Das Licht blendete ihre Augen. Sie versuchte sie zu öffnen doch es war schwer. Als ob etwas Schweres auf ihren Liedern saß, welches verhindern wollte, dass sie die Augen öffnete. Also blieben sie geschlossen. „Was das hier wohl ist? Wo bin ich?“ Obwohl sie wusste, dass sie eine Identität hatte, konnte sie sich nicht daran erinnern wie diese aussah. Was war das überhaupt eine Identität? Nach einer Ewigkeit versuchte sie es erneut und siehe da, die Augen öffneten sich wie von selbst. Ihr Blick wanderte über eine rotgelbe Fläche die so weit erschien, dass es unmöglich war alles auf einmal aufzufangen. Es war weich, da wo ihr Körper lag. Zu weich. Bei dem Versuch sich aufzurichten veränderte sich die Weite schlagartig und nahm einen blau grauen Farbschimmer an der sich zwischen den Farben an den verschiedensten Stellen offenbar nicht entscheiden konnte. In der Luft flogen braune, verschrumpelte Blätter umher, doch nirgends konnte sie deren Ursprung erkennen. Keine Sträucher, Büsche oder andere Pflanzen, von denen sie hätten kommen können. Neben ihr stand ein Hahn. Als sie ihn aufdrehte kam eine Art glänzendes Wasser heraus, das so schimmerte, das sie gar nicht wagte davon zu trinken, geschweige sich damit ihr Gesicht zu waschen. War es ein Traum? Als sie ihre Hände und den Wasserstrahl tat durchströmte sie ein kaum beschreibbares Gefühl des Kribbelns. Ihr ganzer Körper fühlte sich warm an und ein frischer Herbstwind, der nach bunten Bäumen und kühler Sonne schmeckte wehte in ihr Gesicht.
Bei dem Versuch aufzustehen fasste sie ins Leere. Ein weiterer Versuch aufzustehen scheiterte zwar nicht, doch stand sie nicht. Es war mehr wie ein gleitendes schweben. Kurz über der Fläche, auf der sie gelegen hatte, schwebte sie und versuchte die Balance zu halten. Die Blätter umspielten ihre goldblonden Haare und sie blickte auf. Wo war sie nur? Wer war sie? Und was war passiert? Als ob der Kopf leer sei, so fühlte sie sich. Einen Blick nach oben werfend erschrak sie und fiel zurück.
Etwas höher saß eine Frau und lächelte sie an: „Wie jeder andere erst einmal die Gegend erkunden was? Willkommen in unsere Welt, Nike.“
„Nike?“
„Dein Name. Nike. Außergewöhnlich wenn ich das sagen darf, aber doch nett. Obwohl ich meine Tochter nie so genannt hätte.“
„Willkommen wo?“
„Willkommen auf der nächsten Stufe des Lebens.“
„Verzeih meine unhöfliche Einführung. Ich bin Olga.“ Lächelnd kam sie zu Nike herunter und gab ihr die Hand. „Zu Anfang ist es oftmals noch etwas ungewohnt. Aber du wirst dich schnell einleben versprochen. Bisher hatten wir noch nie Probleme.“
„Einleben? Nächste Stufe des Lebens? Entschuldige, ich bin verwirrt. Wo bin ich? Ist das ein Scherz? Ich verstehe gar nichts und … heeee warum schwebe ich?“
„Das liegt daran das die Beschaffenheit der Ebenen, auf denen wir uns bewegen so fein sind, dass sie keinerlei Berührung vertragen. Deshalb stoßen sie unsere Körper ab.“
„Aha. Das beantwortet aber immer noch nicht meine anderen Fragen.“
„Dämmert es dir nicht langsam? Spätestens jetzt solltest du wissen was passiert ist?“
Fragend blickte Nike umher. „Es tut mir leid aber ich habe wirklich keine Ahnung.“
„Hmmm das ist merkwürdig. Eigentlich müsstest du längst wissen was los ist. Ich bin gleich wieder da, warte hier.“ Weg war sie.
„Wüsste auch nicht wohin ich gehen sollte, ach was ich kann ja nicht gehen, nur schweben. Und dann sieht hier auch noch alles gleich aus.“, murmelte Nike. In diesem Moment veränderte sich schlagartig alles. Die Ebene wurde vollkommen dunkelblau und um sie herum erschienen Linden und Goldregen. Es erschien wie ein grasartiger Weg, doch sah es nicht aus wie Gras. Vielmehr wie viele Punkte die wahllos zusammengefügt worden waren.
„Was zum…“, verwirrt bewegte Nike sich herum. Die Luft duftete nach einem eigenartigen Geruch der nichts mehr mit dem herbstlichen Naturgeruch zu tun hatte.
„Alles klar,“ rief eine Stimme hinter ihr. Olga lächelte sie an und kam tänzelnd auf sie zu. „Was ist?“ „Na hier verändert sich alles ständig. Siehst du es denn nicht?“, Nike blickte sie erstaunt an.
Olga lächelte. „Nein ich sehe nur mein eigenes Bild. Die jeweils anderen können in deinem Bereich nicht sehen was du siehst. Damit soll dein Innerstes geschützt werden. Das was du siehst sind nur Spiegelbilder deines Unterbewusstseins. Auch draußen wirst du viele Dinge sehen die ich nicht sehen werde. Darüber musst du nicht sprechen. Allerdings solltest du wenn du merkst dass etwas Bedrohliches auf dich zukommt Bescheid sagen.“
„Wieso? Fängst du es dann ein?“
„Nein!“, Olga grinste. „Du musst es erzählen und darüber sprechen was es damit auf sich hat. Nur so kannst du weiterkommen.“
Verwirrt blicke Nike umher. „Aha. Ok und was soll das hier? Das kann doch alles nicht wahr sein. Wo zur Hölle bin ich?“
„Da jedenfalls nicht.“, murmelte Olga. „Also bin ich im Himmel?“
„Nein leider nicht da wären wir alle gerne, aber das wird noch dauern.“
„Wie lange ungefähr? Nur damit ich weiß worauf ich mich einstellen muss.“
„Och so 4 oder 500 Jahre?“ „Bitte?“
„Keine Angst, mit der Zeit wirst du es verstehen. Jetzt musst du hier erstmal alles kennenlernen. Die Zeit ist hier oben anders bemessen.“
Sie traten einige Schritte weiter nach draußen und Nike sah sich in einer von Wasserfällen und Wolken umgebenden Landschaft wieder.
Fasziniert von ihrer Umgebung vergas sie alle Fragen und wurde, an die Hand genommen, von Olga herumgeführt die ihr zeigte wie man das Gleichgewicht halten konnte. Kaum hatten sie einige weitere Schritte gemacht, verließen, sie die Wasserfälle und kamen auf eine mit Erde und Steinen belegte Ebene. In der Ferne sah man einen strahlenden Turm dessen Schönheit sie nicht losließ. Mit der Zeit und an den Anblick gewöhnt kamen die Fragen wieder hoch. Nike versuchte Olga zu ihrer Situation zu befragen, doch wich sie immer wieder aus und sagte: „ Irgendwann wirst auch du dies erfahren.“  Stunden schien es zu dauern bis sie die wichtigsten Punkte erreicht hatte. Alles schien so organisiert aber gleichzeitig frei. Jedes Wesen hatte seinen eigenen Bereich und eigene Aufgaben die es erledigen musste. Auch Nike, erklärte Olga, werde bald erfahren was sie zu tun habe. Auf die Frage was dies für Aufgaben wären wich Olga wieder halbherzig aus. „Es gibt zwei Formen von Aufgaben, einmal die persönlichen und dann die allgemeingültigen. Das wirst du dann noch sehen. Jedenfalls musst du diese Aufgaben erledigen wenn deine Seele weiterkommen soll.“
„Meine Seele? Und mein Körper?“ „Du hast im Religionsunterricht wohl nie aufgepasst was?“ „Im was?“ Lächelnd antwortete Olga:„ Der Körper ist eine Hülle in der die Seele lebt. Doch irgendwann will die Seele raus und nur noch in ihrer originalen Form existieren. Doch der Weg dahin ist schwer und oftmals sehr schmerzhaft. Darüber reden wir aber noch wenn es soweit ist.“, wehrte sie ab, als Nike eben ihre Stimme erheben wollte, um weiterzufragen. Zurück in dem eigenen Bereich   setzte sich Olga auf einen weißen wolkenartigen Vorsprung und blickte neugierig umher. „Also. Erzähl doch mal wie du deinen eigenen Bereich gestalten möchtest?“ „Wie gestalten?“ „Nun, welche Farben sollen hier vor allem vorkommen? Bilder? Pflanzen?“
„Hmmm. Ich glaube ich würde gerne viel blau hier haben. Und wie mach ich das nun?“
„Schließe die Augen und konzentriere dich auf die Farben.“
„Du kannst es aber nicht sehen oder?“ „Nur wenn du es mir beschreibst und mich teilhaben lässt.“
Nike tat wie ihr geheißen und plötzlich erschienen die schönsten Blautöne vor ihren Augen. Während Sie Olga schilderte was sie sah und erschuf, platzierte sie Schimmernde, matte, ineinanderübergehende, dunkle und helle Blautöne. Nike öffnete die Augen und blickte umher. Wie von selbst hatte sich die Farben auf Boden und Ränder verteilt. Schnell hatte Nike heraus wie man die Farben und Gegenstände vermischen, verändern oder wieder weiß machen konnte. „Das Grobgerüst steht? Wunderbar. Nun richte es ein.“ Olga lächelte und blickte gespannt.
