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 ***Vanessa***
Ich lackierte mir gerade die Nägel, als es an der Haustür klingelte. Ich ging schnell an die Tür in der Hoffnung Fred würde endlich kommen. Doch als ich sie öffnete stand da wer ganz anderes als Fred: ok, auch er war gut gebaut; groß und muskulös, aber im Gegensatz zu Freds Haaren waren seine schwarz. Neben ihm stand eine mich breit angrinsende Frau. Sie war so eine wie man sich die schlimmste Schwiegermutter vorstellt. Ihre braunen, zotteligen Locken hingen ungehalten über ihrer Schulter und verdeckten die langen Klipsohrringe nur zu einem kleinen Teil. (Was schade war, denn die Dinger waren echt hässlich.) Ihre gelb-schwarze Bluse war in ihren braunen Rock gesteckt, der ihr bis zum Bauchnabel ging. „Bist du die süße Vanessa?“, piepste sie, während sie mir in die Wange kniff. Sie wusste meinen Namen. Woher wusste sie meinen Namen? Ich war mir ziemlich sicher, dass ich so eine schlecht gekleidete Frau noch nie gesehen hatte. Aber wer war der Junge, der neben ihr stand? Der könnte mir schon eher gefallen. Ich dachte angestrengt nach, ob es vielleicht einer aus meiner Organisation war. „Können wir jetzt endlich rein? Hier draußen ist es echt zu warm.“, beschwerte er sich.
„Was wollt ihr?“, fragte ich, denn ich war zu dem Entschluss gekommen, dass ich die beiden wirklich nicht kannte. Jetzt kam die Frau wieder zu Wort: „Aber wir ziehen doch hier ein, Kind. Das müsstest du aber wissen.“ Hatte die sie noch alle? What the fuck? „Ich glaube sie haben sich bei der Haustür vertan.“, beschloss ich und knallte den beiden die Tür vor der Nase zu. Jetzt konnte ich mich endlich wieder meinen Nägeln zuwenden. Es klingelte allerdings noch einige Male, bis ein Sturmklingeln einsetzte. Genervt stampfte ich zur Haustür. Ich riss mit voller Wucht die Tür auf und schnauzte den Typen und die Frau an: „Boah, habt ihr kein eigenes zuhause oder was ihr Penner? Verpisst euch mal. Alta.“ Dann wollte ich die Tür wieder zuschlagen, doch der Typ kam mir zuvor und stellte seinen Fuß dazwischen. „Hast du sie noch alle?“, fragte er.
„Ich ganz bestimmt. Aber dir geht’s ja wohl nicht mehr gut.“, keifte ich ihn an.
„Aber Schätzchen, nicht in so einem Ton. Das muss ich aber deinem Vater sagen.“, meldete sich nun die Frau zu Wort.
„Mit meinem Vater reden? Wer sind Sie überhaupt?“, fragte ich. Ich zweifelte daran, dass mein Vater so eine kannte. „Na jetzt tu doch nicht so, als würdest du es nicht wissen. Ich bin doch die Verlobte deines Vaters.“
Ich wollte mich eigentlich beherrschen, doch es ging einfach nicht. Ich prustete laut los. Die und die Verlobte meines Vaters? Nie im Leben! Mein Vater, der höhste Chef der gefährlichsten Organisation in der Umgebung zusammen mit dieser Vogelscheuche? Nein. Das konnte einfach nicht sein. „Jaja, schon gut. Könnt ihr jetzt bitte gehen? Das nervt langsam.“, sagte ich und wollte den Typen aus der Tür schubsen. Doch er bewegte sich kein Stück. Er fing an, über diesen Versuch zu lachen. Ich fasste es nicht. Der Fremde lachte über mich.
„Jaro, sei doch nicht so unhöflich.“, tadelte die Frau. Langsam gingen die beiden mir so auf die Nerven, dass ich einfach mit der Faust ausholte, um diesem Jaro eine zu verpassen. Wofür hatte ich sonst Jahre lang Kickboxen? Doch statt seinem Gesicht traf ich nur seine Handfläche. Der Typ hatte wirklich gute Reflexe, das musste man ihm lassen. War er nicht doch einer von unserer Organisation? B-Team vielleicht? Aber nein, einen Jaro kannte ich nicht.
Dann fiel mir der Groschen. Es mussten Spione einer gegnerischen Organisation sein, die sich mal in unserem Haus umgucken wollten. Aber die Frau konnte echt gut schauspielern. Das musste man ja in diesem Beruf auch. Ich selbst hatte sechs Jahre Schauspielunterricht bei unserem Privatlehrer. Ohne groß darüber nachzudenken schubste ich ihn mit Erdkraft raus. Jetzt konnte ich endlich die Tür schließen. Zwar setzte wieder das Sturmklingeln ein, doch ich war ganz bestimmt nicht nochmal so doof und öffnete. Nach circa zehn Minuten hörte es auf.
Und ich machte mir auch keine großen Gedanken mehr über diese komischen Leute. Die konnten mir doch sonstwo vorbeigehen! Stattdessen schaltete ich den Fehrnseher ein und wartete bis meine Nägel trockneten.
Die Nachrichten waren heute mal wieder besonders spannend: Wie jeden Tag erzählten sie von gefährlichen Organisationen und dass das FBI sie immer besser in den Griff bekäme. Hah! Dass ich nicht lachte! Von wegen in den Griff kriegen! Die Wahrheit war, dass das FBI immer häufiger scheiterte, aber mir war es recht so.
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Vier Stunden später kam mein Vater nach Hause. Ich hörte Stimmen im Flur. Zwei männliche, eine weibliche. Die eine erkannte ich sofort: eindeutig die meines Vaters. Aber die beiden anderen kamen mir auch nicht fremd vor. Ich hörte, wie mein Vater sich entschuldigte. Aber wofür? Mein Vater entschuldigte sich nie für etwas. Auch wenn er mal einen Fehler begann gab es immer jemand anderen, der offiziell schuldig war. Er musste sich nie von anderen etwas sagen lassen. Die anderen hatten Respekt vor ihm. Vor allem die Mitglieder unserer Organisation. Es war schließlich mein Vater, der sie gegründet hatte. Ich war damals noch nicht geboren, aber er hatte mir schon oft davon erzählt. Das FBI hatte damals seine Familie die er hatte, zerstört. Sonst hätte ich wahrscheinlich jetzt noch einen großen Bruder. Er wäre 23. Wie gesagt, er wäre. Ist er aber nicht. Das FBI hatte ihn damals bei einer Verfolgungsjagd mit einer Organisation überfahren, weil sie nicht genug aufgepasst hatten und rücksichtslos waren. Und dabei war er lediglich auf dem Weg zu seiner Grundschule. Damals war unsere Familie noch nicht in Verbrechen integriert gewesen.
