Joa, das ist mal n bisschen länger, aber wer sich durchkämpfen mag - du seist willkommen :)
Man kämpft sich durch die Flut unliebsamer Begebenheiten nur um schlussendlich vor einem riesigen Trümmerhaufen seiner eigenen Existenz zu stehen. Welcome to the real world.
Ich hatte meinen Job verloren, da mein Chef eines Tages mein Faible für Koks und Promiskuität entdeckt hatte. Kurz darauf hat mein Freund mich verlassen, der dummerweise ziemlich gut mit meinem Chef befreundet war. Das Leben kann ganz schön zynisch sein, das kleine Miststück.
Nun saß ich also hier in meiner leergeräumten Wohnung (er hatte den Großteil der Einrichtung finanziert), auf einer Matratze und schrieb im Kerzenschein. Ziemlich künstlerisch, wenn ihr mich fragt, aber ehrlich gesagt hätte ich darauf verzichten können. Was passiert war? Also das ist eine lange Geschichte.
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Bevor ich von den grausamen Armen der Pubertät gefangen genommen wurde, hatte ich eigentlich ein ziemlich gutes Leben. Ich hatte allerlei erfundene Freunde, mit denen ich üblicherweise im Garten spielte. Ausnahme war eine Basketball spielende Känguru Mannschaft, die dazu neigte mich überall hin zu begleiten. Fahrradfahren am Fluss – die Kängurus waren dabei. Mittagessen bei meinen Großeltern – die Kängurus waren zur Stelle. Man kann durchaus sagen, ich war ein verspieltes Kind. Dennoch habe ich irgendwie das Gefühl, meine Kindheit nicht vollständig ausgelebt zu haben. Räumte ich mein Kinderzimmer voll mit Legobauten, konnte es passieren, dass meine Mutter in ihrer Bösartigkeit bzw. in ihrem Suff einen Tisch (einen Tisch voller Lego Kunstwerken!!) umkippte und mich unter Hartplastikspielzeug begrub. Dieses Ereignis war so dramatisch für mich, dass ich es sogar in meinem damaligen Tagebuch eingetragen lesen kann. Meine Mutter neigte dazu ziemlich jähzornig zu sein, sobald sie getrunken hatte. Wenn mein  mal wieder Bruder nicht aufgeräumt hatte, konnte es passieren, dass sie seine gesamte Ãœberraschungsei-Ãœberraschungen Sammlung aus dem Fenster warf, wo er die Ãœberbleibsel später teilweise auch aus dem Teich klauben musste. Ging ihr das Geräusch eines Spielzeugkükens auf die Nerven, riss sie es einem aus der Hand und warf es auf den Boden, wo es mit kläglichem Piepen den Geist aufgab. Aber so war das nun. Außerdem hatte ich meine eigene Fantasie-Familie im Garten, also machte ich mir nicht allzu viele Gedanken darüber, ob und wie es besser sein hätte können. Geredet wurde bei uns auch nicht wirklich. Passierte etwas Schreckliches, wurde darüber Geschwiegen oder nur oberflächlich gesprochen. Das war auch okay, ich hatte andere Menschen gefunden, mit denen ich reden konnte. Hätte ich einen Prototyp der „Himmlischen Familie“ daheim gehabt, wäre ich bestimmt umso schneller ausgetickt. Ich war oft bei einer Freundin zu Hause, bei der das Familienleben irgendwie... netter aussah. Wie auch immer, ein wichtiger Faktor meiner Kindheit war bestimmt meine Schwester. Ich schlief oft bei ihr im Bett, davor aber musste ich aus irgendwelchen Gründen die Konturen meines Körpers im Bett schlafend aus Stofftieren nachbilden. Vieles was damals geschah, hatte ich umso schneller wieder verdrängt. Für mich war meine Schwester meine Familie. Beinahe 8 Jahre älter als ich, entwickelte sie wohl eine Art Mutter Rolle für mich. Sie las mir aus dem kommunistischen Manifest vor und zeigte mir Bilder von zahnkranken Menschen aus der dritten Welt, um mir das Zähneputzen einzudrillen. Und ihre beste Eigenschaft: Sie konnte herrlich schauspielern! Wir hatten eine Reihe an einstudierten Spielen, wobei ich immer dieselbe Rolle hatte - und sie tausende. Eines davon war „Babyhund“, dabei spielte ich, wer hätte das gedacht, einen kleinen Babyhund und sie war die böse Tante aus dem Tierheim, die mich ganz mies behandelt bis eines Tages das nette Mädchen, ebenfalls sie, kommt und mich adoptiert. Die Handlung war ziemlich jedes mal dieselbe und dennoch hatte es uns beiden immer wieder Spaß bereitet. Das zweite Spiel war um einiges ausgeklügelter. Ich musste nur auf einen Gegenstand zeigen und behaupten, die Welt würde so etwas nicht brauchen und schon fing das Spiel an: Ich setzte mich vor ihre Tür, hielt mir die Ohren zu und zählte bis 20. Dann öffnete ich ihre Zimmertür und schon präsentierte sie mir die Welt ohne wasauchimmer und zeigte mir damit, wie schrecklich das wäre. Das funktionierte bei allem, sie war verdammt gut dabei. Ein anderes Spiel hieß „Nimmerland“, natürlich in Anlehnung an unseren heißgeliebten Peter Pan. Dabei konnte ich in ihrem Kleiderschrank durch die Welt reisen. Eine von diesen Welten war unsere Wohnung in einem Paralleluniversum, wobei alle Bewohner durch Aliens ersetzt waren. Eines Tages würden sie in ihr Raumschiff zurückkehren und uns verlassen. Das war in etwas gleichgesetzt mit dem Tag, an dem ich aufhören würde, an so etwas zu glauben. Ein trauriger Tag. Ich verlor meine Kindheit, meine Schwester zog weg, ich begann mein eigenes Leben aufzubauen.
Darin spielte Musik immer eine wichtige Rolle, sie kam immer wieder vor an schicksalshaften Momenten. Wenn es mir mal wieder richtig abgefuckt dreckig ging, dann konnte sie dieses Gefühl herrlich untermalen. Ich war schon immer ein Junkie, es hat sich nur die Droge verändert.
Ohja, Musik. So ein wundervolles Produkt der Menschheit! Ich könnte Lobeshymnen darauf schreiben, wenn ich es.. nun ja könnte! So gesehen, kann ich also nur darüber schreiben, was ich gern tun würde, aber zu verwicklichen ich nicht in der Lage bin. Daumen hoch! In der Literatur, wie in der Musik ist Sprache das entscheidende Werkzeug. In Kombination mit den richtigen Noten kann Musik uns zum Lachen oder zum Weinen bringen. Und das zeugt von sehr großer Macht! Aber mal ehrlich: sollte noch einmal jemand auf die Idee kommen, bei einem Begräbnis „Tears in Heaven“ zu spielen, schneid ich ihm eigenhändig die Eier ab. Das sollte dann in etwa dasselbe Gefühl in ihm wecken, wie damals bei mir, als ich dieses gottverdammte Lied ertragen musste und mir dabei die Seele aus dem Leib geheult hatte.
Meine gesamte Jugend war geprägt von diesem himmlischen Produkt, dieser ästhetischen Kunst. Ja, so wie jeder Scheiß, der Spaß macht, ist auch Musikgeschmack subjektiv, aber manche Lieder MÃœSSEN einfach jedem gefallen. Ich erinnere nur an „Somewhere over the rainbow“. Wer dabei nicht mindestens „Staub ins Auge bekommt“ oder ähnliches, der hat kein Herz. Ich erinnerte mich gerne zurück an Abende mit Freunden, bei denen wir betrunken gemeinsam gegrölt haben, vereint in gemeinsamer Liebe – der Liebe zur Musik. Und auch ein bisschen zueinander, natürlich. Als dann nach meiner lang andauernden Nirvana und Grunge Phase die Electronic Phase kam, waren nicht alle so überglücklich darüber. Ich neigte dazu Goa auf höchster Lautstärke aufzudrehen und meiner Kusine damit den Morgen zu versüßen. Öhm, sie erinnert sich jedenfalls lachend daran. Nachdem wir Jahr für Jahr gemeinsam auf Urlaub fuhren, durfte sie jede meiner seltsamen Phasen hautnah miterleben, vermutlich mehr, als sonst jemand. Und das einzige Mal, das sie mich annähernd zu ermorden versuchte, war damals, als wir vergaßen den Heizkörper auszuschalten und nachts kurz vor dem Zerfließen zu uns kamen. Ich gebe allerdings nicht ihr die Schuld, wenngleich es eine amüsante Art zu sterben gewesen wäre. Das Mädchen, das ständig friert, stirbt an Hitze! Alleine das wäre es wert gewesen, einen Film über mich zu drehen. Der Soundtrack in diesem Stück würde natürlich auch eine riesige Rolle zugeteilt bekommen, den müsste aber unbedingt ich aussuchen. Vielleicht in Cooperation mit meiner lieben Freundin die einen exquisiten Geschmack in der Hinsicht hat. Ihre bevorzugte Musikrichtung ist Metal und das zieht sie konsequent durch, ungefähr vom Moment ihrer Geburt an. Manchmal überlege ich mir, ob sie vielleicht schwarze Muttermilch getrunken hat und „Nothing Else Matters“ in ihrer Spieluhr lief. Aber das sind nur solche Gedanken, die auf der Liste „Bescheuerte Gedanken, die ich nienienie aussprechen werde“ ganz unten stehen.
