Biografien & Erinnerungen
Geborgenheit

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"Geborgenheit"
Veröffentlicht am 19. Dezember 2010, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an ...
Geborgenheit

Geborgenheit

Geborgenheit

Den Unfall selbst hatte ich überhaupt nicht mitbekommen.
Ich befand mich im Innern eines Pkws. Ein Mann hielt mich in seinen Armen.
„Du bist von einem Auto angefahren worden. Wir fahren dich zu einem Arzt.“
Angst schoss in mir hoch. Mein Herz schlug schnell und hart in meiner Brust. Eine dunkle Ahnung von Endlichkeit entstand in mir. Ich war sechs Jahre alt.
Der Fahrer des Wagens griff mir leicht an den Arm.
„Das wird schon“, sagte er.
Ich beruhigte mich. Doch eines wollte ich noch wissen:
„Blute ich?“

Der Beifahrer, der mich hielt, antwortete schnell, zu schnell: „Nein, du blutest nicht.“
Ich konnte, auf seinem Schoß sitzend, in den Rückspiegel schauen. Mein Gesicht war blutbedeckt. Die Angst war wieder da. Sie schnürte mir die Kehle zu.
„Wir sind da“, sagte der Fahrer, stoppte den Wagen, öffnete die Beifahrertür und sein Begleiter trug mich die vor uns liegende Treppe hoch.
Ich erkannte, wo wir waren. Das Haus vom Doktor. Hier war ich mit meiner schon Mutter gewesen. Der Fahrer des Wagens brachte meinen Schulranzen und legte ihn auf einen Stuhl im Wartezimmer.

Die Sprechstundenhilfe redete beruhigend auf mich ein, während sie mir vorsichtig das Blut vom Gesicht wusch. Der Arzt gab mir nach kurzer Untersuchung eine Spritze.
Dann kam der Krankenwagen, der mich in das Krankenhaus fuhr.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, was dann dort alles geschah. Irgendwann lag ich jedenfalls in einem Krankenbett. Eine Schwester sagte mir, dass ich eine Gehirnerschütterung habe. Dies sei nichts Schlimmes, ich dürfe sicher bald wieder nach Hause. Nur solle ich flach im Bett liegen bleiben, dies sei wichtig, wenn ich wieder gesund werden wolle. Ich nahm mir vor, nicht auch nur ein Glied zu rühren.
Dann erschien meine Mutter. Meinen Vorsatz vergessend, sprang ich auf, fiel ihr um den Hals und begann zu schluchzen.
„Mama, Mama, bitte ich möchte nach Hause, ich will nicht hier bleiben!“
„Ich würde dich gern gleich mit nach Hause nehmen. Das geht aber nicht, mein Junge. Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Du musst ein paar Tage in der Klinik bleiben. Ich werde dich aber jeden Tag besuchen. Auch Papa, die Oma und der Opa werden jeden Tag kommen.“

Ich hörte am Ton meiner Mutter, dass dies das letzte Wort war. Ich versuchte tapfer zu sein, unterdrückte meine hoch flutenden Tränen und löste mich aus den Armen meiner Mutter.
„Ihr müsst aber wirklich alle kommen. Jeden Tag.“
„Aber sicher, mein Schatz. Ich bringe dir heute Nachmittag etwas mit, dann werde ich immer bei dir sein.“ Meine Mutter küsste mich auf die Stirn.
„Was ist das, was du mir mitbringen willst? Kannst du es mir nicht gleich geben? Bitte!“
„Nein, das geht leider nicht. Ich habe es nicht dabei. Gedulde dich bis später … und nun versuch, dich zu beruhigen. Versuch etwas zu schlafen. Bis nachmittags dann.“
Sie küsste mich nochmals und ging zur Tür. Dort drehte sie sich um, winkte mir zum Abschied und war verschwunden.
Am Nachmittag erschien meine Mutter wieder, brachte auch meine Großmutter und Großvater mit.
„Morgen hol ich dich hier raus, mein Junge“, sagte mein Großvater. Hoffnungsvoll schaute ich ihm ins Gesicht.

