Kurzgeschichte
Toastbrot

Toastbrot

Als ich dich kennen lernte, deine Mutter, deine Tiere, die du liebevoll deine "Kinder" nennst, da dachte ich, ich hätte das Paradies gefunden.
Endlich bekam ich geregelte Mahlzeiten. Ich lernte so vieles kennen, das ich vorher nicht kannte. Nicht nur Essen, sondern auch Vertrauen, Hilfsbereitschaft, Liebe.
Mein Paradies war dein Zuhause. Mit all den Tieren, deiner Familie. Und dir natürlich. Dir ganz besonders.
Auch wenn ich mich lange nicht traute, es dir zusagen, bei dir lernte ich zum ersten Mal Fernsehen kennen. Und Internet.
Ich habe das lange verschwiegen, aus Angst, du könntest den Jungen aus Leipzig für einen Hinterweltler halten. Wobei Leipzig doch ne Großstadt ist.
Durch dich lernte ich das Leben kennen.
Und heute sitze ich wieder in meinem Paradies an deinem Computer und schreibe diese Sätze über dich und mein Paradies.
Aber du bist nicht hier.
Und die "Kinder" springen auf mir herum und doch finde ich kaum Bezug zu ihnen.
Der Computer ist auf Nonstop-Betrieb. Pornos, Onlinegames, Internetseiten, Filme. Alles ist so wie immer.
Doch von einem Paradies keine Spur.
Ich esse Sandwiches und trinke Sachen, die ich vorher kaum kannte.
Ich helfe im Haushalt wie immer.
Doch von einem Paradies keine Spur.
Ich entdecke heute, das Toastbrot wie trostlos klingt.
Ich esse sozusagen Toasbrot/trostlos. Beides trifft zu.
Toastbrot.....
Ich erkenne in dem monotonen Dröhnen des Staubsaugers plötzlich das Heulen einer verletzten einsamen Seele.
Mein Heulen....
Und ich bemerke, wie ruhig es hier ist. Und Erinnerungen kommen hoch.
Erinnerungen an durchfrorene Tage auf dem Dachboden. Die Tage ohne Jacke im tiefsten Winter. Ich erinnere mich an Schlägereien und Freunde. Ich bin gezwungen zu denken, wo ich nicht denken will. Ich mache mir Sorgen und warte auf ein Lebenszeichen...
Hier, wo ich dich erwarte, ist das Ohne-dich-Sein viel schlimmer als - in meiner Hölle, in der ich weiß, dass ich alleine bin.
Mir fällt heute auch zum ersten Mal auf, wie sehr das laute Rascheln von Tüten die Stille unterstützt.
Das Bellen des Hundes oder das Knacken der Äste in den Rattenkäfigen.
Und das endlose Tapp-Geräusch meiner Finger auf den Tasten.
Ich erkenne, warum alte Leute Selbstgespräche führen. Weil Gespräche, ob nun mit einem Dritten oder mit sich selbst, die Einsamkeit verjagen.
Ich merke, wie kalt es ist, ohne dass ich friere.
Viele Menschen glauben, dass das Paradies kein Ort ist, sondern eine Person.
Ich gehöre zu den Menschen, die das nicht glauben.
Ich gehöre zu den Menschen, die es wissen.
Also sitze ich hier, streichle die "Kinder", mache die Hausarbeit, spiele Computergames und esse Toastbrot ... oder trostlos.
Und ich warte auf dich.
Auf mein Paradies.
Auf dich.