Wie Gott den Menschen erschuf ...
Gott saß grübelnd an seinem Schreibtisch, arbeitete an neuen Konzepten und sagte: „Heute hätte ich mal Lust, etwas ganz besonderes zu produzieren.“ Er überlegte sich, ob es sinnvoll wäre, einen Menschen zu erschaffen. Aber welches Material sollte er nehmen? Er suchte in seinem Himmel in allen Ecken und entschied sich für Lehm. An den Rumpf knetete er Arme, Beine und einen Kopf, ausgestattet mit Augen, Ohren, Mund und Nase. „Gut, das reicht, man soll ja nichts übertreiben. Mehr als sehen, hören, essen und riechen muss das Geschöpf nicht können.“
Der Allmächtige legte über Nacht den Prototyp im Freien auf einen Gartentisch. Als er am nächsten Tag nach seinem Champagnerfrühstück sein Werk begutachten wollte, fiel er fast aus allen Wolken. Nachts hatte es nämlich geregnet und der Lehm-Mensch war so schwach, dass er zusammenfiel. „Ich brauche ein Material, das sich nicht auflöst.“ Seine Wahl fiel auf Holz. Er schnitzte einen Menschen und war mit seiner Leistung sehr zufrieden. „Ich bin eben der Größte“, meinte er augenzwinkernd.
Einen Tag später betrachtete er seinen Holzmenschen von allen Seiten und war plötzlich verunsichert und ratlos. Er fand den Menschen zu hart und gefühllos. „Naja, dann lasse ich es eben bleiben, es gibt wichtigeres als einen Menschen zu erschaffen.“
Mehrere Wochen vergingen. Der Herrgott aß einen Maissalat. Als er auf der Gabel einige Maiskörner genauer betrachtete, sprang er euphorisch auf und schrie, dass der Himmel bebte: „Ja! Jetzt habe ich das richtige Material gefunden, um einen Menschen zu formen. Das Zaubermittel heißt Mais.“ Er wischte sich mit einer Serviette sein öliges Kinn ab, stand auf und machte sich sofort ans Werk. Er nahm einen weißen, noch unreifen Mais und mischte ihn mit einem ausgereiften, gelben Mais. Gott war gut drauf an diesem Tag, er war voller Tatendrang, die kreative Arbeit machte ihm Spaß wie lange nicht mehr und er formte gleich drei Maismenschen und siehe, die drei Menschen konnten problemlos atmen, fühlen und denken. „Perfekt“, sagte Gott. „Nur die Hautfarbe gefällt mir noch nicht.“
Er schob den ersten Menschen 20 Minuten ins Backrohr und rieb sich vor Begeisterung die Hände. Als er sein Gebäck aus dem Ofen holte, war es kohlrabenschwarz. „Zu lange gebacken“, erkannte er sofort. Gott hatte einen Afrikaner kreiert. Er schob den nächsten Maismenschen ins Rohr, schaute auf seine himmlische Uhr und murmelte vor sich hin: „10 Minuten werden wohl reichen.“ Als er diesen Maismenschen dann aus dem Backrohr holte, war er noch relativ blass, aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Er war schon zufriedener. Ein Europäer war erschaffen. „Und jetzt die goldene Mitte.“ Gott ließ den dritten Maismenschen genau 15 Minuten und keine Sekunde länger im Backrohr. Und diesmal war er mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. „Phänomenal“, schrie er. Der perfekte Mensch mit einer tollen bronzefarbenen Haut war erschaffen: ein Mexikaner!
„Menschen aus Mais“ so nennen sich die Mexikaner selbst. So steht es auch im „Popol Vuh“, der Schöpfungsgeschichte der Mayas. Mais ist für sie der Ursprung der Menschwerdung, der Anfang aller Dinge, ein Geschenk der Götter, Symbol für Leben, Wachstum und Kultur. Noch heute wird der göttliche Mais mit „Su Alteza“ = „Eure Hoheit“ angesprochen.