Über den langjährigen Versuch, das Fliegen ohne Hilfsmittel zu erlernen. Aus meinem Band 'Kurzgeschichten von B. Mich. Grosch'
MENSCHEN FLIEGEN NICHT !
(Erzählung)
Schon in meiner frühesten Kindheit war ich fasziniert von Vögeln, Bienen, Schmetterlingen,
- einfach von Allem, was sich durch die Lüfte bewegt; - abhebt von der Erde; - sich lösen kann von einer unverständlichen sowie ungerechten Fessel.
Zu meiner Familie gehörte – neben Vater und Mutter – auch ein gefiederter Spielkamerad mit dem Namen `Bubi´. Er war um so Vieles kleiner als ich, doch sagte man mir, daß er älter sei als ich – und schon erwachsen; - und .... er konnte fliegen ! Er konnte fliegen und auch sprechen, - wenn auch nicht so, wie meine Eltern und ich. – Bubi war ein blau – weißer Wellensittich; - doch dieses Wort hatte für mich keinerlei Bedeutung. – Für mich war er einfach Bubi. – Mein Freund und erster Fluglehrer....
War Bubi im Begriff, loszufliegen, so machte er sich dünn. Nach einer Landung wurde er
wieder dicker. – So, bevor ich meinen ersten Flugversuch unternahm, übte ich diese Technik vor dem Garderobenspiegel. Ich machte mich dick; - danach wieder dünner. Zu diesem
Behufe atmete ich tief ein und blies die Backen auf, bis ich mir im Spiegelbild dick genug
erschien. Dann stieß ich die Luft langsam wieder aus, bis mir schwindlig wurde. – Nachdem
ich diese Technik ausreichend zu beherrschen glaubte, führte ich sie Bubi vor. – Ernsthaft
sah er mir bei meiner Demonstration zu. – Ernsthaft oder auch skeptisch; - wie auch immer, -
Bubi hat mich niemals ausgelacht oder auch nur belächelt, wie es die erwachsenen Menschen
so oft taten.
- Meine ersten Flugversuche fanden von unten nach oben statt. – In Bubi’s Beisein. Ich
plusterte mich auf, - machte mich dann wieder dünn- und schwang meine ausgestreckten Arme. – Bubi sah mir dabei fachmännisch zu. Die Intention war, vom Fußboden auf den
Tisch in meinem Spielzimmer zu fliegen. – Das hätte mir für den Anfang vollauf genügt.
- Mein erster Versuch war alles Andere, als von Erfolg gekrönt. – Ich blieb solange – trotz aller Bemühungen - auf dem gleichen Fleck stehen, bis ich, überwältigt von der Anstrengung
und vom Schwindel, einfach umkippte. –
Ich hatte mir nicht wehgetan. – Bubi überzeugte sich davon, indem er unverzüglich zu mir
flog, fachgerecht neben meinem Kopf landete und aufgeregt, jedoch zärtlich, an meinem rechten Ohrläppchen pickte. - `Steh’ auf,´ sagten seine Augen, `steh auf – und gib nicht auf.
Irgendwann wird es klappen.´ Ich gab nicht auf. Nicht damals - und auch später nicht.
- Ich versuchte es wieder und wieder; - mit ausgestreckten Armen; - dann, nachdem ich begriffen hatte, daß Bubi’s Flügel anders gebaut waren, mit angewinkelten Armen. –
- Es wollte nicht klappen. Irgendetwas schien ich verkehrt zu machen. Bubi zeigte mir
immer wieder, wie es zu bewerkstelligen sei; - jedoch funktionierte es bei mir nicht.
- - N o c h nicht, wie ich hoffte. Eines Tages dann kam mir die Erleuchtung: Ich würde
es nun von oben nach unten versuchen !
- Auf dem Spielzimmertisch stehend, breitete ich die angewinkelten Arme aus, machte mich
dünn – und ließ mich fallen.... Ich kam auf dem Boden an, noch bevor ich irgendwelche
Flugbewegungen ausführen konnte.
- - Diesmal tat es weh. Am Kinn, an der Nase und an der Stirn; - jedoch weinte ich nicht.
Bubi zwitscherte wie verrückt und trippelte aufgeregt hin und her. – Die kurzen Flaumfedern auf seinem Kopf waren aufgestellt – und ich wußte nicht, ob er ärgerlich war oder nur
besorgt.
