Kurzgeschichte
Der Brief

Der langersehnte Brief liegt in seinen Händen. Mit pochendem Herzen wendet er den Umschlag und betrachtet die geschwungene Schrift ihrer Absenderadresse.
Tausende Gedanken blitzen durch seinen Kopf: „Was schreibt sie mir?“
Seine Finger umklammern den silbernen Brieföffner. Zögernd führt er die scharfe Spitze zum Kuvert und hält noch einmal inne.
„Dieser Brief wird mein Leben verändern!“

Das Aufreißgeräusch unterbricht die Stille. Er fühlt, dass die Klappe gefüttert ist – das gibt der Hoffnungsglut Nahrung.
Zwischen Zeigefinger und Daumen zieht er das pastellgelbe Papier aus dem Umschlag und entfaltet es. Ein weicher Vanille-Duft dringt in seine Nase.

Erwartungsvoll beginnt er zu lesen: „Mein lieber…“ 

Im selben Augenblick wacht er abrupt auf. Kochendes Blut pulsiert in seinen Adern.
„Was habe ich da geträumt? Wer ist sie?“

Doch auch mit äußerster Anstrengung kann er sich nicht mehr an die Absenderadresse erinnern.
– Nur, dass sie in geschwungener Schrift geschrieben war.