Die Berührung
Es riecht nach Hirschtalg und Einsamkeit. Ein schwarz gerahmtes Bild steht auf dem Nachttisch. Die Frau blickt auf das Foto und seufzt. Eine Träne stiehlt sich aus den tiefen Augenhöhlen. Runzelige, dünnhäutige Finger knüllen ein Papiertaschentuch in der Hand. Das Weiß wird zittrig zu den Augen geführt. Die Nässe aus den Augen verschwindet.
Der Blick geht ins Leere. Die Erinnerungen erwachen.
Wo einst ein Lachen durch das Haus erklang, dröhnt nun die Stille von den Wänden.
Ach, hätte ich die Zeit mit den Kindern nur besser genutzt. Jedes einzige Lachen durstig in mich gesaugt, anstatt genervt zum Schweigen zu bringen.
Die Reue treibt ihren Stachel tief in das Herz der Alten.
Ach, die Liebe.... Wäre ich nur mehr zu meinen Sehnsüchten gestanden. Wieviel Harmonie hätte in unserem Heim wohnen können. Mein Mann ging, nachdem ich mich ihm verwehrte. Er hielt die Sehnsucht nach mir nicht mehr aus. Die Kinder gaben mir die Schuld und wandten sich von mir ab.
Eine Pflegerin kommt zur Tür herein, um die Alte für die Nacht vorzubereiten.
Mit flinken Händen erledigt sie das Nötigste und bleibt noch wenige Minuten, um die Einsamkeit der Bedürftigen zu durchbrechen.
Mhmh, diese warme Hand. Wie gut sie mir doch tut. Meine Töchter kommen nicht mehr. Sie können mich nicht so da liegen sehen. Ich will es auch nicht. Sie mussten schon genug durch mich erleiden. Immerzu verdrängte ich sie aus meinem Leben. Wen wunderts, dass sie nun auch mich verdrängen. Sie haben tolle Männer. Entzückende Kinder.
„Auf Wieder sehen und gute Nacht!“ spricht die Pflegerin. Die Alte hebt ihre glänzende Hand zum Abschied.
Kaum schliesst die Angestellte die Tür hinter sich, schon spürt die Alte eine eiskalte Hand auf ihrer Schulter.
„Ich bin bereit für Dich“, flüstert die Greisin.