Kayas Reise geht weiter, doch sie und ihre Freunde drohen sich zu entzweien. Streit , Hass und Angst zerstören die Gemeinschaft bis diese letztendlich zerbricht....
Sie waren eine nette Reisegruppe. Mariona und Alkier verstanden beide eine Menge Spaß und auch Ortho ließ sich ab und an zu einem Witz hinreißen, auch wenn Kaya ihn auch nach längerer Zeit immer noch nicht richtig einschätzen konnte. Immer wenn sie glaubte sich seiner Reaktion sicher zu sein überraschte er sie mit einer vollkommen anderen Antwort. Nur Vero Schottete sich ab. Er marschiert, aß und schlief mit ihnen, doch er redete wenig und von seiner Arroganten Art, die Kaya aber auch Bewunderungswürdig gefunden hatte, war nichts geblieben.
Sie marschierten immer weiter in den Norden und es wurde immer kälter. Kaya froh fast den ganzen über und auch die wesentlich Kälteresistenteren Barbaren froren immer häufiger. Vero reagierte auf Fragen einsilbig und mürrisch. Er wich jedem Gespräch mit Kaya aus oder blockte ab.
Kaya zog ihren Mantel enger um die Schultern. Es ging auf Mittag zu und trotzdem reichten die Sonnenstrahlen nicht um sie zu wärmen. Sie blickte zurück und sah Vero, wie er in sich zurückgezogen hinter ihrer Gruppe herstapfte. Und da reichte es ihr. Wurde die Welt denn davon besser das er nur vor sich hinstierte. Sie hatte ihr Leben verloren, hatte die Menschen verloren die sie liebte und hatte sich wieder gefangen. Und was tat er? Ließ sein Leben an sich vorbeiziehen und fand sich mit seinem Schicksal ab, ohne etwas dagegen tun zu wollen.
Sie blieb stehen. Die Hände in die Hüften gestemmt und wartete bis Vero neben ihr war, dann ging sie neben ihm her.
„ Hast du nicht langsam genug vor dich hingestiert und dich selbstbemitleidet?“ fragte sie mit angriffslustiger Stimme.
Er reagierte überhaupt nicht auf ihre Worte, doch statt sie wie die letzten Tage zu verunsichern fachte dies ihren Zorn nur noch weiter an.
„ Wann hast du den vor wieder mit mir zu reden? Was ist aus dem starken Drachen geworden, den ich kennen gelernt hatte? War das alles nur heiße Luft was du mir erzählt hast?“
Langsam wendete er den Blick vom Boden ab und sah sie an. Sein Blick war immer noch weit weg und sie spürte das sie ihn immer noch nicht erreichte.
„ Lass mich einfach in Ruhe. Du verstehst sowieso nicht was ich fühle.“
„ Oh! Die Gefühle des großen Veros sind zu viel für das kleine Mädchen! Ich sage dir das einzige was du fühlst ist Angst!“ schrie sie ihn an.
Es war ihr egal das sich die drei anderen sofort zu ihnen umdrehte und anhielten. Und etwas veränderte sich in Veros Blick. Sie sah nun auch Zorn in seinen Augen.
„ Du hast keine Ahnung was ich fühle! Du hast nicht den Hauch einer Ahnung was es bedeutet, wenn man für immer verkrüppelt sein wird! Du hast dein Leben immer genießen können und wurdest immer von deinen Eltern beschützt. Mein Vater hat mich mit zwölf Jahren gegen einen wilden Eber antreten lassen. Wenn du stirbst warst du nicht stark genug! Das hat er gesagt! Du weißt nicht was es heißt wenn man nicht mehr kämpfen kann, weil du nie um etwas kämpfen musstest!“ brüllte er zurück.
„ Denk nicht das dein Leben das einzige harte war! Es gibt auch andere Menschen mit einer schweren Vergangenheit!“ Kayas Zorn wuchs immer weiter während sie Vero anschrie.
„ Und dein Leben gehörte sicher nicht dazu! Ich habe immer um alles gekämpft und nun kann ich das nicht mehr! Ich bin eine Last für mein Volk, den was ist ein Krieger der nicht kämpfen kann? Aber keine Angst so etwas kann dir nicht passieren, denn welche Aufgabe hast den schon außer gut auszusehen!“
„ Du arroganter Mistkerl! Willst du damit sagen ich würde nur gut aussehen und sonst nichts ?“ kreischte sie.
