Fantasy & Horror
Der Wandel von Lâgiin 1.4 - Câyleâns Reise

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"Der Wandel von Lâgiin 1.4 - Câyleâns Reise"
Veröffentlicht am 24. Januar 2011, 22 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Ich bin am Niederrhein geboren, aufgewachsen und lebe heute noch dort - wenn auch nicht in der selben Stadt. Das Wichtigste in meinem Leben - auch wenn es mancher nicht glauben mag - ist meine Familie. In meinen Werken ist Zusammenhalt und Konflikte zwischen Familienmitgliedern immer wieder ein Thema. Meine engste Familie, jene mit denen ich zusammenlebe, besteht aktuell aus meiner Frau Veronika, unserem Hund Xanadu, unsere Katze Trixi, sowie ...
Der Wandel von Lâgiin 1.4 - Câyleâns Reise

Der Wandel von Lâgiin 1.4 - Câyleâns Reise

Beschreibung

Als es beinahe zu spät ist, erfährt Câyleân den Grund, aus dem Menschen nicht durch das Schattengebirge dürfen. Ein riesiger Wurm lauert dort und frisst jeden, der ihm zu nahe kommt. Auf der Flucht vor jener Bestie, steht Câyleân plötzlich dem Riesenadler gegenüber. Als hätte eine Kreatur nicht ausgereicht... Cover: © LiBro@Fotolia.com