- - Ärgerlich waren meine Eltern, als sie mich später zu Gesicht bekamen. – Die Schrammen,
welche ich davongetragen hatte, waren nicht zu übersehen. Nachdem ich erklärt hatte, wie es dazu gekommen war, wurde ich geschimpft; - danach nahm mein Vater mich auf seinen Schoß und nannte mich ein `dummes Kind.´
„Wie kannst du nur so einen Blödsinn machen ? Du hättest dich ernstlich verletzen können.“
„Aber ich möchte doch fliegen lernen,“ antwortete ich.
- - Man erklärte mir, daß Menschen nicht flögen. – Nur Vögel – und Insekten, wie Bienen, Fliegen und so weiter, täten dies.
„Menschen gehen zu Fuß, da sie zum Fliegen nicht geschaffen sind. Bubi hat Flügel; - darum nur kann er fliegen. – Du kannst das nicht.“
-- Es gab mir einen Stich, als Vater mir erklärte, daß auch er nicht fliegen könne; - er, der doch sonst Alles konnte !
„Menschen können nicht fliegen; - es sei denn, sie säßen in einem Flugzeug; - jedoch aus eigener Kraft können sie dies nicht.“
- Es war ein schwerer Schlag, der mich schon in diesen jungen Jahren traf. – Ich traute meinen Eltern keine Lüge zu, doch wollte ich diese ihre Worte einfach nicht glauben. –
Vielleicht wußten sie es einfach nicht ! - Auch dies war schwer zu begreifen, doch es wäre
immerhin eine Erklärung. --- Gesehen hatte ich tatsächlich noch Niemanden in unserer Nachbarschaft, der diese Kunst ausgeführt hätte; - doch war ich mir gewiß, daß es möglich sei. Ich hatte Bilder von Menschen mit Flügeln gesehen. Bei meinen Großeltern, welche
auf dem Lande lebten, hing im Schlafzimmer ein solches Bild. Oma hatte mir erklärt, daß
dies Engel seien. --- Für mich waren Engel Menschen mit Flügeln. –
Bubi war kein Mensch, doch für mich war auch er ein kleiner Engel. – Er konnte nicht stehen oder sprechen wie wir; - dennoch konnte ich ihn nie gleichsetzen mit anderen Vögeln,
welche draußen im Freien lebten. – Jene waren Fremde, welche nicht mit Bubi zu vergleichen
waren. Bubi zählte für mich – trotz seiner geringen Größe – zu Unseresgleichen. Er gehörte
zur Familie.
-- Ich begann, mich verstärkt für Engel zu interessieren. Oma erzählte mir Geschichten über sie aus einem Buch, welches sie `Bibel´ nannte. – Engel schienen dazu da zu sein, um uns
Menschen zu beschützen und vor Bösem zu warnen. ---
- Von nun an nährte ich den Verdacht, daß Bubi mein eigener, kleiner Schutzengel sei; -
zumal Oma mir erklärt hatte, daß Engel nicht unbedingt auf unsere Art und Weise zu uns
sprechen müßten, um sich uns mitteilen zu können. ---
- Einen weiteren Flugversuch von oben nach unten unternahm ich in meiner Kindheit nicht
mehr ; - von unten nach oben allerdings in verstärktem Ausmaße. -- Ich wollte Gartenpfade
entlanglaufen und mit den Armen rudern, um endlich abheben zu können. Ich behängte mich
mit Tüchern und Stoffen jeglicher Art, um meine Arme flügelähnlicher zu gestalten.
-- Dennoch wollte es mir nicht gelingen, mich auch nur für kurze Zeit in die Lüfte zu erheben. Es war frustrierend. Marienkäfer – winzig klein – Schmetterlinge, Bienen; - alle
konnten sie fliegen – und taten dies auch nach Herzenslust in unserem Garten. -- Alleine
mir wollte es nicht gelingen......
-- Ich war bereits in der Schule, als mein gefiederter Schutzengel uns verließ – und im
Garten begraben wurde.
