Romane & Erzählungen
DAS GEBET - Das VermÀchtnis ( 5 )

Teil 5: Das VermÀchtnis

In der vorgeschriebenen Mindestzeit beendet Thomas sein Studium und schließt es mit höchstem Lob ab. „Summa cum laude!“ liest der Onkel laut vor, als er das Zeugnis seines Neffen sieht. „Bloß um Himmels willen, was will der Bub mit diesem Studium?“ grĂŒbelt er vor sich hin. Noch ist ihm dies nicht völlig klar. Da es aber etwas zu feiern gibt, landen die beiden Herren wieder in Onkels Stammrestaurant. Der Besitzer weiß schon, was es heute zu feiern gibt. So sind die beiden Herren heute seine von ihm eingeladenen, persönlichen GĂ€ste. Der Tisch ist besonders liebevoll gedeckt und das MenĂŒ ein Spezial des Hauses. Auch die GetrĂ€nke wurden fĂŒr den heutigen Tag besonders liebevoll vom Chef ausgesucht. Bei leichtem Geplauder genießen sie das herrliche Mahl. Beim Dessert angekommen, greift Onkel Karl wieder zu seiner geliebten Havanna, strahlt seinen Neffen an und sagt dann gĂ€nzlich unvermittelt: „Nun musst du mir aber deine ZukunftsplĂ€ne eröffnen.“

Thomas erschrickt, doch rasch fasst er sich wieder und beginnt: „Lieber Onkel, ich weiß, dass ich deine Firma ĂŒbernehmen sollte, aber ich möchte das nicht. Kein Mensch weiß, wie sich die wirtschaftliche Lage fĂŒr Druckereien deiner GrĂ¶ĂŸenordnung weiter entwickelt. Ich habe deshalb einen anderen Plan. Du hast mir sehr großzĂŒgig mein Studium finanziert. Ich habe so viel Elend in der Welt zu sehen bekommen und ich weiß, dass wir nur durch Anpacken etwas verĂ€ndern können. Deshalb habe ich dieses Studium absolviert. Ich bitte dich, lasse uns die Firma zum höchst möglichen Preis verkaufen und dann daraus eine Stiftung machen. Du wirst Stiftungsverwalter und ich gehe in die eigentliche Arbeit. Mein Ziel ist es, Menschen zur Selbsthilfe anzuleiten, damit möglichst viele Zellen, in denen heute noch Menschen in bitterster Armut leben, zu kleinen Paradiesen werden.“ Schweigend hat der Onkel zugehört. Immer wieder zieht er nachdenklich an seiner Havanna, wĂ€hrend deren zarter Duft sich vorsichtig zwischen den beiden MĂ€nnern verbreitet. Thomas wagt es nicht, die andĂ€chtige Stille zu unterbrechen. Er beobachtet nur angespannt seinen Onkel.

Lange dauert es, viel zu lange fĂŒr Thomas, ehe sein geliebter Onkel schließlich seinen Freund, den Restaurantbesitzer, herbei winkt. Die beiden Herren wechseln flĂŒsternd ein paar unverstĂ€ndliche Worte. Dann - oh Wunder! - wird eine Flasche Champagner serviert. Thomas weiß gar nicht, wie ihm geschieht, als der Onkel wĂ€hrend des Einschenkens sagt: „Mein lieber Neffe, ich schĂ€tze dich und respektiere deinen Plan. So wird es gemacht.“ Dann vereinbart Karl Frankenthaler sofort noch einen Termin mit seinem Notar, damit alle seine Ordnung hat.

Nun können endlich die GlÀser klingen!

Über sein Erlebnis in der Kathedrale von Chartres aber wird Thomas fĂŒr alle Zeiten Stillschweigen bewahren.

 

©Hei-O 12-2010