Romane & Erzählungen
DAS GESCHENK - Im Kloster ( 2 )

Teil 2: Im Kloster

Der junge Mann ist schon einige Zeit unterwegs, aber da gerade eine Seuche ausgebrochen ist, kann er in keiner Stadt oder keinem Dorf eine Arbeit bekommen. Das sind Vorsichtsmaßnahmen, weil sich in der Enge von Städten oder Dörfern  die Krankheiten sehr schnell ausbreiten. Deshalb wendet sich Gundemar jetzt einem Kloster zu. Als er nach einem ermüdenden Anstieg endlich die Höhe erreicht hat und vor der Klosterpforte steht, ist es beinahe dunkel. Immer wieder hat er in den vergangenen Wochen nach dem Päckchen getastet, das er an seinem Herzen trägt. Immer wieder haben ihn die Worte seiner Braut gestärkt und getröstet. Am meisten aber hilft ihm das Bild von Adelheid, das er in seinem Herzen trägt.

Mutig betätigt er den schweren eisernen Türklopfer in Form eines Löwenkopfes. Nach einiger Zeit hört er das Zurückschieben des Riegels und die Tür öffnet sich einen Spalt. Als der Bruder Pförtner im Schein der hoch gehaltenen Laterne den wandernden Handwerksburschen erkennt, öffnet er bereitwillig die Tür.

Gundemar stellt sich vor und erzählt, warum er vor der Klosterpforte steht. Mit einem gemurmelten „Bitte warten!“ schließt sich die Klosterpforte wieder. Nach einiger Zeit wird sie erneut geöffnet und Gundemar freundlich eingelassen. Ein junger Mann, fast noch ein Knabe, bittet Gundemar ihm zu folgen. So landet er im Badehaus des Klosters. Nach einer ausgiebigen Körperreinigung, neu eingekleidet und nach einem fürchterlich schmeckenden Kräutergebräu führt  ihn der junge Mann zum Abt des Klosters. Dieser erklärt ihm: „Lieber Freund Gundemar, das Bad, der Trank und deine neuen Kleider müssen sein. Wir wissen, dass eine Krankheit umgeht und so müssen auch wir uns so gut wie möglich vor Ansteckung schützen. Nun aber seid unser Gast solange ihr wollt.“ Gundemar nimmt die Einladung gerne an und fragt auch gleich nach Arbeit. Der Abt entgegnet ihm: „Das ist wunderbar. Schon lange liegen bei uns Bauarbeiten brach, weil sich der dafür zuständige Bruder bei einem Sturz schwer verletzt hat und die Arbeiten noch vor dem Wintereinbruch erledigt sein müssen.“

Gundemar nimmt an und so kann er hier für einige Zeit leben und arbeiten. Oft besucht er den Verunglückten, bespricht mit ihm die anstehenden Arbeiten und den Fortschritt auf den Baustellen. Als alles zur Zufriedenheit des Abtes und des Verunglückten erledigt ist, zieht Gundemar weiter. Am Tag des Abschieds stattet er dem Verletzten noch einen Besuch ab und eine innere Stimme sagt ihm: „Gib das Geschenk deiner Braut an ihn weiter. Er bedarf es mehr als du. Hab keine Angst, denn alles wird gut.“ Mit zitternder Hand überreicht Gundemar das in Stoff gewickelte Päckchen, bedankt sich für das Gelernte und sagt: „Die Liebe deiner Mitbrüder, der Glaube an deine vollkommene Genesung und die Hoffnung, dass alles gut wird, begleite dich in deine Zukunft.“ Dann dreht er sich rasch um und folgt dem Bruder Pförtner.

 

© HeiO 12-2010