Mein Versprechen und letzter Gruß an ihn war: `Ich werde es weiter versuchen und
irgendwann schaffen !´
Mit der Beherrschung des geschriebenen Wortes öffnete sich mir die Welt. - Ich lernte
Vieles über das Fliegen; - die Anfänge der unterschiedlichsten Flugmaschinen und ihre
Weiterentwicklung bis in die Neuzeit. Doch wollte mir dies nicht genügen. Letztendlich
handelte es sich ja nur um Apparate.... Ich wollte selbst fliegen – aus eigener Kraft !
Ich las über Hexen im Mittelalter und ihre geheimnisvollen Salben. – Ich hatte nächtliche
Flugträume, welche sich immer und immer wiederholten..... Ich wurde älter – und
vermeintlich klüger; - die Flugkünste der Hexen waren nunmehr für mich ein rein psycholo –
gisches Phänomen – und wissenschaftlich erklärbar. Ich durchlief eine Phase der rein
praktischen Vernunft und belächelte fast meine frühkindlichen Flugträume. Gleichzeitig jedoch wurde ich gepackt von einer inneren Unzufriedenheit. Alles schien mit einemmal
so kalt und trostlos , ja steril geworden zu sein. – Alles wissenschaftlich erklärbar ? –
Selbst Gefühle; - Wellensittiche und Engel ? -- Zweifel - Erneut Zweifel; - doch diesmal
in umgekehrtem Aspekt. – Gefühle; - warme, herzliche Empfindungen; - nicht mehr als
chemische Reaktionen ? – In einem Körper, welchen nur eine bestimmte Anordnung von
Atomen zusammenhielt ...? --- Sollte dies bereits Alles gewesen sein...? Das Leben so
früh schon uninteressant geworden ? - - - Zweifel....
-- Ich begann, mich für andere Religionen zu interessieren; - hauptsächlich südasiatischen
Ursprung’s. -- Ich suchte nach Erklärungen für Ungerechtigkeiten, welche ich in meiner bisherigen Religion nicht finden konnte – und stieß dabei wieder auf meinen alten Traum:
- - Das Fliegen.... -- Auch erneute nächtliche Flugträume erinnerten mich wieder an das
Versprechen, das ich einst an Bubi’s Grab gegeben hatte.
-- In diesen Traumflügen werden die Arme nicht wie Flügel bewegt, sondern entweder
seitlich an den Körper gepreßt – oder,- teils einseitig – teils beidseitig – nach vorne, in
Flugrichtung, ausgestreckt. ---- Es beginnt mit äußerst sanften, großen Sprüngen, welche
zu jeder beliebigen Höhe ohne jegliche Anstrengung ausgedehnt werden können. –
-- Der Flug selbst wird anscheinend ermöglicht aufgrund der enormen Geschwindigkeit.-
--- Waren diese Träume lediglich Hinweise auf Beschwernisse und Unzufriedenheiten mit
meinem jetzigen Leben; - oder steckte doch mehr dahinter ?
Ich las von Yogi’s, die angeblich in der Lage waren, sich durch reine Willenskraft der
Schwerkraft zu entziehen – und in einem Schwebezustand über dem festen Boden frei zu verharren. --- Ich hörte von Levitationen auch in Europa; doch schien mir Indien das Land,
in welchem Phänomene solcher Art Zuhause waren.
`Willenskraft´; - ein Zauberwort. -- Die Willenskraft stärken, in einer Zeit, in der Gleich –
gültigkeit und Apathie das Leben zu beherrschen schienen. - - - Genügend Willenskraft
besitzen, um Dinge zu tun, welche schlichtweg für unmöglich gehalten wurden.—Fliegen
lernen..!! Nicht mit Hilfsmitteln wie überdimensionalen Drachen oder anderen Flug –
maschinen. Nein ! -- Ich wollte wieder fliegen; - selbst fliegen .... wie ein Vogel, - oder
wie in meinen Träumen .... – Ich beschäftigte mich mit den Naturwissenschaften; -wie könnte es möglich sein, die Erdenschwere zu überwinden ? --- Ein Antrieb mußte gefunden
sein; - doch welcher, - und wie ? Immer wieder kam ich zurück zum gleichen Punkt:
-- Der Willenskraft ! Ich versenkte mich in Yogatechniken; - parallel zu meinem Studium.
Ich lernte Atmen; - einatmen – ausatmen – verharren.... -- Ich kam nicht weiter – und
beschloß darum, nach Indien zu fahren. Ich wollte dort nach Beweisen dafür forschen, daß der Geist eben doch der Materie überlegen ist.