Naja. Mein Vater war damals ziemlich sauer auf das FBI und hatte sich Rache geschworen. Er suchte sich also ein paar Leute aus der Umgebung und gründete selbst eine Organisation; die B.O. (Black Organization). Auch er gründete ein C-Team, ein B-Team und schließlich auch ein A-Team bei dem er selbst Leiter war. Das A-Team sind die besten. Dahin aufzusteigen ist schwer.
Mittlerweile habe ich seinen Posten übernommen und bin A-Team Chefin. Er ist jetzt der Big-Boss. Alle sind ihm unterlegen.
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Und jetzt entschuldigte er sich anscheinend. Komisch. Ich ging raus in den Flur, um zu gucken wer da war.
Doch ich konnte es nicht glauben, als ich sah, mit wem mein Vater da so unterwürfig sprach. Das war doch tatsächlich diese Frau mit diesem Jaro. Er bemerkte mich als erster und warf mir einen hasserfüllten Blick zu.
Dann erblickte mich auch mein Vater. Er kam sofort ziemlich böse auf mich zu.
„Vanessa!“, schrie er mich an. Ich verstand nicht gleich. „Was willst du?“, fragte ich deshalb. „Du hast Henryett und ihren Sohn Jaro 4 Stunden lang draußen stehen lassen?!“, fuhr er mich an. „Was? Du kennst die beiden?“, ich war eindeutig verwirrt und konnte nicht fassen, dass er sich aufregte, wenn ich fremde Penner nicht reinließ.
„Liebe Vanessa“, fing er etwas gereizt an: „Das ist Henryett, meine Verlobte und das ist ihr Sohn Jaro.“ Was? Nein. Er verarschte mich. Eindeutig. Ich guckte ihn nur genervt an. „Das ist nicht dein ernst.“, beschloss ich.
„Doch, das ist es. Ich wollte dir schon früher davon erzählen, hab es aber nie geschafft. Es hat sich halt nie der richtige Zeitpunkt ergeben.“, sagte er. „Wann hattest du es denn vor mir zu erzählen? Wie lange läuft das denn schon? Von wegen, nie den richtigen Zeitpunkt gefunden. Du hättest es mir schon längst erzählen können! - Und dann auch noch so eine.“, keifte ich ihn an.
Nun war es Jaro, der auf mich zukam. „Was hast du für ein Problem mit meiner Mutter, man?“, machte er mich blöd an. „Sie ist ein Freak!“, sagte ich.
„Vanessa!“ Das war mein Vater. Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt in der Hölle schmoren. Hmm, obwohl. Angenehme Vorstellung. Aber mein Vater würde mich eher in Eiswasser ertränken. Logisch, von Feuer sterbe ich ja auch nicht. Aber vielleicht dieser Jaro. Das wäre mir ganz recht. Und seine komische Mutter auch. Wir brauchten nicht noch eine Frau im Haus. Da reichte ich vollkommen. Auf einen Bruder konnte ich auch gut verzichten, schließlich war ich 16 Jahre ein glückliches Einzelkind gewesen. Nur mein Vater wollte das anscheinend nicht verstehen.
„Sie ziehen hier ein. Es ist beschlossene Sache.“ Wenn mein Vater das sagte, hieß es das auch. Da konnte ich machen, was ich wollte.
„Vanessa, bring Jaro bitte schonmal in sein Zimmer, damit er sein Gepäck los wird.“, befahl mein Vater. „In welches Zimmer denn?“, wollte ich wissen. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust diesen Jaro irgendwohin zu bringen.
„In das Zimmer links neben deinem Schlafzimmer.“, beschloss er. Das verwirrte mich etwas. Links neben meinem Schlafzimmer war doch noch mein Fehrnsehzimmer?! Oder war da noch ein Zimmer dazwischen? „Hää? Welches Zimmer?“ Nachfragen war doch sicherer. „Dein Fehrnsehzimmer.“, sagte mein Vater. Ich fasste es nicht. Der Typ bekam mein Fehrnsehzimmer? Als ob. Ich wollte widersprechen, aber mein Vater warnte mich mit einem strengen Blick. „Jaja, ist gut“, sagte ich deshalb nur: „Komm, Jaro, ich zeigs dir.“
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Wortlos gingen wir nebeneinander die Treppe hoch. Er schien ebenso wenig Lust auf mich zu haben wie ich auf ihn. Wenigstens in einer Sache waren wir uns einig. „So. Das ist das Zimmer.“, verkündete ich als wir den Raum betraten. „Boah, sind das hässliche Kissen. Du hast echt keinen Geschmack.“, meinte er. „Passt dann ja gut zu dir.“, entgegnete ich.
Noch ein Klingeln. Hoffentlich war das jetzt Fred. Der konnte mich von diesem ganzen Scheiß ablenken.
Ich ging an die Haustür und öffnete. Und vor mir stand Fred. Was für eine Erleichterung! Ich fiel ihm um den Hals und er gab mir einen Begrüßungskuss. Während wir hoch in mein Zimmer gingen erzählte ich ihm von unseren neuen Mitbewohnern. „Waas? Der Chef hat 'ne Frau?“ Fred klang ziemlich überrascht. Manchmal nervte es mich, dass alle meinen Vater Chef nannten, aber für sie war er es ja auch. Aber noch mehr nervte es mich, dass diese Vogelscheuche ihn Schatz nennen durfte.
„Ja und sie entspricht nicht gerade dem Schönheitsideal.“, meinte ich. Fred fing an zu lachen. „Die muss ich kennenlernen.“ Oh man. Ich ahnte es schon: das neue Gesprächsthema der B.O.
Wir lagen gerade zusammen auf meinem Bett, als Jaro reinkam. „Klopf an du Spast“, fuhr ich ihn an. „Oh. Sorry, ich wollte euch nicht bei euren Spielen stören“, entgegnete er ironisch. „Ich wollte dich nur fragen, ob du mir das Passwort für den Laptop sagst, der in meinem Zimmer steht?!“
„Nein, ganz bestimmt nicht. Das ist meiner.“, erwiderte ich gereizt und sprang vom Bett auf um ihn mir zu holen. Fred stöhnte. Er ahnte anscheinend schon, dass es nicht so einfach war mit diesem Typen unter einem Dach zu leben.