Wieder schloss sie die Augen und begann wieder zu erzählen. Als sie ihre Augen öffnete stand ein Bett vor ihr das an allen vier Ecken an blühenden Goldregen befestigt war. Das Gerüst bestand aus weißem Holz mit Schnitzereien. Darauf zugehend war ihr als würde alles um sie herum verschwimmen.
Sie saß in einem Zimmer mit weißer Tapete. Das Bett stand hinter hier und sie blickt in einen Spiegel eines Schminktisches auf dem eine dunkelblaue Schatulle stand mit roten Stickereien. Olga blickte sie an. „Was siehst du?“
Nike schwieg, ging zu ihrem Schminktisch und öffnete die Schatulle. Als sie an sich herunterschaute sah sie ein blaues durchsichtiges Kleid und weiße flache Schuhe. In den Spiegel zurückschauend sah sie ihre blonden leicht gewellten Haare an sich herunterfallen, ihr Augen strahlten sie an. Hinter ihr öffnete sich die Tür und ein Mann trat rein. Er hatte schütteres blondes Haar, das ihm wohl bald ausfallen würde. Er trug dunkle Stoffhose, ein weißes Hemd sowie einen gelben Schlips. Sie stand wie von alleine auf und bewegte sich auf ihn zu. Er hatte eine große Nase, schmale Lippen und war offenbar angespannt. Als sein Blick auf sie fiel entspannte sich alles. Trotz seines nicht besonderen Aussehens hatte sie das Gefühl alles in ihr würde vor Freude zerspringen als sie ihn sah. Es durchströmten sie Gefühle die sie zwar nicht definieren konnte, allerdings fühlten diese sich so gut an, dass Nike sie nicht wieder loslassen wollte. Sie öffnete die Augen und war wieder da. Olga betrachtete sie fasziniert wie sie da stand, vollkommen erstarrt. „Es waren wohl glückliche Erinnerungen die du da gesehen hast was?“ „Was meinst du?“ „Dein Lächeln sagt alles.“  „Was waren das für Erinnerungen?“ „Weißt du das nicht selber?“
„Nun wenn ich es wüsste müsste ich ja nicht fragen.“ „Auch dazu…“ „Lass mich raten, kommen wir später? Im Verzögern seid ihr hier oben wirklich gut. Dauert es deshalb 5000 Jahre bis man mal weiterkommt?“
„Manchmal sind Verzögerungen gar nicht so schlecht.“
Grummelnd wandte Nike sich ab und stellte fest, dass die Schatulle verschwunden war. Sie ging um die Bettpfosten herum und sah, dass sie wieder das grüne Hemd und die weiße Leinenhose trug, die sie vor den Erinnerungen getragen hatte. Nach einiger Zeit drehte sie sich um und sah Olga mit geschlossenen Augen über dem Boden liegend vor sich her summen. „Und nun?“
„Ich würde sagen wir gehen etwas umher und erkunden die Gegend. Dabei kann ich die erzählen, was alles auf dich und mich zukommt, was du lernen musst und wie du dir deine Zeit vertreiben kannst.“
Die beiden verließen Nikes Ebene und blickten sich um. Schweigend gingen sie umher, Olga begrüßte Andere die sie kannte, Jung und Alt, Babys und Tiere. Zwischendurch kamen sie an Türen vorbei hinter denen es mal Laut, mal Musikalisch und mal ruhig war. „Das sind Zeittore. Mit ihnen kannst in die Antworten finden die du suchst. Allerdings solltest du aufpassen nicht das Falsche zu benutzen. Ich bin einmal aus Versehen in ein Zeittor geraten, dass mir die Erinnerungen eines alten Mannes aus dem Jahre 1287 zeigte. Eine nicht sehr nette Zeit.“ Schließlich drehte sich Olga herum und blickte zum dem Turm der immer sichtbar hell und prächtig in der Ferne zu stehen schien. „Lass uns Morgen weiter machen.“
„Morgen? Ich dachte wir wären…“ „Was? nicht an die Gezeiten gebunden weil wir nicht mehr auf der Erde leben?  Doch, an die Zeiträume Tag und Nacht sind auch wir gebunden.“
„Wo drin unterscheiden wir uns dann von den Menschen?“ „Ach Nike, es gibt vieles in dem wir anders sind.“ „Und zwar?“ „Nun zum Beispiel fühlen wir zwar mit, aber nicht selber für uns. Das ist doch das schöne, dass alle weltlichen Probleme für uns nicht mehr gelten. Erinnere dich doch mal an dein Leben und an das ganze Gefühlschaos in welchem du ständig stecktest.“
Nike wollte gerade antworten als sie erstaunt sah wie ein sich ein Tor öffnete und ein Kind kam heraus. Es hüpfte leichtfüßig über die Ebenen hinweg und versprühte mit seinen Zehen kleine Sterne die nach einigen Sekunden platzten. Leise summte es eine Melodie, die Nike bekannt vorkam und bewegte sich auf eine Frau zu, die sie lächelnd bei der Hand nahm und mit ihm hochschwebte.
„Kinder sind auch hier oben?“ „Ja leider. Das ist der weniger angenehme Teil hier. Man wird mit allen Alterklassen konfrontiert.“ „Wieso? Ich meine weshalb….“
„Wir haben leider auf vieles keinen Einfluss Nike. Wie denn auch? Dazu entscheiden wir uns als Menschen zu gern. Die Menschen neigen dazu sich ständig zu fragen, was wäre wenn.“
„Aber das tust du doch auch? Ich merke doch, dass sich jeder hier oben diese Frage stellt. Was wäre wenn ich nicht gestorben wäre? Was wäre wenn ich manche Dinge anders oder gar nicht getan hätte? Ich werde dies doch sicher auch tun wenn ich mich wieder erinnern könnte oder?“
„Deine schnelle Auffassungsgabe spricht für dich. Wir alle waren mal Menschen und manchmal werden wir wieder zu welchen. Von daher liegt diese Frage wohl in der Natur der  menschlichen Seele.“
„Manchmal werden wir wieder zu welchen?“
„Nunja das kommt auf mehrere Aspekte an.“
„Erkläre sie mir!“
„Heute nicht, das würde zulange dauern.“, rief eine dunkle Stimme unterhalb der Ebene, auf der sie gerade standen. Ein Blonder Mann mit strahlenden Augen kam empor. Olga lächelte. „Nike darf ich vorstellen, dass ist Johann. Mit Mitte 40 als Junggeselle gestorben. Ich vermute bis heute, dass es an seinem Lebensstil lag.“, grinsend stellte sich Johann neben sie.