-- So kam ich – noch sehr jung – in das Land der mystischen Träume. -- Dort schien es auf
den ersten Blick überhaupt kein Problem, zu finden, was ich suchte. -- Fast Jedermann hatte
einen `Guru´ - einen spirituellen Lehrer-, der ihm den einzig richtigen Weg zum Heile wies.
An jeder Straßenecke fanden sich Leute, Welche Namen berühmter Yogi’s nennen wollten
und phantastische Geschichten über Diese zum Besten geben konnten. -- Fliegen ? -- Kein
Problem ! -- Man schickte, beziehungsweise führte mich, gegen geringes Entgelt, von einem
Meister zum anderen. - - Es wurden mir Künste jeglicher Art vorgeführt: Auf dem Kopfe
stehen für Stunden; - ohne Essen und Trinken auskommen; - im Stehen schlafen; - niemals
schlafen – und so fort. – Fliegen konnten diese Meister alle, doch war Keiner bereit, mich
diese ihre Fähigkeit auch in Augenschein nehmen zu lassen. – Dazu müßten erst einige
Voraussetzungen erfüllt sein; - ich dürfe nicht glauben, daß solcherlei Dinge nur zur Attraktion oder Belustigung irgendwelcher Weltenbummler vorgeführt würden. – Das Fliegen sei die letzte Stufe der menschlich – geistigen Vollendung – und Jahre harter Kasteiungen und
Entbehrungen gingen ihr voraus.
-- Ich verbrachte Jahre in den Bergen, um unter Anleitung meines indischen Mentor’s Körper sowie Geist zu befreien. -- Erfolglose Jahre, was das Fliegen betrifft. -- Im Gegenteil
verspürte ich mehr Druck und Zwänge als je zuvor.- Alles war genauestens vorgeschrieben: - Das Sitzen; - das Essen; atmen; schlafen.... – Die körperlichen Übungen liefen in genau festgelegter Reihenfolge ab; - es war Zwang, - ja; - es war schlicht und einfach Zwang !
- Nichts war zu verspüren von der Leichtigkeit – des Losgelöstsein’s – meiner nächtlichen
Flugträume. -- Ich war um keinen Schritt weitergekommen.....
-- Verlorene Jahre – verlorene Zeit ....
- Enttäuscht machte ich mich auf nach Tibet, um dort mein Glück zu versuchen. – Die Tibeter lachten mich aus, bewunderten aber gleichzeitig meinen Mut, weil ich das Wagnis auf mich genommen hatte, ihr von den Chinesen besetztes Land illegal zu betreten. - - Ich war mir der Gefahren wohl bewußt, doch der Drang, endlich weiterzukommen in meinen Bemühungen, war stärker als alles Andere. – Ich wollte fliegen.-
Klöster sowie Religion waren offiziell nicht mehr existent: - die Chinesen verboten es;
- jedoch gab es immer noch gläubige Menschen zuhauf – und im Geheimen wurde der Buddhismus, - und auch die alte Bjön – Religion – praktiziert.- -
- Viele Jahre blieb ich in diesem Land – und habe doch kaum Etwas davon gesehen, da ich in schwer zugänglichen Höhlen versteckt wurde, welche ich von Zeit zu Zeit wechseln mußte.
- Bjön – Zauberer wurden meine Lehrmeister. – Über die Inder konnten sie nur lächeln.
„Die Inder haben trotz ihrer materiellen Einstellung eine rege Phantasie; - außerdem lügen sie gerne. – Wir lassen sie eben im Glauben an fliegende Tibeter.“
Der Magier lachte.- Ich könne suchen, wo ich wolle, - ich würde keine fliegenden Menschen
zu Gesicht bekommen.
„Man hat früher das Volk im Glauben an solche Kräfte gelassen, damit man Respekt erhielt
- und somit die Menschen besser führen konnte. – Mehr ist nicht dahinter.“
Es klang logisch, - war jedoch auch enttäuschend. – War dies wirklich die Wahrheit ? Oder
war es nur dazu bestimmt, mich wieder zurückzuschicken ? – Ich war bereits seit vier Jahren
im Lande und hatte viel gelernt; - über Pflanzen, - Wurzeln, Beeren, welche zur Heilung verschiedenster Krankheiten bestimmt waren. - - Warum sollte man mich nun noch belügen?
