Biografien & Erinnerungen
Flucht nach vorn

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"Flucht nach vorn"
Veröffentlicht am 22. Januar 2011, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an ...
Flucht nach vorn

Flucht nach vorn

Flucht nach vorn

Ich öffnete die Tür, betrat den Gastraum und hatte die Theke mit den Barhockern direkt vor mir. Rechts von der Theke standen drei Tische, von denen einer mit zwei Gästen besetzt war. Ein junges Pärchen, intensiv im Gespräch.

Links hinter mir befand sich der erhöht liegende Raum, in dem sich der Billardtisch befand. Ich hörte das Klackern der Kugeln. Ich drehte mich kurz um und warf einen Blick in den Billardraum. Zwei Männer, die dort spielten. Niemand den ich kannte.

Ich setzte mich auf meinen Platz. Der Barhocker links vom Durchgang der Theke.

Aus dem Vorratsraum hinter der Theke hörte ich Rumoren. Dann trat Tonio aus dem Raum heraus.

„Halloo! Auch mal wieder da? Lange nicht gesehen.“ Tonio schien tatsächlich erfreut.

„Ja, dachte es wär‘ mal wieder Zeit.“

„Bier? Oder Asbach-Cola?“

„Ein Mineralwasser. Sonst nichts.“

„Mineralwasser? Bist du krank oder was?“

„In gewisser Weise. Ich trinke nicht mehr. Keinen Tropfen. Seit fünf Wochen.“

„Echt jetzt? Oder willst du mich auf den Arm nehmen?“ Er blickte mich mit erstaunten Augen an.

„Nein, nein. Ist so. Ich trinke wirklich nicht mehr. In zwei Wochen geht’s in die Langzeittherapie. Ein halbes Jahr ins ‚Trockendock‘.“

Tonio setzte sich auf seinen Barhocker hinter der Theke. „Alter! Ich glaub's nicht. Sicher hast du schon immer einen ganz schönen Stiefel vertragen. Aber ins ‚Trockendock‘? Gibt’s doch gar nicht.“

Einer der Billardspieler kam nach vorne und bestellte noch zwei Bier. Tonio zapfte sie an und wandte sich dann wieder mir zu. „Erklär mir’s.“

Das tat ich. Ich erzählte ihm von meiner ersten Therapie vor zwei Jahren, meinem Rückfall und meinem erneuten Versuch keinen Alkohol mehr zu trinken. Unterbrochen wurde mein Redefluss nur durch das Bedienen der Gäste, das Tonio trotz seines Interesses an meiner Geschichte, nicht vergaß.

Er schien wirklich interessiert, war gespannte Aufmerksamkeit. Als ich geendet hatte, sagte er: „Also Paul. Hut ab, sage ich mal. Wusste gar nicht, was du da für eine Sache hinter dir hast. Du hast ja echt immer ne‘  Menge Kohle hier gelassen. Und … meine Herren, du hattest auch manchmal ganz schön einen im Tee. Aber dass du Alkoholiker bist, wie du sagst, auf den Gedanken wär ich nie gekommen. Ich find’s auch ganz schön mutig hier in die Kneipe zu kommen. Ich hätte da Angst nicht doch Lust auf en Bier zu bekommen.“

„Ja, schon. Die Gefahr ist da. Ich weiß das. Ich muss mir aber beweisen, dass das geht. Das ich in eine Kneipe gehen kann und nichts zu trinken brauch. Ich muss das wissen. Wenn’s eng wird, kann ich ja einfach abhauen.“

„Abhauen? Auch ne schöne Lösung.“ Er schüttelte lachend den Kopf.

Da öffnete sich die Eingangstür. Leo und Georg kamen herein. Gut gelaunt, lachend, lärmend. Ich hatte mit ihnen schon des Öfteren hier an der Theke gestanden und das ein oder andere Bier getrunken. Dies waren nicht unbedingt die Leute, die ich treffen wollte. Eigentlich war jetzt auch nicht ihre Zeit. Sie gingen sonst erst später in die Kneipe.

„Mensch! Wer ist das denn? Paul! Lange nicht gesehen.“ Das war Georg. „Tonio, dann mach uns mal vier Bier und ne Lage Korn. Darauf geb‘ ich einen aus!“

Mir wurde urplötzlich heiß und kalt. „Nee, lass mal. Ich will nix trinken. Mach gerade ne Pause.“ Ich war plötzlich total unsicher, wusste nicht was ich tun sollte.

Georg wandte sich an Tonio. „Hör nicht auf den. Zapf an!“

Tonio schien auch nicht zu wissen, was er machen sollte. Er schaute mich fragend an.