Als ich wieder in mein Zimmer kam stand Jaro immer noch an meinem Regal gelehnt und er beobachtete mich. Das spürte ich. „Bin ich Kino oder was?“, fragte ich ihn sarkastisch. „Nein. Es ist nur krass dass ich noch nie so gefleckte Beine gesehen habe. Das sieht echt scheiße aus. Ich würde an deiner Stelle keine Hotpans tragen.“, konterte er. Ich hatte vielleicht zwei oder drei blaue Flecken an den Beinen. Klar, das kam von den Aufträgen der B.O.
Fred sprang vom Bett auf und ging ziemlich sauer auf Jaro zu. „Was willst du du kleines Arschloch?!“, sagte er abfällig. „Lass Vanessa in Ruhe!“
„Ooh wie süß. Der große Freund beschützt seine kleine Freundin.“, sagte Jaro in dem selben Kleinkind-Ton wie ihn seine Mutter immer benutzte.
Fred war so gereizt, dass er einfach zuschlug. Er holte kräftig aus und verpasste Jaro einen kräftigen Schlag mitten auf die Fresse. Gut, dachte ich. Sehr gut. Das hatte er verdient. Jaro hielt sich die Nase und wollte Fred gerade zurückschlagen, aber er wich aus.
Jetzt sah ich dass die Nase blutete. Hmm, nicht gut. Wenn seine Mutter das sah. Scheiße. „Keine Sorge. Ich erwisch dich auch noch.“, sagte Jaro und stapfte ins Bad. Gut so.
„Das Arsch hatte es nicht anders verdient“, meinte Fred nur. Ich nickte. Er kam auf mich zu und schlang seine Arme beschützend um mich. Ich legte meinen Kopf in seine Brust und seufzte. „Meinst du die bleiben lange?“, fragte ich Fred. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Ach, wie süß er doch sein konnte. Gerade als wir uns küssten kam Jaro rein und unterbrach uns: „Es gibt essen. Hat dein Vater gerade gebrüllt.“, sagte er genervt.
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Er ging uns voraus die Treppe runter und wir setzten uns an den Tisch. „Was gibt es?“, wollte ich wissen. „Pfannkuchen“, sagte die Mutter von Jaro während sie den ersten Teller mit einem belud. „Na immerhin was leckeres.“, meinte Fred.
„Was geht heute abend noch so?“, fragte ich ihn. „Auftrag“, antwortete er mir in Gedanken so, dass die anderen es nicht hören konnten. Psychokraft. Das war auch ziemlich praktisch. Fred hatte, wie ich, vier Kräfte: Feuer, Erd, Psycho und Flammen. Feuer war besonders praktisch bei Aufträgen um die Gegner zu verbrennen. Ich konnte Feuer unter meine Gewalt bringen. Und mit Erdkraft konnte man sich unfühlbar machen und Erde lenken.Psycho war zur Gedankenübertragung, das heißt mit jemandem zu sprechen ohne dabei den Mund aufzumachen.
Klingt logisch. Ist logisch.
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„Wo?“, wollte ich von Fred wissen. „Im Louvre, irgendeine Statue von-“, wollte er anfangen, doch er wurde von Henryett unterbrochen. Klar, sie konnte uns ja auch nicht sprechen hören. „Und Vanessa, wie läuft die Schule?“, fragte sie. Ich hatte echt keinen Bock auf ein Gespräch mit der. Aber noch weniger Lust hatte ich darauf, mich von meinem Vater anschnauzen zu lassen. „Hab ich abgebrochen. Schon vor zwei Jahren.“, meinte ich. „Also wirklich. Die Jugend von heute! Zu meiner Zeit war Schule noch das Wichtigste.
Jaro hat auch abgebrochen.“, sagte sie.
„So sieht er auch aus.“, kommentierte Fred mit Psychokraft.
Ich schlang den Pfannkuchen förmlich runter und nahm mir auch nicht nach, obwohl ich Hunger hatte. Dieses Gespräch wollte ich einfach nicht weiterführen. „So, wir müssen weg.“, verkündete ich. „Wohin?“, fragte Henryett misstrauisch, doch in dem Moment knallte ich die Haustür schon zu.
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***Jaro***
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Meine Nase fing wieder an zu bluten. Scheiße! Woher konnte dieser Fred so hart zuschlagen? „Ich geh auf Klo.“, sagte ich zu meiner Mum. Ich ging am Fehrnseher vorbei und sah, dass die Nachrichten gerade liefen. Wieder lobten und preisten sie das FBI zum Himmel und berichteten, wie gut alles lief. Von wegen! Jeden Tag wurde es schlimmer. Und immer mehr Leute, vor allem die aus dem B-Team, verließen das FBI weil es ihnen zu gefährlich wurde. Ich konnte es ihnen nicht übel nehmen, auch ich hatte genug Nahtod-Erfahrungen gemacht. Vor allem Probleme machte uns die B.O. Aber auch die würden wir in den Griff bekommen!
Ich ging weiter bis ins Bad. Ein angenehmer Rosenduft kam mir entgegen. Zuerst dachte ich, dass da eins von diesen Duftssprays hing, doch als ich die Tür öffnete sah ich, dass ein riesiger Blumenstrauß neben dem Whirlpool stand. Meine Mutter würde jetzt wahrscheinlich vor Begeisterung umfallen, aber ich fand es einfach nur kitschig. Als ob die in einem Schloss leben würden oder so! Obwohl, wenn das Haus noch einen Turm hätte, wäre es wirklich ein Schloss.
Ich ging an eines der Waschbecken, welches so groß war wie früher meine Dusche. Als ich den Wasserhahn aufdrehen wollte, bemerkte ich, dass es nur heißes Wasser gab. Was für ein Freak lebt hier?
Ich öffnete also das Schränkchen neben dem Waschbecken, um nach einer kühleden Salbe zu suchen. Meine Nase tat schon verdammt weh. Doch statt einer kühlenden Salbe fand ich nur: Schminke, einen Epillierer, Parfums, Haarspray, Hautcremes, Nagellack, einen Föhn und Haargummies. Sah alles in allem ein bisschen aus wie in den Frauen-WGs bei denen ich manchmal zu Besuch war. Aber hier wohnte doch auch noch ein Mann?! Oder war der schwul? Nee, der war ja mit meiner Mutter verlobt. Hmm...
Doch als ich eine Fotocollage sah, wurde es mir klar: An der Wand hingen in einem riesigen, goldenen Bilderrahmen, mindestens 1000 Bilder von Vanessa und Fred, wie sie sich küssten. Vanessa und Fred vor dem Eifelturm, Vanessa und Fred auf der Golden Gate Brigde, Vanessa und Fred vor dem Bigben, Vanessa und Fred vor dem Kolosseum...