„Red keinen Unsinn, Heinrich“, entgegnete meine Großmutter und winkte ab. Zu mir gewandt sagte sie: „Hör nicht auf deinen Großvater. Er kann dich nicht hier herausholen. Über die Entlassung bestimmen die Ärzte.“
Die aufkeimende Hoffnung in mir war damit wieder erloschen.
„Ich habe dir das Versprochene mitgebracht“, sagte meine Mutter, Großmutter und Großvater ignorierend und überreichte mir ein Medaillon, mit dazugehöriger Kette, um es um den Hals zu tragen.
„Mach es mal auf“, sagte Mama und zeigte mir, wie das Medaillon zu öffnen war.
Meine Mutter schaute mich aus dem Medaillon heraus an. Ein kleines Foto von ihr war in dem Schmuckstück befestigt.
„So hast du mich immer bei dir“, sagte meine Mutter mit bewegter Stimme. Mir traten Tränen in die Augen. Aber Tränen der Liebe.

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Hörbuch

Über den Autor

Epilog
Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an und als Folge davon erschienen in kurzer Zeit seine beiden ersten Krimianthologien. Der Kriminalroman ?Unter Druck - Ein Marburg Krimi? folgte.

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UteSchuster Re: Re: wieder mal ganz nach meinem Geschmack, lieber Rainer. -
Zitat: (Original von Epilog am 20.12.2010 - 11:20 Uhr)
Zitat: (Original von UteSchuster am 19.12.2010 - 22:48 Uhr) ich hatte Jahrelang ein Medallion mit meinen Kindern um den Hals.
Wenn ich es berührte, fühlte ich mich ihnen sehr nahe.

Liebe Grüße

deine Ute

Liebe Ute,
danke. Bestätigt dann ja meine Gefühle, an die ich mich noch gut erinnern kann.
Liebe Grüße
Rainer


vieles was uns wertvoll war, bleibt für immer, ist nur manchmal verschüttet. Kommt aber durch eine Kleinigkeit wieder nach vorn.

Lieber Gruß

Ute
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Sehr anrührend geschrieben. - Sehr gut geschrieben.
Lukas
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: -
Zitat: (Original von Forseti am 19.12.2010 - 22:38 Uhr) Diese Momentaufnahmen aus deinem Leben sind immer wieder ein Genuss zu lesen!
Dich müssen diese Tränen der Liebe sehr stark berührt haben, dass du auch nach so vielen Jahren mit soviel Gefühl davon erzählen kannst!
Danke!

VLG Marianne

Liebe Marianne,
ich kann dazu nur sagen, dass mir das Schreiben des Textes sehr nahe gegangen ist. Ich war gefühlsmäßig sehr in der damaligen Situation.
Liebe Grüße
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: wieder mal ganz nach meinem Geschmack, lieber Rainer. -
Zitat: (Original von UteSchuster am 19.12.2010 - 22:48 Uhr) ich hatte Jahrelang ein Medallion mit meinen Kindern um den Hals.
Wenn ich es berührte, fühlte ich mich ihnen sehr nahe.

Liebe Grüße

deine Ute

Liebe Ute,
danke. Bestätigt dann ja meine Gefühle, an die ich mich noch gut erinnern kann.
Liebe Grüße
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: ~~~Tränen der Liebe~~~... -
Zitat: (Original von Feuerchen am 19.12.2010 - 19:30 Uhr) fallen nie umsonst...und bleiben mehr als andere Tränen in Erinnerung!
LG
Feuerchen
Dir einen schönen 4 Advent-mit Erinnerungen an GELEBTE Augenblicke lieber Rainer.

Hallo Feuerchen,
danke. Wünsche die auch noch eine schöne Zeit.
Liebe Grüße
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster wieder mal ganz nach meinem Geschmack, lieber Rainer. - ich hatte Jahrelang ein Medallion mit meinen Kindern um den Hals.
Wenn ich es berührte, fühlte ich mich ihnen sehr nahe.

Liebe Grüße

deine Ute
Vor langer Zeit - Antworten
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