„Nun man darf das wohl nicht bestreiten. Fakt ist jedoch, dass ich niemanden mitgerissen habe. Ich bin ganz alleine und ohne viel Aufsehen eingeschlafen und nie wieder aufgewacht!“ „Pah von wegen. Du warst noch betrunken als du hier oben aufgewacht bist. Jedenfalls roch dein Körper danach.“ „Ahja mein lebloser bzw. jetzt wieder lebender Körper. Was meinst du Nike, können wir als Tote von Körper sprechen oder sind es mehr Hüllen die dazu dienen, dass sich unsere umherschwebenden Seelen nicht auf einmal verknoten wenn sie aneinander vorbei gehe?“ Nike kicherte und Olga schnaufte. „Irgendwann kriegst du noch mal Ärger.“
„Dies ist ein freier Himmel.“
Olga und Johann verabschiedeten sich von Nike und schwebten davon. Nike hörte Olga noch lachen, dann waren sie weg. Sie blickte sich auf ihrer Ebene um. Nirgendwo war eine Schatulle oder etwas anderes. Sie legte sich auf das Bett und blickte in einen Sternenhimmel der so überwältigend schön war, dass sie kaum die Augen schließen wollte.
Sie sah etwas Helles und es wurde heiß. Ihre Augen brannten, es roch unangenehm und in der Ferne hörte sie laute Schreie sowie das laute durcheinander Rufen verschiedener männlicher Stimmen. Als sie sich umdrehen wollte um der Situation zu entkommen war es, als ob etwas ihren Körper festumschlungen hielt. Sie konnte nicht raus und das Atmen wurde immer schwieriger. Sie wand sich, trat und schrie aber ihr Körper wurde immer fester gehalten. Plötzlich merkte sie wie ihr Körper anfing zu brennen und voller Panik begann sie zu weinen. Die Tränen flossen ihre Wangen runter und sie schloss ihre Augen.
Als Nike ihre Augen öffnete blickte sie wieder in den Sternenhimmel der jedoch immer blasser wurde. Es wurde hell und sie setzte sich auf und bewegte jede einzelne Gliedmaße ihres Körpers. Dann erinnerte sie sich und ein Schaudern überkam sie.
„Ah du bist also schon wach? Dann können wir ja beginnen dich auf deine neues „Leben“ vorzubereiten und… du meine Güte wie schaust du mich denn an?“
„Ich habe wohl schlecht geträumt.“ Nike schloss für einige Sekunden die Augen und atmete tief durch. „Womit beginnen wir?“
„Nun du wirst mithilfe von Johann und mir die ersten drei Stufen erklimmen.“ „Und dann?“ „Das gehört nicht mehr in unser Aufgabenfeld. Wir begleiten dich dabei deine Seele zusammenzufügen, deinen letzten Aufgaben zu erledigen und dafür zu sorgen beziehungsweise eher dir zu helfen, nicht in die Hölle zu kommen.“
„Moment. Es gibt eine Hölle?“ „Ja so in etwa. Aber es ist kein Vulkan der nach Schwefel und verfaulten Eiern stinkt. Eigentlich sieht es ähnlich aus wie hier, nur gibt es wenig helle Farben.“
„Und das ist so schlimm? Wo liegt genau der Unterschied?“
„Nun, wenn du kein Problem hast jeden Tag nach deiner Identität zu suchen, dass unterbewusst zu wissen und nach jeder Freude immer noch depressiver zu werden dann geh hin!“
„So schlimm?“
„Naja, natürlich ist dass nur die Extremform. Die Hölle ist wie gesagt nicht voller Schwefel, Feuer oder Asche. Es sind vielmehr die Seelen dort unten die einem Angst haben. Der Teufel, wenn du ihn so nennen willst, kennt nur Extreme. Bei ihm heißt es wenn du nicht für ihn bist, bist du automatisch gegen ihn. Du erlebst deine schrecklichsten Momente und Ängste jeden Tag aufs Neue damit du ihn nicht bekämpfst. Angst ist seine größte Waffe. Er ist der Inbegriff der Intoleranz. Gerätst du einmal in seine Fänge kann dich nur ein erneuter Tod befreien. Den Weg aus dem Bösen heraus hat bisher noch niemand geschafft, da das schlechte Gewissen einen immer weiter verfolgt.“
„Wieso stirbt man dann nicht?“
„Das ist nicht so leicht. Die Hölle, das Verhältnis zwischen Gut und Böse und die Entscheidung für das Böse ist hoch komplex. Wählt jemand dieses Schicksal kann er sich selbst nicht retten. Zuerst muss derjenige der dir am meisten bedeutet dich finden und dir drei Fragen stellen die nur du beantworten kannst. Dann muss er mit dir an einen besonderen Ort gehen. Für jede Person gibt es immer nur einen bestimmten. Und dort muss er dafür sorgen dass du dich hinlegst und laut deine Liebe zu ihm und zur Gerechtigkeit bekennst.“
„Das klingt ja wie ein märtyrerhaftes Labyrinth?“
„Oh ja. Jemanden in der Hölle zu finden ist sehr schwierig. Niemand kennt sie auswendig. Selbst der Teufel kennt sie nicht in ihrer Gänze, da sich überall immer wieder neue bösartige Formen bilden. Den Ort zu finden wird genauso schwierig denn man hat nur 2 Versuche beim dritten, wird dein Partner ebenfalls in die Hölle kommen. Und dann versuche mal jemanden irgendwo hin zubekommen der Todesangst hat. Es ist wie ein Hürdenlauf der kaum zu bewältigen ist. Des Weiteren durchlebt derjenige der rettet während der ganzen Zeit die schlimmsten Qualen und Visionen wodurch die Angst des desjenigen der gerettet werden soll noch mal verstärkt wird.“
„Hast du es mal versucht?“
„Nein. Aber ich kenne jemanden der es versucht hat. Er ist nie wiedergekommen die Person die er retten wollte allerdings schon.“
„Aber es haben auch schon welche gemeinsam geschafft?“
„Das mag wohl sein. Aber wer kennt denn wen schon so gut, dass er seinen Ort ausmachen könnte? Selbst die Liebe vermag dies nicht immer zu gewährleisten.“
„Darfst du so was im Himmel überhaupt sagen?“
„Natürlich! Das ist das Schöne hier, man ist frei in allem was man tun und denken darf solange es niemanden verletzt.“
Die beiden Frauen gingen weiter und Nike schaute nachdenklich auf einige Bereiche die gerade umgestaltet wurden. Die verschiedensten Ideen wehten zu ihnen rüber und nach einigen Minuten fiel ihr ein, weshalb sie Olga nicht sofort verstanden hatte.
„Du?“
„HMMM?“
„Was meinst du mit Liebe?“
Olga schaute Nike an als ob sie etwas Entsetzliches gefragt hätte.
„Was ist?“ Habe ich etwas falschen gesagt?“
„Nein! Aber ich dachte ich hätte noch etwas Zeit bis du solche Fragen stellst.“
„Was meinst du mit solchen Fragen?“
„Sie meint damit, dass wir in unserer Existenz wesentlich unkomplizierter sind als die Menschen!“
Lächelnd kam Johann auf uns zu und Olga atmete erleichtert auf.
„Sehr gut dann gehe ich solange und frage ob bei der Außengestaltung vielleicht noch ein Platz für dich frei ist.“
„Wieso geht sie denn jetzt?“
„Jeder der irgendwann mal schlechte Erfahrungen gemacht hat flieht. Außerdem sind dies Fragen auf die nicht jeder gut antworten kann.“
„Wie bitte?“
„Ich sehe schon wir müssen von vorne beginnen.“
Johann grinste und reicht Nike die Hand.
„Komm! Wir lassen mal die Arbeit Arbeit sein und machen das was ich am liebsten tue.“
„Und das wäre?“
„Wir suchen uns einen nicht gestalteten Bereich und formen ihn um.“
Johann zog Nike hoch in einen Bereich wo sie mit Olga noch nie gewesen war. Mit jedem Zentimeter denn sie flogen würde es kühler aber gleichzeitig angenehmer. Es war als ob etwas Lösendes in der Luft lag. Nike hatte auf einmal dass Gefühl fernab von allem zu sein. Alles kribbelte als sie durch die noch wild ineinander gefügten Wolken flog, als sie die verschiedensten noch unberührtesten Gebilde vor sich sah. Es war ein Anblick der sie alles vergessen lies, was sie in den letzten Tagen erfahren musste. Dass sie in einer anderen Welt lebte, die Ungewissheit was sie hinterlassen hatte und die Fragen die ihr auf der Zunge brannte. All dies schien unwichtig.