Das Liuant

Grauer Stein und Dunkelheit, wohin Caylean auch blickte. Er hatte das Gefühl, seit Monaten keinen frischen Wind gespürt und die Sonne nicht gesehen zu haben.Mit Rucksäcken voll Verpflegung und Decken waren Câyleân, Pag und Grosch Grenzgänger aufgebrochen. Die Zwerge hatten dem Jungen gesagt, er dürfe nicht durch das Dorf gehen. So nahmen sie einen Umweg über die Lagsch-Treppe und durch enge Gänge in kauf, der sie einen ganzen Tag kostete. In dieser Zeit hatte Câyleân noch versucht Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten. Doch die einzige Antwort, die Grosch gab, lautete: „Nein, nein, so geht das nicht. Frage und Antwort.“ Eine Frage stellte der Zwerg allerdings nicht. Câyleân konnte diesen Spruch bereits im Schlaf aufsagen.Auch auf die Bitte des Knaben, ihn doch ganz unter das Gebirge durch zu führen, zeigte Grosch sich stur. Er wollte den Jungen bis zum alten Pass bringen – keinen Schritt weiter.Sie liefen bereits den vierten oder fünften Tag. Ganz sicher war der Halbelf nicht. Sie gingen schweigend und zumindest Câyleâns Stimmung war ebenso finster wie alles um ihn herum. Um Lampenfett zu sparen, nutzten sie immer nur eine Laterne und das meiste Licht wurde von den Schatten der massigen Zwergenkörper verschluckt.Zu allem Überfluss zerrt das Echo an Câyleâns Nerven. Er versuchte so lautlos wie Grosch vor und Pag hinter ihm zugehen, aber es gelang ihm nicht.Grosch blieb so unerwartet stehen, dass Câyleân beinahe in ihn hinein rannte.„Was ist denn los?“, fragte der Junge gähnend, aber der Zwerg hob eine Hand zum Zeichen, dass er still sein sollte. Pag, der bisher das Schlusslicht bildete, drängte sich an dem Halbelf vorbei zu seinem Vater. Câyleân lehnte sich an die Felswand und warf den beiden Zwergen einen missmutigen Blick zu. Grosch und Pag brummten leise in der Zwergensprache aufeinander ein, von welcher der Bursche kein Wort verstand. Seufzend lehnte der Zwölfjährige den Kopf zurück und strich mit den Fingern über den kühlen Fels. Plötzlich hielt er inne. Unter seinen Fingerspitzen spürte er Unebenheiten, als hätte jemand etwas in den Stein geritzt. Câyleân warf einen kurzen Blick zu Vater und Sohn. Sie beachteten ihn nicht. Leise hockte sich der Junge hin und öffnete vorsichtig eine Klappe seiner Laterne. Im gelben Lichtschein erkannte er eingeritzte Linien. Es waren Schriftzeichen, ganz ähnlich jenen, die Câyleân auf der Tür zum Zwergenhaus gesehen hatte. Leider konnte der junge Halbelf in keiner Sprache lesen oder schreiben und zwergisch verstand er schon gar nicht. Die Zeichen mochten Wegweiser sein, an denen sich Grosch orientierte und die ihm bisher nicht aufgefallen waren.„Cây!“ Die tiefe Stimme des älteren Zwergs ließ den Knaben erschrocken zusammen fahren. Beinahe hätte er die Laterne fallen lassen. „Spar das Licht. Du wirst es noch brauchen“.Der Halbelf nickte seufzend und deckte den gelben Schein zu, während er sich aufrichtete. „Was bedeuten die Zeichen?“, verlangte er zu wissen. Bevor Grosch seinen Spruch aufsagen konnte, trat Pag dazwischen. „Es ist eine Warnung. Du musst nun sehr leise sein, Cây. Der Weg ist gefährlich.“ Pags Stimme klang ruhig und dennoch warnend. So ähnlich hatte der Vater sich immer angehört, wenn er Dânael und Câyleân etwas besonders Wichtiges erklärt hatte.„Warum? Was ist da vorne?“, erkundigte sich der Junge im Flüsterton und sah von einem Zwerg zum anderen.„Das Liuant“, erwiderte Grosch knapp und ging weiter.Ein Liuant? Was im Namen der Berge sollte ein Liuant sein? Câyleân wollte fragen, aber Pag bedeutete ihm still zu sein. Der jüngere Zwerg hielt den Knaben fest und ließ den Vater vorgehen.„Das Liuant ist ein riesiger Wurm, der sich durch den Fels gräbt“, wisperte Pag und schob den Halbelf mit einigem Abstand zu Grosch vor sich her. „Damals, als die großen Weisen das Gesetz bekannt gaben, dass Menschen nicht länger durch das Schattengebirge dürfen, brachten sie das Liuant als Wächter her. Normalerweise hält sich der Wurm nur auf der anderen Seite des Gebirges auf, an der Grenze zu Lâgiin.“„Lâgiin? Was ist das?