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Musik war es auch, die mich schlussendlich in den Wahnsinn trieb. Ich erlitt immer öfter an Anfällen, bei denen mein Puls zu rasen begann und meine Hände taub wurden. Manchmal saß ich dabei in der Straßenbahn und hatte das Gefühl, augenblicklich ohnmächtig zu werden. Als ich meinem Arzt davon erzählte, meinte er, dass in meinem Ohr etwas kaputt sei und dadurch mein Gleichgewichtsinn gestört werde. Ich dürfe nicht mehr mit Kopfhörern Musik hören. Damit begann die Kurve, die eben noch steil bergauf ging, schlagartig zu sinken.
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Anhand meiner darauf folgenden Erfahrungen, kann ich eines mit Sicherheit sagen:Â Selbstmord ist nicht einmal so einfach!
Es ist nicht ratsam, sich am Türgriff eines Kastens aufzuhängen. Dein Körpergewicht in Kombination mit der Erdanziehungskraft neigt dazu, Dinge einfach mit dir zu Boden zu reißen. Nichts ist schlimmer, als täglich an deinen misslungenen Selbstmordversuch erinnert zu werden, sogar schon frühmorgens, wenn du den Kasten öffnest um dich anzukleiden.
Die Variante Tablettenüberdosis solle nur dann gewählt werden, wenn man sich tatsächlich sicher ist, auch genügend Tabletten zur Verfügung zu haben. Alles andere lässt einen nur verrückt aussehen und führt dann dazu, dass man vielleicht irgendwann eine SMS seiner Mutter empfängt, in der sie ihre „Schlampe von Tochter bittet, künftig nicht mehr in die Wohnung zu kotzen“. Nur eine der Nebenwirkung von nicht genügend, aber doch zu vielen Tabletten. Eine weitere wäre, dass du dich wie ein Geisteskranker fühlst, nur mehr in Zeitlupe denken kannst und dich plötzlich mit erhobenem Zeigefinger vor dem Fernseher wiederfindest, und du dich absolut nicht mehr erinnern kannst, wie du dort hingekommen warst. Danach gibt es nur noch einen Weg, dich aus dieser Affäre zu ziehen: dich in dein Zimmer zurückzuziehen. Und in Ruhe zu sterben.
Die nächste Variante: von einem hohen Berg springen. Ich nützte bei dieser Gelegenheit gleich die Möglichkeit, etwas von der Welt zu sehen, bevor ich mich verpisse und kaufte mir ein Zugticket. Ich fuhr zwei einhalb Stunden in eine nette Kleinstadt, in der es einen berühmt-berüchtigten Selbstmörder Berg gab. Perfekt, ich konnte während dem Springen noch ein paar Japanern winken. Eine herrliche Idee. Wenn es da nicht ein Problem gäbe: Das Springen. Zuerst wusste ich nicht genau, welche Stelle die beste wäre. Dann wimmelte es nur so von Touristen. Aber egal, nachdem ich eine Stelle fand, an der es ein wenig ruhiger war, kletterte ich über die Absperrung und setzte mich in den schmalen Streifen Wiese dahinter. Dann kamen die üblichen Ãœberlegungen: War es hoch genug? Was, wenn ich überlebte? Würden sie meine Leiche in so einem coolen schwarzen Auto nach Hause bringen? Während ich mir diese Gedanken machte, rauchte ich Mentholzigaretten und schaltete mein Handy aus. Mich würde ohnehin niemand vermissen. Okay, du schaffst das, spring einfach, du wirst schon sehen, was passiert. Tief einatmen. Okay, ich kann das nicht. Ich probierte, ob es vielleicht möglich war, durch Tollpatschigkeit zu sterben. Ich hakte meine Fersen in die Wiese und ließ mich kopfüber hinunter fallen. Wenn ich jetzt abrutschen würde... Aber das tat ich nicht. Ich hatte eine scheißverdammte Angst. Soviel, dass ich ganz vorsichtig wieder raufkletterte. Dann rauchte ich noch eine Zigarette und heulte ein bisschen. In den Augenwinkeln sah ich ein altes Paar vorbeigehen. Nordic Walker, oder Wanderer, was weiß ich, was halt so in der Pension beliebt ist. Plötzlich merkte ich, dass der Mann mich ansah und zurückkam. „Du..du hast doch nicht vor, etwas Blödes zu tun? Oder? Weißt du, es wäre schade um dich. Okay?“ Ich nickte nur und wusste bereits, heute war kein guter Tag zum Sterben. Ich wartete bis das Paar verschwunden war und kletterte wieder zurück. Als ich heimfuhr, rief mich meine Mutter an, um mir zu erzählen, dass die Klassenfotos geschickt wurden. Super. Daheim öffnete ich die Tür und bekam zeitgleich einen Heulkrampf. Das war das erste und einzige Mal, dass meine Mutter etwas von „Thearpie oder so“ murmelte und tatsächlich so wirkte, als würde sie sich Sorgen machen. Ich war doch nicht verrückt?!
Schlussendlich gibt es dann noch das Pulsadernaufschneiden. Aber das ist wohl die bescheuertste Idee und noch dazu erzeugt das hässliche Narben an unpraktischen Stellen. Es tut weh und macht Dreck und zwingt dich, in langärmeligen Sachen zu turnen. Eine ziemliche Scheiße also, denn wenn dich die Turnlehrerin fragt, warum zur Hölle du nicht wie jeder normale Mensch ein richtiges Turngewand anhast, musst du behaupten, dir sei immer kalt dabei. Und dann zwingt sie dich, extra viel Scheiß zu machen, damit dir ja warm wird. Ich habe Turnen immer gehasst, nicht weil ich fett war, sondern weil ich Angst hatte entlarvt zu werden. Vermutlich hat aber ohnehin jeder Bescheid gewusst, keine Ahnung, wie klug die Leute in meiner Klasse so waren. Bzw. unsere Lehrer. Ein einziges Mal hat mich die Schulärztin danach gefragt, ob es mir denn gut ginge. Das war in der Maturaklasse, wo es mir – ohja – schon wieder gutginge.
Der Schmerz des Verlusts war hinter die Panik zu versagen gerückt, zumindest in diesem Augenblick.
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Ich überlebte also. Wie toll, weiter Jahre auf dieser prachtvollen Erde waren also vorprogrammiert.
So kam es, wie es kamen musste. Ich glaubte erwachsen zu werden, begann mit Türen zu schlagen und setzte meine Freunde über alles andere. Klingt schrecklich oder? In Anbetracht, dass sich andere piercten und Heroin nahmen, war meine Jugend ziemlich harmlos. Okay, ich hatte vielleicht das ein oder andere psychische Problem, das nach dem Selbstmord eines Freundes ausartete, aber keiner kann mir weismachen, dass es Jugendliche leicht hätten. Oh nein, schon gar nicht in so einem versifften Kaff wie das, in dem ich aufwuchs. Da war es ein Wunder, dass ich tagsüber nicht vollgedröhnt in irgendeinem Park verrottete. Ehrlich gesagt – die Vorstellung davon war ziemlich cool in meinen Augen. Und ich bin ihr mit der Zeit auch immer näher gekommen. Angefangen hat auch alles ganz harmlos.
