Kurzgeschichte
Zeitlos - eine Art Liebesgeschichte

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"Zeitlos - eine Art Liebesgeschichte"
Veröffentlicht am 23. Januar 2011, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Zeitlos - eine Art Liebesgeschichte

Zeitlos - eine Art Liebesgeschichte

 

Die Nacht hatte ihr dunkles Tuch ausgebreitet. Stille lag über dem kleinen Dorf, das im tiefen Winterschlaf lag. Frisch gefallener Schnee, gleich einer dicken Daunendecke, versteckte die Spuren des Tages.

Bäume und Sträucher standen träumend unter ihren weißen Mützen, kein Windhauch kitzelte ihre Nasen. Häuser und Scheunen trugen glitzernde Zuckerhüte im Licht des Mondes. Auf den Fensterscheiben der alten Holzfenster wuchsen Eisblumen in Hülle und Fülle …

Anna erwachte und schlug erschrocken die Augen auf. Etwas hatte sie geweckt. Sie tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste sie an. Die eisige Kälte der Nacht ließ sie schaudern.

Aufrecht saß sie im Bett. Ihre Hände umklammerten das karierte Plümo wie ein Schutzschild. Sie hatte keinen Blick für die weiße Wunderwelt vor ihrem Fenster. Unruhig wanderten ihre Augen durch das Schlafzimmer.

Alles stand an seinem gewohnten Platz: der Weichholzschrank mit den Schnitzereien, die alte Adler-Nähmaschine mit den Perlmuttintarsien, die schwere Wäschetruhe, auf der ihre Lieblinge aus Plüsch und Porzellan thronten, der kleine Barocksessel mit dem rosengemusterten Samtbezug neben der goldfarbenen Stehlampe und das runde Tischchen, auf dem seit langer Zeit die Wälder schwiegen.

Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.
Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt.
Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder.
Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.
Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.

Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.
Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.
Man träumt von Äckern und von Pferdeställen.
Man träumt von grünen Teichen und Forellen.
Und möchte in die Stille zu Besuch.

Man flieht aus den Büros und den Fabriken.
Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund!
Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken
und wo Spinnen seidne Strümpfe stricken,
wird man gesund.

Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.
Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
und tauscht bei ihnen seine Seele um.
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.
Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.

 

Alles war wie immer. Nichts hatte sich verändert. Anna atmete tief durch. Ihre Anspannung ließ nach. Kein Geräusch war zu hören. Sie besaß keinen Wecker, keine Uhr. Seit vielen Jahren nicht mehr. Auch keinen Kalender. Sie lebte zeitlos. Allein. Seit jenem Tag, der alles veränderte ...



Lutz und Anna lebten in ihrem Bauernhäuschen am Ortsrand in der Nähe des Schwarzwaldes. Ein entbehrungsreiches aber glückliches Leben, für das sie sich entschieden hatten. Zugetan in tiefer Liebe, die auch durch die Wirren des Schicksals nicht getrübt wurde. Bis zu jenem Tag, an dem er sie wortlos verließ. Von einer Sekunde auf die andere.

 

 

Seither verbannte sie die Zeit aus ihrem Dasein. Anna unterschied nur Tag und Nacht. Feind und Freund. Sie hasste den Tag mit seinen Pflichten. Ihr fiel es immer schwerer, diese zu erfüllen.

Früher hatten Lutz und sie Hand in Hand gearbeitet. Gemeinsam ihr Land bestellt und die Tiere versorgt. Froh gelaunt ihr Tagewerk begonnen. Lutz fröhlich pfeifend und sie ein Liedchen summend. Bis zum wohlverdienten Feierabend in der heimeligen Wohnstube oder draußen auf der himmelblauen Holzbank vor ihrem Häuschen ...

 

Anna seufzte. Wischte mit dem Zipfel ihrer Bettdecke eine Träne aus dem Augenwinkel. Ungeduldig und verärgert über ihre Gedanken, die sie von ihrer Nachtruhe abhielten. Die Nacht war kostbar. Da konnte sie länger bei ihm sein.




Sie knipste den Schalter der Nachttischlampe aus und schloss lächelnd ihre Augen …


 

zitiertes Gedicht von Erich Kästner

Text und Foto © Doris Sponheimer, auch als dodohund bekannt

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DodoSponheimer

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UteSchuster diese Geschichte hat mich mit erleben lassen - ich bin gespannt was mich noch erwartet.

Liebe Grüße Ute
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