“, unterbrach Câyleân den Zwerg flüsternd.„Das Reich, das hinter dem Gebirge beginnt. Eigentlich soll das Liuant nur die Menschen abhalten. Aber immer wieder verschwinden Zwerge, die diesen Weg weiter als zum alten Pass gehen. Man hört nie wieder von ihnen.“Câyleân warf Pag einen betroffenen Blick zu. „Warum dürfen die Menschen eigentlich nicht durch das Gebirge? Warum gibt es diesen Wächter hier?“ Der Bärtige winkte ungeduldig ab. „Später, später. Hör mir zu. Die Schrift, die du gesehen hast, besagt, dass hier ganz in der Nähe Gänge vom Liuant gefunden wurden.“„Und du meinst, wir könnten diesem Wurm hier wirklich begegnen?“, unterbrach der Junge den Zwerg noch einmal. Pag nickte. „Das Liuant wittert Menschen Meilenweit, heißt es. Und du bist nun einmal ein Halbmensch.“Câyleân blieb wie angewurzelt stehen und sah bestürzt zu dem kleinen Mann hinunter. „Du meinst es kommt auf uns zu? Wegen mir?“, fragte der Knabe erschocken, so dass Pag leise zischte und einen Finger gegen die Lippen legte. „Ich weiß es nicht. Vielleicht sind noch andere Menschen im Gebirge“, beschwichtigte er gedämpft.Andere Menschen? Câyleân runzelte skeptisch die Stirn. Wer sollte das sein? Außer den Nomaden vielleicht. Kein sehr aufbauender Gedanke. Leise seufzend wandte er den Blick Grosch nach, der ein Stück weiter stehen geblieben war. „Dein Vater glaubt, dass dieser Wurm wegen mir hier ist.“„Ja“, Pag hob seine Stimme weiterhin nicht an, fasste den Halbelf am Ärmel und zog ihn mit sich: „aber er mag dich und er wird dir weiterhin helfen. Er hat es dir versprochen und ein Grenzgänger bricht niemals sein Wort.“Ein Brummen zeugte davon, dass Grosch diese letzten Worte hörte. Mit seiner Laterne leuchtete der Zwerg den Gang vor ihnen ab und bei dem, was Câyleân in dem Schein entdeckte, blieb ihm der Mund offen stehen.Der schmale Gang sah aus wie abgebrochen. Etwas wirklich Großes hatte den Weg von der Seite her einmal durchquert. Ein Hang von losem Geröll führte in einen gigantischen Tunnel hinab. Die Drei kletterten vorsichtig hinunter und schließlich hob Grosch die Laterne und ließ sie heller leuchten. Nun konnten sie erst richtig erkennen, dass sie in einem riesigen, runden Gang mit unebenen Wänden standen. Gut zwanzig Schritte mochte dieser Tunnel im Durchmesser haben und der Gedanke daran, wie groß wohl der Wurm sein musste, verschlug den Dreien die Sprache.„In welche Richtung wird es gekrochen sein?“, hauchte Pag schließlich. Grosch hob die Schultern und leuchtete beide Richtungen der Höhle ab. Er trat an die geneigten Wände und betastete prüfend den rauen Fels. Schließlich deutete er mit der Laterne den Tunnel hinab und brummte leise: „Die Grabspuren führen dort lang. Heißt natürlich nicht, dass es den Weg nicht auch in die andere Richtung benutzt.“Pag schluckte und leuchtete in die Entgegengesetzte Richtung. Im Licht erkannten sie, dass der Gang ein wenig abschüssig verlief. „In welcher Richtung es auch sein mag, wir müssen nach oben“, entschied Grosch, dämpfte sein Licht und sah zu Câyleân hoch: „Wir müssen sehr leise sein. Und bis wir am Pass sind, gibt es keine längere Rast mehr.“
Stundenlang wanderten Grosch, Câyleân und Pag den Tunnel des Liuant entlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Der Weg wurde immer steiler und mühseliger. Grosch verlangsamte das Tempo dennoch nicht.Câyleân hatte das Gefühl, dass der alte Zwerg diesen Teil des Höhlenlabyrinths so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Übel nehmen konnte er es ihm nicht, doch Müdigkeit zerrte an dem Jungen und seine Füße spürte er ohnehin kaum noch.Endlich blieb Grosch stehen und wandte sich zu den beiden Jüngeren um. Mit seiner tiefen Stimme wisperte der Zwerg: „Wir machen eine kurze Pause.“Câyleân atmete erleichtert auf und sank auf den rauen Fels. Die Zwerge nahmen ihre Rucksäcke ab, packten Brot aus und tranken von ihren Wasserschläuchen. Der junge Halbelf war jedoch selbst zum Essen zu müde. Er benutzte seinen Rucksack als Kissen und machte es sich auf dem Steinboden so bequem wie möglich. Die leisen Stimmen der Zwerge sanken zu einem einschläfernden Gemurmel, das den Jungen beinahe sofort in traumlose Ruhe zerrte.