Ich kaufte meine erste Pink Floyd CD und mit eröffnete sich eine neue Welt, ein neues Kapitel. Ich investierte den Großteil meines Taschengelds in CD´s längst vergangener Zeiten, Musik, die meine Eltern noch aus ihrer Jugend kannten, Bands, die entweder bereits durch Drogen verwest oder durch die Vergänglichkeit der Kunst vom Winde verweht waren, toter als tot, bei den meisten Leuten meiner Generation schlichtweg unbekannt. Den anderen Teil meines Taschengelds bekam der nette Musikinstrumente Verkäufer, der vor einigen Jahren leider zusperren musste. Tja, wenn jeder Idiot in diesem Kaff seine Gitarre hatte, die er wollte, gabs nicht mehr viel zu holen. Mit Eintritt in die neue Schule begann auch der Eintritt in eine neue Ära: Ich lernte neue Freunde kennen und rauchte meine erste Zigarette! Es war eine rote Gauloises. Damals konnte ich noch nicht einmal den Namen aussprechen, aber rauchen, oh ja, das konnte ich. Zu dieser Zeit war es aber auch viel zu einfach an Zigaretten zu kommen. Die Automaten hatten noch nicht diese Sperre drinnen, wo du nur durch deine Bankomatkarte Zigaretten kaufen konntest und mit einem gefälschten Schülerausweis stand dir die Welt offen. Ich könnte mich nicht erinnern, in meiner prä-16 Zeit jemals keine Zigaretten bekommen zu haben! An einem legendären Abend, wir waren ungefähr 12 oder 13 Jahre alt, habe ich ein paar Freundinnen zu mir eingeladen und wir sind abends durch die leeren Gassen der Stadt geschlendert und haben versucht, soviele Zigaretten wie möglich zu schnorren. Damals haben wir noch nicht einmal regelmäßig geraucht, es ging uns nur um das Spiel, um die Spannung. Und tatsächlich: Beinahe ein Päckchen voll sammelten wir in dieser Nacht. Wenn ich heute so herumschaue und die eindeutig minderjährigen Raucher betrachte, frage ich mich, was zum Teufel sich die Leute nur gedacht haben, UNS Zigaretten zu geben. Ich würde nie im Leben einem dieser Kinder etwas zu rauchen geben! Und das nicht nur aus Sorge, hauptsächlich weil ich es lächerlich finde. Mit 13 Jahren habe ich übrigens auch das erste Mal Gras geraucht! Unheimlich cool, nicht wahr! Kurt Cobain tat das genauso, es konnte also nur cool sein. Drogen generell waren mir völlig fremd, ich hatte keinerlei Bezug dazu, außer dass einem die Erwachsenen permanent davor warnten und erzählten, dass man davon sterben würde, nachdem man sich und seinen gesamten Besitz dafür verkauft hatte. Manche sind nach der Lektüre von „Christiane F.“ erschüttert, ich war inspiriert. Das wollte ich sein – eine dieser kaputten Gestalten im U-Bahnschacht. Und ich arbeitete dafür. Außer zu kiffen begann ich auch Alkohol zu trinken. Meinen ersten richtigen Rausch hatte ich mit 14, am Ende der vierten Klasse. Meine Freundin, ich und eine Flasche Tequila. Klingt nach einem guten Filmtitel nicht? Es kam, wie es kamen musste und ich war gegen Mittag sowas von hackedicht, ich glaube, das hab ich nur selten seitdem wieder geschafft. Jahr für Jahr am letzten Schultag war es üblich, sich in einem gigantischen Besäufnis im Statdpark die Birne vollzuschütten. Man kannte beinahe jeden und jeder, den man sah, war mindestens genauso voll wie man selbst. Herrlich. Ich wusste nicht mehr viel von diesem Tag, außer dass ich gegen 4 Uhr Nachmittag kotzend und wankend nach Hause gebracht wurde, wo ich gegen meinen Kleiderschrank fiel und am Boden einschlief. Zuvor hatte ich noch aus irgendeinem Grund meine Tasche im Garten ausgeräumt und die Tequila Flasche mitten am Kiesweg drapiert. Meine Eltern merkten natürlich, dass ich sturzbesoffen war und am nächsten Tag machte sich meine gesamte Familie lustig darüber. Der Tequila landete im Müll und meine schmerzende Kehle erinnerte mich noch den ganzen Tag über daran, dass dieses Getränk das Getränk des Teufels sein musste. Das tut es übrigens heute noch, nur widerwillig schütte ich dieses Gebräu in meinen Rachen. Und nicht selten würgend. Was man nicht tut, um betäubt zu sein. In den nächsten Jahren war ich beschäftigt mit Kapitel 4, bis ich schließlich wieder von den Toten (haha) erwachte und mich ins Nachtleben stürzte. Ich hatte natürlich einige Freunde, küsste mich durchs Nachtleben meiner Kleinstadt und ließ mich von einem abgerissenen Typen entjungfern. Ganz schön cool, nicht? Als ich kurz darauf mit seinem Penis in der Hand unter einer Brücke saß, wusste ich, ich war nicht weit davon entfernt, bald bewusstlos in Parks zu hängen. Aber es gefiel mir, es hatte etwas Künstlerische, Verrücktes. Ich brach schließlich den Kontakt zu ihm ab. Danach folgte eine weitere verrückte Beziehung zu dem Menschen, bei dem mir erst viel zu spät bewusst wurde, wie viel er mir bedeutete. Im Nachhinein ziemlicher Wahnsinn, in so jungen Jahren seinen Seelenverwandten kennenzulernen und ihn einfach gehen zu lassen. Aber mein Herz und mein Hirn waren nicht immer, so gut wie nie, bei klarem Verstand, wie ich es eigentlich gerne gerne gehabt hätte. Es folgte eine weitere Beziehung, die von Vornherein zum Scheitern verurteilt war. Danach hatte ich meine erste richtige Beziehung. Sie dauerte ein Jahr und hatte ihre Höhepunkte darin, dass wir uns mit jeglichen synthetischen Betäubungsmitteln vollschaufelten, die es am Markt so gab. Meine erste richtige Sid and Nancy Beziehung, high five! Ich erinnere mich verschwommen an paranoide Drum and Bass Konzerte, märchenhaft bunte Goa Parties. Ich erinnere mich an schlaflose Nächte, Kreislaufzusammenbrüche, rasenden Puls. Lachanfälle und Paranoia ging Hand in Hand. Einmal war der gesamte Club voller Tiere, ein anderes Mal sahen Typen aus, wie Musikinstrumente und Berge von bunten Chips türmten sich auf den Theken. Fear and Loathing in Las Vegas: nichts als die Wahrheit, das kann ich jetzt ruhigem Gewissens behaupten. Als ich schließlich erkannte, dass wir, er und ich, nicht viel mehr gemeinsam hatten als eine Vorliebe für weißes Pulver und bunte Tabletten, zog ich einen Schlussstrich und öffnete ein neues Kapitel. Ich musste die Schule beenden, ich wollte wegziehen, weg, in die Großstadt. Ich beendete größtenteils meine Beziehung zur Psychedelic und konzentrierte mich wirklich, ohne pulvrige Unterstützung. Irgendwie auf wundersame Art und Weise schaffte ich es sogar. Ich bekam die Matura. Gleichzeitig verlor ich meinen Seelenpartner. Erneut. Und diesmal schien es nicht so, als würde es jemals wieder gut werden. Das war eines dieser Male, wo man am liebsten in seine eigene Vergangenheit reisen würde und seinem bescheuerten Alter Ego eine knallen würde. „Nimm ihn dir verdammt! Du wirst es bereuen!“ hätt ich mich angebrüllt. Nun ja, ich fuhr mit meinen Freundinnen nach der Matura quer durch Europa. Es waren wundervolle Tage.
Nach dem Urlaub, noch in diesem Sommer ging es dann direkt in die Universitätsstadt, Wohnung suchen, fürs Studium anmelden. Meine erste eigene Wohnung! Da meine Mutter keine Interesse an mir zeigte, finanzierte mein Vater und mein Großvater mein Leben. Nebenbei fing ich an zu arbeiten, um mir ein wenig Spaß im Leben leisten zu können. Weil ich natürlich keinen Plan hatte, was mich wirklich interessierte, und es für Drogenkonsum und Musiksucht (oder Musikkonsum und Drogensucht) nicht wirklich ein Studium gab, inskribierte ich das Erstbeste. So hatte ich ein Jahr Zeit mich zu finden, was ich schlussendlich auch noch auf die Reihe bekommen habe.