„Wo sind wir?“
„ Hier? Naja man könnte sagen wir sind da wo der Ursprung und das Ende in einer perfekt zusammengefügten Symbiose zusammenkommen und harmonieren.“
„Wie soll das funktionieren?“
„Das, meine liebe Nike wirst du irgendwann verstehen. Aber bis es soweit ist müssen erstmal de Grundlagen begriffen werden.“
„ Wenn wir hier jetzt herum gestalten, fällt das nicht auf?“
„Nein, denn alles wird wieder in seinen Ursprungszustand versetzt wenn du es verlässt. In dem Moment wo du deine Füße in die Luft setzt wird alles was du hier gemacht hast verschwinden und nur in deiner Erinnerung bleiben. Ich werde mich an keines der Gebilde erinnern können. Deshalb verraten die meisten von uns erst hier oben ihr Gedanken.“
„Und es gibt niemanden der diese nicht doch wiederherstellen kann?“
„Nein. Selbst der Höchste von uns allen könnte das nicht. Die Gedanken, Wünschen und Träume eines Wesens sind sein eigenes Gut und nichts und niemand darf sie sich aneignen.
Das würde allem widersprechen was hier oben gilt.“
Nike setzte den Fuß auf einen mittelgroßen, sehr grauen mit Beulen und Löchern durchsähten Bereich und begann die Löcher zusammen zu flicken. Sie nutzte dazu ein blutrotes Garn von Nebel das hervorschimmerte. Zwischendurch schaute sie zu Johann rüber der offenbar einen Strauch herstellte und dabei fröhlich vor sich hersummte.
„Johann?“
„Nike?“
„Was ist das nun mit der Liebe?“
„ Ah ja die Liebe. Ein wunderschönes aber doch unglaublich hoch komplexes Thema aus Menschensicht. Dabei ist es das simpelste überhaupt und wunderschön obendrein. Was glaubst wie die Menschen andere Menschen herstellen?!“
„Keine Ahnung. Was für Möglichkeiten gibt es denn? Wachsen? Züchten? Blödmann. Ich weiß durchaus was zwischen Männlein und Weiblein geschieht wenn ein Kind gemacht werden soll oder man generell miteinander schläft.“
Johann lachte laut und verpasste seinem Strauch einen weiteren Zweig mit Blüten dran.
„Ha, die Antwort hatte ich noch nicht. Aber nein. Menschen machen ihre Kinder immer zu zweit Mann und Frau. Schön wenn die Erinnerung langsam hochkommt oder?“
„Welche Erinnerung…..OH. Ja doch sie kommt. Wann hört das endlich auf?“
„Bis du wieder vollständig weißt wer du bist.“
„Aber warum? Weshalb ist hier oben alles so anders? Wieso fällt mir erst wieder ein was Liebe ist, wenn ihr mich daran erinnert?“
„Das liegt daran, dass du hier vollkommen neu anfangen musst. Wenn du hierher gekommen wärst und hättest noch alles gewusst, was glaubst du wäre passiert?“
„Nun vermutlich hätte ich gedacht ich würde träumen.“
„Eben. Und um das zu vermeiden musste dein ganzes Gehirn sozusagen in ein Koma versetzt werden, das langsam wieder aufwacht.“
„Verstehe. Und jetzt?“ „Was meinst du?“ Johann spielte mit einem Wolkenzipfel der offenbar abgetrennt worden war und nun orientierungslos umherschwebte.
„Du wolltest mir erklären was Liebe nun eigentlich ist.“
„Weißt du es denn nicht selber?“
„Nein wie denn? Ich bin doch gestorben bevor es richtig losgehen konnte.“
„Erzähl mir davon.“
„Ich war, bin, nein war, ach egal als ich starb war ich 25. Es war ein Unfall, glaube ich. Ich bin mit meinem Auto über die Autobahn und als mich ein Lastwagen überholte muss der Fahrer eingeschlafen sein oder so, jedenfalls war ich dann hier.“
„Willst du sehen was passiert ist?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht nicht jetzt. Wer weiß was dann mit mir passiert. Und wir haben doch alle Zeit der Welt oder?“
„Ja da hast du Recht. Aber irgendwann wirst du es wissen wollen glaube mir.“
„Wie bist du gestorben? Warst du wirklich betrunken?“
„Ich bin an einer Hirnblutung gestorben. An der hatte allerdings keiner Schuld. Ich wollte den Müll runterbringen, betrunken, als ich gestolpert bin und dabei mit dem Kopf auf das Geländer gefallen bin. Relativ unspektakulär. Aber genug vom Tod, lass uns davon sprechen was Liebe ist, denn dass war doch deine eigene Frage. Liebe….. was fällt dir dabei ein? Welche Gefühle hast du wenn du daran denkst? Was kommt in dir hoch?“
Nike blickte ihn verständnislos an. „Schließe deine Augen und denk nur noch an das Wort. Lerne deine Gefühle zu verstehen.“
„Gefühle? Ich dachte wir hätten hier oben keine!“
„Bei dem mächtigsten Gefühl der Welt kann selbst der Herr nichts tun. Die Liebe ist so stark weil er sie erschaffen hat deshalb kann sich kein Wesen dagegen wehren. Also was meinst du? Schließe mal die Augen und denke darüber nach. Lass es zu was da in dir hochkommt“
Nike schloss die Augen und entspannte sich.
„Ich denke an Freundschaft, glücklich sein, immer Lachen, jemanden lieben mit allem drum und dran, ich fühle einerseits Wärme, Geborgenheit und eine unüberwindbare Welle von glücklichen Momenten. Aber andererseits ist es als ob in mir etwas Schwarzes hochkommt. Als ob ich weinen müsste es aber nicht tue. Ich mache etwas, obwohl ich es eigentlich nicht will, ich bin verzweifelt… was soll das denn?“ Verwirrt öffnete Nike die Augen und schaute zu Johann auf, der sich offenbar in der Zwischenzeit eine Liege gezeichnet hatte und nun in der Luft darauf schwebte.
„Das waren deine Erinnerungen an die Liebe, die du als Mensch empfunden hast.“ „
Soll das heißen ich habe jemanden geliebt obwohl ich das nicht wollte? So langsam glaube ich will ich doch wissen wie ich gestorben bin.“
„Dazu kommen wir später. Zuerst musst du verstehen. Liebe ist nicht gleich Glück. Es gibt verschiedene Arten von Liebe und oftmals werden sie verwechselt. Ein Mann und eine Frau verlieben sich nicht einfach. Sie lernen sich kennen und schauen ob es passt. Offenbar gehörtest du zu den Menschen die Liebe in ihrem Kopf beschließen und ihr Herz kaum gebrauchten. Verwirrung ist da ein einleuchtendes Gefühl.“
„Vollkommen klar.“
„Na so schwer ist das nun auch wieder nicht. Du hast als Mensch nicht den Menschen geliebt, sondern das was er ist.“
„Wie soll das denn funktionieren? Hallo ich bin Johann und ich kläre auf. Das wäre ja als ob ich genau das gut finden würde.“
„Nein so ist das natürlich nicht. Es ist vielmehr so, dass du früher, naja was heißt früher so alt bist du ja nicht geworden….“
„Oh vielen Dank dass du mich daran noch mal erinnerst.“
„So meinte ich das nicht. Außerdem wolltest du wissen was Liebe ist. Nicht ich, denn ich weiß es schon. Du hast als Mensch nicht auf das Innere geachtet. Das geht vielen Menschen so und verwerflich ist an so einer Liebe eigentlich gar nichts.“
„Dennoch missbilligst du sie?“
„Es ist keine wirklich Liebe. Die Liebe zu Geld, Macht und materiellem Reichtum wird häufig verwechselt mit der Liebe zu einer Person. Weiterhin wird diese Liebe oft zu Gier oder schwenkt schnell zu Hasse um. Bei einer bedingungslosen Liebe ist das meist vollkommen anders. Interessant wird es bei deiner Verwirrung.“
„Mir wird das zu komplex. Liebe. Immer geht es nur um Liebe. Und wieso Verwirrung? “
„Weil sie es ist, welche alle Wesen miteinander verbindet. Um sie zu verstehen muss man sie selber erlebt haben. Und deine Verwirrung deutet darauf hin, dass es in deinem Leben eine große Liebe gegeben hat. Ich frage mich nur was mit ihr geschehen ist.“
„Aber wir habe doch gerade festgestellt, dass das nicht funktionieren kann bei mir da ich meine noch nicht gefunden habe, nach deinen bisherigen Aussagen und jetzt soll die Verwirrung mir beweisen, dass ich sie doch gefunden hatte?.“
Johann stand von der Liege auf und macht sich daran einen neuen Neben zu erschaffen um diesen zu formen.