„Cây. Cây wach auf.“Der Knabe brummte leise, schob die Hand weg, die seine Schulter rüttelte, und drehte sich auf die Seite. „Klein’ Moment noch“, nuschelte er.„Nein. Jetzt. Sofort.“Eine kräftige Hand fasste den Jungen am Arm und zog ihn auf die Beine. Schlaftrunken rieb sich Câyleân über die Augen und blinzelte Grosch an. Er hatte das Gefühl, die Augen eben geschlossen zu gehabt.„Los. Geh schon.“Grosch drückte ihm den Rucksack in die Arme und schob ihn vorwärts.„Was ist denn los?“, nuschelte der Bursche, aber noch während er die Worte aussprach, fiel es ihm wieder ein. Sie waren in der Höhle eines Menschen fressenden Riesenwurms. Schlagartig war Câyleân wach und sah sich um, während er seinen Rucksack anlegte und von allein weiter lief.„Kommt der Wurm?“, erkundigte er sich im Flüsterton und schob gleich die nächste Frage nach: „Wo ist Pag?“„Pag ist voraus geeilt und kundschaftet den Weg aus“, brummte der Zwerg. Câyleân bemerkte, wie der Ältere immer wieder über die Schulter zurück schaute, doch er selbst musste auf den Weg vor ihnen achten. Die Laterne des kleinen Mannes brachte nur wenig Licht und der Boden war uneben und voll loser Steine, die das Liuant beim Tunnelbau verloren hatte.Alleine hätte Câyleân sicher schneller laufen können, schließlich hatte er längere Beine als der Zwerg, aber er blieb bei Grosch. Immerhin war es nur seine Schuld, dass ein Menschenfressender Riesenwurm hinter ihnen her war, der wohl auch einen alten Zwerg nicht verschmähte. Außerdem stellt sich rasch heraus, dass der Zwerg zwar nicht ganz so schnell, dafür aber ausdauernder war. Während der Junge schon bald nach Atem rang, trieb Grosch ihn immer weiter an. Und dass, obwohl der Weg inzwischen noch steiler hinauf führte.Câyleân überkam mit einem Mal ein merkwürdiges Gefühl. Er glaubte, die schweren Schritte der Nomaden hören zu können, wie sie ihn erst vor wenigen Tagen jagten. Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass es andere Geräusche waren. Es brauchte noch eine Weile, bis er es als ein eigenartiges Kratzen auf Stein erkannte. Das muss das Liuant sein, schoss es dem Burschen durch den Kopf. Er wurde noch schneller, ohne dass der Zwerg ihn weiter antreiben musste.„Dreh dich nicht um“, hörte er dessen tiefe Stimme hinter sich, nun nicht mehr geflüstert. Câyleân wollte gar nicht wissen, wie nah dieser Riesenwurm war und lief keuchend weiter. Die schmerzenden Beine und die Müdigkeit waren vergessen. Unvermittelt tauchte etwas höher der Beiden ein fahles, gelbes Licht auf und gleich darauf war die Gestalt Pags zu erkennen. Die raue Stimme des jüngeren Zwergs hallte von den Wänden wieder: „Beeilt euch! Weiter vorne ist die Treppe zum Pass noch intakt!“„Warte nicht auf uns! Lauf!“, rief Grosch seinem Sohn zu. Doch der regt sich nicht. Die Laterne in der Hand erhoben, stand Pag wie festgewachsen da und starrte an den beiden Flüchtenden vorbei.Nun konnte auch Câyleân nicht mehr anders. Er hielt inne und schaute in den abschüssigen, dunklen Gang zurück.Weiter unten konnte er zuerst nur ein fahles, rundes Etwas ausmachen. Dann erkannte der Knabe, dass dieses Etwas auf sie zu kam. Immer deutlicher waren Konturen und Einzelheiten des Liuant zu sehen. Ein riesiger, bleicher Wurm mit zwei merkwürdigen, schaufelartigen Gliedmaßen und zwei schwarze Augen, jedes größer als Câyleâns Kopf.Der junge Halbelf spürte, wie er vor Angst erstarrte. Kälte kroch seine Beine, seinen Bauch und die Brust hinauf und erreichte sein Herz. Er fühlte sich wie festgefroren, konnte sich nicht rühren und meinte tatsächlich, weißen Dampf vor seinem Mund zu sehen.Erst ein neuer grober Stoß von Grosch ließ den Knaben wieder zu sich kommen.