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Was prägend war für mein Leben, es mit einem weinenden und einem lachenden Auge zu durchstehen. Und Unmengen an Kaffee und Zigaretten. Es heißt immer, man trifft die schlechten Entscheidungen immer dann, wenn man nicht genug darüber nachgedacht hat. Ich sage, das ist völliger Schwachsinn. Man kann nachdenken so viel man will, das Leben erwischt dich trotzdem. Mitten ins Gesicht. Das war keine Sache von Urteilsvermögen oder Erfahrung, man musste einfach wieder aufstehen können. Und erneut fallen. Man darf sich nicht unterkriegen lassen.
Durch all diese Dinge, die Hoffnungslosigkeit, die misslungenen Versuche, mein Leben zu beenden, habe ich etwas gelernt: Am Ende kommt es nur auf dich an. Du bist es, die lebt, also bist auch du es, die daraus etwas machen kann. Und sei es a shitload of shit. Immerhin hast du es produziert, nicht jemand anders.
Wenn ich so zurückschaue, weiß ich, dass nicht alles hunderprozentig gut war, aber es war auch nicht hunderprozentig schlecht, warum also traurig sein?
Ich hatte noch immer die Matratze, eine Kerze und eine Menge Fotos. Und ich hatte mich. Das ist schon mehr, als die meisten behaupten können.
Und ich hatte die Erinnerungen.
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Die Erinnerungen an die schöne Zeit früher:
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Eines schönen Sommertages, lud mich meine beste Freundin, gemeinsam mit meiner anderen Freundin, zu sich in ihren Garten ein. Es sollte eine kleine Party sein, ein eher gemütliches Zusammensitzen mit Freunden. Ihr zukünftiger Freund und meine zukünftige Sommerliebe waren ebenfalls dabei. Die beiden kamen aus einem Ort in der Nähe, der einen nur allzu zwielichtigen Ruf hatte. Jedenfalls war einer von den beiden im Besitz einer gigantischen Menge Gras. Während unsere Gastgeberin die Finger davon ließ, dröhnten wir anderen uns die Birne voll damit. Nach einer Weile konnte ich nur mehr Scheiße reden und kichern. Ich wankte den Hügel hinauf zur Toilette. So weit kam ich dann doch nicht, weil ich daneben auf der Wiese niederbrach und mir die Seele aus dem Leib kotzte. Gefühlte Stunden später, suchten die anderen mich, meine Freundin gesellte sich sogar solidarisch zu mir und kotzte ein paar Meter weiter. Lustigerweise hatte der Grasbesitzer die anderen darauf aufmerksam gemacht, dass ich ohne Schuhe unterwegs sei, worauf sie erst begannen mich zu suchen. Dass mit dem Schuhe ausziehen durchzog sich irgendwie durch meine gesamte Jugend. Auf irgendwelchen Partys wurde ich irgendwann immer barfuß herumtorkelnd gesichtet und dementsprechend ausgelacht. Irgendwas missfiel mir eindeutig an der Fußkleidung. Vielleicht war ich im Herzen ein Hippi. Vielleicht war ich aber auch nur im Kopf ein verdammter Schwachsinniger.
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Außerdem war ich bei meinen Freunden damals bekannt, als diejenige, mit dem seltsamsten Traumleben. Ich liebte es, anderen davon zu erzählen und abzuwarten, mit welcher Miene sie diesmal reagieren würden. Entsetzt oder entsetzt-erschüttet? Angewidert oder doch eher erschrocken?
Als ich einmal mit einem Freund im Kaffeehaus saß und ihm von meinen Träumen erzählte, meinte er so etwas in der Art wie „Oh mein Gott, das musst du aufschreiben!“. Ich hab dann selbst versucht zu analysieren, wieso gerade ich so abartigen Scheiß nachts verarbeiten musste, oder wohl mehr produzieren, je nachdem, welcher Ansicht man ist. Ich hab ihm allerdings nur meine harmloseren Träume zugemutete, die besonders Ãœblen wollte ich nicht mal ihm antun. Eigentlich wollte ich sie vergessen, aber wenn man träumt, seine Großeltern zu verspeisen, dann ist das nicht einmal so einfach. Ich rührte in meinem Cappuccino und überlegte mir, was meine Freunde über mich denken würden, sollten sie das tatsächlich eines Tages lesen. Doch das hier bin gar nicht ich, das ist Fiktion. Also begann ich ihm weiterhin die Top 10 meines nächtlichen Kinos zu erzählen, allerdings zensiert.
Der Inhalt eines meiner Träume:
Ich bin auf einer Party in einem riesigen Haus. Alle haben Spaß und sind gut drauf, vermutlich betrunken, ist ja auch eine Party. Irgendwann holt mich der Gastgeber und geht mit mir in einen Raum. Darin sticht er mir beide Augen aus, mit einer dünnen Nadeln, so ähnlich wie die zum Knopf annähen und sowas. Das wirklich Seltsame daran ist jedoch, dass ich plötzlich erkenne, vorher blind gewesen zu sein und jetzt erst sehen zu können. Alle anderen Partygäste haben ebenfalls ausgestochene Augen, sehen aus wie kleine Stofftiere, die mit den zugenähten Augen. Ich verlasse das Haus, gehe langsam die Straße entlang. Als ich mich umblicke, sehe ich den Gastgeber und er erkennt, dass ich sehen kann. Dann läuft er mich nach. Ich reiße eine Autotür auf und brülle den Fahrer an. „Fahr, los, los, der Typ will mich blind machen!“ Dann kommt es zu einem irrwitzigen Kampf mit dem Psycho-Augenausstecher, ich bewaffnet mit Sichel, er ausgestattet mit Axt. Nachdem ich ihm den ersten Arm abgehackt habe, klopft es an der Tür und der  Zwillingsbruder meiner Freundin rettet mich aus diesem Traum
Was will mir das Leben damit verdammt nochmal sagen? Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte es vielleicht sein, dass es philosophische Gründe hat. Platon, Höhlengleichnis, Erkenntnis, sind nur einige Stichwörter, die mir klugscheißerisch durch den Kopf schießen. Was aber, wenn meine Psyche gar nicht so ausgewieft ist und ich einfach nur zu viele beschissene Horrofilme gesehen habe? Nein, nein, das wäre doch zu banal.
Abends ging ich zu meiner Freundin rüber filmschauen:
Als die verbrannte Leiche als Zombie wiedererwacht und seine eigene Tochter abschlachtet, drehe ich den Fernseher lauter. Ich liebe diese Filme!
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Nummer 2:
Ich bin bei einem Mountainbike Rennen. Alles ist voller Leute und Sportler und Freunde von mir bzw. irgendwelche Leute, die mir bestimmt schon mal über den Weg gelaufen sind. Ich krieg Hunger. In einem Raum steht ein Sarg. Ich öffne den Sarg, schneide Fleisch von der Leiche und wärme sie in der Mikrowelle. Im Kühlschrank steht noch ein Teller voll Fleisch eines anderen Menschens. Ich esse alles auf. Dann steige ich auf mein eigenes Mountainbike und fahre hinunter.
Das ist einfach nur widerlich. Mehr kann ich dazu schon gar nicht sagen. Selbst beim Versuch, diesen perverse Konstrukt meines Gehirns zu deuten, kam mir die Kotze hoch. Ich versuchte mich dann damit zu beruhigen, dass wenigstens Sportler vorkamen, ich also doch noch einen Hauch Normalität vorweisen konnte. Für dieses beschissene Mädchen Klischee gehört mir ja beinahe eine verpasst. Aber die Zeiten sind schon vorbei, als Fight Club auf meiner Tagesordnung stand. Einmal pro Tag dieser Film, mindestens. Bis meine Mutter mich dann mal genervt fragte „Kannst du den Scheiß nicht schon auswendig?“. Ja und? Konnte ich, nagut. Bin schon kurz vor dem Nullpunkt, melde mich von dort nochmal – stop –
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Das Schöne an der Jugend war, dass man sich immer aussuchen konnte, was man tut. Ich konnte im Sommer einen Monat in Norwegen sein, arbeiten und von dem Geld im Februar nach Indien fahren. Und es würde noch immer etwas übrig bleiben um im Sommer wo anders hin zu fahren. Oder wieder nach Norwegen und zu arbeiten. Ich wollte überall sein, nur nicht hier. Das war auch das Problem. Ich musste mich betäuben um nicht zu erkennen wo ich war. Ich musste mich in weißen Neben hüllen. Er beschützte mich und tötete mich. Stückchenweise. Die Wiederbelebungsversuche taten umso mehr weh. Ich wollte einfach nicht mehr, ich konnte einfach nicht mehr. Nur ein weißes Pulver, seidig leicht. Ein Atemzug. Es war leichter die Welt so zu ertragen, als von der kalten Realität ins Gesicht geschlagen zu werden. Es war feige, keiner kann das besser beurteilen als ich selbst. Aber ich war nie besonders mutig.
