Romane & Erzählungen
Die alte Frau und der Heilige Abend

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"Die alte Frau und der Heilige Abend"
Veröffentlicht am 13. Dezember 2010, 10 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Bisher von mir erschienen im Verlag neun9zig Liebe mbH ISBN 978-3-944907-00-0 Querfeldein ISBN 978-3-944907-02-4 Beide Bücher leider komplett ausverkauft. Noch erhältlich bei Amazon, Verlag neun9zig oder direkt bei mir: Quertextein und hinterm Komma links ISBN 978-3944907215 Kontaktaufnahme über meine Homepage: http://quertextein.jimdo.com/
Die alte Frau und der Heilige Abend

Die alte Frau und der Heilige Abend

 

Ich möchte Ihnen heute eine Begebenheit schildern, die sich im vergangenen Jahr am Heiligen Abend zutrug. Bitte schenken Sie mir ein wenig Ihrer Zeit.

 

Auf die Schnelle hatte ich noch das eine oder andere Präsent besorgen müssen. Normalerweise runzele ich die Stirn über diese Last-Minute-Käufer, aber dieses Mal war ich selbst in die vorweihnachtliche Stressfalle geraten. Egal. Schwer beladen ließ ich mich nach meinem Einkauf auf einer Bank vor einem der Kaufhäuser nieder. Der Duft von Maronen und frischen Schmalzkuchen umschmeichelte meine Nase und ich hatte gerade für einen Moment erschöpft die Augen geschlossen, als ich spürte, dass neben mir jemand Platz nahm. Ich schaute auf. Eine alte Frau in einem viel zu weiten Mantel hatte sich an das andere Ende der Bank gesetzt. Die Spitzen ihrer Wollhandschuhe waren abgeschnitten und sie hielt ein Fischbrötchen in der Hand, von dem sie mit sichtbarem Genuss abbiss..

 

„Guten Appetit“, lächelte ich und nickte der Frau zu.

„Matjes“, antwortete sie glücklich und strahlte. „Habe ich geschenkt bekommen.“

„Geschenkt?“, fragte ich zurück.

„Ja, wissen Sie ...“

 

Und dann begann die Frau zu erzählen.

 

Es war eine gute Adventszeit gewesen, sagte sie. Nicht überragend, aber gut. Es hatte sogar ein wenig geschneit und die alte Frau war froh darüber gewesen, auch wenn sie Schnee eigentlich nicht so gerne mochte, denn Schnee bedeutete gleichzeitig Kälte.

„Andererseits sind ein paar weiße Flocken von oben durchaus geschäftsfördernd“, grinste sie. „Die Menschen sind dann eher in Weihnachtsstimmung und das wirkt sich unmittelbar auf ihre Großzügigkeit aus.“

 

Schade, dass heute schon Heiligabend war. Der Tag war zwar erfahrungsgemäß nochmal einer der ertragreichsten, aber danach würde es peu à peu abflauen.

„Am Vormittag des Heiligen Abends aber“, die Frau schüttelte leicht den Kopf … wie seltsam das klang: „Vormittag des Abends“, „ist das schlechte Gewissen besonders ausgeprägt, speziell bei denen, die eben noch auf die letzte Sekunde irgendwelche Verlegenheitsgeschenke besorgen müssen und dafür hektisch durch teure Boutiquen und Parfümerien stolpern. Und ein schlechtes Gewissen ist eben auch wieder gut fürs Geschäft.“

Ich fühlte, wie ich ein wenig errötete.

 

Die Frau redete und ich konnte sehen, dass sie dabei die in den Geschäften Aus- und Eingehenden ganz genau betrachtete.

„Ich versuche immer, die Leute einzuschätzen, wissen Sie“, schmunzelte sie, als sie bemerkte, dass ich sie dabei beobachtet hatte.

