Die Weihnachtspyramide
Â
Meine Schwester Jutta und mein Schwager haben in den siebziger Jahren auf dem Grundstück meiner Eltern, genau neben unser Elternhaus, gebaut.
Damals arbeitete sie bei Plazza, einer Kaufhauskette, die es heute so nicht mehr gibt.
Denn irgendwann war diese große Firma leider insolvent.
Â
Ein paar Jahre später, kurz nach Weihnachten, kam meine Schwester von der Arbeit nach Hause. Mit einer riesigen Einkaufstüte ging sie zu meinen Eltern und  übergab ihnen eine Weihnachtspyramide. Sie sagte zu den Eltern, dass ihre Geschäftsleitung alle Waren, die vom Weihnachtsgeschäft nicht verkauft worden sind, zu niedrigen Preisen den Mitarbeitern zum Verkauf angeboten hat. Und diese schöne Weihnachtspyramide hätte sie für fünf DM bekommen. Ich glaube, zu der damaligen Zeit war so eine Pyramide kurz vor Weihnachten um ein vielfaches teurer. Mindestens dreißig bis vierzig DM musste man für so eine Pyramide bezahlen. Und da mein Vater sich immer so für das Weihnachtsfest begeisterte, es liebte, den Weihnachtsbaum zu schmücken und sich auch für alles, was mit Weihnachten zu tun hat, begeistern konnte, wolle sie unseren Eltern diese schöne Weihnachtspyramide schenken. Meine Eltern haben sich sehr gefreut und für meinen Vater war es, obwohl das Weihnachtsfest erst ein paar Wochen zurück lag, schon wieder wie Weihnachten.
Sie stellten die Pyramide schön sorgfältig verpackt und auf den Dachboden zu der anderen Weihnachtsdekoration.
Â
Und jedes Jahr kurz vor dem 1. Advent holte mein Vater die Weihnachtspyramide und die anderen Sachen zum Dekorieren vom Dachboden. Ich glaube, von allem, was in der Adventszeit zur Dekoration aufgestellt wurde, hat mein Vater sich am meisten für die Pyramide begeistern können, denn sie war auch wunderschön mit den Engelsfiguren und den schönen Kerzenhaltern. Kaum hatte er zwei oder drei Kerzen angezündet, drehten sich die Figuren im Kreise, bei jeder weiteren Kerze, die Vater anzündete, wurden sie immer schneller. Es lief Jahr für Jahr, wie von selber, immer ohne Schwierigkeiten.
Doch dann kam das Jahr 1992, meine Schwester war zu der Zeit hochschwanger.
Wie jedes Jahr vor dem 1.Advent holte unser Vater die Pyramide vom Dachboden und baute sie auf, er zündete die Kerzen an, doch was war das? Die Pyramide drehte sich nicht. Er hat alles Mögliche versucht, dort, wo die Teile sich eigentlich drehen müssten, schmierte er sogar noch Öl hin.
Doch ganz egal, was er auch unternahm, die Pyramide drehte sich nicht.
Â
Am nächsten Tag, ich war zum Einkaufen gefahren, sah ich, dass Vaters Auto auch beim Supermarkt stand. Ich habe meine Eltern dort allerdings nicht gesehen, da ich dort im Baumarkt war, meine Eltern aber Lebensmittel eingekauft hatten.
Ich fuhr zurück nach Hause. Als ich die Tür öffnete, kam meine Frau mir entgegen und sagte, „ Du musst sofort zum Einkaufsmarkt, die haben gerade angerufen, irgendetwas ist mit Vater passiert!“ Ich bin sofort zurück. Als ich dort ankam, lag mein Vater mitten im Laden auf dem Fußboden und es standen einige um ihn herum und kümmerten sich besorg um ihn.
Auch ich war, wie meine Mutter, voller Sorge  um meinen lieben Vater, ihn dort so liegen zu sehen, tat uns im Herzen weh.
Â
Vater sah mich an und sagte, „Schön mein Junge, dass du hier bist. Kümmere dich immer gut um deine Mutter, versprich mir das!“  Ich erwiderte, „So musst du nicht reden, werde nur schnell wieder gesund, denn wir brauchen dich!“
Er aber sagte fordernd, „Versprich es mir!“ Ich versprach ihm, dass ich mich um unsere Mutter immer kümmern werde. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert, dort stellte man fest, dass eine Ader im Bauch geplatzt war und er innerlich verbluten würde. Er wurde gleich in eine andere Klinik überwiesen, die für diese Krankheit spezialisiert war. Hier wurde er sofort operiert, dann ins künstliche Koma versetzt. Man machte uns Hoffnung, dass er wieder gesund würde, oder vielleicht wollten wir es damals auch nur glauben, dass er es überstehen würde. Es folgten viele Operationen. Doch es ging immer weiter bergab mit ihm. Dann am 8.12. 1992 wurde sein viertes Enkelkind geboren und mein Vater war ein paar Tage später aus dem Koma erwacht, und meine Mutter konnte ihm erzählen, dass meine Schwester eine kleine Tochter geboren hatte. Kurze Zeit später aber lag er wieder im Koma und nach 7 Wochen Krankenhausaufenthalt starb unser lieber Vater am 08.01. 1993.
Für uns war es, als würde die Welt untergehen. Unser Vater und Opa, der immer für uns da war, wenn wir mal feierten, der uns mitten in der Nacht wieder abgeholt hatte oder unsere Kinder von der Schule heimholte oder hin gebracht hatte, wenn es stark regnete, stürmte oder schneite, er würde nie mehr unter uns sein! Besonders schlimm war es aber für unsere Mutter, meine Eltern waren ein Musterehepaar. Es gab natürlich wie in jeder anderen Ehe auch mal einen Streit, doch die Versöhnung folgte darauf immer sehr schnell. Kurz gesagt, meine Eltern haben sich sehr geliebt.
Â
Auch heute denken wir noch sehr oft an Vater und erinnern uns gerne an ihn, besonders, wenn wir alle zusammen Weihnachten feiern, werden Erinnerungen wach.
Die Weihnachtspyramide hat meine Mutter die ersten Jahre immer auf dem Dachboden gelassen. Sie sagte, die brauche ich ja erst gar nicht herunter schleppen, denn die funktioniert ja doch nicht. Doch ein paar Jahre später, in der Adventszeit, hat sie sie dann doch wieder aufgestellt. Meine Mutter dachte bei sich, die Figuren werden sich bestimmt nicht drehen, doch, als sie die ersten zwei Kerzen anzündete, drehte sich die Pyramide wie von selbst und bei jeder weiteren Kerze wurde sie immer schneller.
Seitdem erinnert uns diese Pyramide immer sehr stark an unseren lieben Vater.
Ich habe das Gefühl, als wäre es damals ein Zeichen gewesen, als diese Pyramide, kurz vor dem Tod unseres lieben Vaters, stehen geblieben ist. Und immer dann, wenn sich diese Pyramide bewegt, erinnern wir uns an unseren lieben Vater und wir sind dankbar für die Zeit, die er für uns da war.
Â
Â
von Anteus FreerksÂ
Â