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Hey du,
vielleicht kommt das jetzt Jahre zu spät, aber ich hab schon mal so etwas Ähnliches verfasst und nie abgeschickt. Vielleicht gelingt es mir dieses Mal.
Ich weiß, ich hab mich scheiße verhalten und war nicht immer sonderlich hilfreich. Die letzten Jahre waren auch für mich nicht immer leicht. Und meine Unfähigkeit über ernste Theme zu sprechen, tja, das lässt sich bestimmt auch auf irgendeine psychische Fehlfunktion zurückführen. Whatever. Langsam bin ich an dem Punkt angelangt, wo ich mir einfach nur noch "scheiß drauf" denke, wo mir alles egal ist. Also kann ich zur Abwechslung auch mal ehrlich zu dir sein.
Du bist wirklich einer der wichtigsten Menschen für mich. Und schon der Gedanke, dich eines Tages zu verlieren, bricht mir das Herz.
Allerdings kann ich mir vorstellen, dass du eigentlich abschließen möchtest, das Kapitel beenden möchtest. Und wer könnte dir das verübeln? Ich bin weiß gott kein egoistischer Bastard. Aber bevor du einen Schlussstrich ziehst (Wow, so viele Metaphern für "beenden" - das Literaturstudium macht sich bemerkt!) wollte ich mal klarstellen, was mein Hirn eigentlich so ausbrütet. Also: Ich hab dich, Mister, Sir, verdammt gern und egal, was passiert, du wirst immer eine große Rolle in meinem Leben spielen. Ob du willst oder nicht. ja, das ist eine Drohung!
Und als ich heute mit meiner Kusine darüber sprach (Ja, ich belästige meine Mitmenschen damit) hatte ich die Erkenntnis schlechthin: Als ich damals meinte, dich heiraten zu wollen, aber nicht mit dir zusammen sein zu können, denke ich im Nachhinein, dass ich meinte, eine Beziehung sei nur von begrenzter Dauer, aber dich wolle ich für den Rest meines Lebens bei mir haben.
Nagut, soviel also dazu. Ich denke, das bin ich dir schuldig. Mindestens.
Und bevor noch einer heult (okay, das bin dann vermutlich ich.) - sag ich mal Danke. Fürs Lesen und für alles.
Ich hab dich lieb. Saumäßig.
Klem
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Manchmal überlege ich mir, ob das nicht widerlich typisch klischeehaft ist. So eine tragische Liebesgeschichte. Vielleicht gehört das einfach dazu, um cool zu sein, um Teil des beschissenen Ganzen zu sein. Mich hat niemand gefragt und ich warte heute noch auf die Club-Karte. Mit Rabatt auf Schokolade und Zigaretten.
Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass es damals noch nicht zu spät gewesen wäre. Hätte ich diesen Brief abgeschickt, vielleicht wäre dann alles gut geworden, ich wäre mit ihm zusammengekommen und nie in dieses Schlamassel gerutscht. Vielleicht wäre es aber trotzdem passiert und ich hätte ihm ein weiteres Mal wehgetan. Also klatschen wir alle gemeinsam in die Hände und erfreuen uns daran, dass ich diese Tür niemals geöffnet habe. Aber was wäre wenn....?
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Nach einer kalten einsamen Nacht in meiner leeren Wohnung beschloss ich vor die Tür zu gehen. Ich kaufte mir Wein, Zigaretten und eine Heizdecke. Fuck you, Leben, mich kriegst du nicht!
Ich beantwortete einige Emails, meine beste Freundin hatte geschrieben, in Amerika war alles bestens. Als ich noch studierte und voller Träume war hatte ich immer davon geträumt, eines Tages in Amerika alt zu werden. Amerika, Amerika, das war mein großer Wunsch. Wie aus so vielen Träumen ist nie etwas daraus geworden. Und jetzt hatte ich nicht nur keine Träume mehr, sondern auch Geldprobleme. Was war nur passiert?
Irgendwann kommt der Punkt, an dem man erkennen muss, dass das Leben nun mal nicht wie im Film abläuft. Du bist nicht cool, wenn du rauchst, dein Make Up ist nicht immer perfekt, schon gar nicht morgens. Ich mein, wen wollen die verarschen?! Ich war nicht mal tagsüber perfekt geschminkt. Könnte aber auch natürlich an mir liegen, aber egal. Nichts ist meine Schuld, ich bin perfekt. Ich bin ja auch nur eine Figur in einem Roman, die darf mindestens so perfekt sein wie eine Figur in einem Film.
Am Abend lag ich erneut auf meiner Matratze und dachte nach. Ãœber die Vergangenheit, über die Zukunft wollte ich gar nicht nachdenken. Die war wie ein schwarzes Loch für mich, in das ich augenblicklich fallen konnte. Vielleicht aber war ich schon längst drinnen und musste erst wieder rausklettern, bevor ich ins nächste fallen konnte. Klick, klick, das Feuerzeug ließ mich also auch schon im Stich. Dann endlich – eine Flamme. Gierig zog ich an meiner Zigarette. Dann ließ ich mich nach hinten fallen und begann zu heulen. Endlich.
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Ich hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem Einschlafen gehabt. Um dieses Problem zu lösen, dachte ich mir manchmal Geschichten aus. Geschichten, wie sie von Eltern erzählt werden, wenn sie ihre Kinder ins Bett brachten. Ich habe immer nur den Fernseher gehört, das Klirren von Gläsern. Aber ich war froh, dass ich alleine zu Bett gehen durfte, meine Mutter war immer von einer Rauchwolke umhüllt und als Kind hasste ich den Geruch. Jetzt war es der beste Geruch der Welt für mich.
Da ich so gern den Bus nahm, dachte ich mir diese Nacht eine Geschichte über eine Busfahrt aus. Aber wie jedes mal, war ich am Ende der Geschichte ganz wo anders angelangt und überrascht, wohin mich meine Gedanken zu bringen vermochten.
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Er malte gedankenverloren auf den angelaufenen Fenstern herum, als er plötzlich bemerkte, dass sein Gegenüber ihn lächelnd beobachtete. Hastig wischte er seine Zeichnungen weg und wich ihren Blicken aus. Er war immer peinlich berührt, wenn ihn jemand beobachtete. Er fühlte sich dann so durchschaut. Lieber wäre es ihm, er wäre undurchschaubar. Wie angelaufenes Glas. Aber der Moment war schnell vorbei. Sie bemerkte seine Unsicherheit und verbrachte den Rest ihrer Busfahrzeit damit, aus dem Fenster ins Nichts zu schauen. Sich von ihrem Kopfkino unterhalten zu lassen. Bis ihre Haltestelle dran war und sie aufstehen musste. Er machte ihr hastig Platz und sagte so leise, dass es einem Flüstern glich: „Machs gut...“. Sie spürte, dass er sie ansah und drehte sich um. Er sah etwas Vorwurfsvolles in Ihrem Blick und erschrak. Schnell widmete er sich wieder seinen Zeichnungen, in der Hoffnung sie damit zurückzuerobern. Doch sie war schon nicht mehr da.