„ Gut aussehen? Das habe ich nicht gesagt.“
Kaya schnappte nach Luft.
„ Willst du sagen ich bin zu nichts gut?“
„ Du bist dazu gut die Drachen aus ihrem Schlaf zu wecken und das ist mehr als ich.“
„ Ich bin für dich also nur das Medium und mehr nicht?“ fragte sie leise und spürte wie ihr heißer Zorn sich in einen kalten und dunkleren verwandelte.
„ Du bist das Medium. Mehr warst du niemals für mich.“ antworte Vero kühl und ohne jegliche Emotionen in der Stimme.
„ Ich mochte dich sogar ein bisschen. Vielleicht nicht am Anfang aber nach einiger Zeit...“ flüsterte Kaya immer leiser werdend.
„ Dann verschwendest du deine Gefühle! Ich bin nur noch Abfall. Ein Krieger der nicht mehr kämpfen kann, ein Feuer das nicht mehr brennt, ein Herz das nicht mehr schlägt!“ und mit diesen Worten ließ er Kaya stehen und schritt schneller aus.
Kaya stand einfach nur da und spürte wie ihr die Tränen in die Augen traten. Wie sie ihre Gefühle kaum noch unter Kontrolle halten konnte und am liebsten vor Zorn und Enttäuschung losheult hätte.
Mariona legte ihr den Arm um die Schulter und versuchte sie an sich zu ziehen, doch Kaya drückte sie weg.
„ Ich hasse dich!“ rief sie hinter Vero her, der ihr weiter den Rücken zukehrte.
Es gab keine Reaktion auf ihren Schrei, auch wenn Vero hören musste das Kaya die Tränen über die Wangen rannen.
Alkier und Ortho starrten ebenfalls hinter Vero her, doch keiner sagte ein Wort.
„ Ich gehe mich da hinten im Bach waschen.“ verkündete Kaya mit tonloser Stimme. Es war der Mittag des nächsten Tages, doch Vero und sie hatten noch kein weiteres Wort gewechselt. Kaya hatte in der Nacht wieder angefangen zu weinen und war sich sicher das ihre Begleiter es alle gehört haben mussten. Sie fühlte sich einfach nur leer. Ihr Zorn war noch irgendwo tief begraben in ihrem Bauch aber er meldete sich fürs erste nicht mehr. Und deshalb blieb nur eine erschreckende Lehre in ihr.
Mariona war ein Stück vorgeeilt während die anderen rasteten. Sie waren bisher noch nicht auf Feinde gestoßen, aber sie blieben vorsichtig. Niemand von ihnen wollte glauben, dass sie den Häschern des Imperiums entkommen waren.
Alkier nickte kurz. Ortho und Vero reagierten gar nicht auf sie.
Langsam wandte sie sich ab und stieg einen kleinen Hügel herab, zu dem Bach der sich etwas abseits von ihrem Lager Entlangschlängeltee.
Sie ging. Verdammt sollte sie sein mit ihrer ewigen Fragerei dachte Vero. Sie hatte überhaupt keine Ahnung wie es war seinem eigenen Ende entgegenzublicken und zu wissen das es keine Perspektive mehr für ihn gab. Mit aller Kraft versuchte er an etwas anderes zu denken, aber der brennender Schmerz in seinem Rücken erinnerte ihn immer wieder an seine Pein.
„ Zieh dein Hemd aus, ich schmiere deinen Rücken ein.“ Ortho war neben ihn getreten und hielt eine kleine hölzerne Schale in den Händen.
„Was ist das?“ fragte Vero argwöhnisch.
„ Eine Salbe die ich öfter zur Heilung verwende. Wie soll dein Rücken jemals heilen, wenn wir nicht mit der Behandlung anfangen?“
Vero lächelte ein gequältes Lächeln, voller Abschätzung.
„ Jawohl, ich werde dir meinen Rücken zeigen.“
Er zog sich sein Hemd über den Kopf und drehte Ortho seine entblößten Rücken zu.
Kaya hatte den Bach erreicht und blickte zum Lager zurück das nun ein ganzes Stück von ihr entfernt lag. Bis eben hatte sie noch die Stimme von Ortho gehört. Sie glaubte er hatte mit Vero geredet, aber was interessierte sie das überhaupt? Sollte Vero doch machen was er wollte, solange er ihr dabei nicht in die Quere kam.