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Das hier war eindeutig Vanessas Badezimmer. Das würde auch die Fliesen in zartrose erklären.
Ich wendete mich wieder meiner blutenden Nase zu. Zum Glück hatte ich ja Eiskraft und konnte das heiße Wasser kalt machen. Ich wusste nicht genau, warum ich das tat, aber schließlich fror ich dann den ganzen Boiler ein. Selber schuld, wenn die Freaks auch nur warmes Wasser hatten.
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Als es meiner Nase was besser ging, verließ ich Vanessas Badezimmer. Moment mal, warum war Vanessas Badezimmer eigentlich im Erdgeschoss? Ihr Zimmer war doch im ersten Stock. Vielleicht hatte Vanessa hier unten noch ein Zimmer? Ihr Vater hatte meine Mum und mich nur kurz durch das Haus geführt. Er hat uns noch nichtmal die Hälfte der Zimmer gezeigt und das hatte trotzdem schon eineinhalb Stunden gebraucht. Ein wenig von der Neugier gepackt öffnete ich einfach das Zimmer neben dem Bad. Das erste was ich bemerkte war: Hitze. Ich hasste es, wenn Leute ihre Heizungen überdehten. Schließlich hatte ich Eiskraft. Ich mochte zwar Kälte und könnte niemals erfrieren, aber Hitze war für mich das Letzte. Vanessa war aber so ein Typ, der die Heizung auch im Sommer auf Volltouren laufen ließ. Das war das Erste gewesen, was mir in ihrem Zimmer aufgefallen war.
Ich schaute mich um. Dieses Zimmer war sehr modern eingerichtet. Ein großer Plasmabildschirm hing gegenüber von einem schwarzen Ledersofa. Passend zum Sofa gab es fünf Barhocker neben einer Coktailbar, die meiner Meinung nach eher in eine Disco passte. Drei Lautsprecher einer verdammt großen Musikanlage waren an den Wänden verteilt. Das Zimmer war eindeutig zum Party machen qualifiziert. Ob Vanessa ein paar hübsche Freundinnen zu ein paar Coktails einlud? Vielleicht würde es hier doch nicht so schlecht werden. Ich schaute mich hinter der Bar um. Was Alkohol anging, schien Vanessa Geschmack zu haben. Wodka, Whisky, Sherry.. Es gab genug zum Komasaufen für 'ne ganze Fußballmanschaft. Ich öffnete einen Schrank unter der Bar. Ich fand weitere Flaschen, doch zu meiner Ãœberraschung und zu meinem Schrecken auch eine Pistole. Eine Pistole? Was machte die hier? Hatten die einen Waffenschein? Warum bewahrt wer seine Pistole zwischen Alkohol auf? „Jaro! Wo bleibst du?“, riss mich Johnathan aus den Gedanken. Er stand im Türrahmen. Schnell legte ich die Pistole wieder zurück in den Schrank und sprang auf. Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl und fragte ihn nicht zu der Waffe. Stattdessen log ich: „Ich hab die Orientierung verloren und bin hier gelandet.“
„Das ist ein Zimmer von Vanessa. Hier feiert sie öfters mit Freunden.“,erklärte er mir, während wir uns auf den Weg zum Esszimmer begaben. Wieso ist eine Waffe in Vanessas Zimmer? War sie ihre? Vielleicht gehört sie auch einfach nur Freunden. „Was ist eigentlich mit deiner Nase passiert?“, wollte Johnathan wissen. Shit! Sah man das so sehr? Scheiß Fred. Aber der kriegte von mir auch noch eine in die Fresse. „Fred hat mir eine reingehauen.“, antwortete ich knapp. Das gefiel dem Freund meiner Mum wohl nicht. Er runzelte verärgert die Stirn. Ob Fred wohl Ärger von ihm kriegen würde? Wäre mir nur Recht. „Wieso? Habt ihr euch gezofft?“, befragte er mich weiter. „Na ja, ich hab Vanessa zu den blauen Flecken an ihren Beinen gefragt und dann ist Fred irgendwie ausgerastet.“ War doch nur halb gelogen, oder? „Entschuldigung, ich werd mit ihm reden.“, meinte Johnathan zu mir und schien nicht gerade glücklich mit meiner Erklärung . Ich musste es mir verkneifen, aus Schadenfreude zu lachen. Hoffentlich würde Johnathan Fred so richtig anschreien. Vanessas Vater sah schon so aus, wie jemand von dem man keinen Ärger kriegen wollte. Irgendwie strahlte er so eine Autorität aus. Solche Menschen gab es nicht oft.
Als wir uns gerade an den Tisch zurückgesetzt hatten und ich mich an meinen dritten Nutellapfannkuchen machen wollte, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Ich stöhnte leise, so dass Johnathan verwundert zu mir guckte. Ein Anruf um diese Zeit hieß: Auftrag.
„Ich muss telefonieren.“, gab ich bescheid und rannte aus dem Zimmer. „Hallo.“, grüßte ich. „Hey, Jaro, wie geht’s, was machste so? Wie lebt es sich da in der Villa?“ Es war Alan an der anderen Leitung. Er kam nie schnell zum wesentlichen, daher ignorierte ich einfach seine Fragen: „Wo, wann, gegen wen ist der Auftrag?“
„Ach, Jaro, chill‘ mal. Woher willst du denn wissen, dass es um 'nen Auftrag geht?“, meinte er nur zurück. „Al!“, ermahnte ich ihn. „Ja, ja, schon gut. Zwölf Uhr im Louvre; gegen die B.O.“, erklärte er mir endlich.
„Aber nächste Woche gehn wir im BeachClub ein paar Mädels aufreißen, ja Jaro?“ „Geht klar.“, gab ich zurück und bekam gleich gute Laune beim Gedanken auf die darauf folgende Woche. „Um zehn Uhr ist die Vorbesprechung, bis dann.“, beschloss ich und legte auf. Die Aufträge gegen die B.O. waren die schlimmsten, aber Gegner konnte man sich eben nicht aussuchen.
„Mum, Jonathan, ich muss arbeiten gehn, esst ohne mich weiter!“, rief ich ins andere Zimmer, ich musste mich beeilen, ich war spät dran. „Aber Jaro, Schätzchen, was ist mit deinem Pfannekuchen?“ Doch zur Antwort hörte sie nur wieder, wie die Haustür ins Schloss fiel.