„Johann! Antworte mit. Was ist los? Ich merke doch das du mir etwas nicht sagst.“
Er drehte sich um und Nike sah in ein mitleidiges Gesicht, das nicht sprechen wollte.
„Was?“
„Du hast vollkommen Recht wie sollst du es begreifen. Doch Nike, du hast gerade einen Aufgabenbereich angesprochen den du selber erledigen musst, wenn du dauerhaft hier oben bleiben willst. Ich würde es dir ersparen, aber wenn du es nicht tust wird dich diese Welt hier oben verwirren. Du wirst sie nie begreifen können, wenn du nicht begreifst das Liebe auch bedeutet loszulassen und dem Gegenüber sein Glück zu verschaffen.“
„Ich begreife nicht. Ihr sprecht immer von Aufgaben, von Liebe und den damit verbundenen Gefühlen. Ich bekomme immer gesagt, dass mich noch eine Aufgabe erwartet. Ich dachte ich bin tot und alles ist vorbei. Wieso soll da denn noch eine Aufgabe kommen. Ich bin tot! Auf was soll ich denn noch Einfluss nehmen? Das ist geradezu lächerlich!“
„NEIN! Nike tu das nicht….“
Doch voller nicht wissend woher kommender Wut riss sie sämtliche Nebenfäden aus ihrer Wolke heraus und aus den Löchern quoll eine rotschwarze Flüssigkeit heraus und versiebte wieder in der Luft. Nike starrte auf sie. Es war als ob die jemand zwang dorthin zu starren obwohl es keinen Grund gab. Plötzlich erschienen Bilder vor ihren Augen. Bilder die die zeigten und schließlich zu kleinen Sequenzen wurden. Sie ging durch eine Straße und neben ihr lief ein Mann. Sie lachte, er hob sie hoch und küsste sie. Es war als ob alles in ihr sich zusammenkrampfte. Das nächste Bild zeigte sie mit ihrer Familie. Sie saßen um einen Tisch, spielten Karten, lachten und sie legte ihren Kopf vertrauensvoll auf die Schulter ihrer Mutter, welche ihr über ihren Kopf strich und auf den Scheitel küsste. Es war als ob alles in ihr explodierte, sie wollte wegschauen doch konnte sie es nicht. Da war wieder dieser Mann. Er hatte dunkelbraune Haare und einen Drei Tage Bart. Er saß mit drei anderen auf der Bühne, spielte Gitarre und sang. Sie sah sich, wie Sie mit anderen Menschen davor stand und tanzte. Sie spürte die Blicke die er ihr zuwarf. Das Bild wurde von der rot-braunen Flüssigkeit verschlungen und sie sah sich in einem weißen Kleid in einem Geschäft in der Umkleidekabine weinen. Wieder verschlangen rot-braune Zungen diese Bilder und sie starrte auf einen gepflasterten Platz, mit einem gestuften Wiesenbereich, auf dem junge Menschen umhergingen, lachten und sich unterhielten. Plötzlich hörte sie die Stimme eines Mannes der sie anschrie. Die Stimmt ließ sie erschaudern und sie spürte wie sie auf den Boden sank. „Ich habe deinetwegen alles aufgegeben und nun das? Du wirfst mir diese Dinge vor und machst selber die gleichen Fehler. Wirf mir nicht vor ich würde dich nicht in mein Leben lassen bevor du dir nicht mal überlegst, dass es noch wichtigere Dinge gibt. Tu einmal das was du fühlst und nicht was du willst. Dein Kopf und dein Herz kennen sich doch gar nicht, du bist wieder die herzlose Person geworden die ich eigentlich dachte verdrängt zu haben. Das ich so scheitern würde und du es zulassen würdest hätte ich nie gedacht…“. Das Geschrei wurde immer leiser doch Nike spürte wie sie zusammenbrach.
Aus der Ferne hörte sie Johanns Stimme aber sie wollte diese Bilder nicht verlassen. Sie wollte in sie eintauchen und erleben. Plötzlich spürte sie einen Schmerz der sie so durch drang dass ihr Wasser aus den Augen quoll. Sie wusste nicht warum, sie sah nur die eingefrorenen Bilder immer wieder auftauchten, deren Gefühle sie schwach machten. Alles verschwamm und sie ließ sich schließlich endgültig in einen Nebel voller verschwommener Bilder und Farben fallen.
Sie gingen die Straße hoch. Es war nebelig und man konnte kaum die Hand vor den eigenen Augen sehen. Die Luft roch nach feuchtem fauligem Holz und es war düster. Während Nike langsam an Häusern vorbei ging in denen das Leben trotz der Bewohner nicht vorhanden schien schaute Johann sich um. Es schien als wäre alles Lebenswerte fort und ein beklemmendes Gefühl beschritt beide. „Bist du sicher, dass wir hier richtig sind? Ich dachte dein Mann wäre erfolgreich und eure Wohnung in einem der nobleren Viertel. Das hier hat eher Ähnlichkeit mit einem Hafenviertel, es fehlen nur noch die Schenken und Schiffe.“
Nike schwieg. Sie spürte, dass sie richtig waren. Trotz der Leere, der grauen Luft und des drückenden Dampfes war da etwas. Ein in der Ferne klingende klare Stimme die sie zwang weiter zu gehen und mit jedem Schritt wurde sie lauter. Sie gingen vorbei an leeren Spielplätzen, verrosteten Zäunen und verdorrten Pflanzen. Plötzlich blieb Nike stehen. Die Stimme war verschwunden. Sie standen vor einem Haus, dass im Nebel kaum zu erkennen war. Ursprünglich schien es weiß gewesen zu sein, nun war es zugewachsen mit Efeu. Der Garten schien noch verwilderter als die anderen. Langsam öffnete sie die Gartentür und schritt auf die Tür zu. „Bist du sicher. dass es das ist?“ Johann blieb auf der Straße stehen und blickte auf ihren Rücken. Sie dreht sich um und sah in sein skeptisches Gesicht, dass deutliche Spuren der letzten Vorfälle trug. „Ja. Bleib hier.“ Ohne ein Wort zu sagen ging sie auf die Tür zu und öffnete sie. Als sie im Haus war überkam sie ein merkwürdiges Gefühl. Ob er sie erkennen würde? Was wäre wenn er nicht hier wäre? Wäre dann alles vorbei? War es überhaupt richtig was sie da tat?
Nike stieg die Treppe hoch und blickte auf einen Flur mit mehreren Türen. Hinter der einen hörte sie Geräusche. Tief durchatmend ging sie hindurch und sah ihn. Auf der Fensterbank sitzend und nach draußen starrend. Michael? War er es wirklich? Sein Haar war wie immer ordentlich nach hinten gekämmt und sie erkannte das Hemd, dass sie als letztes für ihn besorgt hatte. Er dreht sich um und starrte sie an. Seine Augen waren leer, sein Gesicht verhärtet.
„Wer sind sie?“ Er starrte sich hasserfüllt an und es lief ihr kalt über den Rücken. War er es wirklich? Langsam ging sie auf ihn zu.
„Ich bin deine Frau.“„Meine Frau ist tot. Sie hat mich verlassen und wird nie wieder kommen!“ „Das stimmt ich bin tot genau wie du. Aber dich kann ich noch retten. Für mich ist es zu spät.“ Michael sah sie an und ging ein paar Schritte auf sie zu. „Meine Frau ist bei einem Autounfall gestorben. Sie war im 4. Monat schwanger, als ein Lastwagen sie von der Seite rammte und in den Gegenverkehr zwang. Alle haben mit einem Schrecken überlebt nur sie nicht. Und nun kommen sie und wollen mir erzählen sie wären sie? Quälen sie mich nicht.“
„Sieh mich an. Schau in meine Augen dann wirst du sehen das ich es bin.“ „Und selbst wenn, ich wollte sie nicht wiedersehen.“ „Wieso?“ „Weil sie mich nie wirklich geliebt hat. Ich hätte es erkennen müssen. Ihr Herz war schon lange vergeben als ich sie kennenlernte.“
Nike blickte ihn schweigend an. Wenn sie eins gelernt hatte, dann das lügen sie hier nicht weiterbrachte. Sie beschloss ihm die Wahrheit zu sagen und sich dabei nicht zu schonen.