- Wäre es in den Anfängen gewesen ....
– Sie heilten Menschen doch auch durch magische Mittel; - durch Worte oder Gesänge; - es konnte doch nicht Alles falsch sein...!
„Der Mensch heilt sich selbst: - besser gesagt, der Körper heilt sich selbst dadurch, daß man an die Heilung glaubt. Der Geist beeinflußt den Leib; - doch zum Fliegen würde es weitaus mehr brauchen. – Du müßtest die Elemente beeinflussen. – Du kannst verschiedene kleinere Naturgeister beeinflussen und sie veranlassen, dir zu helfen; - doch zum Fliegen können auch sie dir nicht verhelfen.- Nicht zum realen Fliegen.“
Er machte eine Pause. – Dann:
„Du wirst sehen.“
„Was meinst du mit, ich werde sehen ?“
Doch er wollte mir nicht mehr antworten. –
- Drei Wochen später unternahmen wir einen unserer seltenen Streifzüge. Wir gingen ziel –
strebig etwa eine Stunde, bis wir an einer mir bis dahin unbekannten Höhle angelangten. Der
Eingang lag gut versteckt zwischen mehreren Felsgruppen und Gebüsch. – Drinnen erwarteten uns bereits etwa zwei Dutzend Personen. Ich sah lange, hölzerne Hörner, die im Aussehen den heimischen Alphörnern ähnelten, sowie ein eigenartiges Instrument, - auch sehr lang – mit einer einzigen, dicken Saite. – Es zeigte sich, daß die Höhle ein wahrhaft riesiges Ausmaß besaß. Wir drangen tief in ihr Inneres ein. – Die Örtlichkeit erinnerte mich an eine Kathedrale,denn auch die Höhe der Höhle war enorm. Man wies uns an, an einem bestimmten Platz zu verweilen – und nur vier Männer – die mit den Hörnern und dem seltsamen Saiteninstrument -gingen weiter. Wir warteten. Nach geraumer Zeit war ein eigenartiger Ton zu vernehmen, welcher vermutlich von jenem Instrument mit der einzelnen Saite stammte. Kurz darauf waren auch die Hörner zu hören. Die Klänge schienen tief in mein Inneres zu dringen; - alles in mir vibrierte – und ich fühlte mich leicht benommen. – Gespenstischer Fackelschein beleuchtete die Szenerie. Schatten tanzten an den rauhen Felswänden. Auch der Magier war nun verschwunden, doch erschien er bereits nach kurzer Zeit wieder und begann einen eigenartigen Tanz. – Er ging dabei in die Knie, wippte, kam wieder empor, drehte sich mit ausgebreiteten Armen langsam um sich selbst und sprang sanft und leicht in die Höhe. – Dies wiederholte er immer und immer wieder, bis er uns endlich durch Zeichen zu verstehen gab, ihm zu folgen. – Wir gingen hinter ihm her zurück zum Höhleneingang. Den Tanz unterbrach er dabei nicht. – Draußen war es noch heller Tag. Der Magier tanzte weiter, bis der Letzte von uns die Höhle verlassen hatte; - dann bedeutete er uns, uns niederzusetzen. Wir gehorchten – und er tanzte in die Höhle zurück. -- Die Klänge aus dem Inneren waren nur noch entfernt zu vernehmen; - mehr zu erahnen... – Der Magier kam in Tanzschritten wieder nach Draußen, kehrte dann erneut in die Höhle zurück. – Er wiederholte dies zwei – oder dreimal; - dann, als er sich wieder einmal im Freien befand, tat er einen mächtigen Sprung – und erhob sich in dieLüfte...
-- Ich wäre im Schreck beinahe auf den Rücken gefallen. -- Sanfte Finger schienen das Innere meines Gehirns zu berühren. – Dann überkam mich ein unbeschreibliches
Glücksgefühl. -- Der Magier zog über unseren Köpfen weite Kreise; - schoß dann wieder wie eine Rakete davon, um kurz darauf in eleganten Figuren zurückzukehren, - bis er endlich
in sanftem Fluge im Inneren der Höhle verschwand....