„ Verdammt Mist!“ knurrte Ortho und machte unwirküblich einen Schritt zurück. Veros Rücken bestand nur noch aus verbrannter Haut. Schwarze, sich wellende Haut die an manchen Stellen aufgeplatzt war. Gewaltige Brandblasen bedeckten die gesamte Fläche. Welche Schmerzen der Drache aushalten musste. Orto stellte sich nur einmal vor wie es sein musste wenn das Hemd über diese Brandblasen schrabte, wenn die Haut nur von einem Luftzug umweht wurde. Grausam. Vero drehte langsam seinen Kopf und sah ihn böse grinsend an, auf eine Art wie der Gefangene grinst kurz bevor er gehängt werden würde.
Mariona kam zwischen den Bäumen hervor und starrte ebenfalls auf den Rücken des Jungdrachen.
„ Wolltest du nicht eine heilende Salbe auftragen?“
„ Wie hältst du das aus?“ Unglauben schwang in der Stimme des Kampfheilers mit als er auf die Wunde herabstarrte.
„ Jeder normale Mensch hätte sich längst umgebracht um den Schmerzen entfliehen.“ flüsterte Mariona leise.
„ Wir Drachen sind hart im nehmen.“ lächelte Vero sein gruseliges Lächeln. Es war als ob ein Toter lächeln würde.
Kaya ließ den Mantel zu Boden gleiten. Das Hemd und die Hose folgten. Sie fror nun noch erbärmlicher und glaubte man würde das Klappern ihrer Zähne bis ins Imperium hören. Langsam machte ging sie auf den Bach zu und kniete sich an das Ufer. Verflucht waren diese nassen Steine glitschig.
Sie streckte die eine Hand aus und fuhr damit durch das eiskalte Wasser. Ein weiteres zittern durchlief ihren Körper als sie sich noch ein Stück nach vorne beugte. Ihr Kopf schwang nun über dem Wasser und sie betrachtete ihr Spiegelbild. Ihr trauriges Gesicht und ihre verheulten Augen. Dann sah sie den Schatten hinter sich. Er war ihr bereits zu nahe um sich noch umzudrehen.
Ein Schrei hallte durch den Wald. Ein Schrei in dem unglaubliches Entsetzten und Angst mitschwang. Ein Schrei der alle anderen Geräusche des Waldes abtötete und nur eine schreckliche Stille zurückließ, als ob alle anderen Geräusche sich entschieden hätten zu schweigen um diesen Schrei zu würdigen.
„ Kaya.“ flüsterte Vero leise und seine Augen weiteten sich vor Schrecken, vor Angst, vor all den Gefühlen die hinter seiner Leblosen Maske gefangen gewesen waren.
Er sprang auf, ließ sein Hemd fallen und stürmte los.
Ortho packte ihn am Unterarm und versuchte ihn festzuhalten.
„ Bist du wahnsinnig? Du bist schwer verletzt!“
Doch Vero packte ihn nur an den Schultern und riss ihn zu Boden, als ob Ortho nicht mehr als ein kleines Kind wäre.
„ Lass mich los! Kaya!“ und mit diesem Ruf rannte er durch die Bäume davon.
Alkier war ebenfalls aufgesprungen und setzte ihm zusammen mit Mariona nach.
„ Warte, Vero!“ brüllte er doch dieser wurde nur noch schneller.
Er hechtete durch den Wald, wirbelte Laub auf und sprang über kleine Erdhügel. Im Sprung begann sich bereits sein Körper zu verändern und die Schuppen fingen an seinen Körper zu bedecken.
„ Nein, Kaya!“ fluchte er während sich sein Gesicht veränderte. Raptorartige Stosszähne brachen aus seinem Kiefer heraus. Vero schrie vor Schmerzen auf als sein Rücken anfing sich zu verwandeln und er glaubte fast ohnmächtig zu werden als die Schmerzenswelle ihn traf, wie eine Abrissbirne ein kleines Haus umriss. Aber er wurde nicht langsamer. Das durfte nicht sein! Hinter ihm schrieen die anderen ihm Warnungen zu doch er hörte nicht hin. Sie durften Kaya nicht gekriegt haben. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken: Kaya wie sie tot am Boden lag oder sich im Priesterfeuer wand.
