Kurzgeschichte
Der Schriftzug am Fenster

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"Der Schriftzug am Fenster"
Veröffentlicht am 29. Dezember 2010, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der Schriftzug am Fenster

Der Schriftzug am Fenster

Die gelbe Ente

 

Der Tag hätte so gut anfangen können, wenn nicht schon der erste Schritt gleich damit geendet hätte, dass ein unglaublich scharfer Schmerz durch ihren linken Fuß schießt. Wütend hüpft sie nunmehr also auf dem rechten Fuß herum und bemüht sich den Legostein der sich perfekt in ihre Haut gebohrt hat zu entfernen. Schließlich gelingt es ihr, aber bei dem Versuch das Ding in den Mülleimer zu werfen trifft sie stattdessen die Katze, die mit einem unglaublich beleidigt klingenden Miauen auf das Bücherregal flüchtet, nicht ohne dessen eigentlichen Zweck in seine Einzelseiten zu zerlegen. "Mistvieh" zischt sie zu dem grau-getigerten Fleck der sich fauchend weiter in eine Ecke drängt. "Ich bin ein Gänseblümchen" summt sie auf dem Weg zum Rollo vor sich hin, reißt an dem dünnen Faden und hofft auf ein paar mickrige Sonnenstrahlen, die ihren Weg in das geräumige Schlafzimmer drängen könnten. Aber natürlich gibt es keine Sonne, draußen ist das weiterhin trübe Winterwetter und sie glaubt sogar schon die ersten Schneeflocken entdeckt zu haben. Egal, immerhin hat sie keinen Schneedienst.

 

Weiter geht das Theater im Kinderzimmer. "Mirischatz, es ist Zeit aufzustehen." "Verpiss dich." 'Wo hat das Kind derart verdammte Ausdrücke her?' "Miri, ich habe dir doch gesagt, dass solche Ausdrücke nicht nett sind, warum sagst du sowas?" "Ich hab gesagt du sollst dich verpissen." Langsam merkt sie, dass ihr der Geduldsfaden zu reißen droht. "Miri, steh jetzt bitte auf, sonst werde ich persönlich dafür sorgen, dass dein Reiterhof sich ganz versehentlich erledigt haben wird." Das zeigt Wirkung, unter dem Kissen taucht ein Gesicht auf, noch schlaftrunken mit verquollenen Schokoladenaugen. Dann verziehen sich die wie immer leicht geröteten Lippen zu einem Lächeln. "Tut mir leid Mum, hab es nicht so gemeint." "Ja Spätzchen, ist schon in Ordnung." "Machst du mir'nen Kakao?" "Natürlich mach ich dir 'nen Kakao." 'Eigentlich sollte sie sich den Kakao sonstwohin stecken.' denkt sie bei sich, aber das kann sie ja nicht laut sagen, vor allem wo sie sich gerade das 'Verpiss dich' verbeten hatte. Also schlurft sie in die Küche und hat es gerade geschafft drei gehäufte Löffel Kakaopulver in die Tasse zu schaufeln, als im Kinderzimmer die Hölle losbricht. Sie stürmt sofort zurück und findet ihre 9jährige Tochter in einer Art von Striptease zu LadyGaga, denn eben deren Musik hat sie voll aufgedreht, bemüht ihre Schlafanzughose auszuziehen und nebenher ihre Hüften zu kreisen. "Mach die Musik leiser." "Aber Mama..." "Nix aber Mama, Herrgott Kind es ist 6 Uhr Morgens, die Nachbarn wollen bestimmt noch schlafen." "Na gut." nölt die jugendliche Halbgöttin und dreht widerwillig am Regler des Radios. "Was macht mein Kakao?" "Der wäre längst fertig wenn du dein Schlafzimmer nicht in eine Disco hättest verwandeln müssen. Nun machst du dich bitte fertig und dann gibt es gleich Frühstück."