 ***Vanessa***
Ich lackierte mir gerade die Nägel, als es an der Haustür klingelte. Ich ging schnell an die Tür in der Hoffnung Fred würde endlich kommen. Doch als ich sie öffnete stand da wer ganz anderes als Fred: ok, auch er war gut gebaut; groß und muskulös, aber im Gegensatz zu Freds Haaren waren seine schwarz. Neben ihm stand eine mich breit angrinsende Frau. Sie war so eine wie man sich die schlimmste Schwiegermutter vorstellt. Ihre braunen, zotteligen Locken hingen ungehalten über ihrer Schulter und verdeckten die langen Klipsohrringe nur zu einem kleinen Teil. (Was schade war, denn die Dinger waren echt hässlich.) Ihre gelb-schwarze Bluse war in ihren braunen Rock gesteckt, der ihr bis zum Bauchnabel ging. „Bist du die süße Vanessa?“, piepste sie, während sie mir in die Wange kniff. Sie wusste meinen Namen. Woher wusste sie meinen Namen? Ich war mir ziemlich sicher, dass ich so eine schlecht gekleidete Frau noch nie gesehen hatte. Aber wer war der Junge, der neben ihr stand? Der könnte mir schon eher gefallen. Ich dachte angestrengt nach, ob es vielleicht einer aus meiner Organisation war. „Können wir jetzt endlich rein? Hier draußen ist es echt zu warm.“, beschwerte er sich.
„Was wollt ihr?“, fragte ich, denn ich war zu dem Entschluss gekommen, dass ich die beiden wirklich nicht kannte. Jetzt kam die Frau wieder zu Wort: „Aber wir ziehen doch hier ein, Kind. Das müsstest du aber wissen.“ Hatte die sie noch alle? What the fuck? „Ich glaube sie haben sich bei der Haustür vertan.“, beschloss ich und knallte den beiden die Tür vor der Nase zu. Jetzt konnte ich mich endlich wieder meinen Nägeln zuwenden. Es klingelte allerdings noch einige Male, bis ein Sturmklingeln einsetzte. Genervt stampfte ich zur Haustür. Ich riss mit voller Wucht die Tür auf und schnauzte den Typen und die Frau an: „Boah, habt ihr kein eigenes zuhause oder was ihr Penner? Verpisst euch mal. Alta.“ Dann wollte ich die Tür wieder zuschlagen, doch der Typ kam mir zuvor und stellte seinen Fuß dazwischen. „Hast du sie noch alle?“, fragte er.
„Ich ganz bestimmt. Aber dir geht’s ja wohl nicht mehr gut.“, keifte ich ihn an.
„Aber Schätzchen, nicht in so einem Ton. Das muss ich aber deinem Vater sagen.“, meldete sich nun die Frau zu Wort.
„Mit meinem Vater reden? Wer sind Sie überhaupt?“, fragte ich. Ich zweifelte daran, dass mein Vater so eine kannte. „Na jetzt tu doch nicht so, als würdest du es nicht wissen. Ich bin doch die Verlobte deines Vaters.“
Ich wollte mich eigentlich beherrschen, doch es ging einfach nicht. Ich prustete laut los. Die und die Verlobte meines Vaters? Nie im Leben! Mein Vater, der höhste Chef der gefährlichsten Organisation in der Umgebung zusammen mit dieser Vogelscheuche? Nein. Das konnte einfach nicht sein. „Jaja, schon gut. Könnt ihr jetzt bitte gehen? Das nervt langsam.“, sagte ich und wollte den Typen aus der Tür schubsen. Doch er bewegte sich kein Stück. Er fing an, über diesen Versuch zu lachen. Ich fasste es nicht. Der Fremde lachte über mich.
„Jaro, sei doch nicht so unhöflich.“, tadelte die Frau. Langsam gingen die beiden mir so auf die Nerven, dass ich einfach mit der Faust ausholte, um diesem Jaro eine zu verpassen. Wofür hatte ich sonst Jahre lang Kickboxen? Doch statt seinem Gesicht traf ich nur seine Handfläche. Der Typ hatte wirklich gute Reflexe, das musste man ihm lassen. War er nicht doch einer von unserer Organisation? B-Team vielleicht? Aber nein, einen Jaro kannte ich nicht.
Dann fiel mir der Groschen. Es mussten Spione einer gegnerischen Organisation sein, die sich mal in unserem Haus umgucken wollten. Aber die Frau konnte echt gut schauspielern. Das musste man ja in diesem Beruf auch. Ich selbst hatte sechs Jahre Schauspielunterricht bei unserem Privatlehrer. Ohne groß darüber nachzudenken schubste ich ihn mit Erdkraft raus. Jetzt konnte ich endlich die Tür schließen. Zwar setzte wieder das Sturmklingeln ein, doch ich war ganz bestimmt nicht nochmal so doof und öffnete. Nach circa zehn Minuten hörte es auf.
Und ich machte mir auch keine großen Gedanken mehr über diese komischen Leute. Die konnten mir doch sonstwo vorbeigehen! Stattdessen schaltete ich den Fehrnseher ein und wartete bis meine Nägel trockneten.
Die Nachrichten waren heute mal wieder besonders spannend: Wie jeden Tag erzählten sie von gefährlichen Organisationen und dass das FBI sie immer besser in den Griff bekäme. Hah! Dass ich nicht lachte! Von wegen in den Griff kriegen! Die Wahrheit war, dass das FBI immer häufiger scheiterte, aber mir war es recht so.
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Vier Stunden später kam mein Vater nach Hause. Ich hörte Stimmen im Flur. Zwei männliche, eine weibliche. Die eine erkannte ich sofort: eindeutig die meines Vaters. Aber die beiden anderen kamen mir auch nicht fremd vor. Ich hörte, wie mein Vater sich entschuldigte. Aber wofür? Mein Vater entschuldigte sich nie für etwas. Auch wenn er mal einen Fehler begann gab es immer jemand anderen, der offiziell schuldig war. Er musste sich nie von anderen etwas sagen lassen. Die anderen hatten Respekt vor ihm. Vor allem die Mitglieder unserer Organisation. Es war schließlich mein Vater, der sie gegründet hatte. Ich war damals noch nicht geboren, aber er hatte mir schon oft davon erzählt. Das FBI hatte damals seine Familie die er hatte, zerstört. Sonst hätte ich wahrscheinlich jetzt noch einen großen Bruder. Er wäre 23. Wie gesagt, er wäre. Ist er aber nicht. Das FBI hatte ihn damals bei einer Verfolgungsjagd mit einer Organisation überfahren, weil sie nicht genug aufgepasst hatten und rücksichtslos waren. Und dabei war er lediglich auf dem Weg zu seiner Grundschule. Damals war unsere Familie noch nicht in Verbrechen integriert gewesen.