„Beweg dich, Junge“, brummte der Zwerg und schob Câyleân unbarmherzig vor sich her. Stolpernd eilte der Bursche den steilen Gang weiter hinauf. Vor sich sah er nur das schwache, gelbe Licht von Pags Laterne. Der jüngere Zwerg drehte sich nun endlich um und lief in die Richtung zurück, aus der er kam.Câyleân betete, dass der Gang nicht mehr allzu lang war und sie die Treppe bald erreichten, von der Pag gesprochen hatte. Vielleicht würde das Liuant dann die Verfolgung aufgeben. Der Halbelf hörte den Wurm nun nicht nur, er spürte auch ein dumpfes Vibrieren im Fels.Pag blieb weiter vorne stehen. Als Câyleân und Grosch bei ihm ankamen, hörte der Junge den alten Zwerg erleichtert aufatmen. Sie hatten die Treppe zum Pass erreicht. Der große, vom Liuant gegrabene, Tunnel führte weiter in den Berg, während die Treppe schmal und steil seitlich abging. Wie schon in den meisten alten Gängen hätte ein erwachsener Mann nicht aufrecht auf der Treppe gehen können. Sie war von undurchdringlichem Fels umschlossen und so schmal, dass die drei Flüchtenden hintereinander laufen mussten.Pag behielt die Führung und damit Câyleân auf den ausgetretenen Stufen nicht stolperte, ließen sie alle drei ihre Laternen leuchten. Der Halbelf hoffte im Stillen, dass die Treppe nicht zu lang war. Ein Ende konnte er nicht ausmachen. Dafür hörte er das riesige Liuant.Nun, wo der Wurm sich erst durch den Fels graben musste, gewannen sie langsam an Vorsprung. Für die beiden Zweige war dies allerdings kein Grund, das Tempo zu drosseln. Sie scheuchten den Jungen immer weiter die Stufen hinauf. Der Knabe wagt es nicht länger sich zu beschweren, obwohl er am Ende seiner Kräfte angelangt war und mehr taumelte denn lief. Er brauchte seinen kostbaren Atem für den Aufstieg.
Câyleân konnte später nicht sagen, wie lange sie die Treppe hinauf geklettert waren. Aus der Ferne hörte er immer wieder das Poltern des Liuant und das Knirschen der Felsen, die der Wurm heraus brach. Es war ein hohes, kreischendes Geräusch, das in den Ohren wehtat. Erst allmählich wurde dem Jungen bewusst, dass er zitterte. Weißer Dampf hing bei jedem Atemzug vor seinem Mund. Die Luft war inzwischen frischer und ein leichter, aber eisiger Wind wehte ihm durch das Haar. Die Kälte war um vieles mehr willkommen als der grausige Wurm.Die Aussicht auf Tageslicht, die Sonne zu sehen und endlich aus dieser Höhlenwelt heraus zu kommen, spornte Câyleân weiter an.Und dann, nach einer Ewigkeit wie es dem Knaben vorkam, sah er Licht. Ein Lächeln zeichnete sich auf den zitternden Lippen des Jungen ab. Die letzten Stufen holte er zu Pag auf und stieß ihn sogar zur Seite, als er am Ausgang angekommen auf die Knie sank.Keuchend huschten die Augen des Burschen umher. Für einen Moment war er geblendet und registrierte kaum, wie Pag noch weiter lief und Grosch an ihm vorbei drängte.Alles war weiß. Die Berge und Felsvorsprünge waren Schnee bedeckt soweit das Auge reichte. Und an dieser Stelle reichte das Auge bemerkenswert weit. Mit wackligen Knien richtete Câyleân sich auf und blickte staunend über den Vorsprung hinweg, auf dem sie ausgekommen waren. Wo er auch hinschaute, er sah nur verschneite Berge, deren Spitzen, die nun gar nicht mehr so hoch erschienen, von weißgrauen Wolken umfangen waren. Niemals zuvor hatte der Halbelf etwas Vergleichbares gesehen. Die Aussicht war atemberaubend und für den Augenblick war selbst das monströse Liuant vergessen.Grosch und Pag hielten sich nicht mit Staunen auf. Der jüngere Zwerg stapfte bis an die Kante des Vorsprungs. Câyleân war immer noch viel zu sehr von dem Anblick der Berge gefangen, um darauf zu achten, was sein Begleiter dort tat. Erst als er diesen allzu bekannten und gefürchteten Laut hörte, zuckte er zusammen. Seit seiner frühesten Kindheit war dem Jungen eingeschärft worden, dass er sich verstecken sollte, wenn er den Ruf des Riesenadlers vernahm. Mit einem Mal spürte Câyleân die ganze Kälte des Winters und der Höhenluft bis tief in sein Herz dringen. Hinter ihm grub sich ein Menschenfressender Riesenwurm durch den Berg und vor ihm sollte nun der gefürchtete Riesenadler auftauchen? Panisch suchte er nach den Zwergen. Grosch und Pag waren keineswegs derart kopflos. Aufmerksam suchten sie den wolkigen Himmel ab. Da ertönte erneut der Schrei des Adlers. Câyleân schaute hektisch über die Schulter zurück zur Treppe. Er konnte das Liuant noch nicht sehen, aber der Wurm kam unaufhaltsam näher. Das Kreischen und Poltern wurde lauter und inzwischen bebte der Berg unter seinen Füßen.