Romane & Erzählungen
I Love You, Golden Blue

2, 4, 6... sie zählte die Blümchen auf den Fliesen. Versuchte angestrengt nicht auf das Stück Plastik auf dem Boden zu starren. Das Stück Plastik, das über ihre Zukunft entscheiden würde. Sie riss Klopapier ab und schneuzte sich. Dann zählte sie weiter, ihr Blick wanderte über die gefleckten Fliesen und langsam verlor sie sich in Gedanken. Sie erinnerte sich an ihn, der sie gewissermaßen in diese Lage gebracht hat. Er, dem das völlig egal sein wird.

Das erste Mal getroffen haben sie sich über gemeinsame Freunde, in einem dunklen, verrauchten Pub. Sie war ihm gleich aufgefallen, mit ihren rehbraunen Augen und dem dunklen lockigen Haar. Ihre Freunde waren gerade in ein Gespräch vertieft, sie blies gedankenverloren Rauch aus und fuhr durch ihre Haare. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, aber sie ignorierte ihn gekonnt. Mit Typen wie ihm hatte sie breits Erfahrung, keine gute. Sie sahen nett aus, waren aber dumm wie Brot. Und ebenso gefühlvoll.

Sie drückte ihre Zigarette aus und stieß ihre Freundin in die Seite. „Toilette?“, es war kein Geheimnis, dass Mädchen es bevorzugten ihren Klogang in Gesellschaft abzuwickeln. Sie stolperten kichernd die Stiegen hinunter, die beiden Männer sahen sich an und verdrehten grinsend die Augen. Er klopfte seinem Freund auf den Rücken und stellte endlich die Fragen, die ihm seit ihrer Ankunft auf den Lippen brannten. Wer war sie? Wie hieß sie? Ray grinste, er hatte sich bereits gedacht, dass er sich für sie interessierte. Aber genauso wusste er, dass Josh ein Frauenheld war und sie genauso wie all die anderen behandeln würde. Einmal benutzen, dann wegwerfen. Oder könnte es sein, dass er sich geändert hatte? Ray erinnerte sich an die Worte seiner Freundin, Karen, die über ihre beste Freundin ebenso behauptet hatte, eine Herzensbrecherin zu sein. Etliche Verflossene würden dies bestätigen. Dies zerstreute sämtliche Zweifel und er riet Josh, sich ranzuhalten. Sie sah ja auch wirklich gut aus. Als sie ein paar Wochen später wieder unterwegs waren und sie aufeinander trafen, war sie schon ziemlich betrunken und Josh mindestens ebenso viel. Als der Dj ein langsameres Lied auflegte, fiel sie in seine Arme und sie schaukelten im Takt. Jedem war klar, wie das enden würde. Wie selbstverständlich, nahm er sie an der Hand und mit zu sich. Als sie am nächsten Tag aufwachte, hatte sie wahnsinnigen Durst. Und sie war nackt. Scheiße. Die Pille hatte sie seit ihrem letzten Freund abgesetzt und es war definitiv kein Kondom im Spiel gewesen. Scheiße. Er war schon vor ihr wach gewesen, schlang seine Arme um sie und küsste sie am Hals. Sie schloss die Augen und versuchte es zu genießen. Aber ein Gedanke brannte sich in ihr Hirn, der Gedanke, ihr Leben woöglich für immer verändert zu haben. Sie küsste ihn eilig, duschte und verabschiedete sich. Die Wochen kamen und gingen, ohne dass sie von ihm hörte. Sie hätte ihre Periode bekommen müssen, bekam sie aber nicht. Sie wartete. Schließlich suchte sie bei ihrer Freundin Rat, unter Tränen, bei einer Tasse Tee am Balkon. Karen fackelte nicht lange und fuhr mit ihrer Freundin zur Beratungsstelle am Stadtrand. Dort gab es auch die Möglichkeit zur Erstuntersuchung, gegebenfalls auch Abtreibung. Da es Sonntag war, schien die Sache etwas aussichtslos. Nach einer Weile fanden sie die Beratunsstelle schließlich. Nebenan hatte die Kirche ihr Lager aufgeschlagen, Bilder von Embryos in der Auslage unterstrichen die schwarz geschriebenen Parolen. Wie hyptontisiert starrte sie auf die Bilder, begann zu heulen und rannte weg. Dann fanden sie eine offene Apotheke und kauften schlussendlich den Test.

Und nun war sie hier angelangt. Montag früh, Morgenurin sollte angeblich aussagekräftiger sein. Wie auch immer. Sie hatte drei Sekunden lang auf den Streifen gepinkelt, wie verlangt. Drei Sekunden waren ganz schön lang. 5 Minuten waren noch länger. Sie stellte sich ein Leben vor, mit Kind. Es war keine schöne Vorstellung. Mit 18 Jahren konnte man daran nur schwer Gefallen finden, es sei denn, man ist nicht ganz bei Verstand. Sie stellte sich vor, wie sie es Josh sagen würde. Noch 2 Minuten. Würde es ihn interessieren? Würde er sie unterstüzen?

Bis jetzt hatte sie nicht hingesehen. Eigentlich bereute sie es, ihn kennengelernt zu haben. Eigentlich hasste sie sich selbst, für die scheiß Entscheidungen, die sie in ihrem Leben getroffen hatte. 1 Minute. Sie zog die Hose hinauf, spülte hinunter, atmete noch einmal tief ein und hob den Test auf. 1 Strich. Negativ.