„Du hast Recht. Ich habe dich nie so geliebt wie du es verdient hättest. Aber ich habe dich geliebt und bereue keine Minute mit dir. Doch für meine Gefühle konnte ich weder damals nicht heute nichts.“ „Willst du damit sagen das du, die behauptet meine verstorbene Frau zu sein, hier her gekommen ist um mir das zu sagen? Nicht besonders hilfreich wenn ich, dass so sagen darf.“ Michael dreht sich um und ging wieder zum Fenster. Er begann Fäden aus dem ausgefranzten Vorhang zu ziehen.
„Nein natürlich nicht ich will dir helfen….“ „Und du glaubst das kannst du indem du mir nochmal unter die Nase schmierst, dass du immer in diesen Affen von Mann verliebt warst und trotz der Heirat nie von ihm los kamst? Du hast eine merkwürdige Art Menschen zu retten.“ „Erkennst du mich denn gar nicht mehr?“ „Die Frau die mich geheiratet hat ist für immer weg. Sie war schon lange vor ihrem Tod gestorben. Indem Moment als Richard sie verlassen hatte starb sie. Ich heiratete nur einen gut getarnten Schatten ihrer selbst. Aber wie hätte ich es ahnen können? Ich vergötterte sie, ich hätte alles für sie getan und sie hat das nie ausgenutzt.“ „Dann sieh mir in die Augen ich bin es!“ „Ich will sie nie wieder sehen. Nicht ich bin es der etwas zu gestehen hat sondern sie.“
Nike schwieg. Was sollte man darauf denn auch großes antworten? Er hatte Recht.
Johann saß gegenüber auf einer Bank und hatte die Augen geschlossen. Er hörte die Gartentür quietschen und leise Absätze auf sich zukommen. Während sie sich neben ihn setzte öffnete er die Augen und sah zu dem Zimmer hinauf, in welchem Michael nun stehen musste. „Es ist normal, dass man am Anfang auf Misstrauen stößt. Habe Geduld. Bald wird er dir vertrauen und wenn er dich erkennen will wird er dir auch verzeihen.“
„Johann?“ „Hmmm?“ „Könnten wir uns etwas ansehen? Ich habe so eine Ahnung das es mich weiterbringen könnte.“ „Und was?“ „Meine Beerdigung.“ Johann blickte sie lange und nahm schließlich ihre Hand. Im nächsten Moment standen sie auf einem Friedhof der ihr sehr vertraut war. Es war der Friedhof auf welchem auch ihre Großeltern und Urgroßeltern und UrUrgroßeltern. „Da vorne, siehst du?“
Sie blickten auf eine große Menschenmenge. In ihr erblickte Nike Vroni ihre ehemalige Mitbewohnerin, die Theologie studiert hatte. Sie las mit Tränen in den Augen „Alles hat seine Zeit“ vor. Ihre Eltern und Geschwister waren alle gefasst. Michael stand blass und ohne Regung vor dem kleinen Loch, in welches ihre Urne gelassen werden sollte. Alles schien ruhig und hell. Der Himmel war erstaunlich blau, die Sonne schien direkt auf ihr Grab und Vögel flogen zwitschernd übe ihren Köpfen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Nike spürte förmlich, dass hier etwas war, was entdeckt werden wollte. Sie schaute jeden einzeln an und blickte sich um. Doch es war niemand da. Sie warteten und sahen zu, wie jeder Erde in das Loch warf bis es zu war. Der Grabwärter drückte die Erde noch fest und schließlich wurden Blumen abgelegt und die Trauergemeinde entfernte sich.
„Nicht sehr ergiebig oder?“ Johann schaute fragend zu ihr. „Nee nicht wirklich. Ich dachte es würde eventuell Licht ins Dunkel bringen aber offenbar habe ich mich geirrt. Merkwürdig. Normalerweise haben sich meine Bauchgefühle immer als richtig erwiesen. Naja…“
Sie drehten sich um und wollten gerade gehen gehen als sich jemand näherte. Richard, die dunklen Locken zerzaust, die tiefbraunen Augen gerötet und in der Hand ein Blumenstrauß mit Maiglöckchen und Orchideen. Es war der Strauß, den Nike sich für ihre Hochzeit so sehr gewünscht hatte. Er legte den Strauß etwas Abseits direkt an den Grabstein und stand da. Schließlich öffnete er seinen Mantel und nahm einen dicken Umschlag heraus der in Folie gewickelt war. Er vergrub ihn direkt über der Urne und ging. Fassungslos stand Nike da und merkte nicht, wie ihr zwei Tränen hinunter kullerten. Johann betrachtete den Strauß. „Wie hat dein Brautstrauß ausgesehen Nike?“ „Weiße Lilien mit lachsfarbenen Rosen“. „Und wie hättest du ihn dir gewünscht?“ Nike lächelte und deutete auf den Maiglöckchenstrauß. „Genauso. Nicht mehr und nicht weniger.“
„Was ist in dem Umschlag? Dürfen wir ihn nehmen Johann?“ „Nein. Damit würden wir in das weltliche Geschehen eingreifen und du weißt doch, dass ist nicht erlaubt. Aber ich habe eine Ahnung wer ihn entdecken wird. Lass uns warten.“
Tatsächlich dauerte es nicht lange und Michael kam zurück zum Grab. Beide hatten sie es schon geahnt. Sie sahen zu wie er vor dem Grab zusammenbrach und tränenüberströmt die Erde zerwühlte. Er sah den Umschlag erst als er wieder aufstehen wollte. Verwundert nahm er ihn und öffnete die Folie. Der Umschlag war enorm dick. Michael fischte ein Foto heraus und erstarrte. Das Foto zeigte Nike. Ihre blonden Haare wehten ihr ins Gesicht und sie lachte in die Kamera. Im Hintergrund sah man den beginnenden Sonnenuntergang und eine weite Ebene roter Erde die am Horizont ins Meer mündete. Er setzte sich auf eine Bank, Nike und Johann neben ihn. „Ich ahne etwas Nike. Wir müssen jetzt sehr aufmerksam sein.“ Doch Nike war noch blasser als zuvor und stumme Tränen rannen über ihr Gesicht während sie mit Michael auf ein weiteres Foto blickte. Es war offenbar mit Selbstauslöser gemacht worden. Sie hatte die Augen geschlossen und lag auf weißen Sand. Richard beugte sich über sie und küsste ihre Schulter, während sie lächelte. Und so folgten weitere Bilder von Richard und Nike wie sie lachend unter Wasserfällen standen, sich küssten, Richard versucht Nike das Reiten beizubringen und viele mehr. Es waren idyllische Fotos aus glücklichen Tagen. Die Erinnerungen kamen wie Blitze und für einen kurzen Moment vergas Nike ihren Zustand. Sie begann auf Michael einzureden und Johann bekam sie nur mit Mühe von ihm los. „Er kann dich weder hören noch spüren. Also HÖR AUF! Erkläre mir lieber was das soll?“. Johann deutete auf einen Brief der zwischen den Foto gelegen hatte und nun in Michaels Hand flatterte.
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Liebe Nike,
Ich bin in solchen Sachen nicht besonders gut und muss gestehen, dass dies vermutlich die einzige Form ist meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Es sind nun noch 24 Stunden bis zu deiner Beerdigung und noch immer drehe ich mich bei jedem Geräusch um und hoffe, dass du in der Tür stehst, mich anstrahlst und sagst es sei ein Missverständnis und du bliebest nun bei mir. Und dann erinnere ich mich und weiß, dass dies nie wieder geschehen wird. Du bist tot und ich werde dich vermutlich nie wieder sehen.
Ich weiß nicht wo du bist, aber ich weiß, dass du mich spürst. Ich weiß dass du mich immer noch liebst und auch wenn du nun nicht mehr unter uns weilst, wenn du diese Worte irgendwann hören oder lesen kannst, bitte, denk daran. Ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt und ich werde dich immer lieben. Du bist mein Mädchen, meine bessere Hälfte, mein Gewissen, mein Schutz. Die Zeit mit dir wird mir immer in Erinnerung bleiben und es tut mir Leid.
Es tut mir Leid das ich dich auf eine solch brutale Art und Weise verletzt habe.