„Ich versuche zu erraten, ob es wohl Barzahler sind. Oder ob sie eher die Kreditkarte zücken. Dann ist's nämlich Essig … Die Leute aber, die vor der Kasse einen Schein aus der Brieftasche ziehen und anschließend zu bequem sind, in den Tiefen ihrer Taschen nach dem Portemonnaie zu wühlen, um das Wechselgeld dort hineinzutun, die lassen dann ganz gerne mal den einen oder anderen Cent in meinen Becher gleiten. Und auch die Väter mit den riesigen Tüten voller Spielzeug sind durchaus freigiebig, vorausgesetzt, sie haben gerade eine Hand frei.“

 

Die alte Frau leckte sich verstohlen einen Rest Matjesfett von den Fingerspitzen. Dann reckte sie sich ein wenig und schielte zu dem Stand hinüber, an dem frische Schmalzkuchen eben ihr Ölbad verließen, appetitlich in Tüten geschaufelt und mit einer dünnen Schicht Puderzucker bestäubt wurden. Zweimal war es vorgekommen in diesem Advent, dass ihr jemand eine solche Tüte in die Hand gedrückt hatte. Und gerade eben dieses Fischbrötchen, von dem nur einmal abgebissen worden war. Wirklich nett von dem jungen Kerl mit den bunten Haaren.

 

Alles in allem war die Vorweihnachtszeit also gut verlaufen, fand die Frau. Vor wenigen Tagen erst hatte ein Mann sie sogar zu einem Glühwein eingeladen. Nein, niemand von den hektisch durch die Läden Rennenden, sondern der Alte mit dem struppigen Bart und der komischen Fellmütze, der im Winter auch ganz gerne mal seinen angestammten Platz vor dem Kaufhaus verließ und einige Meter weiter in Richtung Weihnachtsmarkt zog. Und sie hatte sich revanchiert. Vorgestern. Mit einer Einladung zu Kartoffelpuffern. Wie gesagt, der Advent war nicht schlecht gewesen. Ein wenig würde es wohl noch anhalten. Aber spätestens mit dem Ende der Umtauschzeit so Mitte Januar würde es auch wieder vorbei sein mit dem Mitleid, der Großzügigkeit und der Spendenbereitschaft aufgrund des angestauten schlechten Gewissens.

 

Die letzten Läden schlossen und die Straßen leerten sich zusehends. Die Menschen würden jetzt heimfahren, die Christbäume schmücken, mit ihren Familien vor den Kaminen sitzen, Weihnachtslieder singen und sich an den glänzenden Augen ihrer Kinder erfreuen. Die Frau zog den weiten Mantel mit dem unmodernen, aber warmen breiten Kragen enger um sich. Sie würde jetzt auch nach Hause gehen, für heute war hier Feierabend. Sie lächelte ein wenig. Ein richtiges Zuhause konnte man die Unterkunft ja nicht nennen, aber es war warm und sie hatte ein Bett für die Nacht. Wie lange war es her, dass sie selbst eine Familie, eine eigene kleine Wohnung gehabt hatte, bis … Sie unterbrach sich selbst. Nein, sie wolle nicht an die Vergangenheit denken, sagte sie. Ebenso wenig wie an die Zukunft. Heute und hier, das war es, was für sie zählte. Und was bedeutete schon Weihnachten für sie, denn ein Weihnachtsfest war wie das andere, nicht wahr? Das letzte genau wie das in den Jahren davor und dieses genau wie das der kommenden Jahre.

 

Mühsam erhob sie sich von der Bank, verstaute sorgfältig die letzten Münzen aus dem Becher in ihren Manteltaschen, schob ihre Mütze tiefer ins Gesicht, schnupperte noch einmal in Richtung Schmalzkuchen und machte sich auf den Weg.

 

Ja, so war das an jenem Heiligabend im letzten Jahr.

 

Sie haben jetzt auf einen anderen Schluss der Geschichte gehofft? Ein weihnachtliches Happy-End sozusagen? Vielleicht eines der Art, in dem plötzlich der verschollene Sohn vor seiner Mutter steht, vom Tellerwäscher zum Millionär avanciert und überglücklich, seine längst totgeglaubte Mutter wiedergefunden zu haben? Und sie fielen sich in die Arme und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende? Ja? Hatten Sie so etwas erhofft?

