Nur Einbildung
Woche für Woche das gleiche Spiel. Der fast täglich, für seine Großmutter sorgende Enkel, ruft den Hausarzt an: "Herr Doktor, meiner Omi geht es wieder einmal sehr schlecht, sie phantasiert, erzählt von Himmel und Hölle und das sie hoch hinaus durch die Wolken schwebt, seit Stunden rudert sie mit Armen und Beinen im Bett umher! Könnten Sie kurz vorbeikommen und nach ihr sehen ?"
"Einen Augenblick bitte", erwidert der Arzt, "ich sehe mir schnell einmal die Kartei Ihrer Oma an, damit ich mir ein Bild machen kann."
Minuten lang Stille, dann antwortet der Arzt: "Dieses Procedere ihrer lieben Grossmutter hatten wir doch schon, in ähnlicher Form, des Öfteren. Die gute Frau ist nicht krank, sie braucht hin und wieder Unterhaltung, den jetzigen Zustand bildet sie sich nur ein. Ich muss deshalb nicht extra zu Ihnen ins Haus kommen. Reden Sie beruhigend auf sie ein, streichen Sie ihr behutsam übers Haar und decken Sie sie gut zu, dann wird es schon wieder. Sollte sich jedoch nichts ändern, rufen Sie mich noch einmal an."
Zehn Tage vergehen, der sonst schon gewohnte wöchendliche Anruf bleibt aus. Der Doktor macht sich ernsthaft Sorgen, greift zum Telefon, ruft den Enkel an, um sich zu erkundigen, ob seine Diaknose richtig war.
"Wie geht es Ihrer lieben Großmutter, hat sie sich wieder beruhigt ?"
Zögernd, ein wenig nachdenklich antwortet der Enkel:
"Ja, Herr Doktor, sie hat sich beruhigt, trotzdem glaube ich, es geht ihr schlechter. Seit zwei Tagen sagt sie keinen Ton, liegt kreidebleich und regungslos im Bett, - jetzt bildet sie sich sicher ein, sie sei tot !"