„Nein! Ich will jetzt kein Bier und auch keinen Korn!“

„Ihr hört es selbst. Lasst Paul doch“, stand mir Tonio zur Seite.

„Was soll der Scheiß! Da geb’ ich mal einen aus und der Kerl will nichts trinken. Macht ne Pause. Ist ja wohl ein Witz! Leo, was meinst du denn dazu?“ Georg war echt sauer.

„Manometer, Paul. Was soll denn das?“ Leo wandte sich an mich. Du bist doch der Letzte, der ins Bier spuckt. Haben wir dir vielleicht was getan? Warum willst du mit uns nichts trinken?“

Ich merkte jetzt, dass die Beiden schon einiges getrunken hatten. Hatten meine Ablehnung wohl in den falschen Hals bekommen. Mir wurde die Sache jetzt doch langsam zu brenzlig. Ich musste zusehen, dass ich hier herauskam. Bevor die Angelegenheit eskalierte. Und das konnte passieren. Ich kannte Georg und Leo. Gerade wenn sie was getrunken hatten, war mit ihnen nicht zu spaßen.

„Ich muss mal auf’s Klo“, war alles was mir spontan einfiel.

Die Toilette war im Flur, vom Flur ging es direkt auf die Straße. Das hieß, ich konnte die Kneipe verlassen, der Ausgang stand mir offen. Ich verließ die Gaststätte und machte mich schnurstracks nach Hause. Manchmal war Weglaufen wirklich besser als Stand halten. Mein Mineralwasser habe ich übrigens nie bezahlt.

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Hörbuch

Über den Autor

Epilog
Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an und als Folge davon erschienen in kurzer Zeit seine beiden ersten Krimianthologien. Der Kriminalroman ?Unter Druck - Ein Marburg Krimi? folgte.

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Epilog Re: -
Zitat: (Original von LePoeteMos am 29.01.2011 - 14:17 Uhr) eigentlich solltest Du mal daran denken, etwas längeres zu schreiben. Ich meine ein Drehbuch für Tatort, würde sicherlich die Serie bereichern,

lg Michael

Lieber LePoeteMos,
gerade längere Texte finde ich schwierig. Um bei dem Kneipenbeispiel in dem Text zu bleiben: Lange Texte sind das Bier, kurze Texte, der Schnaps.
Dumm für mich, dass ich beides nicht trinke. :))
LG
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: Ich glaube ... -
Zitat: (Original von Gunda am 24.01.2011 - 17:56 Uhr) ... das Schwerste an solchen Situationen ist, dass man nicht nur sich selbst, sondern auch noch die anderen, die es ja eigentlich gar nichts angeht, davon überzeugen muss, was das Beste für einen selbst ist ...
Nochmal: Hut ab!

Lieben Gruß
Gunda

Liebe Gunda,
vollkommen korrekt was Du schreibst. Bin auch später immer wieder in Sizuationen gekommen (nicht in einer Kneipe), in denen ich das Gefühl hatte, mich rechtfertigen zu müssen, dass ich keinen Alkohol trinke.
Liebe Grüße
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Ich glaube ... - ... das Schwerste an solchen Situationen ist, dass man nicht nur sich selbst, sondern auch noch die anderen, die es ja eigentlich gar nichts angeht, davon überzeugen muss, was das Beste für einen selbst ist ...
Nochmal: Hut ab!

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster Re: Re: Re: Re: Tränen stehen mir in den Augen. -
Zitat: (Original von Epilog am 24.01.2011 - 06:11 Uhr)
Zitat: (Original von UteSchuster am 23.01.2011 - 23:43 Uhr)
Zitat: (Original von Epilog am 23.01.2011 - 06:58 Uhr)
Zitat: (Original von UteSchuster am 22.01.2011 - 20:53 Uhr) weil ich vor kurzem genau das Gegenteil erlebt habe. Hoffnungsvoll habe ich in * Ende gut alles gut* das Gedicht *Geschafft* geschrieben und nun musste ich erleben, dass es nicht geschafft wurde. Ich bin tottraurig darüber.
Meine Hochachtung für jeden der *Wegläuft und nicht zurückgeht*

Liebste Grüße deine Ute

Liebe Ute,
tut mir leid für dich. Die beschriebene Szene ist so geschehen, für mich war dieses "Weglaufen" damals ein Schlüsselerlebnis, das mir viel Angst genommen hat.
Liebe Grüße
Rainer


ich bin stolz, dass ich dich kennen darf, du hast meine absolute Bewunderung.

ganz liebe Grüße

deine Ute

Liebe Ute,
vielen Dank für Deine Worte.
Das das Thema Sucht bei mir momentan "hochkocht" hängt mit dem Schreibfernkurs zusammen, den ich begonnen habe. Dort ist einiges an biografischen Texten gefordert. Das hier ist einer von ihnen. Es ist ganz gut sich noch mal damit auseinanderzusetzen. Es zeigt mir deutlich meine Entwicklung.
Dir einen schönen Wochenanfang
Rainer


das werde ich auch mal machen, so eine Schreibfernkurs.
Oje das ist ja dann Schwerstarbeit.