„Grosch!“, rief der Bursche nach dem Zwerg und stapfte durch den Schnee auf ihn zu. „Wir müssen hier weg! Wo ist der Pass?“Grosch beachtete ihn nicht. Statt dessen deutete er mit ausgestrecktem Arm zum Himmel. In diesem Augenblick durchbrach der Riesenadler die Wolkendecke.Noch nie zuvor hatte der Junge ein solches Tier aus dieser Nähe gesehen. Allein der Schnabel war fast so lang, wie Câyleân groß war. Die Klauen an den riesigen Greiffüßen waren sicher messerscharf. Doch trotz aller Furcht kam der Knabe nicht umhin, die Schönheit dieses Königs der Lüfte zu bewundern. Voll Eleganz schwebte das Tier unter den Wolken, die Schwingen weit ausgebreitet. Das Federkleid schimmerte in allen Gold- und Bronzetönen. In majestätischer Anmut zog der Riesenadler die Flügel an und sank hinunter. Câyleân wollte davon laufen. Sein Verstand schrie ihm zu, dass dies die einzige Möglichkeit wäre, den gigantischen Klauen zu entkommen. Doch er konnte sich nicht rühren. Seine Beine wollten ihm einfach nicht gehorchen. Zudem wurde der Junge von Grosch festgehalten. Ihm war nicht aufgefallen, dass der Zwerg die ganze Zeit auf ihn einredete: „Hast du gehört, Cây? Du brauchst keine Angst haben. Er wird dich sicher über die Berge bringen, aber du musst dich beeilen.“Der Knabe nickte ganz von allein ohne den Sinn der Worte zu begreifen. Er konnte den Blick nicht abwenden, als der riesige Vogel viel zu dicht neben Pag landete. Fassungslos beobachtete Câyleân, wie der junge Zwerg auf den Greifvogel zu lief und das Tier seinen Kopf senkte um den Schnabel an dem Zwerg zu reiben. Pag verlor dabei beinahe das Gleichgewicht. Câyleân konnte nicht begreifen, dass der Zwerg sich gar nicht fürchtete, sondern im Gegenteil ganz vertraut mit dem Adler war.„Da... das ist un-glaublich“, stammelte er.„Ja, ja“, brummte Grosch unwirsch und schubste den Jungen vor sich her auf den Adler zu. „Du kannst später staunen, wenn du in der Luft bist.“„In.. in der Luft? Ich.. ich soll fliegen? Damit?“ Câyleân wirbelte zu seinem Führer herum und schüttelte den Kopf. Das konnte Grosch unmöglich ernst meinen. Aber der ältere Zwerg schob den Jungen einfach weiter. Selbst Brondar hätte spielend aufrecht unter den Flügeln des Adlers hindurch gehen können. Erst bei Pag angekommen ließ Grosch den Burschen in Ruhe. Doch nun sprach der jüngere Zwerg auf das Kind ein, ein wenig hektisch und doch bestimmt: „Ich wünsche dir alles Gute und viel Glück auf deiner Reise, Cây. Und ich hoffe, dass du die Elfen findest. Und –“ Pag blickte über die Schulter zurück zur Treppe, als die Felsen ohrenbetäubend laut krachten und der Boden erneut bebte. Wieder zu dem Halbelf hochsehend, drückte er ihm eine kleine, hölzerne Flöte in die Hände. „Hier, damit kannst du den Adler rufen, aber sei vorsichtig. Er wird schnell launisch, wenn man ihn nicht aus einem wirklich guten Grund ruft.“„Ja, ja. Alles Gute. Und nun beeil dich, Junge“, Grosch unterbrach seinen Sohn und zog am Hemd des Knaben. „Los, hoch mit dir“, forderte er ihn auf und deutete auf den Adler, der seine riesigen Schwingen senkte. Câyleân blickte noch einmal unsicher zwischen den Zwergen hin und her, fasste dann in die langen Federn des Vogels und kletterte auf dessen Rücken hinter den Kopf. Der Bursche hatte kaum Zeit, sich richtig hinzusetzen und seinen beiden Helfern einen Dank zuzurufen, da schlug der Riesenadler bereits mit seinen Flügeln und hob vom Boden ab. Schnell ließen sie den Vorsprung unter sich. Der Adler flog eine Schleife und Câyleân neigte sich vorsichtig ein Stück zur Seite, um noch einen Blick zurück zu werfen. Eben in diesem Moment brach das bleiche Liuant durch die Felswand und richtete sich mit einem grausamen Kreischen auf. Der junge Halbelf sah noch, wie Grosch und Pag umher rannten, dann durchstieß der Adler die Wolkendecke und ein dunkelblauer Himmel, übersäht von unzähligen Sternen, bereitete sich vor ihm aus.

