Beschreibung
Heute geht es Nina wieder gut, aber damals hatte sie keine Kraft mehr.
Es geschah vor 8 Jahren.
Nina lebt
Nina ist heute 24 Jahre, verheiratet und Mutter einer 7 Monate alten Tochter. Ihr geht es gut, aber die Vergangenheit hat Spuren auf ewig hinterlassen.
Nina war gerade 16, hatte einen Freund ganz still und heimlich. Sie hat es uns erst viel viel später erzählt. Sie fand sich wie viele Mädchen in ihrem Alter zu dick und wollte nur ein wenig abnehmen. Ihr Freund fand sie toll, wir fanden sie toll. Sie war groß, hübsch und für jeden Spaß offen. Doch das änderte sich alles plötzlich.
Ich wohnte damals in einer anderen Stadt, war von meinem Mann geschieden und hatte inzwischen 2 weitere kleine Kinder und lebte mit meinen beiden Jungs alleine. Nina wohnte zu diesem Zeitpunkt bei der Oma, hatte ihr eigenes Zimmer. Der Vater wohnte im selben Mietshaus und so auch die Geschwister von Nina. Sie verstanden sich alle prima, und auch ich kam oft zu Besuch. Wahrscheinlich bemerkte ich deshalb, das sich Nina so sehr veränderte.
Zuerst nahm sie kleine Portionen zu sich und erste Erfolge ließen sich erkennen. Dann ließ sie einige Mahlzeiten weg mit den Begründungen,"ich habe schon gegessen, oder ich esse später." Zu jener Zeit habe ich ihr ihre Antworten geglaubt. Mir fiel zwar auf, das sie oft weite Kleidung trug. Ich habe sie natürlich darauf angesprochen. Denn so ein hübsches Mädchen, dazu gehörten einfach enge Jeans. Nina fand auch dafür eine Begründung, "mir ist kalt und so kann ich noch etwas darunter ziehen." Auch das war für mich nachvollziehbar.
Und so vergingen Monate. Dann besuchte mich Nina. Sie war bekleidet mit einer kurzen Hose und einem Top. Ich traute meinen Augen nicht. Sie war so dünn, so blass, so durchsichtig. Da begriff ich von einer Minute auf die andere, das ich viel zu lange gewartet hatte. Ich musste etwas unternehmen. Ein Arztbesuch folgte dem nächsten. Nina ließ alles mit sich geschehen, jede Untersuchung, jedes Gespräch. Die Diagnose war erschütternd. Magersucht im fortgeschrittenem Stadium. Ein Psychologe wurde ihr zur Seite gestellt. Ich fing an, um mein Kind zu kämpfen.
Die erste Einweisung in die Klinik für 6 Wochen brachten ihr 2 Kilo. Sie litt unter dem Essen, unter der Therapie.
Dann hatte ich eine Idee. In dem Mietshaus, in dem Nina wohnte, war eine Wohnung frei. Ich sprach mit Nina. "Ich nehme diese Wohnung und du ziehst zu mir." Es hat lange gedauert, eh sie sich dazu entschied. Inzwischen war Nina 18 geworden und konnte nun über ihre Therapien selbst entscheiden. Jetzt fingen die Schwierigkeiten erst an. Sie ging mir aus dem Weg, sie blieb fern bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Die zwei Kilo waren ganz schnell wieder verloren.
Ich kam mir so hilflos vor, es musste etwas geschehen, aber was.
Und dann ging alles ganz schnell. Ein Anruf aus der Schule lößte alles aus. "Ihre Tochter wollte Tabletten nehmen, eine Mitschülerin hatte es bemerkt." Mir stockte der Atem und ich handelte. Mein Weg führte mich zum Vormundschaftsgericht. Ich schilderte die Situation, meine Angst und meine Hilflosigkeit. Vielleicht übertrieb ich auch ein wenig. Doch für mich, für mein Kind gab es nur diesen Weg.
Sie kamen sofort, schauten sich Nina an und noch in der selben Stunde stimmten sie meinem Antrag zu. Nina verlor ihre Indentität, sie wurde entmündigt. Damals hatte ich schon ein schlechtes Gewissen. Doch heute weis ich, ohne mein Handeln, gäbe es Nina nicht mehr. Ich hatte also das Sagen über sie. Und so ließ ich sie zwangseinweisen in die Klinik. Sie wehrte sich, weinte, schrie, klammerte sich an alles, was sie zu Hause fand. Vielleicht hat mich Nina an diesem Tag gehasst. Aber ich kannte keine Erbarmen. Denn ich wusste, wenn ich jetzt nachgebe, war alles umsonst.
Am nächsten Tag fuhren wir dann mit ihr in die Klinik zur "Kopfwäsche" , wie die Ärzte es nannten, für 3 Wochen. Es waren wohl die schlimmsten Wochen ihres Lebens, aber auch die erfolgreichsten. Es ging bergauf. Zwar nahm sie nicht gleich zu, aber sie begriff in ihrem Kopf, was in den letzten Jahren geschehen war. Sie begriff, warum die Therapie so notwendig ist. und sie begriff, das sie doch eigentlich leben wollte.
Diese 3 Wochen haben alles verändert. Sie aß zwar wenig, aber regelmäßig. Über die folgenden Monate nahm sie 20 Kilo zu. Sie hatte wieder Lebensmut. Sie war fast so wie früher. Natürlich gab es immer wieder Tage, an denen sie sich zurück zog, an denen sie sehr deprimiert war. Durch lange Gespräche und gemeinsame Unternehmungen waren die negativen Gedanken schnell verflogen.
Inzwischen hatte sie auch ihre Indentität wieder. Sie lernte einen jungen Mann kennen aus dem Ort. Geheiratet haben die zwei schon 4 Wochen später. Nina zog mit ihrem Mann in dem selben Mietshaus eine Etage tiefer. Ein Jahr später zogen sie dann in ein anderes Dorf. Zu diesem Zeitpunkt trug sie schon ein Kind unter ihrem Herzen. Sie war rundum glücklich.
Ihre Ehe ist nicht immer einfach, aber sie hat gelernt, an ihrem Selbstbewußtsein zu arbeiten.
Im August diesen Jahres wird sie ein zweites Mal Mutter. Und ich weis, ich würde immer wieder so handeln.
Nina weis, das ich immer ein Auge auf sie haben werde.
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