Es tut mir Leid, dass ich uns nie die Chance gegeben habe die du uns geben wolltest und bereit warst uns zu geben. Als du damals bereit warst deinen Mann zu verlassen um mit mir zu kommen habe ich abgelehnt, weil mein Stolz verletzt war und nicht gehört hat, dass mein Herz in dem Moment als du sagtest, dass du mich liebst und bei mir bleiben wollest, wieder eins war.Â
Es tut mir Leid dich in einem Zustand der Verwirrung zurückgelassen zu haben, dass ich nicht verhindert habe, dass dieser Kerl dich heiratet. Ich hätte dich einfach bei der Hand nehmen sollen und war zu feige. Mein lieber Schatz, es tut mich Leid. Ich kann es nicht rückgängig machen aber ich bitte dich, solltest du irgendwann auf diese Worte stoßen, bitte verzeih mir.
Ich liebe dich
Dein Richard.
„Ich bin glaube ich nicht der Einzige hier, der das gerne erklärt hätte.“ Johann blickte Nike vorwurfsvoll und entsetzt an. „Du wolltest also deinen Mann verlassen und nicht du warst diejenige die ihn in die Wüste geschickt hat sondern Er?“
Nike schwieg. Sie ging einige Schritte und sagte schließlich „Ich will hier weg.“ Sie gingen zurück in die Straße der Glücklichen und gingen lange schweigend nebeneinander her. Johann spürte, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war Fragen zu stellen. Sie blieben bei einem Stand stehen, nahmen sich schweigend etwas zu Essen, gingen weiter und setzten sich schließlich auf einen Steinvorsprung der über einem kleinen Bach hervorschaute.
„Erzähl mir mal von ihm.“ Johann blickte sie kauend an und entfernte die Zwiebeln aus seinem Sandwich. „Was soll ich da großes Erzählen? Wir waren verliebt, es hat nicht geklappt und ich habe Michael geheiratet Punkt.“
„Nein das meine ich doch nicht du Dumbatz“, Johann grinste und biss wieder ab. Mit vollem Mund sah er sie wieder an. „Ich will wissen wie du ihn gesehen hast bzw. wie du ihn immer noch siehst. Wie war er? Warum er?“
Nike rührte in ihrer Suppe rum und schaute auf den Boden. Schließlich richtete sie sich auf, nahm einen Schluck Wasser begann zu erzählen.
„Eigentlich war Richard für mich immer jemand unerreichbares. Lange hat er mich gar nicht gesehen. Ich verschlang sogar einen Internetratgeber, weil ich unbedingt wissen wollte, wie ich es schaffe könne, dass dieser Mann sich in mich verliebt. Schließlich gab ich auf. Es waren immer irgendwelche Frauen um ihn herum gegen die ich nie eine Chance hatte. Also hörte ich auf nach ihm Ausschau zu halten. Eines Abends bin ich dann mit einem seiner Freunde spontan noch was trinken gegangen und er kam dazu. Ich kam direkt aus der Uni und war natürlich überhaupt nicht zurecht gemacht. Die Schminke war während des Tages verblasst und ich weiß noch, dass ich einen Jeansrock trug und darüber einen braven braunen Pullover mit integrierten weißen Kragen. Naja jedenfalls war es ein unglaublich lustiger Abend und ich weiß nicht warum, aber auf einmal sah er mich. Wenn wir uns auf dem Campus trafen sagte er mir Hallo, blieb stehen und unterhielt sich mit mir. Zunächst wusste ich gar nicht wie mir geschah und sah das Ganze eher wie eine Art Freundschaft. Ich gebe ehrlich zu, dass ich mich mit Arbeit zugebombt habe um mich abzulenken. Ich glaube ich habe innerlich angefangen ihn zu hassen.“
„Ihn zu hassen?“ „Ja! Ich war verletzt. Ich dachte daran wie oft ich zurückgewiesen worden bin und wie häufig ich verletzt wurde. Ich glaube ich habe meine Enttäuschungen regelrecht auf ihn übertragen und schließlich angefangen etwas in ihm zu sehen, was man nur hassen könnte. Wie Schutz weißt du? Dabei war es doch eigentlich nur der Schmerz, dass er mich nicht sah. Ich war unsichtbar für ihn.“
„Wie kam es dann, dass ihr euch gefunden habt wenn du mit Arbeit zugebombt warst und er eigentlich von Frauen umgeben war?“
„Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht. Wir haben uns vielleicht zweimal in der Woche auf dem Campus gesehen und wenn es hochkam davon einmal miteinander geredet. Dazu kam, dass ich damals noch geraucht habe und er das nicht mochte.“
„Hast für ihn aufgehört?“ „Naja, ich habe mich immer auf den Standpunkt gestellt, dass man ruhig aufhören kann, wenn der Partner Nichtraucher ist.“
„Und was passierte dann?“ „Diese Campusgeschichte ging einige Wochen lang so. Dann war ich mit seinem Bruder Abends noch ein Bier trinken und Richard kam dazu. Sein Bruder bekam einen Notfall rein und so saßen wir am Ende alleine da. Ich weiß noch, dass ich zu seinem Bruder Alexander sagte, es sei nicht so schlimm, dass er jetzt gehen müsste, ich müsse am nächsten Tag eh früh raus. Da saßen wir nun und unterhielten uns. Alles vollkommen ohne Andeutungen und schließlich beschloss ich dann, dass es Zeit wäre nach Hause zu gehen. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass Richard sich noch mit Freunden treffen würde und ich war seit Wochen auf dem Kurs Mistkerl und keine Interesse meinerseits. Es ist schwierig sich davon loszulösen. Vermutlich war es deswegen. Dadurch das ich ihn abgeschrieben hatte wurde sein Interesse geweckt da ich locker in seiner Gegenwart war.“
„Ha lass mich raten, er hat dich an sich gerissen und wild geküsst?“, Johann grinste und schaute erwartungsvoll. „Idiot!“, lachte Nike. „Nein er hat mich nach Hause gebracht. Ich war zu Fuß und er brachte mich bis vor die Tür. Ich umarmte ihn zum Abschluss und als ich mich lösen wollte hielt er mich einen Moment zulange fest, als es nötig gewesen wäre. Naja und wie das dann halt so passiert, nech…“ „Ja was denn nun? Habt ihr…“ „Nein. Es gab einen Kuss und dann bin ich mit purpurroten Kopf ins Haus gegangen. Am nächsten Tag ging ich wie immer mit Anna meiner Mitbewohnerin mensen. Um 15:00 wollte Richard mit mir Kaffee trinken also wurde mensen auf 12:00 verlegt. Naja und dann wurde es offiziell. Er hatte offenbar denselben Gedanken. Ich hatte mich kaum hingesetzt da stellte jemand sein Tablett neben mir ab und gab mir einen Kuss auf die Wange. Wums saß er mit seinen Freunden bei Anna und mir und genauso wie seine Freunde war auch Anna völlig verwirrt. Und dann begann alles.“
„Hmmm. Klingt ja putzig.“ Lange saßen die beiden still nebeneinander. Johann spielte mit der Serviette und starrte in die Ferne. Nike hatte die Knie angezogen und blickte auf den Boden, während sie nachdenklich das Brot zerpflückte und den Vögeln zuwarf.