„Nein!“
Mit einem letzten Satz katapultierte er sich über den letzten Hügel und landete am Ufer des kleines Baches, an dem er Kaya vermutete.
Er erstarrte. Sein Hals und die untere Hälfte seines Gesichts, sowie sein Rücken und seine beiden Hände waren bereits verwandelt. Der Rest sah noch menschlich aus. Zur Hälfte Drache zur anderen Mensch stand er dort und blickte auf das Wasser vor sich.
Dort stand Kaya. Sie war nass und stand bis zu den Knien im Wasser des Baches. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Entsetzten, Verblüffung und Überraschung an wie er eben vor ihr gelandet war. Und sie war nackt. Komplett nackt, von den Knien die aus dem Wasser schauten bis hin zu ihren kristallklaren Augen die ansahen.
Vero starrte sie an und konnte seine Augen nicht von ihr wenden und sie starrte zurück. Beide waren unfähig die Situation zu begreifen.
Am Ufer stand ein Reh und trank aus dem Bach. Das schlappern seiner Zunge war das einzige Geräusch das man hörte.
Vero machte vorsichtig einen Schritt zurück, als die anderen drei über ihm auf der Hügelkuppe zum stehen kamen.
„ Es tut mir Leid... Ich wollte nicht.“
Sie war nackt. Er sah sie nackt. Kaya war als Fürstentochter erzogen worden. Reinheit und Keuschheit waren ihre obersten Gebote gewesen. Man hatte sie schon getadelt wenn der oberste Knopf ihres Kleides nicht geschlossen war und Vero sah sie nackt. Nichts mehr, was ihren Körper versteckte. Als er sie in ihrem Badezimmer hatte sie immerhin noch ein Handtuch umgehabt und es war verdammt dunkel gewesen aber hier war nichts zwischen Veros Augen und ihrem Körper.
Für sie brach eine Welt zusammen. Sie konnte nicht einmal mehr steuern ob sie traurig, zornig, beschämt, verlegene, entsetzt oder trotzig war oder sein sollte. Alle diese Gefühle und noch tausend weitere schlugen über ihr zusammen und drohten sie zu erdrücken.
Und dann kamen die Tränen. Sie flossen einfach nur über ihre Wangen, doch sie spürte sie kaum und dann direkt nach den Tränen kam der Zorn. Es war am einfachsten zornig zu sein. Alle anderen Gefühle waren ihr zu kompliziert, doch Zorn war ein einfaches Gefühl und es richtete sich komplett auf Vero. Sie watete durch das flache Wasser sprang aus dem Bach und ging auf ihn zu. Er hatte sich bereits zurückverwandelt und stand nun als einfacher Mensch vor ihm. Er schien auch verwundert und entsetzte zu sein, doch das interessierte das zornige Mädchen nicht. Vero machte noch einen Schritt rückwärts und setzte zu einer weiteren Antwort an.
Ihre Handfläche schlug knallend gegen seine Wange. Seine Lippe platzte von der Ohrfeige auf und sein Kopf flog wie in Zeitlupe zur Seite.
Kaya ließ ihre brennende Hand ansatzlos sinken und so wie ihre Hand sank wurde klang auch ihr Zorn innerhalb von Sekunden ab und zurück blieb nur ein unglaubliches Gefühl der Traurigkeit. Heftige Schluchzer schüttelten sie als die Tränen immer schneller aus ihren Augen herausschossen. Kaya sank weinend auf die Knie und blieb vor Vero knien. Sie spürte kaum wie Mariona sie in ihren Mantel wickelte oder wie sie und Alkier auf sei einredeten. Kaya sah auch nicht wie Vero wortlos noch zwei Schritte zurückging und dann mit unbewegter Miene stehen blieb.
Sie heulte alles aus sich heraus und erst nach einigen Minuten als sich keine Flüssigkeit mehr in ihr befand hörte sie stockend auf zu weinen und konnte den Blick heben. Direkt in Veros Gesicht. Langsam leckte er sich mit der Zunge über seine aufgeplatzte Lippe und spuckte dann aus. Das Gemisch aus Blut und Speicheln schlug zwischen ihnen beiden auf dem Boden auf.
