte, breitete Mom das Teil auf dem Tisch aus. Ich wollte gerade versuchen, über ihre Schulter einen Blick auf die Karte zu erhaschen, da sprang Thomas, mein Onkel, plötzlich geistesgegenwärtig nach vorn und landete bäuchlinks auf dem Tisch und der Karte. "Das ist eine Überraschung." sagte er mahnend. "Mag ja sein." erwiderte ich. "Aber deshalb musst du doch nicht den armen Björn angreifen." Björn war unser Küchentisch. Seit meine Mom das erste mal bei IKEA gewesen war, hatte sie willkürlich all unseren Möbeln und Haushaltsgegenständen irgendwelche Namen geben. Unser Küchentisch Björn, die Stühle Ernie und Bert und die Obstschale Carl-Heinz waren meiner Meinung nach gerade noch davongekommen. Am schlimmsten, fand ich, hatte es unseren Kühlschrank erwischt. Herbert Frederik P. Fitzgerald. Der Arme. "Sarah!" sagte Dete, der sich grade auf Ernie gesetzt hatte. "Kannst du mir bitte den Gefallen tun und Kaddi füttern? Es kommt erst ab morgen jemand vorbei, um nach ihm zu sehen." "Nein. Kann ich nicht." sagte ich strickt. Er sah mich verwundert an: "Und warum nicht?" "Weil ich erstens nicht weiß wie es geht, und zweitens keinen Bock habe, einen toten Fisch zu füttern." Er seufzte. "Na schön. Kannst du bitte Kaddi 10 füttern?" Ich lächelte ihn an: "Na klar." und ging raus in den Garten zum Fischteich. Kaddi 10. Der neunte Karpfen Kadi nach dem Tod des ersten Kaddi. Tja, manche haben Hamster, manche Hund, wir haben Karpfen. Als Kaddi damals gestorben war - Mom hatte damals erst gesagt, er wäre in Urlaub gefahren. Da ich noch relativ klein war, glaubte ich ihr das. Ich musste später erfahren, dass er in Wirklichkeit nicht nur tot war, sondern auch geschlachtet und bereits verzehrt - hatte mir Thomas nach einer Weile einen zweiten Karpfen geschenkt, den ich Kaddi 2 nannte. Als Kaddi 2 wiederum starb, bekam ich einen dritten Karpfen, dessen Name nicht besonders schwer zu erraten ist. Und so ging das weiter. Kaddi 2-9 wurden allerdings auf meinen Wunsch hin, nicht geschlachtet, sondern ansatzweise anständig begraben. Mom war damit einverstanden, dass ich an den Gräbern kleine Holzkreuze aufstellte. Als ich sie aber nach Marmorgrabsteinen mit Goldverzierungen fragte, war bezüglich ihres Wohlwollens eine unüberwindbare Grenze aufgetreten.

Als ich Kaddi 10 etwas Fischfutter auf den Rücken gestreut hatte, ging ich wieder ins Haus. Scheinbar waren nun auch die letzten Vorbereitungen getroffen worden. Wir stiegen ins Auto und fuhren los. Richtung Flughafen. Dete fuhr, Mom saß auf dem Beifahrersitz und hinten saßen Thomas, ich und Tobi. Wir wollten erst, dass Thomas sich zwischen uns setzt, aber der wollte unbedingt einen Platz am Fenster. Tobi und ich hörten beide mit unseren Mp3-Playern Musik. Ein mal während der Fahrt nahm Tobi einen meiner Ohrstöpsel heraus und flüsterte mir ins Ohr: "Nacktscanner." "Halt die Klappe!" zischte ich. Einige Zeit später riss mir plötzlich jemand beide Ohrstöpsel raus. "Was soll’n das?" fragten Tobi und ich zeitgleich. Er hatte auch keine Kopfhörer mehr auf. "Es wird Zeit für ein bisschen richtige Musik." antwortete Dete, während er eine Schlager-CD einlegte. Das fand ich super. Nicht etwa, weil ich Schlager mochte, sondern weil Tobi Schlager hasste. Dete kurbelte die Fenster bis zum Anschlag runter und sang bei seinen Lieblingsstücken laut mit, was so ziemlich alle Lieder der gesamten CD waren. Als wir so zufällig an Tobis Clique vorbeifuhren, stieg auch ich lauthals mit zu einem Schlager-Karaokekonzert der Extraklasse ein. Tobi wurde rot und rutschte auf seinem Sitz soweit runter, dass man von draußen nur noch ein Stück blondes Haar sehen konnte. Da ich ja nun kein Unmensch bin entschied ich, dass mich das für alles entschädigte, was er bisher so gemacht hatte. Nachdem das letzte Lied dieser CD gelaufen war, entschied sich Mom nun etwas einzulegen, was ihrer Meinung nach „richtige Musik“ war. Sie legte den Soundtrack des, ebenfalls ihrer Meinung nach, einzig wahren Musicals „Das Phantom der Oper“ ein. Sagen wir es so: Wenn es nach Tobi gegangen wäre, hätten genauso gut weiter Schlager laufen können.