Naja. Mein Vater war damals ziemlich sauer auf das FBI und hatte sich Rache geschworen. Er suchte sich also ein paar Leute aus der Umgebung und gründete selbst eine Organisation; die B.O. (Black Organization). Auch er gründete ein C-Team, ein B-Team und schließlich auch ein A-Team bei dem er selbst Leiter war. Das A-Team sind die besten. Dahin aufzusteigen ist schwer.
Mittlerweile habe ich seinen Posten übernommen und bin A-Team Chefin. Er ist jetzt der Big-Boss. Alle sind ihm unterlegen.
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Und jetzt entschuldigte er sich anscheinend. Komisch. Ich ging raus in den Flur, um zu gucken wer da war.
Doch ich konnte es nicht glauben, als ich sah, mit wem mein Vater da so unterwürfig sprach. Das war doch tatsächlich diese Frau mit diesem Jaro. Er bemerkte mich als erster und warf mir einen hasserfüllten Blick zu.
Dann erblickte mich auch mein Vater. Er kam sofort ziemlich böse auf mich zu.
„Vanessa!“, schrie er mich an. Ich verstand nicht gleich. „Was willst du?“, fragte ich deshalb. „Du hast Henryett und ihren Sohn Jaro 4 Stunden lang draußen stehen lassen?!“, fuhr er mich an. „Was? Du kennst die beiden?“, ich war eindeutig verwirrt und konnte nicht fassen, dass er sich aufregte, wenn ich fremde Penner nicht reinließ.
„Liebe Vanessa“, fing er etwas gereizt an: „Das ist Henryett, meine Verlobte und das ist ihr Sohn Jaro.“ Was? Nein. Er verarschte mich. Eindeutig. Ich guckte ihn nur genervt an. „Das ist nicht dein ernst.“, beschloss ich.
„Doch, das ist es. Ich wollte dir schon früher davon erzählen, hab es aber nie geschafft. Es hat sich halt nie der richtige Zeitpunkt ergeben.“, sagte er. „Wann hattest du es denn vor mir zu erzählen? Wie lange läuft das denn schon? Von wegen, nie den richtigen Zeitpunkt gefunden. Du hättest es mir schon längst erzählen können! - Und dann auch noch so eine.“, keifte ich ihn an.
Nun war es Jaro, der auf mich zukam. „Was hast du für ein Problem mit meiner Mutter, man?“, machte er mich blöd an. „Sie ist ein Freak!“, sagte ich.
„Vanessa!“ Das war mein Vater. Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt in der Hölle schmoren. Hmm, obwohl. Angenehme Vorstellung. Aber mein Vater würde mich eher in Eiswasser ertränken. Logisch, von Feuer sterbe ich ja auch nicht. Aber vielleicht dieser Jaro. Das wäre mir ganz recht. Und seine komische Mutter auch. Wir brauchten nicht noch eine Frau im Haus. Da reichte ich vollkommen. Auf einen Bruder konnte ich auch gut verzichten, schließlich war ich 16 Jahre ein glückliches Einzelkind gewesen. Nur mein Vater wollte das anscheinend nicht verstehen.
„Sie ziehen hier ein. Es ist beschlossene Sache.“ Wenn mein Vater das sagte, hieß es das auch. Da konnte ich machen, was ich wollte.
„Vanessa, bring Jaro bitte schonmal in sein Zimmer, damit er sein Gepäck los wird.“, befahl mein Vater. „In welches Zimmer denn?“, wollte ich wissen. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust diesen Jaro irgendwohin zu bringen.
„In das Zimmer links neben deinem Schlafzimmer.“, beschloss er. Das verwirrte mich etwas. Links neben meinem Schlafzimmer war doch noch mein Fehrnsehzimmer?! Oder war da noch ein Zimmer dazwischen? „Hää? Welches Zimmer?“ Nachfragen war doch sicherer. „Dein Fehrnsehzimmer.“, sagte mein Vater. Ich fasste es nicht. Der Typ bekam mein Fehrnsehzimmer? Als ob. Ich wollte widersprechen, aber mein Vater warnte mich mit einem strengen Blick. „Jaja, ist gut“, sagte ich deshalb nur: „Komm, Jaro, ich zeigs dir.“
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Wortlos gingen wir nebeneinander die Treppe hoch. Er schien ebenso wenig Lust auf mich zu haben wie ich auf ihn. Wenigstens in einer Sache waren wir uns einig. „So. Das ist das Zimmer.“, verkündete ich als wir den Raum betraten. „Boah, sind das hässliche Kissen. Du hast echt keinen Geschmack.“, meinte er. „Passt dann ja gut zu dir.“, entgegnete ich.
Noch ein Klingeln. Hoffentlich war das jetzt Fred. Der konnte mich von diesem ganzen Scheiß ablenken.
Ich ging an die Haustür und öffnete. Und vor mir stand Fred. Was für eine Erleichterung! Ich fiel ihm um den Hals und er gab mir einen Begrüßungskuss. Während wir hoch in mein Zimmer gingen erzählte ich ihm von unseren neuen Mitbewohnern. „Waas? Der Chef hat 'ne Frau?“ Fred klang ziemlich überrascht. Manchmal nervte es mich, dass alle meinen Vater Chef nannten, aber für sie war er es ja auch. Aber noch mehr nervte es mich, dass diese Vogelscheuche ihn Schatz nennen durfte.
„Ja und sie entspricht nicht gerade dem Schönheitsideal.“, meinte ich. Fred fing an zu lachen. „Die muss ich kennenlernen.“ Oh man. Ich ahnte es schon: das neue Gesprächsthema der B.O.
Wir lagen gerade zusammen auf meinem Bett, als Jaro reinkam. „Klopf an du Spast“, fuhr ich ihn an. „Oh. Sorry, ich wollte euch nicht bei euren Spielen stören“, entgegnete er ironisch. „Ich wollte dich nur fragen, ob du mir das Passwort für den Laptop sagst, der in meinem Zimmer steht?!“
„Nein, ganz bestimmt nicht. Das ist meiner.“, erwiderte ich gereizt und sprang vom Bett auf um ihn mir zu holen. Fred stöhnte. Er ahnte anscheinend schon, dass es nicht so einfach war mit diesem Typen unter einem Dach zu leben.