-- Noch benommen von diesem grandiosen Schauspiel, blieb ich einfach sitzen, wo ich saß;
- auch die Übrigen schienen von dieser Darbietung überwältigt zu sein. Niemand sprach auch nur ein einziges Wort.
Nachdem der Magier wieder aus dem Höhleninneren erschienen war, traten wir Beide den
Rückweg an. Dieser verlief schweigend. Meine Gedanken wirbelten. – Noch immer war ich nicht in der Lage, klar zu denken.
In der heimischen Höhle angekommen, kümmerte sich mein Lehrer um das Abendessen; - danach schickte er mich schlafen. -- Traumlos verbrachte ich diese Nacht. Am nächsten
Morgen, bei gebuttertem, salzigem Tee und dem obligatorischen Tsampa, musterte mich der
Bjön – Meister eingehend; - dann stellte er mir die Frage, was ich denn gestern vor jener Höhle gesehen habe.
„Ich sah dich fliegen,“ antwortete ich.
„Richtig, du sahst mich fliegen; - doch welche Schlüsse ziehst du daraus ?“
Diese neuerliche Frage, sowie die Art, in der diese gestellt wurde, ließen mich vorsichtig werden. Ich erinnerte mich der Worte, welche er vor drei Wochen zu mir gesprochen hatte.
Dann fragte ich zögernd:
„Bist du – bist du etwa – hm, garnicht geflogen ?“
Er lächelte.
„Nein, - ich bin nicht geflogen. Ich und die Hornbläser sowie der Mann mit dem Saiten –
Instrument haben euer Inneres beeinflußt, so daß ihr mich fliegen saht. Es ist mit euerem
westlichen Begriff der `Hypnose´ oder auch `Suggestion´ zu vergleichen. – Ich habe mich
tatsächlich nicht von der Erdoberfläche entfernt, sondern saß die ganze Zeit in der Höhle und
beobachtete euch. – Dies ist der Weg und die Art, in welcher die Inder größtenteils arbeiten;- und wenn du willst, kannst du es Betrug nennen. – Betrug an deiner Seele und deinem Verstand, falls es nicht angewendet wird, um dich zu etwas Positivem hinzuführen.“
Ich erinnerte mich an das Gefühl der sanften Fingerspitzen in meinem Gehirn, sowie des
Vibrierens meines Körperinneren. -- Die Erwartungshaltung hatte zu den von außen kommenden Reizen beigetragen und dieses Ergebnis gezeitigt. – Ich verstand. – Sollte ich
enttäuscht sein ? – War damit mein Traum vom Fliegen begraben ?
Der Lehrer schien in meinen Zügen zu lesen, denn er legte mir die Hand auf die Schulter.
„Sei nicht enttäuscht; - gib auch nicht auf. – Ich bin nur ein kleiner, ungebildeter Mann. Es muß nicht heißen, daß das, was ich nicht kenne und kann, auch nicht möglich ist. Vielleicht
gibt es Menschen, denen es bereits gelang – oder einmal gelingen wird, einen Hebel zu finden, um auch dieses Hindernis zu bewegen. Gib nicht auf ! Du hast dir eine Aufgabe gestellt und solltest darum Alles daransetzen, diese Aufgabe eines Tages auch erfüllen zu können. – Sollte es dir trotz aller Bemühungen dennoch nicht gelingen, so hast du keineswegs
versagt; - auch brauchst du dich darob nicht zu schämen. – Du hast es versucht – und es ist dir
nicht gelungen. Das ist alles.- Solltest du aber aufgeben, obwohl du immer noch glaubst, daß, was du erreichen willst, möglich ist, - dann hast du tatsächlich versagt ! – Gibst du hingegen auf, weil du eingesehen hast, daß du einem unmöglichen Traumgespinst hinterhergelaufen bist, so wirst du vernünftig gehandelt haben. – Laß nicht nach in deinen Bemühungen, solange
du an eine Sache glaubst !“ Er lächelte. „Solange du noch ein Mensch bist, wirst du auch Irrtümern unterliegen; - das liegt in unserer Natur. Genauso wirst du auch irgendwann feststellen, ob und welchen Irrtümern du unterlagst – und kannst diese dann berichtigen.