...

 

Das Mädchen in schwarz

 

Es war schon sehr spät, als ich mich entschied mir etwas zu essen von einer der Stuartessen aufschwatzen zu lassen. Es war unglaublich, dass ich wirklich flog. Was weit weniger unglaublich schien, war, dass Tobi mit der ganzen Nacktscanner-Geschichte natürlich total daneben gelegen hatte. Zum Glück. Ich war froh, dass ich bei diesem stundenlangen Flug nicht neben ihm sitzen musste. Ich saß neben Dete, Mom saß neben Thomas und Tobi saß neben einem bulligen Typen, dem beim Schlafen etwas Sabber aus dem Mund lief. Nach einer Weile bemerkte ich, dass ich möglichst schnell ein dringendes Geschäft erledigen musste. Ich stand auf und ging in einen kleinen Raum, welcher wahrscheinlich die Toilette darstellen sollte.

Als ich mir gerade die Hände wusch hörte ich die Türklinke. Jemand komplett in schwarzen Stoff gehülltes trat nun neben mich ans Waschbecken. "Hallo." sagte sie. Offenbar war es ein Mädchen, ungefähr so alt wie ich. "Äh... Hallo?" erwiderte ich. "Kennen wir uns?" Etwas an ihrer Stimme kam mir sehr vertraut vor. "Gewissermaßen schon." antwortete sie. "Ich kenne dich schon ziemlich lange, Sarah." Das stimmte offenbar. Sonst wüsste sie ja wohl nicht, wie ich heiße. "Wer bist du?" fragte ich. "Rate!" "Tut mir Leid, ich war noch nie besonders gut im Raten." Sie legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich versuchte in ihr Gesicht zu sehen, aber es war komplett verschleiert. Sie flüsterte langsam: "Du bin dein schlimmster Alptraum." Bevor ich sie auf die falsche Grammatik und die seltsame Wortwahl hinweisen konnte, hörte ich ein lautes Klonk. Dann fühlte ich einen starken Luftzug. Zu meinen Füßen hatte sich eine Falltür aufgetan. Ich stolperte einen Schritt nach vorn. Kurz bevor ich einen Schritt ins Leere zu machen drohte, griff das Mädchen nach mir und hielt mich fest. "Danke." seufzte ich erleichtert. Sie lachte kurz und leise auf. "Bedank dich lieber nicht zu früh!" Ich sah sie verständnislos an. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwamm alles vor meinen Augen. Als ich wieder klar sehen konnte, stockte mir kurz der Atem. Sie hatte mich am Kragen in die Höhe gezogen, wo ich nun knapp über dem Loch im Boden baumelte. Ich wollte gerade sagen, dass sie mich loslassen soll, doch dann fiel mir ein, dass das eine ganz schlechte Idee war. Sie streckte die Hand, mit welcher sie mich nicht festhielt, nach mir aus und legte sie an meine Stirn, was irgendwie tierisch brannte. Die Hand an meinem Kragen zitterte. Sie wollte gerade etwas sagen, da ließen ihre Kräfte nach und sie ließ mich fallen. Sie griff noch nach mir, doch es war schon zu spät. Ich fiel durch die dunkle Nacht. Ich sah die Umrisse des Flugzeuges an mir vorbeiziehen. Ich schrie aus Leibeskräften, in der Hoffnung, dass mich jemand hörte. Aber es war umsonst. Ich kam dem Boden immer näher.

Ich fiel...

...fiel...

...fiel...

...

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Über den Autor

Beplinerin
Alles oder nichts!Meine Kunst bist mein Leben, und mein Leben zu leben ist manchmal ebenfalls eine Kunst. Ich male und zeichne gern, schreibe alle möglichen Arten von Texten, würde Mediengestaltung gern zum Beruf machen (Film,Foto, etc.), liebe Schauspielerei und wäre ohne Musik tot.Ich bin praktisch meine eigene Kunstfigur.

DeviantArt: http://zoeylane.deviantart.com/

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Beplinerin Re: sehr schwungvoll - Vielen, vielen Dank! Genau so hoffte ich auch es geschrieben zu haben. Die weiteren Kapitel werden sehr bald folgen!

Lg Sam
Vor langer Zeit - Antworten
evelin sehr schwungvoll - witzig und unterhaltsam

hat spass gemacht !!!!

lg evelin

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