„ Wirklich dumm von mir dich retten zu wollen.“ sprach Vero leise, doch laut genug das ihn Kaya verstand. Wort für Wort.
Dann drehte er sich um und ging. Kaya sah ihm nach während ihr wieder die Tränen kamen, obwohl sie dachte sie hätte keine Tränenflüssigkeit mehr in ihrem Körper. Doch Vero drehte sich nicht mehr um. Er verschwand einfach zwischen den Bäumen.
„ Er wollte dich retten,“ flüsterte ihr Mariona ins Ohr als er weg war, „ dafür hat er schreckliche Schmerzen ertragen und auch dieses hier.“ und sie zeigte auf den Blutfleck den Vero ausgespuckt hatte und der von ihrer Ohrfeige stammte.
„ Er dachte du wärst in Gefahr.“ fuhr Alkier fort.
Kaya stand langsam und mit zittrigen Beinen auf und zog sich so schnell wie sie es in ihrem Zustand vermochte an. Dann rannte sie hinter Vero her.
Ihr war klar das sie einen Fehler gemacht hatte.
Vero musste ebenfalls zumindest Teile seines Weges gelaufen sein, denn Kaya und die anderen holten ihn lange Zeit nicht ein. Kaya verfiel schon bald mit Seitenstechen in einen flotten Schritt. Alkier, Mariona und Ortho folgten ihr ohne etwas zu sagen. Sie hatten das wichtigste mitgenommen, den nachdem sie Vero schon eine gute Stunde lang folgten glaubte keiner von ihnen mehr daran das sie zu ihrem alten Lager zurückkehren würden.
Vero stand auf einem Hügel, der sich neben den Baumwipfel erhob. Der Boden war größtenteils felsig genug, sodass auf ihm keine Bäume wuchsen, dadurch war man auf einer Höhe mit dem Blätterdach des Waldes. Vero stand am höchsten Punkt und blickte hinunter in den Wald.
Kayas Beine brannten, doch trotzdem versuchte sie den Hügel so schnell wie möglich zu erklimmen. Doch auch als sie sich keuchend nährte drehte sich Vero nicht um. Die anderen drei blieben in respektvollem Abstand stehen, während Kaya nun einige Meter hinter Vero anhielt und einen Moment abwartete.
„ Es tut mir Leid.“ hauchte sie leise.
Keine Reaktion. Vero bewegte sich keinen Zentimeter.
„ Es tut mir wirklich Leid, Vero.“ Kayas Stimme war nun lauter und, was sie sich selber erst jetzt eingestand, es lag etwas flehendes in ihr.
Langsam drehte Vero sich um und sah sie an.
„ Ich dachte du wärst in Gefahr,“ antwortete er langsam, „ ich wusste nicht das du dich nur vor einem Reh erschrocken hast.“
Eine peinliche Stille trat ein bis er fortfuhr:
„ Ich wollte dich nicht... nun ja beobachten.“
Kaya schluckte und spürte wie sie rot wurde.
„ Du konntest ja schließlich nicht ahnen...“ fing sie an, doch sie wurde von einer Stimme unterbrochen. Einer Stimme die kühl und distanziert sprach und die sie noch niemals zuvor gehört hatte. Aber das erschreckende war: Sie kam aus Veros Mund:
„ Du bist also das Medium.“
Vero schien tierisch erschrocken darüber, was er gerade gesagt hatte, dies lass man zumindest in seinen Augen, denn der Rest seines Gesichts war eine Maske der Gleichgültigkeit.
„ Was sagst du?“ fragte Kaya stotternd nach und auch ihre drei Begleiter kamen eilig näher.
„ Es tut mir Leid das ich deine Stimme nehmen muss, Sohn, aber nur so kann ich mit dem Medium sprechen und euch alle warnen.“ erklärte die Stimme die Vero lenkte, ihn dann aber für einen Moment freizugeben schien.
„ Mutter! Du hast einen Teil von dir in meinem Körper untergebracht?“
Sofort wurde sein Mund wieder übernommen.
„ Ja, ich konnte dich nicht auf eine solch gefährliche Reise schicken ohne im Notfall eingreifen zu können.“
„ Wie kann ich die Drachen befreien?“ rief Kaya schnell.