Als er daheim angekommen war, schüttelte er sich zunächst einmal vor Kälte. Er tauschte die nassen Kleider gegen trockene, warme und setzte Teewasser auf. Dann nahm er die Werbeprospekte von heute und widmete sich einem seiner zahlreichen Hobbies: Geschichten schreiben und mithilfe von Werbebildern illustrien. Er wusste nicht genau, ob sich die Bilder nach der Geschichte richtete oder ob sich die Geschichten bereits beim Sortieren der Bilder ergaben. Auf jeden Fall hatte er schon ein eigenes Bücherregal für dieses Hobby. Heute, da war er sich sicher, würde er sich eine Geschichte zu dem Mädchen aus dem Bus ausdenken:
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„Es war einmal ein kleines Mädchen, das keine Eltern und keine Geschwister hatte. Sie musste von kleinan lernen, ihren eigenen Weg zu erkämpfen. Sie lebte in einer fremden Familie, die sie sehr gern hatte und sich sehr um das kleine Mädchen kümmerten. Aber sie saß oft abends am Fenster und blickte hinaus in die weite Welt und sehnte sich nach ihrer richtigen Familie. Es war ein sehr feinfühliges, ruhiges Mädchen, das sich schwertat, Freunde zu finden. Sie verbrachte ihre Zeit am liebsten mit ihrem Stoffhasen, Bumper. Bumper war ihr bester Freund und nur ihm vertraute sie ihre tiefsten Geheimnisse an. Das allergrößte Geheimnis war, dass sie mit Blumen sprechen konnte. Und das tat sie oft und gern. Was die Menschen so zu erzählen hatten waren meist schmerzvolle und traurige Geschichten, doch Blumen hatten allerlei Schönes zu berichten. Liebend gern lauschte sie den Geschichten der Sonnenblumen im Garten und den wunderschönen Liebeserzählungen der Rosen, den Abenteuerberichten der Anemonen. Wurde es Winter im Lande und ihre Freunde verkrochen sich als Schutz vor der Kälte in der Erde, zählte das Mädchen die Tage, bis es wieder warm wurde und sie wieder hinaus konnte um zu reden. Denn auch sie hatte viel zu erzählen und Blumen waren geduldige Zuhörer. Vor allem, da sie kaum eine Wahl hatten, als an ihrer Stelle zu bleiben und zu lauschen. Als das Mädchen eines Tages ihr Herz ausschüttete und von der Sehnsucht nach ihrer wahren Familie berichtete, bogen sich die Rosen vor Mitleid und die Sonnenblumen verblassten. Der ganze Garten fühlte mit dem kleinen Mädchen und wollte helfen. Also verbreiteten sie die Geschichte an die Bienen und Vögel, die hin und wieder auf Besuch kamen. Diese brachten die Geschichte in die nächsten Gärten und Wiesen. Dadurch verbreitete sich die traurige Geschichte auf der ganzen Welt und bald waren alle Blumen so erschüttert, dass sie ihre Farbe verloren und aufhörten zu blühen. Als das Mädchen vom Schicksal ihrer Blumenfreunde erfuhr, beschloss sie, ihre Familie zu suchen und damit allen zu helfen. Sie befragte ihre neue Familie und all deren Bekannte. Doch keiner konnte der Kleinen helfen, selbst am Adoptionsamt gab es keine Informationen über ihre Herkunft. Sie wurde eines Nachts einfach vor die Tür gelegt, eingewickelt in dicke Decken und daneben Bumper, der Stoffhase. Mehr wusste man von ihren Eltern nicht.
Das kleine Mädchen wurde älter und erwachsen. An ihrem 19. Geburtstag bekam sie eine eigene Wohnung von ihren Eltern geschenkt. Sie packte ihre Sachen, ganz obenauf natürlich Bumper, und fuhr mit ihrem Vater in die Wohnung. Sie hatte akzeptiert, dass sie ihre biologischen Eltern niemals finden würde, sie dafür aber mit wundervollem Ersatz gesegnet war. Sie hatte ihr Schicksal zu akzeptieren gelernt, doch die Blumenwelt war weiterhin gefroren, erschüttert. Zu ihrem Einzug schmiss sie eine kleine Party, zu der sie ihre neuen Nachbarn einlud. Unter ihnen befand sich auch Luke, ein Bekannter von ihr, noch aus Kindertagen. Er half ihr beim Einrichten und Ausmalen. Außerdem fand er den perfekten Platz für Bumper – die Fensterbank, mit dem Blick hinaus. Sie war sehr gerührt von Luke und seiner Hilfe, und dass er sich nicht lustig machte über Bumper. Er kümmerte sich auch sehr darum, dass sie nicht oft alleine war und unternahm viel mit ihr. Sie saßen eines Abens auf ihrem Sofa und sahen sich einen Film an, als er ihr ins Ohr flüsterte „Ich weiß, was mit den Blumen passiert ist. Wir müssen ihnen helfen!“, sie erstarrte und wagte ihn nicht anzusehen. Luke fasste sie am Kinn und drehte ihren Kopf sanft zu sich. Dann küsste er sie. Der hineinfallende Mond beschien das Liebespaar und die neugierigen Blumen streckten ihre Blüten aus und erhofften, einen guten Blick darauf werfen zu können. Die Rosen erröteten aufgrund der innigen Liebe und die Sonnenblumen kicherten so laut, dass sie ganz gelb vor Freude wurden. Als Bumper das bemerkte er schloss er glücklich seine Augen. Das Mädchen öffnete seine Augen nach dem Kuss. Sie erschrak, „Bumper´s Knopfaugen sind verschwunden!“, sie zeigte voller Entsetzen auf die Fensterbank. Als beide davor standen, warfen sie einen Blick aus dem Fenster und bemerkten die Blütenpracht. Luke legte den Arm und sie und lächelte. Von dem Tag an sprach sie nicht mehr mit den Blumen. Sie roch an ihnen, legte sich neben sie, aber Geschichten erzählten sie keine mehr. Das machte aber nichts, sie freute sich, dass die Farbe in ihr Leben zurückgekehrt war. „
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Er klappte zufrieden sein Buch zu. Die Geschichte gefiel ihm besonders gut.
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Weg war ich.
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Am nächsten Tag kam meine Abfindung mit der Post. Es war also tatsächlich vorbei. Ich versuchte verzweifelt meinen Freund.. meinen Ex-Freund anzurufen, aber ich landete immer wieder in der Mobilbox. Da wollte wohl jemand nicht mit mir sprechen. Seit wir weggezogen waren, kannte ich in meiner Nähe niemanden, alle meine Freunde waren entweder in der Heimat geblieben oder sonst wo auf dem Globus. Amerika, Australien, irgendwo. Ich war also ganz auf mich allein gestellt. Also beschloss ich in die Innenstadt zu fahren. Spazieren, Bücher kaufen, Kaffee trinken, was auch immer.
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Wenn ich aus meiner Wohnung ging, überlegte ich mir manchmal, welche Persönlichkeit ich denn dieses Mal ausleben könnte. Manchmal das schüchterne Mädchen, dem jedes Wort schrecklich peinlich ist. Manchmal die verletzte Liebende, die nur schwer ihre Tränen zurückhalten kann. Meine Lieblingspersönlichkeit ist die arrogante Diva: Sie rempelt Leute an, ohne sich zu entschuldigen und trägt ihre Nase ganz weit oben. Übertriebene Gestik und Mimik zählt zu ihren Erkenntnismalen. Aber sollte ich mal darauf vergessen, zu spielen, war ich dann doch nur ich. Das hippe Indie Mädchen, mit dem schicken Haarschnitt, meist mit einem Lächeln auf den Lippen. Oder die abgefuckte Goa-Braut, mit den Baggypants und der tätowierten Grinsekatze. Oder die schicke Bobo Göre, mit den Röhrenjeans und hochhackigen Schuhen. Mäntel ausschließlich bei Zara erstattet.
Suchs dir aus.
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Als ich aus der Straßenbahn stieg, sah ich einige jugendliche Flyerverteiler und musste aus irgendeinem Grund an meinen frischgeschiedenen Freund denken. Was er jetzt wohl so trieb? Würde er um mich weinen oder war er froh, die Geschichte endlich beendet zu haben? Es war ja nicht wirklich immer glatt gelaufen, im Laufe unserer Beziehung hatten wir uns tausendfach getrennt, tausendfach versöhnt. Normalität sah anders aus. Ich wusste zwar nicht wie, aber bestimmt hatte sie ein reizendes Gesicht und neigte nicht dazu, sich gläserne Aschenbecher nachzuschießen und so laut herumzubrüllen, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Scheiße, ich vermisste ihn.