- Wir sind hier auf dieser Erde und in diesem Leben, um zu lernen. – Vieles, das man für
möglich hält, existiert bisher noch nicht; - umgekehrt wurde Vieles erreicht, das für unmöglich gehalten wurde. – Jeder hat letzten Endes selbst das Richtige für sich herauszufin –
den, auch wenn er die Hilfe Anderer in Anspruch nehmen kann und soll, um zu lernen. – Auf
deinem Weg werden dir Viele begegnen; - Einige werden ein Stück weit mit dir gehen;
- Andere werden dir eine Richtung weisen; - doch das Ziel wirst du ganz alleine erreichen....
-- Meine eigene Aufgabe sehe ich darin, Menschen von ihren Krankheiten zu heilen; - also
sie, wie wir es sehen, von unguten Geistern zu befreien. Dazu ist es notwendig, daß die Patienten mir vertrauen und Glauben in meine Kräfte setzen. – Dies ist der Grund, warum ich
hin und wieder mit solchen Scheinvorführungen glänze. – Glauben die Leute nicht an mich und meine Kräfte, so glauben sie auch nicht an meine Medizin und Heilkunst – und dann kann
ich meine Aufgabe nicht erfüllen. – Deine Aufgabe ist eine andere – und deshalb solltest du auch nicht mit Scheinbarem arbeiten. Ich habe dir beigebracht, was ich über Heilpflanzen weiß; - alles Andere sollte dich nicht interessieren, damit du nicht von deiner eigenen Aufgabe abgelenkt, - oder gar abgehalten wirst. – Du hast außerdem gelernt, kleine niedere
Erdgeister um Hilfe anzugehen; - somit hast auch du die Möglichkeit, Menschen zu heilen ;
- und das ist gut so. Doch solltest du nun weitergehen auf deinem eigenen Weg, auf welchem ich dich jetzt nicht mehr begleiten kann. – Mir ist in Tibet Niemand bekannt, der Materie veranlassen kann, sich schwerelos zu verhalten; - darum solltest du nun unser Land wieder verlassen, falls du nicht auch noch andere wichtige Interessen hast, um hier zu verweilen.“
Den ganzen restlichen Tag über gingen mir seine Worte durch den Kopf. Er hatte recht.
Gelernt hatte ich viel; - jedoch würde mein eigentliches Anliegen hier nicht in Erfüllung gehen. – Doch wo würde ich eine Lösung des Problem’s finden ? Ich beschloß, zurück in die Heimat zu gehen, um das nötige Wissen vielleicht doch auf wissenschaftlichem Wege erwerben zu können.
Am Abend saßen wir wieder beisammen – und ich teilte ihm meine Gedanken mit. Er nickte
zustimmend.
„Recht tust du daran; - denn gerade du, der du dich doch von der Erde und ihren Bindungen lösen möchtest, solltest dich nicht durch Bindungen an ein bestimmtes Land oder an Personen
fesseln lassen. Dies wäre – wie sagt ihr im Westen dazu ? - kontraproduktiv !“
Er lachte, als er mein erstauntes Gesicht sah.
„Ja; - auch die Chinesen hier benutzen solche Ausdrücke; - doch es stimmt; - es wäre gegen alles, was du dir zum Ziel gesetzt hast. – Wir werden dich sicher zurück bis zur indischen Grenze geleiten. Von dort wirst du ohne Probleme weiterkommen; - doch lasse dich nicht von den Indern verführen, ihre Scheinwunder für bare Münze zu nehmen. Sie haben andere Interessen. In dieser Beziehung sind sie so materiell eingestellt wie auch die Chinesen.
- Wenn Inder zu ihren Göttern beten, verlangen sie ständig Etwas von Diesen. Es ist ein immerwährendes Fordern; - sie können nicht beten, um einfach Danke zu sagen; - sie müssen
Etwas für die Zukunft fordern. – Auch wenn Inder dich beschenken, erwarten sie stets Etwas zurück; - für sie ist dies eine Investition, welche sich eines Tages auszahlen soll. Uneigennutz kennen sie nicht.“
Ich dachte an die Jahre in Indien zurück und mußte ihm recht geben. Inder hatten tatsächlich
stets eine Erwartungshaltung gezeigt; - von kranken Familienmitgliedern gesprochen – oder von Schulden – oder davon, wie teuer Dieses oder Jenes sei und sie es sich deshalb nicht leisten konnten. – Des weiteren erinnerte ich mich an die indische Unart, ständig über Andere
bestimmen zu wollen und Einen am Ausführen eigener Pläne zu hindern. – Mein Lehrer hatte recht. – Ich würde mich dort nicht mehr länger aufhalten, als unbedingt erforderlich, um meine Papiere bei der Botschaft in Ordnung bringen zu lassen. – Ich wollte zurück nach Europa.