 

Rückweg in die Küche, Milch über das Kakaopulver und dann kräftig umrühren. Kurz darauf wankt dann auch Miriam in die Küche, die Hose richtig herum angezogen, den Pullover dafür auf Links gedreht. "KAKAO!" Eine eindeutige Forderung der es nachzukommen gilt. Also reicht sie der jungen Diva die Tasse mit dem Kakao herunter, die ohne ein Zeichen von Dankbarkeit angenommen und in einemört man Zug leergetrunken wird. "Mehr!" "Miri, du weißt genau dass es Morgens bloß einen Kakao gibt." "Mehr!" "Nein Miri, du kannst jetzt dein Brot essen und dann geht es gleich in die Schule Fräulein." "Ich mag nicht in die Schule." "Du wirst aber trotzdem hingehen und fleißig lernen. Du weißt doch, gute Noten sind wichtig für ein gutes Leben." "Mama, gibt es auch Kakao wenn man ein böses Leben führt?" "Jedenfalls nicht hier." Damit ist die Diskussion beendet, sie trägt noch rasch den Teller mit den Broten ins Wohnzimmer und lässt sich dort auf die Couch fallen, während die Prinzessin im Fernsehsessel thront und auf dem blauen Leder lustige weiße Frischkäsetupfen verteilt. "Guck mal, ich hab ein Gesicht gemacht." "Ja, das hab ich gesehen." Langsam hört man ihrer Stimme die Anspannung doch ein wenig an. "Musst du nochmal auf die Toilette, bevor du deine Jacke anziehst?" "Nein." "Bist du dir sicher?" "Ja." "Also gut, dann ab in den Flur, ziehen wir dir'ne Jacke an." "Ich will die pinke." Die pinke Jacke ist nichtmals 30 mm dick und ganz eindeutig nicht für die draußen vorherrschenden Temperaturen geeignet. "Die pinke Jacke ist aber zu kalt Kleines. Wir nehmen die blaue Jacke, ist das ok für dich?" "Nein, ich will die pinke Jacke." "Ja Maus, das hab ich verstanden, aber ich will nicht, dass du krank wirst und du willst doch sicher auch lieber heute Mittag mit Janine spielen als mit Fieber im Bett zu liegen." "Wenn ich Fieber habe darf ich immer Fernsehen." Wie argumentiert man gegen eine Neunjährige? "Du möchtest dennoch sicher nicht krank sein und husten." "Nein nein Mama, keine Sorge." Irgendwann ist das Kind dann im Bus in Richtung Schule. Und sie bleibt noch am Straßenrand stehen und blickt der Kleinen hinterher. Die dreht sich am Fenster um und lächelt. "Du glaubst auch, dass ein Lächeln für alles entschädigt, oder Miri? Aber wenn du mal selber Kinder hast wirst du merken, dass es nicht so ist. Trotzdem – Ohne ein Lächeln wäre es unerträglich." Dann geht sie nach Drinnen und beginnt mit der täglichen Hausarbeit, als erstes räumt sie die Legosteine aus dem Schlafzimmer. Ihr Fuß tut noch immer weh. Sie haucht vor die Fensterscheibe und blickt auf den Schriftzug "Wann ist dein Leben Alltag geworden?" Sie weiß keine Antwort darauf.

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pekaberlin Gut geschrieben, ... - ... toller Stil!
Allerdings weiß ich jetzt, warum ich mich nicht wundern sollte, über die heutigen Neunjährigen! (Meine Jungs sind etwa in Deinem Alter)
Liebe Grüße Peter
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PhanThomas Oh Gott, hast du... - ... »Die Super Nanny« geschaut oder wo gibt's solche Kinder? :-D Sehr unterhaltsam, das. Ich hab ja eben lachen müssen, dass das Kind am frühen Morgen ein »Verpiss dich!« aus dem Zimmer ruft. Hätt ich das als Kind gemacht, meine Mutter hätte mich vermutlich an die Organmafia verkauft. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
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