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Ich ging in meine Lieblingsbuchhandlung, die mit den drei Stockwerken, wo dich die Verkäufer nie ansprachen und dich mit eiskalten Blicken straften, solltest du es wagen, sie anzusprechen. Im Untergeschoss befand sich die Reiseführer Abteilung. Ich blätterte gerne darin und malte mir aus, wie es wäre, wirklich wegzufahren. Aber momentan fehlte mir das Geld. Ich ging langsam am Regal entlang und fuhr mit den Fingerspitzen die Buchrücken entlang. Indien, Island, Israel... Namen, die automatisch Meerrauschen und Bilder von grünen Wiesen und glücklichen Menschen in mir hervorriefen. Meine gesamte Jugend lebte ich in der Illusion, wo anders wäre es besser, wo anders würde ich glücklich werden und als ich schließlich weggegangen war, änderte sich rein gar nichts. Außer dass ich schlussendlich alleine war. Alleine ohne Freund, ohne Familie, nicht mal ein Haustier wartete auf mich zu Hause. Es hat sich eine Menge geändert, aber von einer Verbesserung war nichts zu spüren. Und dennoch waren mir meine Illusionen geblieben. Die konnte nicht einmal die brutale Realität zerstören. Seltsam.
Wie lange würde ich noch in dem Glauben leben können, die einzige Lösung läge in der Flucht?
Aber ich hörte auch gleich wieder auf, mir darüber Gedanken zu machen. Ich hatte ich einen geheimen Vertrag mit mir selbst abgeschlossen, der besagte, mir NICHT den Kopf über die Zukunft zu zerbrechen. Wird sich schon was ergeben. Das tut es doch immer.
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Ich kaufte mir an diesem Tag keinen Reiseführer, ich gab schlappe 10 Euro für eine englische Ausgabe meines Lieblingsautors aus. Dann kaufte ich mir einen Coffee-to-go und schlenderte durch die verwinkelten Gassen der Innenstadt. Ich warf ab und zu einen Blick in die verschiedenen Auslagen, musste hin und wieder sogar lächeln, wenn ich besonders kitschige Deko sah. Da fiel mein Blick auf einmal auf ein Plakat. Darauf wurde ein Konzert angekündigt – das Konzert einer Band, die ich nur allzu gut kannte. Mein verlorengegangener Seelenverwandter war Schlagzeuger in dieser Band! Ich hatte keine Ahnung, dass sie es tatsächlich so weit gebracht hatten, war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen in all den Jahren. Das Konzert war für die darauffolgende Woche datiert. Ich überlegte nicht lange und lief in die nächste Trafik um mir ein Ticket zu sichern. Nach all den Jahren.
Klar, wegen meinen Anfällen musste ich Ohrstöpsel tragen, aber ihm auch nur ansatzweise nah zu sein, bedeutete mir die Welt.
Am nächsten Tag machte ich mir einen Termin mit meinem Arzt aus, weil ich sicher gehen wollte, dass es keine Gefahr für mich war, hinzugehen. Allerdings war ich mir ebenso im klaren darüber, dass ich andernfalls genauso hingehen würde.
Daheim lag ich auf meiner Matratze und tagträumte vor mich hin. Würde er mich erkennen? Würde er mir verzeihen? Könnten wir wieder Freunde werden? Oder mehr? Ein idiotisches Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. So ist das Leben: In einem Moment steckst du noch ganz tief in der Scheiße und plötzlich regnet es wieder rosa Herzen und Bonbons.
Im Wartezimmer von meinem Arzt begann mein Herz zu rasen. Ich hatte eine schreckliche Panik vor Ärzten, das hat sich nicht einmal durch meine ständigen Besuche bei ihnen geändert. Bummbummbumm, gleich würde es explodieren. So gerast hat es nicht einmal bei meinen wildesten Koks-Exzessen. Mittlerweile hatte ich meinen Verbrauch stark eingeschränkt, schon bevor meine Welt in Trümmer zerfiel. Vor lauter Selbstmitleid war ich gar nicht mehr dazu gekommen, meinen Dealer zu kontaktieren. Auch egal, mein Puls war ohnehin schon gefährlich nah dem Infarkt. Ich wippte mit dem Bein, biss in die Innenseiten meiner Wangen, klopfte mit der Hand auf meinen Schenkel. Diese Warterei killt mich eines Tages noch.
Dann wurde ich aufgerufen.
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Als ich noch studierte, ging ich immer gern zu Fuß auf die Uni.
Auf diesem Weg kam ich an vielen interessanten Läden vorbei. Sonst schenkte ich denen kaum Beachtung, aber ich war an diesem Tag auf der Suche nach einem Radiowecker. Interessant, sobald man Ausschau nach etwas hält, merkt man erst richtig, wo man sich befindet. Und dass es immer dann keine Elektronikläden gibt, wenn man es erhofft. Sonst sind die Straßen überschwemmt mit mehr oder weniger obskuren Ramschläden, in denen du von Plastikschuhen bis zum Dampfgarer alles bekommen konntest. Dabei sah ich eine dicke Frau, die wie paralysiert in eine Süßwarenauslage starrte. Würde sie dem Drang nachgeben? War sie vielleicht gerade auf Diät und teste sich selbst? Würde sie stattdessen in mir ein vorzügliches, kalorienreduziertes Mahl sehen? Ich beschleunigte meine Schritte. Wenn ich jetzt sterben sollte, würde man die Durchfalltabletten in meiner Plastiktasche finden. Was würden die Leute nur von mir denken?! Richtig. In Verbindung mit dem feuchten Toilettenpapier und dem ph neutralen Duschgel würde sich schließlich ein Bild von mir ergeben. Nur welches? Das einer magenkranken Hippi Oma? Heute war kein guter Tag zum Sterben.
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Als ich vom Arzt wieder daheim war ließ ich mich auf meine Matratze fallen. War alles nur ein Traum gewesen? Hatte der Arzt wirklich gesagt, dass es irreparable Schäden bewirken würde, wenn ich zu dem Konzert gehe? Hatte er wirklich davor gewarnt und gemeint, dass die Gefahr hoch sei, dabei taub zu werden? Ich schüttelte den Kopf. Das konnte mir nicht passieren. Das war mein Leben, meine Seele würde vielleicht kaputt gehen, aber mein Körper war unsterblich. Da wusste doch jedes Kind!
Ich öffnete eine Flasche Wein und feierte, auf mich und das bevorstehende Wiedersehen. Es würde perfekt werden, das wusste ich genau.
Zur Feier des Tages rief ich meinen Dealer an, der prompt zur Stelle war und mit mir ein paar Gläser Wein trank. Ich präsentierte ihm verschiedene Kleidungsvarianten für das Konzert, aber er lachte mich nur aus. Der Rest des Abends war in den vertrauten weißen Schleier gehüllt und als ich am nächsten Tag gegen Abend zu mir kam, fand ich mich nackt auf dem Boden liegend wieder. Was für eine Scheiße. Mir war hundeelend zumute, ich kroch auf die Toilette und kotzte mir beinahe die Eingeweide aus dem Leib. Das war also das Leben, von dem ich immer geträumt hatte. Ich wollte gar nicht genau wissen, warum ich nackt war, aber wenigstens mein Dealer war nicht mehr da und aus meinem ohnehin karg bestückten Geldbeutel fehlte auch nichts. So long, so good. Ich tappte langsam in mein Badezimmer, musste mich aber sofort am Badewannenrand hinsetzen, da bunte Sterne vor meinen Augen zu tanzen begonnen. Langsam griff ich nach dem Wasserhahn und dreht ihn auf und wusch mir das Gesicht. Das kalte Wasser tat gut, ich hielt meinen Kopf darunter, trank gierig davon. Dann ließ ich mich nach hinten in die Badewanne gleiten, eingequetscht zwischen den zwei Beckenrändern, die Füße baumelten unter dem Waschbecken. Ich entdecke ein Päckchen Zigaretten am Beckenrand und zündete mir eine an. Was für ein beschissener Start in den Tag.
Später klappte ich meinen Laptop auf, wo mich Massen an E-Mails erwarteten. Meine Mutter, meine Schwester, meine Freundin, sogar mein Ex, alle hatten mir geschrieben. Ich öffnete zuerst die von ihm.