„Weißt du was? Das klingt alles sehr danach, als ob sich einfach genommen hat was er will. Allerdings ohne zu fragen.“ „Ja so war er. Ein unglaublicher Egomane, rücksichtslos und schwer zu durchdringen.“ „Trotzdem hast du ihn geliebt?“ „Wenn man ihn erst mal kennengelernt hatte ging es. Es war aber nicht seine Egomanie die mich fesselte wenn du das meinst. Ich konnte mit ihm lachen. Wir hatten den gleichen Humor und haben unheimlich viel miteinander gelacht. Ich habe mich nie bei ihm verstellt. Aus irgendwelchen Gründen konnte er mit meinen Marotten umgehen.“
„Wenn er aber so ein Egomane war wie du sagst, wie kommt es das du dich in ihn verliebt hast? Normalerweise würde man doch denken, dass eine kluge Frau wie du so jemanden verachtet.“ „Am Anfang habe ich ihn ja auch verachtet. Es war seine Oberflächlichkeit und die kaum vorhandene Bereitschaft mit Menschen zu reden, die nicht dem Schönheitsideal oder dem „comme il faut“ entsprachen. Es hat mich so wütend gemacht und ich war enttäuscht.“
„Liebe auf den vierten Blick?“
„Im Grunde genommen beruhte unsere Beziehung am Anfang auf Ehrlichkeit und Vertrauen.“ „Nur am Anfang?“ „Naja, die Lügen und der damit verbundene Vertrauensbruch begannen ehrlich gesagt damit, dass ich ihm erst sehr spät erzählt habe, dass ich mit 20 eine Abtreibung hatte. Er ist nie damit zurecht gekommen und ich weiß noch, dass wir darüber unseren ersten richtigen Streit hatten.“
„Hat er es dir denn Ãœbel genommen?“ „Ich glaube nicht. Ich denke dass es eher daran lag, dass ich ihm nicht von Anfang an die Wahrheit erzählt habe. Ich habe ihm diesen Vertrauensvorschuss nicht gewährt und das hat ihn verletzt.“
„Aber daran ist doch nicht eure Beziehung zerbrochen oder?“ „Nein natürlich nicht. Aber ich habe nicht gemerkt wie sehr ihn das beschäftigt hat und habe ihn diesbezüglich nicht ernst genommen. Weiterhin führte seine Selbstbezogenheit dazu, dass er oft ohne mich plante und ich am Ende da stand und vor vollendete Tatsachen gestellt wurde.“
„Und dennoch ich bleibe dabei, du bist immer noch in ihn verliebt und du hast ihn auch während deiner Beziehung zu Michael geliebt. Du hast deinen Ehemann was das angeht belogen wenn du ehrlich bist.“
Nike blickte Johann an und wandte schließlich den Kopf nach vorne. „Es ist immer einfach jemanden zu verurteilen der wie ich gehandelt hat aber was hätte ich denn tun sollen? Außerdem habe ich Michael geliebt.“ „Natürlich hast du ihn geliebt. Aber da warst nie verliebt in ihn. Vielleicht müssen wir da ansetzen.“ „Was meinst du damit?“ „Ich meine, dass wir, wenn wir Michael hier rausholen wollen, seinen Schmerz über deinen Betrug beiseiteschieben müssen.“ „Wie soll das denn gehen?“ „Gar nicht. Das können wir nicht, dass kann nur er und du musst dich seinen Vorwürfen stellen. Erst wenn sein Hass verraucht ist kannst du wieder hierher kommen um ihn dann nach oben zu holen. Stell dich auf ein lange Zeit ein die das dauern wird.“
„ So verletzt kann er doch nicht sein. Ich habe mich für ihn entschieden, ich habe ihn nie betrogen…“ „Körperlich vielleicht nicht aber seelisch. Verstehst du denn nicht? Es geht doch nicht darum was du getan hast, sondern darum was du eben nicht getan und gesagt hast. Du warst nicht ehrlich, du hast ihn zum Narren gehalten.“ „Das habe ich nicht!“
„Hast du ihm gesagt, dass dein Herz bereits Richard gehört?“ „Nun.. nein.“
„Wusste er von Richard?“ „Nein, aber….“
„Hast du ihm zu irgendeinem Zeitpunkt genauso geliebt wie Richard?“ „Nein.“ „Muss ich wirklich noch mehr sagen? Ich glaube du weiß was du falsch gemacht hast.“
Nike stand auf und lief unruhig hin und her. „Und was heißt das jetzt? „Wie ich schon sagte, dass wir ein hartes Stück Arbeit.“
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Johanns Gedanken schwirrten wild durcheinander. War es zu fassen? Da glaubte man einen Frau vor sich zu haben, die wirklich allen Mitteln ihren Mann aus dem Dunkeln holen wollte und dann sowas. Während des Gesprächs hatte er versucht Nike in die Augen zu schauen. Die Tatsache, dass sie Richard immer noch liebt machte es nicht einfacher im Gegenteil. Würde ihre Liebe zu Michael ausreichen ihn rauszuholen? Er zweifelte nicht daran, das Nikes Herz Richard gehörte, aber ihre Aufgabe es war Michael zu retten. Ein Paradox. Er stand von der Bank auf und schaute verzweifelt in die Ferne den Sonnenuntergang zu.
„Wieso habt ihr euch denn jetzt eigentlich getrennt?“
„Es ging nicht einfach nicht mehr. Er hat mit erdrückt mit seiner Liebe. Auf der einen Seite war habe ich ihn so geliebt, auf der anderen Seite verstellte ich mich mit jeder Woche die wir zusammen waren mehr.“ „Du sagtest doch gerade, dass das eben nicht so gewesen sei.“ „Bis zu meinem Geständnis. Er hat mich unglaublich verletzt mit seiner Reaktion. Nichts konnte ich ihm mehr recht machen. Ich hörte auf ihm Dinge zu erzählen, ich verstellte mich und baute mir einen eigenen Käfig der mich auffraß. Und so begann ich ihn zu hassen. Dafür dass er mir nie zur Seite stand oder auch nur im Entferntesten meine Person sah. Er verlor mich im wahrsten Sinne des Wortes aus den Augen. Und dann kam Michael. Er war so hilfsbereit, liebevoll und warmherzig er war all das, was Richard nicht mehr war. Und so floh ich. Richard hat sich daraufhin Wochenlang volllaufen lassen und stand schließlich von meiner Tür. Er sagte es täte ihm leid, er wüsste er hätte sich wie ein Arsch verhalten und wolle sich ändern. Wie ich ihn da sah ging es mit mir durch und wir verbrachten die Nacht miteinander. Am nächsten Tag hatte ich ein unglaublich schlechtes Gewissen. Was sollte ich tun? Richard stellte mich vor eine Wahl und setzt mich unter Druck. Vermutlich zu Recht aber ich war immer noch verletzt. Ich fuhr zu Michael, brachte es aber nicht übers Herz mit ihm Schluss zu machen. Er hatte mich gerettet als ich am Boden lag und wer hätte mir denn garantieren können, dass Richard nicht wieder ausrasten würde?“
„Also bist du zurückgefahren und zwischen dir und Richard kam es zu dem Streit den ich damals als du zu uns kamst gesehen habe?“ „Ja. Die folgenden Monate waren furchtbar. Immer wieder lief ich ihm übern Weg immer wieder sehnte ich mich nach ihm. Ich bekam ihn nicht aus meinen Gedanken, stürzte mich wieder in die Arbeit und nahm glücklich Michaels Heiratsantrag an. Ich versuchte zu fliehen, doch an meinem letzten Tag an der Uni begegnete ich ihm nochmal. Er stand bei meinem Auto.“ „Und unternahm einen letzten Versuch?“ „Nein nicht wirklich. Er fragte ob die Gerüchte stimmen würden und gratulierte mir steif. Und dann sagte er etwas was mich erschauern ließ und zum ersten Mal dachte ich ernsthaft darüber nach die Hochzeit abzublasen. Er sagte„Weißt du, ich habe wenigstens um dich gekämpft du nicht. Ich habe zumindest versucht dich zurückzugewinnen, du bist zu diesem Weichei geflohen und setzt dich ins gemachte Nest. Weißt du was dein Problem ist? Du hast Angst. Nur weil es einmal schwierig war kehrst du mir gleich den Rücken und gehst den einfachen Weg. Aber das wird dich auf Dauer nicht glücklich machen. Ich kenne dich besser als jeder andere und weiß, dass du und ich zusammengehören. Mit mir wäre es schwer geworden und wir hätten jeden Tag vermutlich gestritten aber wir hätten uns auch immer wieder versöhnt und zwar gerade weil das zwischen uns etwas Einmaliges ist. Irgendwann wirst du es erkennen und wenn es nach unserem Tod in 70 Jahren sein sollte. Und du kannst die sicher sein, dass ich dich dann in meine Arme schließen werde und wir das Leben führen werden, dass eigentlich für uns bestimmt ist.“
Johann blickte auf Nikes Rücken der leicht zitterte. „Ich würde sagen das war eindeutig. Was hast du daraufhin gemacht?“
Langsam drehte sie sich um. „Ich habe am darauffolgenden Samstag Michael geheiratet.“
adventor89 ... danach ... - ... eine interessante Beschreibung, eine interessante Sichtweise eines interessanten Themas. Du beschreibst diese Realität mit bunten Farben einer schöpferischen Fantasie. Es ist eine Einladung zu einer Reise der besonderen Art ... Viele Grüße Michael |
MysticRose Nicht zu kurz und nicht zu lang. - Dieses Thema find ich super; es interessiert uns doch irgendwie alle. Sprachlich und was weiß ich nicht alles - es passt alles. Von meiner Seite aus absolut nichts zu meckern :-) |