„ Meine Zeit ist begrenzt,“ antwortete die Stimme schnell, „ und ich bin nur hier um euch zu warnen.“
Ortho stand nun neben Kaya und fragte:
„ Warnen? Vor was oder wem? Sind Priester in der Nähe?“
„ Der Prophet hat den gefallenen Engel geschickt um euch zu jagen. Er ist nahe.“ sprach die Stimme schnell, jedoch nicht überhastet.
„ Der gefallene Engel?“ Kaya hatte diesen Begriff noch niemals gehört.
„ Mein Sohn kann euch alles weitere erzählen. Wisset nur das er nahe ist. Eilt euch!“
Vero schien die Kontrolle über seinen Körper nun endgültig zurückzuerlangen, den er griff sich mit beiden Händen ins Gesicht und betastete seinen Mund.
„ Was ist der gefallene Engel?“ fragte Mariona sofort nach, doch Kaya hatte eine ganz Vorahnung. Noch bevor Vero zu sprechen anfing sah sie die Angst in seinen Augen.
„ Bei dem Ritual, mit dem die Priester die Drachen eingefroren haben sind viele Priester gestorben. Ihre Seelen sind in einen einzigen Körper gefahren und haben ihn verändert, ihn verwandelt, in etwas das viel weiter von einem Menschen entfernt ist als es ein Drache es jemals sein könnte. Ein Wesen ist erstanden, das nicht sprechen kann, nicht essen und trinken muss sondern nur für einen Zweck lebt: Zu jagen und zu töten.“
Alle sahen ihn sprachlos an als er nach einer kurzen Pause fortfuhr:
„ Der gefallene Engel hat unglaublich viele Drachen getötet, die dem Eisgefängnis damals entkommen konnten.“
„ Dieses Ding ist stärker als ein Drache?“ fragte Alkier.
Kaya brauchte auf diese Frage keine Antwort. Vero war im Kampf gegen einen Priester lebensbedrohlich verletzt worden und dieser Engel bestand aus den Seelen von Dutzenden Priestern.
„ Ich kenne kein Wesen, dass ihm gewachsen ist.“ schloss Vero bitter.
„ Dann müssen wir hier sofort weg.“ rief Mariona.
„ Genau! Wir sind unserem Ziel ganz nahe, wenn wir uns durch die Wälder schlagen können wir das Eisgefängnis in den nächsten drei Tagen erreichen. Solange er unsere Spur nicht findet kann uns nichts passieren.“ Vero sprach schneller als Kaya es von ihm gewohnt war. Sie spürte seine Angst in seiner Stimme. Er hatte Angst vor diesem Gegner. Und Vero war der einzige den die kannte der sich furchtlos einem Priester gestellt hatte.
„ Dann los.“ kommandierte Alkier und machte einige Schritte den Hügel herunter.
„Das wird nichts.“ Alle schauten zu Ortho der mit dem Finger auf Vero zeigte. Der sah ihn einen Moment nur verständnislos an, dann bereitete sich Schrecken auf seinem Gesicht aus, doch nur für einen Moment dann hatte er seine Miene wieder unter Kontrolle. Doch Alkier fluchte unterdrückt und Mariona schlug die Hände vor dem Mund zusammen.
„ Das darf doch nicht wahr sein!“ keuchte sie.
„ Doch. Ortho hat Recht.“ resignierte Vero.
Kaya verstand überhaupt nicht mehr was los war. Sie mussten fliehen, sie würden fliehen und diesen gefallenen Engel hoffentlich niemals zu Gesicht bekommen.
„ Was ist den los? Wir müssen hier weg! Was steht ihr den hier noch rum und redet?“ schrie sie und sah zu Vero, dieser sah ihr in die Augen mit einer Tiefe wie er es zuvor noch nie getan hatte.
„ Ich komme nicht mit, Kaya.“ sagte er leise, als schmerze jedes Wort das er aussprach.
„ Was soll das heißen? Natürlich kommst du mit.“ rief sie und konnte nicht verstehen was ihr sagen wollte.
„ Der Engel hat Veros Spur bereits.“ sagte Ortho mit distanziert.
Kaya sah Vero an. Sah seinen Mund, seine Lippen. Die aufgeschlagene Lippe, die sie ihm mit ihrer Ohrfeige aufgeschlagen hatte. Das Blut das er auf den Stein gespuckt hatte, was schon vorher von seiner Lippe auf den Boden getropft war.