LG Ute
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: Re: Re: Tränen stehen mir in den Augen. -
Zitat: (Original von UteSchuster am 23.01.2011 - 23:43 Uhr)
Zitat: (Original von Epilog am 23.01.2011 - 06:58 Uhr)
Zitat: (Original von UteSchuster am 22.01.2011 - 20:53 Uhr) weil ich vor kurzem genau das Gegenteil erlebt habe. Hoffnungsvoll habe ich in * Ende gut alles gut* das Gedicht *Geschafft* geschrieben und nun musste ich erleben, dass es nicht geschafft wurde. Ich bin tottraurig darüber.
Meine Hochachtung für jeden der *Wegläuft und nicht zurückgeht*

Liebste Grüße deine Ute

Liebe Ute,
tut mir leid für dich. Die beschriebene Szene ist so geschehen, für mich war dieses "Weglaufen" damals ein Schlüsselerlebnis, das mir viel Angst genommen hat.
Liebe Grüße
Rainer


ich bin stolz, dass ich dich kennen darf, du hast meine absolute Bewunderung.

ganz liebe Grüße

deine Ute

Liebe Ute,
vielen Dank für Deine Worte.
Das das Thema Sucht bei mir momentan "hochkocht" hängt mit dem Schreibfernkurs zusammen, den ich begonnen habe. Dort ist einiges an biografischen Texten gefordert. Das hier ist einer von ihnen. Es ist ganz gut sich noch mal damit auseinanderzusetzen. Es zeigt mir deutlich meine Entwicklung.
Dir einen schönen Wochenanfang
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster Re: Re: Tränen stehen mir in den Augen. -
Zitat: (Original von Epilog am 23.01.2011 - 06:58 Uhr)
Zitat: (Original von UteSchuster am 22.01.2011 - 20:53 Uhr) weil ich vor kurzem genau das Gegenteil erlebt habe. Hoffnungsvoll habe ich in * Ende gut alles gut* das Gedicht *Geschafft* geschrieben und nun musste ich erleben, dass es nicht geschafft wurde. Ich bin tottraurig darüber.
Meine Hochachtung für jeden der *Wegläuft und nicht zurückgeht*

Liebste Grüße deine Ute

Liebe Ute,
tut mir leid für dich. Die beschriebene Szene ist so geschehen, für mich war dieses "Weglaufen" damals ein Schlüsselerlebnis, das mir viel Angst genommen hat.
Liebe Grüße
Rainer


ich bin stolz, dass ich dich kennen darf, du hast meine absolute Bewunderung.

ganz liebe Grüße

deine Ute
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: Ich freue mich für jeden, -
Zitat: (Original von Forseti am 22.01.2011 - 23:07 Uhr) der es geschafft hat. Der den Mut hat dazu zu stehen, dass er trockener Alkoholiker ist und der im Notfall einfach geht. Ich habe schon sehr viele scheitern gesehen...immer wieder scheitern, tielweise noch sehr junge Menschen.
Gerne gelesen!
Liebe grüße marianne


Liebe Marianne,
Danke für's Lesen. Ja, viele scheitern. Die Rückfallquote ist heute genauso hoch, wie vor Jahrzehnten. Eine klar gescheiterte Drogenpolitik. Drogenkonsum ist ja ein gesellschaftliches Problem und nicht nur das Problem des Einzelnen. Wir leben in einer süchtigen Gesellschaft. Ist einfach so.
Liebe Grüße
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: Tränen stehen mir in den Augen. -
Zitat: (Original von UteSchuster am 22.01.2011 - 20:53 Uhr) weil ich vor kurzem genau das Gegenteil erlebt habe. Hoffnungsvoll habe ich in * Ende gut alles gut* das Gedicht *Geschafft* geschrieben und nun musste ich erleben, dass es nicht geschafft wurde. Ich bin tottraurig darüber.
Meine Hochachtung für jeden der *Wegläuft und nicht zurückgeht*

Liebste Grüße deine Ute

Liebe Ute,
tut mir leid für dich. Die beschriebene Szene ist so geschehen, für mich war dieses "Weglaufen" damals ein Schlüsselerlebnis, das mir viel Angst genommen hat.
Liebe Grüße
Rainer
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