Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, vermischte sich mit dem staubigen Überzug der Haut zu kleinen schmutzigen Flüssen die sich, wie nach starkem Regen, talwärts schlängelten, flossen über die Nasenwurzel, verursachten ein brennen in den Augen und fielen schließlich über die Nasenspitze, wie riesige Regentropen aus dem dunklen Himmel, zu Boden.
Der Atem ging schwer und die Lungen hatten mühe Muskeln und Zellen seines übergewichtigen Leibes mit dem notwendigen Sauerstoff zu versorgen.
Er hätte niemals geglaubt dass der Aufstieg zum Turm eine solche Belastung werden würde.
Die Helden seiner Phantasie, aus den Büchern und Comics, mit denen er nun schon seit einigen Jahren Tag um Tag seine Zeit verbrachte, kannten solche Schwächen nicht.
Weder schwitzten noch schnauften Sie,jedes noch so große Hindernis wurde von Ihnen mühelos überwunden und am Ende siegte immer das Gute über böses oder schlechtes in der Welt.
Und wie sehr wünschte er es sich zu sein wie Sie, die Menschheit, den Planeten oder wenigsten einmal die Katze des Nachbarn zu retten.
Doch er befand sich nicht in Gotham oder Metropolis, sonder hier auf den kalten, steinernen Treppen des Turmes und wartete darauf wieder zu Kräften zu kommen um seinen Weg nach oben fortzusetzen.
Seit langem waren ihm die Schultern schwer und er ging gebeugt, wie ein Kohlenträger der seine schwaze Last in die Keller der Menschen brachte.
Trotz seines erst 15 Jahre zählenden Lebens hatte er immer öfter das Gefühl schon genug getragen und erduldet zu haben.
Er war sicher das im großen Buch des Schicksals seine Geschichte falsch geschrieben stand, es war für ihn die falsche Zeit, das falsche Leben, vielleicht auch der falsche Stern unter dem er geboren wurde.
Demütigungen, Hänselein und Mißachtung begleiteten ihn seit langem,so wie damals im Winter vor gut 2 Jahren : Die grölende Meute laut schreiender Kinder tanzte um ihn herum, warf mit pappigem Schnee und schlimmer noch häßlichen Schmährufen nach ihm, drängten sich herüber von der Rodelbahn und schlossen einen Kreis des Hasses um ihn.
Mit dem Rücken an eine alte Buche gelehnt stand er da, wie festgenagelt am Holz, unfähig auch nur einer einzigen Bewegung, Raum und Zeit vergessend, dazu verdammt alles zu erdulden.
Sein Geist wollte sich befreien,fort aus diesem Körper, hinein in jene Traumwelt in der er sicher, mutig und heldenhaft sein konnte und war doch gefangen im hier und jetzt.
Und wenn seine beiden älteren Schwestern nicht gekommen wären, die Kinder verstrickend in eine einfache Schneballschlacht, das Rudel fort lockend von der Beute, wer weiß wie lange er gestanden hätte ?
Erst jetzt war er wieder einer Bewegung fähig,konnte fort, die Tränen versteckend, gerettet von Mädchen : Welch ein Held !
Der Puls hatte sich beruhigt der Atem ging wieder gleichmäßig und er konnte seinen Weg fortsetzen, hinauf die steile Treppe zur Spitze des Turmes.
Und er dachte an Sonja, diesem einen Engel gleichenden Wesen mit lockigem blonden Haar, deren Seele und Charakter jedoch finster waren wie eine Mondlose Nacht,die ihn heute wieder einmal vor versammelter Klasse zu Ihrem Opfer machte und sich amüsierte auf seine Kosten, ihn erniedrigte um sich selbst zu erheben.
Angekommen: Das Ziel erreicht, die kleine Kammer am Ende der steinernen Stufen.
Entschlossen, nicht zaudernd trat er nach vorne an die hölzerne Brüstung, blickte hinaus über das Dorf zur Sonne, dem blauen Himmel eines herrlichen Sommertages.
Mit kurzem Schwung sich hinaufziehend auf den schmalen Balken, welche sechseckig geformt den Glockenraum umgaben, war er zum ersten mal selbstbewußt, mutig und voller Vertrauen in sein Handeln.
Die Arme ausbreitend wie ein mächtiger Adler seine Schwingen, bevor er sich majestätisch in die Lüfte erhebt,stieß er sich ab, flog der Sonne entgegen und befreite sich wie Ikarus aus der Gefangenschaft seiner irdischen Existenz.
Mit einem mal fielen alle Ängste und Sorgen von ihm ab, wurden winzig und unbedeutend verschwanden unter der Eleganz seines Fluges als hätten Sie niemals existiert.
Ein Gefühl nie gekannter Zufriedenheit durchdrang jede einzelne Faser seines Körpers und ließ das Blut in seinen Adern pulsieren wie Ströme unsagbaren Glückes.
Er war frei !
Die beiden Männer, die denn zerschmetterten Leichnam am Abend im Kirchhof direkt unter dem Glockenturm fanden, waren entsetzt und erstaunt zu gleich.
Das Gesicht des Jungen zeigte praktisch keine Verletzungen sondern einen Ausdruck absoluter Geborgenheit, gerade so wie bei einem Menschen der angekommen ist am Ziel seiner Wünsche und die Lippen waren geformt zu einem Lächeln.