Meine tibetischen Freunde machten nicht viel Aufhebens von den doch auch für sie nicht ungefährlichen Vorbereitungen für meine sichere Reise. -- Die Route mußte gesichert werden; - kein chinesisches Auge durfte mich erblicken. –
Als der Tag der Abreise gekommen war, wurde mir doch recht schwer um’s Herz. Ich wußte, daß ich meinen Lehrer niemals mehr wiedersehen würde – und er wußte es auch. Als ich ihm zum Abschied die Hand reichen wollte, machte er eine abwehrende Bewegung.
- Er würde selbst mitkommen, um mich bis zur sicheren Grenze zu begleiten. – Ich war sprachlos. Ein größeres Geschenk war nicht vorstellbar und ich wußte, daß dies als Geschenk gedacht war.
- - Die Wanderung verlief ohne jede Zwischenfälle – und in Indien angekommen, fuhr ich
auf dem schnellsten Wege nach Delhi, um die dortige Botschaft aufzusuchen.- Man stellte mir
zehn Tage Wartezeit in Aussicht, welche ich zum größten Teil im Hotel zu verbringen gedachte. – Nach Tibet schien mir dieses Land tatsächlich nur noch eine Scheinwelt zu sein
- und ich vermißte die Aufrichtigkeit meiner tibetischen Freunde um so mehr. – Ich war froh und erleichtert, als ich nach zwei Wochen endlich mein Rückflugticket und einen Ersatz – Paß
in Händen hielt.
- Zurück in Deutschland, mußte ich mir nunmehr Gedanken über die Finanzierung meines weiteren Lebens und Wirkens machen. – Ich beschloß, als freier Journalist zu arbeiten und führte einige Telefongespräche. – Nachdem dies geklärt war, verbrachte ich viel Zeit in Bibliotheken und Archiven verschiedener Redaktionen. Ich grub aus, was über Levitationen,
Bewegen von Materie und Ähnlichem nur zu finden war. – Ich fuhr nach Italien, Griechenland; - ja, bis nach Rußland führten mich meine Erhebungen in den kommenden Jahren. – Ergebnislos. Material gab es zuhauf über mysteriöse Vorgänge; - doch war es
authentisch ? -- Ich begegnete Niemandem, der mir hätte konkrete Beweise dafür liefern können. -- Ich besuchte die Hörsäle der Universitäten, lauschte Lesungen, stellte Versuche an. – Magnetismus, Materialkunde, Elektrizität; - ich kam zu keinerlei Erfolgsergebnissen.
-- Das Leben verstrich; - ich wurde älter; - meine Arbeiten fanden Anklang bei den Redaktionen sowie Lesern, doch ich selbst fand keine Befriedigung bei der Suche nach
Verwirklichung meines Kindertraumes.
- - Ich konnte immer noch nicht fliegen. - -
Nun, im Alter; - ich bin jetzt zweiundachtzig – habe ich es endlich geschafft ! – Ich kann fliegen ! Ich fliege nicht, - doch ich weiß, daß ich es kann. In meinem Alter fliegt man einfach nicht. Ich brauche lediglich die Schwerkraft zu überwinden. Nicht nur, was man allgemein die Schwerkraft der Erde nennt, sondern vor allen Dingen die Schwerkraft meiner Gedanken.... Gerade habe ich noch gesagt, in meinem Alter fliegt man nicht mehr, doch habe ich diesen Gedanken selbst soeben auch überwunden. - Bisher habe ich es noch nicht ausprobiert, doch weiß ich, daß ich es kann- und das genügt mir. -- Vielleicht fliege ich nun
doch bald; - doch macht es dann auch keinen Unterschied mehr, denn das Wissen, daß ich es kann, genügt mir vollauf. Der Glaube meiner früheren Jahre hat nicht ausgereicht;- das Wissen über meine Fähigkeit heute tut es. – Bald werde ich fliegen.... Bin ich dann kein
Mensch mehr...... ?