Jonas
Aus seiner Nase entkamen einige Insekten und Gundolf ließ sie ziehen.
Nicht das er sich gefreut hätte, aber irgendwann nehmen alle Dinge ein Ende.
Er erinnerte sich daran, wie die ersten Termiten in seinen Ohren ansässig wurden. Zuerst störte ihn das ständige Jucken, aber er gewöhnte sich schnell daran.
Seine Frau entschied sich schon vor siebzehn Jahren nicht mehr mit ihm leben zu wollen. Sie empfand ihn als abnormal und krank.
Meine Güte, ja genau das war er auch.
Als sie ihn verließ, gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn und sah ihn so an, wie sie ihn in all den Jahren nicht einmal angesehen hatte.
Eine Mischung aus Liebe und Ekel.
Einen Monat später verunglückte sie bei so einem Survival-Training für leitende Angestellte.
Er ging nicht zur Beerdigung und schickte den Eltern eine Beileidskarte.
Danach bekam er das Sorgerecht für seine beiden Söhne.
Sie wurden ihm wieder entzogen.
"Nicht geeignetes soziales Umfeld und schwere Auffälligkeiten, die pathologische Auswirkungen ergeben können", stand in dem Brief.
Dann kamen zwei Damen vom Amt in Begleitung eines Polizisten und
holten die Kinder ab.
Ér stand nur mit offenem Mund da und versuchte die Kakerlaken, die in seinem Mund lebten nicht zu verletzten.
"Meine Güte", sagte eine der Damen und forderte die Kinder auf sich zu beeilen.
Seitdem lebte er alleine.
Die angekündigte Zwangsräumung und Einweisung in eine Einrichtung in der man ihm helfen wollte blieb aus und man vergaß ihn.
Jonas fütterte die Mehlwürmer in seinen Achselhöhlen und legte sich schlafen. Nichts passiert ohne Sinn in einem Leben. Absolut nichts.
Er träumte nicht lange, aber er träumte intensiv. Von Erbarmen, Verzeihung und vor allen Dingen von Reinkarnation. In seinen Träumen war er unsterblich und fügte Mosaiksteinchen zu Metaphern zusammen.
Als er wach wurde begann ein neuer Tag ohne Illusion. Er zerdrückte einige Heuschrecken, die in seinem Bett lagen und verspeiste keine seiner Ideen.
Komisch, dachte er, als er die gelbe Flüssigkeit aus den Hinterleibern der Insekten fliessen sah, eigentlich liebe ich euch.
Ihn quälte die Frage warum Gundolf sich von ihm entfernte. Und im Stillen sehnte er sich nach ihm. Aber seit Tagen hatte er nichts von ihm gehört.
Vielleicht war Gundolf inzwischen ein Neutrum, oder eine Teilgenesung.
Er suchte nach seinem Tagebuch, fand aber nur den Koffer mit den alten Sachen aus der Zeit seiner Entscheidungsfindung.
Ein Bild lag oben drauf.
Es zeigte ihn.
Alleine und ungespalten.
Unter seinem Bett versteckte sich eine Armada von Wanderameisen, die unruhig nach einem Ausweg suchte.
Er hatte bisher keinen.
Dann schellte es an der Tür.