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Hallo,
ich wollte nur fragen, wie es dir geht. Oh, dir geht es beschissen und du hängst noch immer an dem Scheißulver? Gratuliere. Falls du es schaffen solltest, für einen verdammten Tag clean zu bleiben, dann melde dich. Ich würde gern mit dir reden, so wie Erwachsene das nun mal tun. Aber ich fürchte, das Kind in dir schafft das erneut zunichte zu machen. Mir geht es beschissen, danke der Nachfrage. Ich habe das Gefühl die letzten Jahre meines Lebens weggeschmissen zu haben, für jemanden, dem ich einen Dreck bedeute. Ruf nicht mehr an, ich fürchte, dann würde ich mein Telefon durch die Wand schießen, weil keiner es so schafft wie du, mich wütend zu machen. Und du hast mir schon genug Geld gekostet. Deine Schwester fragt nach dir. Sei endlich mal nicht so ein Scheiß Egoist und melde dich bei ihr. Ich hab ihr alles erzählt. Sag bescheid, wenn du wieder normal bist. Ich bin vielleicht bereit für ein Gespräch. Aber bist du es auch?
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Ich klappte den Laptop wütend zu. Arschloch. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Dann ging ich zur Stereoanlage und schaltete Metal ein, der meiner Stimmung entsprach. Leise, natürlich. Alles scheiße.
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Ich drängte mich durch tausende und abertausende von gierigen Teenagern, ganz nach vorne, wo ich am besten auf die Bühne sah, besonders auf das Drum Kit . Ich öffnete meine Faust und warf einen zweifelnden Blick auf die beiden Gummistöpsel, die ich in meiner Hand liegen hatte. Es muss sein. Ich propfte meine Ohren zu und wartete. Mein Herz raste mehr als je zuvor. Nicht einmal vor meiner ersten gynäkologischen Untersuchung war ich so nervös gewesen. Ich atmete tief ein und aus, schloss die Augen und dachte an grüne Wiesen unter hellblauem Himmel. Das half meisten. Aber versucht mal inmitten einer tobenden Menge zur Ruhe zu kommen. Ich war in permanenten Kontakt mit meiner Umgebung, was mehr Kontakt war, als ich in meiner derzeitigen Situation verkraften konnte, aber ich musste durchhalten. Einatmen und ausatmen. Dann begann ich zu schwitzen. In meinem Kopf breitete sich ein Gefühl der Taubheit aus, ich fühlte mich wie kurz vor dem Abheben. Meine Hände wurden taub, vor meinen Augen wurde es schwarz. Ich griff nach der Absperrung, eine kühle Metallstange. Kühl war gut, kühl rettete mich meistens. Dann begann die Vorband zu spielen. Die Halle war in buntes, hektisches Licht getaucht, die Masse schien sich als eine, riesige Substanz zu bewegen, wellenförmig. Ich ließ mich mitrissen, hatte kaum eine andere Wahl. Als ich das endlich überstanden hatte, war ich eine kurze Pause. Leute drängten herum, kauften Bier, schütteten mich an. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte durchzuhalten. Dann fingen sie an. Endlich. Ich verrenkte mir den Hals nach ihm. Dann sah ich ihn, hinter seinen Drums und er sah wunderschön aus. Ich versuchte seinen Blick auf mich zu lenken, aber es schien unmöglich. Ein Lied nach dem anderen verflog. Schließlich sein großer Auftritt: ein 5 minütiges Schlagzeugsolo. Die Menge tobte. Ich schrie, bis meine Lungen schmerzten, mir die Luft ausging, mir schwarz vor Augen wurde. Dann schrie ich weiter. Das große Finale. Ein Pfeifton. Etwas, das sich anhörte, wie eine Explosion und dann Stille. Ich glaubte zu schrien, konnte aber nichts mehr hören, die Musik war verstummt, jetzt musste er mich doch hören.
Außer mir schien niemand etwas zu bemerken. Mein Herz pochte so laut, was war passiert?!
Dann verabschiedete sich die Band und ich wurde von der Masse mit nach draußen gedrängt. Er hatte mich nicht bemerkt. Ich zupfte mir die Ohrstöpsel aus den Ohren, aber es half nicht. Die Welt war verstummt.
Ich hatte mein Gehör verloren.
So still die Welt plötzlich schien, so still war auch der Schuss, mit dem ich mein Leben schließlich beendete. So lernte ich schlussendlich die einzig richtige Art kennen, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Man kämpft sich durch die Flut unliebsamer Begebenheiten, nur um schlussendlich vor einem riesigen Trümmerhaufen seiner eigenen Existenz zu stehen. Und das einzig richtige zu tun: Ihr ein Ende zu setzen.
Honigkuchenpfe Re: So, jetzt hab ich... - Mister, ich bin sehr stolz auf Sie! Freut mich, ehrlich aber jetzt! Hihi elegant gekonnt, ich verbeuge mich. Ich steh auf Texte einstreuen, aber das hast du vermutlich schon mitbekommen ;-) Dem Herr entgeht ja auch gar nichts! Freut mich, dass sich das Lesen dann ja doch ausgezahlt hat für dich! Wär ja doof, wenn es grottenschlecht ist und du Minuten deines Lebens vergeudest hihi. Liebste Grüße die Indien (und seine Wärme) vermissende, erfrorene C |
PhanThomas So, jetzt hab ich... - ... den ganzen Klopper am Stück gelesen. :-) Liest sich fast wie eine Episode aus den »Sin City«-Comics. Man fragt sich automatisch, wie viel davon deiner lebendigen Phantasie entsprungen ist und wie viel tatsächlich so stattgefunden hat. Und elegant hast du einige deiner Texte eingestreut, hä? Hihi, als würd ich das nicht merken! :-P Hat mir übrigens sehr gefallen, der riesige Brocken! Ungeschliffen, aber irgendwie macht dich das ja auch aus. Also wo du schon in Indien rumdümpelst, schön, dass du 'n gutes Stück Text dagelassen hast. Sehr faszinierend zu lesen, echt jetzt! Liebste Grüße T. aus B. an der S. (Kalt isses hier!!! Saukalt!) |
PhanThomas Re: Re: Donnerwetter... - Zitat: (Original von Honigkuchenpfe am 31.01.2011 - 12:14 Uhr) Klar, ich häng mich die Tage mal hinter. Hätt ich ja sowieso gemacht. Das ganze in gedruckter Form find ich übrigens 'ne schöne Sache. Mitunter hast du richtig tolle Ideen. :-) Übrigens stimmt das mit dem Elefantengedächtnis wohl sogar, hab ich mal gelesen. Na, schauen wir mal, ob du dich angleichst. ;-)Zitat: (Original von PhanThomas am 31.01.2011 - 00:58 Uhr) ..., wann soll ich DAS denn lesen!? :-D Na, das mach ich die Tage. Die Kommentare findest du dann wohl erst, wenn du wieder zurückkommst oder zwischendurch hier mal reinguckst oder so. Liebste Grüße Mister Faultier haha ich weiß. das ist auch für meine freundin die aufgabe, während ich wegbin. ihr hab ichs allerdings ausgedruckt, mit titelbild und in taschenbuch format, immerhin. du schaffst das!!! ich bin geduldig. und das gute gedächtnis werd ich mir von den elefanten abschaun. HA, da hast du deinen elefanten. Liebste Grüße Madame hottehü |
Honigkuchenpfe Re: Donnerwetter... - Zitat: (Original von PhanThomas am 31.01.2011 - 00:58 Uhr) ..., wann soll ich DAS denn lesen!? :-D Na, das mach ich die Tage. Die Kommentare findest du dann wohl erst, wenn du wieder zurückkommst oder zwischendurch hier mal reinguckst oder so. Liebste Grüße Mister Faultier haha ich weiß. das ist auch für meine freundin die aufgabe, während ich wegbin. ihr hab ichs allerdings ausgedruckt, mit titelbild und in taschenbuch format, immerhin. du schaffst das!!! ich bin geduldig. und das gute gedächtnis werd ich mir von den elefanten abschaun. HA, da hast du deinen elefanten. Liebste Grüße Madame hottehü |
PhanThomas Donnerwetter... - ..., wann soll ich DAS denn lesen!? :-D Na, das mach ich die Tage. Die Kommentare findest du dann wohl erst, wenn du wieder zurückkommst oder zwischendurch hier mal reinguckst oder so. Liebste Grüße Mister Faultier |