„ Das kann nicht sein.“ widersprach sie.
Sie rannte auf Vero zu, packte den Ärmel ihres Hemdes und riss ein Stück ab. Sie versuchte es ihm auf die aufgesprungene Lippe zu drücken, während sie vor sich hin stotterte:
„ Das verbinden wir kurz, das ist doch nur ein Kratzer. Nichts Schlimmes.“
Vero hielt ihre zitternde Hand fest, die immer noch versuchte das Stoffstück auf seine Wunde zu drücken. Er nahm ihr Kinn mit der anderen Hand und hielt es hoch, sodass sie in seine Augen schauen musste.
„ Es ist vorbei, Kaya. Er hat meinen Geschmack in sich aufgenommen und wird mich finden, egal wo ich bin.“
Zwar hatte Kaya in den letzten Tagen soviel geweint wie noch niemals zuvor in ihrem Leben, trotzdem kamen die Tränen wieder.
Sie drückte sich an Vero und umschlang ihn mit ihren Armen.
„ Er wird dich töten.“ heulte sie, den Kopf an seiner Brust.
Er streichelte ihr mit seiner Rechten über das lange Haar und flüsterte ihr leise ins Ohr:
„ Das ist jetzt das unwichtigste.“
„ Ich lasse nicht zu das du gehst! Ich habe alle Menschen verloren die ich geliebt habe, ich will nicht auch noch dich verlieren!“ Kaya konnte kaum noch reden, weil sie von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt wurde.
Vero krallte seine Hände in ihr Haar. Er legte seinen Kopf auf den ihren und zog die Luft ein.
„ Ich liebe dein Haar.“ raunte er.
„ Sie hustete und er musste ihr auf den Rücken klopfen als sie sagte:
„ Du hast gesagt du magst Mädchen mit kurzen Haaren.“
„ Ich war schon immer ein miserabler Lügner, bitte sag nicht das du mir das abgekauft hast.“ lächelte er.
Sie löste ihre Hände und trat einen Schritt zurück und blickte ihn mit großen Augen an.
Vero drehte sich zu Ortho und packte seine Handgelenk im Kriegergruß.
„ Beschützte sie mit deinem Leben, Kampfheiler!“
„ Mein Leben ist ihr Schild.“ antwortete Ortho mit fester Stimme.
„ Meines auch!“ eiferte Alkier ebenfalls auf.
Vero nickte ihm anerkennend zu, dann wandte er sich Mariona zu.
„ Führe sie schnell und sicher, du wirst den Weg finden.“
Sie nickte nur und sah den Jungdrachen dabei traurig an.
Dann blickte Vero wieder Kaya an. Sie verlor sich in seinen Augen die so viel aussagte was er ihr niemals mehr sagen würde und sie glaubte das es ihm mit ihren Augen genauso ging.
„ Es war mein Auftrag dich mit meinem Leben zu beschützen, aber ich würde dies auch ohne den Befehl der Mutter tun.“ erklärte er mit fester Stimme.
Es gab so viel was sie ihm sagen wollte, soviel was sie ihn noch fragen wollte. Über was für belanglose Sachen sie in den letzten Wochen geredet hatten, wobei sie über so viele wichtige Sachen hätten reden können.
„ Ich will..“ begann sie doch er unterbrach sie, nicht grob sondern sanft und ohne lauter zu werden.
„ Ich liebe dich.“
Und dann beugte er sich nach vorne und küsste sie.
Es war kein langer Kuss, es war kein Kuss wie man ihn im Theater sah, wenn sich die Geschichte einem guten Ende nährte. Seine Lippen berührten ihre Lippen und sie schmeckte seinen Geschmack, dann endete es und sie standen sich wieder gegenüber.
„Vero...“ doch sie brach ab bevor sie etwas sagen konnte und sah ihn nur an.
„ So nennst du mich,“ lächelte er, „ weißt du noch was ich dir über meinen richtigen Namen erzählt habe?“
Kaya musste schlucken, denn sie spürte das die Tränen wieder kamen.
„ Du sagest du würdest ihn mir erst erzählen wenn du sicher wärst das du sterben würdest.“ flüsterte sie mit gebrochener Stimme.
„ Veromathio’ dal Gabraska.”