Weiße Blubberblasen
Wutentbrannt ziehe ich mir das Kissen über beide Ohren. Es ist mir unerklärlich wie die Kinder die schräg unter uns wohnen es immer wieder schaffen mich derart in Rage zu bringen. Dieses Haus hat Wände die offensichtlich nichtsmals aus Pappe bestehen. "DAS IST MEEEEEEEEEEEEIIIIIINNNNNSSSSSSSSSSSSS!!!!!!" Gleich wird mir der Schädel platzen. Diese Kinder scheinen als einzige Kommunikation das gegenseitige Anschreien zu kennen. Und den Begriff "Gehen" haben sie wohl auch noch nie gehört, pausenlos rennt irgendeines von ihnen unten durch die 2 ½ Räume der Wohnung und scheint ganz nebenbei auch noch die Möbel umzuräumen oder umzuwerfen. Alles Hin- und Herwerfen bringt keinen Erfolg, schließlich schleudere ich die Bettdecke an das Fußende und stehe auf, wanke schlaftrunken ins Badezimmer und lasse heißes Wasser in die Badewanne laufen. Mandel-Vanille-Badeöl lässt den aufsteigenden Dampf zumindest noch besser riechen. Der Spiegel beschlägt in dem Moment als ich feststellen möchte, ob meine Haut sich über Nacht plötzlich von der Kraterlandschaft in die seidige und perfekte Mischung verwandelt hat, die ich mir seit langem wünsche. So bleibt mir zumindest die Enttäuschung erspart wenn ich feststelle, dass das natürlich nicht passiert ist.
Vorsichtig teste ich mit dem großen Zeh die Temperatur des Wassers aus. Wenigstens etwas das mir gelungen ist, ich lege mich in die halbvolle Badewanne und genieße das Plätschern des Wassers und dessen langsames Ansteigen, womit mein Körper mehr und mehr in der Wärme versinkt. Kopf unter Wasser – "DAS IST MEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNNNNNSSSSSSSSS!!!!! MAMA!!!!!" Langsam kocht mein Blut und ich bekomme Lust runterzutrampeln und die Kinder persönlich zu knebeln. Wie kann man so lange an einem Brüllthema festhalten? Ich atme tief durch und lasse mich auf dem Mandel-Vanille-Duft mittreiben. Wenigstens habe ich ja Urlaub und den will ich jetzt gefälligst genießen, egal was die Ferienkinder – mir fällt auf dass ich nichtmals den Namen der Familie kenne – da unten wieder veranstalten.
Irgendwann wird dann aber auch das schönste Wasser kalt und so wickle ich mich in eines der großen flauschigen Handtücher die immer im Regal neben der Badewanne liegen, hebe meine Wolldecke vom Fußboden auf und lege sie mir über die Schultern, wandere in mein Wohnzimmer. Ab auf die Couch, die Füße auf den Wohnzimmertisch – wenn das meine Mutter sehen könnte... - und Fernseher und Notebook eingeschaltet und das Gehirn abgeschaltet. Hier hört man das Trampeln nicht mehr gegen an. Die Rollos bleiben unten, so kann ich mir zumindest einbilden es wäre noch nicht mitten am Tag und alle Welt um mich herum produktiv, während ich versuche das wenige was von meinem Geist noch geblieben ist mit Flimmerkisten erst zu betäuben und dann abzutöten. Im Fernsehen erzählt irgendein pummeliges und absolut nicht attraktives Mädchen von seinen Modell-Träumen und die Sendung bemüht sich tatsächlich ihre Zuschauer in dem Irrglauben zu lassen, diese gesellschaftliche Fälschung hätte auch nur die geringste Chance. "Als Modell fällt man nicht vom Himmel." tönt es gerade. Da muss ich dann doch grinsen. Wäre ja auch übel wenn man vollkommen auf die Fresse fällt und sich das Gesicht zerbeult um dann als Modell anerkannt zu werden.
Zeit fürs Frühstück, ich schlurfe in meinen roten Monsterpantoffeln mit klappernden Augen und witzigen Fühlern in die Küche. Das Müsli klirrt leise als ich es in den Teller kippe und Milch darüber plätschern lasse. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme hat das arme Mädel offensichtlich gerade ihr Scheitern erfahren müssen, denn sie schaut derart traurig, dass die Milch in meinem Teller überlegt zu kippen und sauer zu werden. Aber an Aufgeben ist nicht zu denken bei ihr – Da spricht wohl die Mentalität dieser Zeit, es gibt keine Verlierer, nur 'Zweite-, Dritte- und Viertesieger'. Ich sinniere über die bekannte 'Früher-war-alles-besser-Mentalität' – Und komme zu keinem Ergebnis. Eigentlich stimmt das nicht, aber irgendwie ist es beruhigend zu wissen, dass man jederzeit auf diesen Gedankengang zurückgreifen kann. Ich schlürfte den Rest Milch aus dem Teller und schlucke meine Tabletten damit runter. Dann lege ich mich lang auf die Couch. Wieder habe ich das Gefühl als ob die Horde Kinderelefanten – inzwischen bin ich mir sicher, dass es sich dabei um solche handeln muss – direkt durch meinen Kopf trampelt. Ich schließe die Augen. "Miriam, gib der Kathi sofort das verdammte Spielzeugauto." Nun hat sich also der Mutterelefant auch eingemischt. Ich drehe mich mit dem Gesicht zur Wand, schließe die Augen. Ein schrilles Kreischen reißt mich sofort wieder hoch, es dauert kurz bis ich es meiner Türklingel zuordnen kann. Wütend schlurfe ich zur Sprechanlage. "Frau Maiholz, ihre Nachbarn machen sich Sorgen um sie." Ich versuche zu antworten, aber meine Zunge verknotet sich irgendwie, der Hörer fällt mir aus der Hand. "Frau Maiholz? Wir kommen jetzt hoch." Meine Zungenspitze lässt kleine Schaumblässchen auf meiner Unterlippe zerplatzen. Die lauten Schritte sind nun nicht mehr nur in meinem Kopf, sie kommen direkt von Draußen auf mich zu. Die Türe fliegt auf, Hände packen mich und zerren mich hoch, jemand schleift mich ins Badezimmer und hält meinen Kopf unter Wasser. Mein Atem riecht nach Mandeln und Vanille. Ich huste, überall sind Stimmen um mich herum. "MAHAN, DAS IST MEINS!" höre ich die Stimme wieder brüllen. 'Genau' denke ich bei mir. 'Das ist mein Leben.'
"Nichtmal sterben kann man heute noch in Ruhe." sagt irgendwer.