Romane & Erzählungen
DAS GESCHENK ( 8 ) - Wiedersehen

Teil 8: Wiedersehen

Gundemar ist vor Tagesanbruch aufgewacht. Nach dem Frühgottesdienst nimmt er sein kleines Wandergepäck, verabschiedet sich vom Abt und den anderen Brüdern, bedankt sich überschwänglich und tritt den letzte Abschnitt seines Weges an. Er weiß jetzt mit Bestimmtheit, dass alles gut wird. Er fühlt nach dem kleinen Päckchen nah bei seinem Herzen, hört Adelheids Abschiedsworte, spürt ihren brennend heißen Kuss und sieht sie fast leibhaftig vor sich stehen. Das Päckchen beflügelt seine Schritte und so scheint er das letzte Stück seiner Wanderung dahin zu fliegen. Rascher als erhofft, steht er eines Abends vor dem Haus seiner Braut.

Sein Herz klopft wild und hart. Sein Atem geht rasch und seine Hände umschließen das Päckchen, das ihm seine Liebste zum Abschied schenkte. Mutig zieht er am Glockenseil. Über ihm öffnet sich ein Fenster. Adelheid will wissen, wer noch so spät Einlass begehrt. Gundemar bringt vor Aufregung kaum ein Wort heraus, aber Adelheid hat ihn schon erkannt. Ihr Füße berühren kaum die Treppenstufen,  als sie hinab eilt, um die schwere Haustür zu öffnen. Dann liegen sie sich nach mehreren Jahren der Trennung in den Armen. Es ist ein an Tränen reiches Wiedersehen.

Beide steigen in den Wohnraum hinauf. Adelheid serviert ihm ein Nachtmahl aus Brot, Käse und Wein. Gundemar beginnt zu erzählen. Während dessen liegt das in Stoff gewickelte Päckchen auf dem Tisch zwischen ihnen. Auch Adelheid ist höchst erfreut, es wieder zu sehen. Natürlich erzählt Gundemar, dass er es dem kranken Baumeister im Kloster überlassen hat. Er erzählt aber auch, dass er es von Berthold, dem angehenden Medicus mit folgenden Worten erhielt: „Zum Abschied schenke ich dir dies. Trage es nahe bei deinem Herzen. Euer Glaube und gegenseitiges Vertrauen, eure starke Liebe und eure gemeinsame Hoffnung, dass alles gut wird, soll euch euer ganzes Leben begleiten.“ Und Adelheid ergänzt mit den Worten ihres Großvaters: „Wenn du es weiter gibst und es kommt in die richtigen Hände, dann wirst du es nie verlieren.“

Adelheid und Gundemar schauen sich in die Augen, wo beiderseits Tränen glitzern, legen ihre Hände auf das Päckchen und ihrer beider Herzen beginnen im selben Takt zu schlagen. Nun wissen sie, dass Adelheids Großvater aus einer Wolke auf beide herab sieht, vor Freude schmunzelt und brummt: „Ich habe es ja gewusst!“

 

© HeiO 12-2010