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Sunnypluesch
Ich bin am Niederrhein geboren, aufgewachsen und lebe heute noch dort - wenn auch nicht in der selben Stadt. Das Wichtigste in meinem Leben - auch wenn es mancher nicht glauben mag - ist meine Familie. In meinen Werken ist Zusammenhalt und Konflikte zwischen Familienmitgliedern immer wieder ein Thema. Meine engste Familie, jene mit denen ich zusammenlebe, besteht aktuell aus meiner Frau Veronika, unserem Hund Xanadu, unsere Katze Trixi, sowie einem Aquarium voller Fische. Für Letzteres ist allerdings meine Frau verantwortlich.

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Windflieger Spannend! - Schön das es weiter geht :-)
LG Ivonne
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Sunnypluesch Re: Wow! - Hallo Miss Winky,

vielen Dank für den lieben Kommentar.
Vielleicht magst du auch die letzten drei Kapitel lesen?
Viel Spaß dabei!



Zitat: (Original von MissWinky am 24.01.2011 - 19:38 Uhr) Ich kann echt nur sagen: Super!
Der Schreibstil gefällt mir, die Story ist erstklassig, flüssig lesbar, was will man mehr? ;-)
Du hast mich vom ersten Wort an gefesselt, ich werde dich mal abonnieren, um ja nichts zu verpassen!

5 Sterne auch von mir!

LG Miss Winky

Vor langer Zeit - Antworten
MissWinky Wow! - Ich kann echt nur sagen: Super!
Der Schreibstil gefällt mir, die Story ist erstklassig, flüssig lesbar, was will man mehr? ;-)
Du hast mich vom ersten Wort an gefesselt, ich werde dich mal abonnieren, um ja nichts zu verpassen!

5 Sterne auch von mir!

LG Miss Winky
Vor langer Zeit - Antworten
Sunnypluesch Re: wundervoll - Hi Michael,

danke für deinen lieben Kommentar. :o)

Eine Fortsetzung wird es bestimmt geben, aber hast du denn schon die letzten drei Kapitel gelesen?

Ich wünsche dir viel Spaß dabei.
Sunny

Zitat: (Original von LePoeteMos am 24.01.2011 - 13:57 Uhr) inhaltlich sehr schön geschrieben, eine Geschichte der ich gerne eine Fortsetzung entgegen stehe. Du magst Feen und Elfen, wie man feststellen kann und Du beschreibst wundervoll deine Gedanken, die Du auf Papier bannst. ***** Strne von mir und ich werde Dich abonnieren, um den Fortgang nicht zu versäumen,

lg Michael

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Sunnypluesch Kommentar vom Buch-Autor gelöscht.
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