 

Oder vielleicht etwas in der Art, dass irgendjemand vorbeikommt, der genau DIESE Frau gesucht hat, weil genau SIE die Richtige ist für genau DEN Job, den er zu vergeben hat? Und fortan sorgte sie glücklich und zufrieden selbst für ihren Lebensunterhalt?

 

Oder erwarteten Sie, dass ein Kind nach ihrer Hand greifen und den Eltern bittend in die Augen sehen würde? Und diese würden gar nichts anderes tun können, als die alte Frau einzuladen, das Weihnachtsfest mit ihnen gemeinsam zu verbringen.Und fortan gehörte sie zur Familie und wurde geliebt wie die eigene Großmutter? Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute? Glücklich und zufrieden natürlich?

 

Oder hätte ich etwa selbst …?

Ja?

 

Ja, ein solches Ende hätte ich auch bevorzugt, aber im Leben dieser Frau gab es keinen Platz für Märchen. Schon gar nicht für solch rührselige mit Weihnachts-Happy-End.

 

Gestern traf ich wieder auf diese Frau. Das heißt, ich sah ihr Gesicht. In einer winzigkleinen, schwarzumrandeten Anzeige, aufgegeben von einem Verein zur Obdachlosenhilfe, war es abgebildet. „Eine Bank ist kein Zuhause“ stand darunter. Und ihr Name. Und ihre Geburts- und Sterbedaten. Vierundfünfzig war sie geworden, die alte Frau.

 

 

 

 

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Gunda



Bisher von mir erschienen im Verlag neun9zig

Liebe mbH
ISBN 978-3-944907-00-0
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Christina_Maverik Ob... - nun wahr, oder Deiner Fantasie entsprungen.. das ist gänzlich uninteressant. In jedem Fall ist es eine Weihnachtsgeschichte ganz nach meinem Geschmack ;-) Mit viel Emotion geschrieben und Frösteln auf der Haut hinterlassend.
LG Christa
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Im realen Leben -
Zitat: (Original von Altspund am 20.12.2010 - 00:07 Uhr) gibt es keinen Platz für Märchen. Wie wahr...




Jedenfalls nur selten ...
Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir uns an kleinen positiven Dingen erfreuen. ..

Ob es wirklich die MEHRHEIT ist, der es zu gut geht, weiß ich nicht, Herbert, mit Sicherheit klafft aber die Schere immer weiter auseinander ...

Lieben Gruß und herzlichen Dank
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Altspund Im realen Leben - gibt es keinen Platz für Märchen. Wie wahr...

Aufwühlend und aufrüttelnd geschrieben. Ob erdacht aus Anlass einer Zeitungsanzeige oder real beobachtet, so ernüchternd kann jeder die Welt sehen, wenn er mit nüchternen und offenenen Augen durch dieselbe geht.

Jedoch wirst auch du nichts daran ändern, so sehr ich dies mit dir wünsche.
Jeder, fast jeder, von uns, hat mit sich selbst genug um die Ohren, und dies ist ihm immer wichtiger als des anderen Sorgen. Leider. Erst, so habe ich immer feststellen müssen, wenn man selbst nichts mehr zu verlieren hat, dann kann man sich plötzlich kämpfend einsetzen und wirklich was bewirken.

Warum haben wir heutzutage so viel Korruption und gleichzeitig inflationär viele Alibi-Spendenaktionen? Weil's der Mehrheit zu gut geht. Meine Meinung nur...

Wiederholt (du Wiederholungstäter!) ein Text von dir, der zum Nachdenken Anlass gibt.

Danke,
Lieber Gruß,
Herbert
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Die Menschen, die niemand haben will... -
Zitat: (Original von Doctor am 17.12.2010 - 15:08 Uhr) Hallo liebe Gunda,
Deine kleine Geschichte, spiegelt wider, wieviele Menschen es doch gibt, die niemand haben will, die sich selbst überlassen werden und die sich damit auch manchmal auf ihre ganz eigene "erschreckende" Weise abgefunden haben.
Haben müssen.
Manch hochtrabendes Wort unserer Politiker, wird ihnen auch nicht helfen können. Tja, es ist traurig, das wir jene z.B. nur in der Weihnachtszeit wahrnemen.Viele helfen, aber die meisten von uns schauen einfach weg.
Manche von uns sind aber auch einfach nur hilflos, angesichts dieses großen Problems unserer Zeit.
Einfach nur bewegend, und anrührend von dir geschrieben.
Ich habe sie aber auch mit seltsamen Gefühlen in der Magengrube gelesen.
Deine Geschichte,...von einem Menschen, den niemand haben wollte !!!

