Beschreibung
Ehre im Mittelalter... Sehr kurz und eher ein spontaner Gedankensplitter.
Ehre
„Bitte ehrwürdiger Herr, sprechen sie mir diese Ehre zu!“, flehte der Junge. Sein Gegenüber schaute glasig auf ihn herab. Die donnernde Stimme des Mannes hallte durch das angesehene Wirtshaus und fing nun auch die Aufmerksamkeit der letzten Gäste. „Verschwinde du Bauernsohn! Dein Gestank beleidigt meine Nase.“, rief er aus und ließ seinen Humpen energisch zum Mund wandern. Große Schlucke ließen seinen Kehlkopf mindestens genauso geräuschvoll auf und ab hüpfen, wie das Herz in der Jungenbrust schlug. „Ich flehe sie an, Herr! Es ist der einzige Weg einen Teil meines Familiennamens von der Schmach der Enteignung zu säubern.“, versuchte es der Knabe erneut. Seine Stimme bebte, während er fortfuhr: „Eure Taten werden besungen. Euer Ruf eilt euch voraus und der Klang Eures Namens lässt die Menschen erzittern. Bitte, nehmt mich an, Herr!“ Die Worte des Jungen schienen Gehör zu finden. Der Ritter stellte seinen Humpen schwungvoll auf den Tisch und musterte ihn einige Momente schweigend. Abschätzend. Grinsend. Mit roten Wangen beugte er sich ein Stück vor und der Junge roch den nach Alkohol stinkenden Atem. Aber er wich nicht zurück und zwang sich den Blick gesenkt zu halten. „Du gefällst mir, Bauernsohn! Du weißt Menschen richtig einzuschätzen!“, lachte er dröhnend. Getuschel ging durch das unfreiwillige Publikum und die ersten wandten sich von dem kleinen Schauspiel ab.
Mit ehrlichem Lächeln fing der Junge, der zum Knappen geworden war, an seinen neuen Herrn zu preisen und seine Taten zu loben. Ausnahmslos ratterte er all die Heldentaten in blumiger Sprache herunter. Erst als der Ritter dem Alkohol erlag, brachte er ihn mit der Hilfe einer Magd in sein Zimmer.
Die Tür fiel hinter der jungen Frau ins Schloss und der Knappe ließ das Gewicht, das auf seinen Schultern lastete, auf das Bett fallen. Lallend beschwerte sich der Mann. Seine Worte waren schon nicht mehr zu verstehen. Der Knappe schenkte dem keine Beachtung. Er hatte noch immer das Gesicht der jungen Magd vor Augen. Sie hatte ihn mitleidig angelächelt. „Vielleicht hätte ich glücklich werden können.“, murmelte er zu sich selbst, trat an das Bett heran und zog einen Dolch, den er unter seinem dünnen Hemd versteckt hatte. Hasserfüllt starrte er in das Gesicht des kümmerlichen Wesens, das mittlerweile schnarchend vor ihm lag. „Auf das die Welt erfährt, was die Ehre mir gebot.“, flüsterte der Junge und hob den Dolch zum Schlag.