Als ich wieder in mein Zimmer kam stand Jaro immer noch an meinem Regal gelehnt und er beobachtete mich. Das spürte ich. „Bin ich Kino oder was?“, fragte ich ihn sarkastisch. „Nein. Es ist nur krass dass ich noch nie so gefleckte Beine gesehen habe. Das sieht echt scheiße aus. Ich würde an deiner Stelle keine Hotpans tragen.“, konterte er. Ich hatte vielleicht zwei oder drei blaue Flecken an den Beinen. Klar, das kam von den Aufträgen der B.O.
Fred sprang vom Bett auf und ging ziemlich sauer auf Jaro zu. „Was willst du du kleines Arschloch?!“, sagte er abfällig. „Lass Vanessa in Ruhe!“
„Ooh wie süß. Der große Freund beschützt seine kleine Freundin.“, sagte Jaro in dem selben Kleinkind-Ton wie ihn seine Mutter immer benutzte.
Fred war so gereizt, dass er einfach zuschlug. Er holte kräftig aus und verpasste Jaro einen kräftigen Schlag mitten auf die Fresse. Gut, dachte ich. Sehr gut. Das hatte er verdient. Jaro hielt sich die Nase und wollte Fred gerade zurückschlagen, aber er wich aus.
Jetzt sah ich dass die Nase blutete. Hmm, nicht gut. Wenn seine Mutter das sah. Scheiße. „Keine Sorge. Ich erwisch dich auch noch.“, sagte Jaro und stapfte ins Bad. Gut so.
„Das Arsch hatte es nicht anders verdient“, meinte Fred nur. Ich nickte. Er kam auf mich zu und schlang seine Arme beschützend um mich. Ich legte meinen Kopf in seine Brust und seufzte. „Meinst du die bleiben lange?“, fragte ich Fred. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Ach, wie süß er doch sein konnte. Gerade als wir uns küssten kam Jaro rein und unterbrach uns: „Es gibt essen. Hat dein Vater gerade gebrüllt.“, sagte er genervt.
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Er ging uns voraus die Treppe runter und wir setzten uns an den Tisch. „Was gibt es?“, wollte ich wissen. „Pfannkuchen“, sagte die Mutter von Jaro während sie den ersten Teller mit einem belud. „Na immerhin was leckeres.“, meinte Fred.
„Was geht heute abend noch so?“, fragte ich ihn. „Auftrag“, antwortete er mir in Gedanken so, dass die anderen es nicht hören konnten. Psychokraft. Das war auch ziemlich praktisch. Fred hatte, wie ich, vier Kräfte: Feuer, Erd, Psycho und Flammen. Feuer war besonders praktisch bei Aufträgen um die Gegner zu verbrennen. Ich konnte Feuer unter meine Gewalt bringen. Und mit Erdkraft konnte man sich unfühlbar machen und Erde lenken.Psycho war zur Gedankenübertragung, das heißt mit jemandem zu sprechen ohne dabei den Mund aufzumachen.
Klingt logisch. Ist logisch.
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„Wo?“, wollte ich von Fred wissen. „Im Louvre, irgendeine Statue von-“, wollte er anfangen, doch er wurde von Henryett unterbrochen. Klar, sie konnte uns ja auch nicht sprechen hören. „Und Vanessa, wie läuft die Schule?“, fragte sie. Ich hatte echt keinen Bock auf ein Gespräch mit der. Aber noch weniger Lust hatte ich darauf, mich von meinem Vater anschnauzen zu lassen. „Hab ich abgebrochen. Schon vor zwei Jahren.“, meinte ich. „Also wirklich. Die Jugend von heute! Zu meiner Zeit war Schule noch das Wichtigste.
Jaro hat auch abgebrochen.“, sagte sie.
„So sieht er auch aus.“, kommentierte Fred mit Psychokraft.
Ich schlang den Pfannkuchen förmlich runter und nahm mir auch nicht nach, obwohl ich Hunger hatte. Dieses Gespräch wollte ich einfach nicht weiterführen. „So, wir müssen weg.“, verkündete ich. „Wohin?“, fragte Henryett misstrauisch, doch in dem Moment knallte ich die Haustür schon zu.
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 ***Jaro***
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Meine Nase fing wieder an zu bluten. Scheiße! Woher konnte dieser Fred so hart zuschlagen? „Ich geh auf Klo.“, sagte ich zu meiner Mum. Ich ging am Fehrnseher vorbei und sah, dass die Nachrichten gerade liefen. Wieder lobten und preisten sie das FBI zum Himmel und berichteten, wie gut alles lief. Von wegen! Jeden Tag wurde es schlimmer. Und immer mehr Leute, vor allem die aus dem B-Team, verließen das FBI weil es ihnen zu gefährlich wurde. Ich konnte es ihnen nicht übel nehmen, auch ich hatte genug Nahtod-Erfahrungen gemacht. Vor allem Probleme machte uns die B.O. Aber auch die würden wir in den Griff bekommen!
Ich ging weiter bis ins Bad. Ein angenehmer Rosenduft kam mir entgegen. Zuerst dachte ich, dass da eins von diesen Duftssprays hing, doch als ich die Tür öffnete sah ich, dass ein riesiger Blumenstrauß neben dem Whirlpool stand. Meine Mutter würde jetzt wahrscheinlich vor Begeisterung umfallen, aber ich fand es einfach nur kitschig. Als ob die in einem Schloss leben würden oder so! Obwohl, wenn das Haus noch einen Turm hätte, wäre es wirklich ein Schloss.
Ich ging an eines der Waschbecken, welches so groß war wie früher meine Dusche. Als ich den Wasserhahn aufdrehen wollte, bemerkte ich, dass es nur heißes Wasser gab. Was für ein Freak lebt hier?
Ich öffnete also das Schränkchen neben dem Waschbecken, um nach einer kühleden Salbe zu suchen. Meine Nase tat schon verdammt weh. Doch statt einer kühlenden Salbe fand ich nur: Schminke, einen Epillierer, Parfums, Haarspray, Hautcremes, Nagellack, einen Föhn und Haargummies. Sah alles in allem ein bisschen aus wie in den Frauen-WGs bei denen ich manchmal zu Besuch war. Aber hier wohnte doch auch noch ein Mann?! Oder war der schwul? Nee, der war ja mit meiner Mutter verlobt. Hmm...
Doch als ich eine Fotocollage sah, wurde es mir klar: An der Wand hingen in einem riesigen, goldenen Bilderrahmen, mindestens 1000 Bilder von Vanessa und Fred, wie sie sich küssten. Vanessa und Fred vor dem Eifelturm, Vanessa und Fred auf der Golden Gate Brigde, Vanessa und Fred vor dem Bigben, Vanessa und Fred vor dem Kolosseum...