Ich grüße dich, liebe Gunda, und möchte mich auch für dein Gedicht bedanken, das du mir geschickt hast. Ich werde dieses mal ein wenig genauer hinschauen, wenn ich in der Einkaufspassage unterwegs bin.
Versprochen.

LG an dich
Dein DOC



Danke dir, lieber Doc, für deine Gedanken zu meinem Text.
Wichtig ist, dass wir auch NACH Weihnachten noch genauer hinschauen ...

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Doctor Die Menschen, die niemand haben will... - Hallo liebe Gunda,
Deine kleine Geschichte, spiegelt wider, wieviele Menschen es doch gibt, die niemand haben will, die sich selbst überlassen werden und die sich damit auch manchmal auf ihre ganz eigene "erschreckende" Weise abgefunden haben.
Haben müssen.
Manch hochtrabendes Wort unserer Politiker, wird ihnen auch nicht helfen können. Tja, es ist traurig, das wir jene z.B. nur in der Weihnachtszeit wahrnemen.Viele helfen, aber die meisten von uns schauen einfach weg.
Manche von uns sind aber auch einfach nur hilflos, angesichts dieses großen Problems unserer Zeit.
Einfach nur bewegend, und anrührend von dir geschrieben.
Ich habe sie aber auch mit seltsamen Gefühlen in der Magengrube gelesen.
Deine Geschichte,...von einem Menschen, den niemand haben wollte !!!

Ich grüße dich, liebe Gunda, und möchte mich auch für dein Gedicht bedanken, das du mir geschickt hast. Ich werde dieses mal ein wenig genauer hinschauen, wenn ich in der Einkaufspassage unterwegs bin.
Versprochen.

LG an dich
Dein DOC
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Die Brücke e.V. -
Zitat: (Original von Janara am 15.12.2010 - 19:58 Uhr) Wunderbar geschrieben, Gunda, besonders durch die Fragen am Schluss aufrüttelnd und in die Tiefe gehend...

Lieben Gruß
Jana



Ja, "Die Brücke" e.V. habe ich auch schon gehört, aber deren Feld ist noch weiter gefächert, glaube ich.

Freue mich, dass dich die Geschichte angesprochen hat, Jana.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Liebe Gunda, -
Zitat: (Original von Epilog am 15.12.2010 - 15:30 Uhr) eine anrührende Gechichte zu einem sehr ernsten Thema. Gut rübergebracht.
Schönen Resttag noch.
Rainer



Freue mich, dass die Geschichte offensichtlich so angekommen ist, wie ich es erhoffte.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Janara Die Brücke e.V. - Wunderbar geschrieben, Gunda, besonders durch die Fragen am Schluss aufrüttelnd und in die Tiefe gehend...

Lieben Gruß
Jana
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Liebe Gunda, - eine anrührende Gechichte zu einem sehr ernsten Thema. Gut rübergebracht.
Schönen Resttag noch.
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Re: - Zitat: (Original von Gunda am 15.12.2010 - 08:25 Uhr) Zitat: (Original von Luap am 14.12.2010 - 19:17 Uhr) So wird es für sie vielleicht doch wirklich einmal Weihnachten...

Lieben Gruss
Paul



Hmmm ... Zunächst hatte ich den Verdacht, du habest meine Geschichte nicht zu Ende gelesen, Paul, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr könntest du Recht haben ...

Lieben Gruß
Gunda


Aber Gunda, was denkst du von mir... :-(
Natürlich meinte ich, dass sie Weihnachten am grossen Tisch im Himmel feiern kann.

Lieben Gruss und frohe Adventszeit :-)
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
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