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Das hier war eindeutig Vanessas Badezimmer. Das würde auch die Fliesen in zartrose erklären.
Ich wendete mich wieder meiner blutenden Nase zu. Zum Glück hatte ich ja Eiskraft und konnte das heiße Wasser kalt machen. Ich wusste nicht genau, warum ich das tat, aber schließlich fror ich dann den ganzen Boiler ein. Selber schuld, wenn die Freaks auch nur warmes Wasser hatten.
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 Als es meiner Nase was besser ging, verließ ich Vanessas Badezimmer. Moment mal, warum war Vanessas Badezimmer eigentlich im Erdgeschoss? Ihr Zimmer war doch im ersten Stock. Vielleicht hatte Vanessa hier unten noch ein Zimmer? Ihr Vater hatte meine Mum und mich nur kurz durch das Haus geführt. Er hat uns noch nichtmal die Hälfte der Zimmer gezeigt und das hatte trotzdem schon eineinhalb Stunden gebraucht. Ein wenig von der Neugier gepackt öffnete ich einfach das Zimmer neben dem Bad. Das erste was ich bemerkte war: Hitze. Ich hasste es, wenn Leute ihre Heizungen überdehten. Schließlich hatte ich Eiskraft. Ich mochte zwar Kälte und könnte niemals erfrieren, aber Hitze war für mich das Letzte. Vanessa war aber so ein Typ, der die Heizung auch im Sommer auf Volltouren laufen ließ. Das war das Erste gewesen, was mir in ihrem Zimmer aufgefallen war.
Ich schaute mich um. Dieses Zimmer war sehr modern eingerichtet. Ein großer Plasmabildschirm hing gegenüber von einem schwarzen Ledersofa. Passend zum Sofa gab es fünf Barhocker neben einer Coktailbar, die meiner Meinung nach eher in eine Disco passte. Drei Lautsprecher einer verdammt großen Musikanlage waren an den Wänden verteilt. Das Zimmer war eindeutig zum Party machen qualifiziert. Ob Vanessa ein paar hübsche Freundinnen zu ein paar Coktails einlud? Vielleicht würde es hier doch nicht so schlecht werden. Ich schaute mich hinter der Bar um. Was Alkohol anging, schien Vanessa Geschmack zu haben. Wodka, Whisky, Sherry.. Es gab genug zum Komasaufen für 'ne ganze Fußballmanschaft. Ich öffnete einen Schrank unter der Bar. Ich fand weitere Flaschen, doch zu meiner Ãœberraschung und zu meinem Schrecken auch eine Pistole. Eine Pistole? Was machte die hier? Hatten die einen Waffenschein? Warum bewahrt wer seine Pistole zwischen Alkohol auf? „Jaro! Wo bleibst du?“, riss mich Johnathan aus den Gedanken. Er stand im Türrahmen. Schnell legte ich die Pistole wieder zurück in den Schrank und sprang auf. Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl und fragte ihn nicht zu der Waffe. Stattdessen log ich: „Ich hab die Orientierung verloren und bin hier gelandet.“
„Das ist ein Zimmer von Vanessa. Hier feiert sie öfters mit Freunden.“,erklärte er mir, während wir uns auf den Weg zum Esszimmer begaben. Wieso ist eine Waffe in Vanessas Zimmer? War sie ihre? Vielleicht gehört sie auch einfach nur Freunden. „Was ist eigentlich mit deiner Nase passiert?“, wollte Johnathan wissen. Shit! Sah man das so sehr? Scheiß Fred. Aber der kriegte von mir auch noch eine in die Fresse. „Fred hat mir eine reingehauen.“, antwortete ich knapp. Das gefiel dem Freund meiner Mum wohl nicht. Er runzelte verärgert die Stirn. Ob Fred wohl Ärger von ihm kriegen würde? Wäre mir nur Recht. „Wieso? Habt ihr euch gezofft?“, befragte er mich weiter. „Na ja, ich hab Vanessa zu den blauen Flecken an ihren Beinen gefragt und dann ist Fred irgendwie ausgerastet.“ War doch nur halb gelogen, oder? „Entschuldigung, ich werd mit ihm reden.“, meinte Johnathan zu mir und schien nicht gerade glücklich mit meiner Erklärung . Ich musste es mir verkneifen, aus Schadenfreude zu lachen. Hoffentlich würde Johnathan Fred so richtig anschreien. Vanessas Vater sah schon so aus, wie jemand von dem man keinen Ärger kriegen wollte. Irgendwie strahlte er so eine Autorität aus. Solche Menschen gab es nicht oft.
Als wir uns gerade an den Tisch zurückgesetzt hatten und ich mich an meinen dritten Nutellapfannkuchen machen wollte, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Ich stöhnte leise, so dass Johnathan verwundert zu mir guckte. Ein Anruf um diese Zeit hieß: Auftrag.
„Ich muss telefonieren.“, gab ich bescheid und rannte aus dem Zimmer. „Hallo.“, grüßte ich. „Hey, Jaro, wie geht’s, was machste so? Wie lebt es sich da in der Villa?“ Es war Alan an der anderen Leitung. Er kam nie schnell zum wesentlichen, daher ignorierte ich einfach seine Fragen: „Wo, wann, gegen wen ist der Auftrag?“
„Ach, Jaro, chill‘ mal. Woher willst du denn wissen, dass es um 'nen Auftrag geht?“, meinte er nur zurück. „Al!“, ermahnte ich ihn. „Ja, ja, schon gut. Zwölf Uhr im Louvre; gegen die B.O.“, erklärte er mir endlich.
„Aber nächste Woche gehn wir im BeachClub ein paar Mädels aufreißen, ja Jaro?“ „Geht klar.“, gab ich zurück und bekam gleich gute Laune beim Gedanken auf die darauf folgende Woche. „Um zehn Uhr ist die Vorbesprechung, bis dann.“, beschloss ich und legte auf. Die Aufträge gegen die B.O. waren die schlimmsten, aber Gegner konnte man sich eben nicht aussuchen.
„Mum, Jonathan, ich muss arbeiten gehn, esst ohne mich weiter!“, rief ich ins andere Zimmer, ich musste mich beeilen, ich war spät dran. „Aber Jaro, Schätzchen, was ist mit deinem Pfannekuchen?“ Doch zur Antwort hörte sie nur wieder, wie die Haustür ins Schloss fiel.
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