Beschreibung
Die schicksalhafte Begegnung mit dem Wasserdämon nimmt ihren Lauf...
Im Auge der Magierin
Mit einem lauten Donnern brach der Wasserturm zusammen. Mächtige Wellen erfassten unser Boot und trieben es spielend umher. Doch die Magierin ließ sich nicht beirren. Sie stand vorne, ihre Augen geradewegs auf den Dämonen gerichtet. Ihr Mund bewegte sich, aber die geflüsterten Worte vermochten nicht zu mir zu durchzudringen.
Ich brauchte es auch nicht zu verstehen. Wenige Sekunden später stieg die magische Konzentration ein weiteres Mal an, worauf mein linkes Auge verheißungsvoll juckte. Der Dämon näherte sich schnell. Unaufhaltsam schien er über die wütende Wasseroberfläche zu springen. Er gewann immer mehr an Geschwindigkeit.
Ich wollte sie warnen, ihr irgendwie helfen. Doch ich war unfähig mich auch nur von der Reling loszureißen, ohne dabei von den wilden Fluten mitgerissen zu werden. Mein Stolz rebellierte. Mein Auge juckte noch heftiger. Trotz der gewaltigen Wellen wanderte meine Hand zur Augenklappe und verharrte dort regungslos.
Genau in diesem Augenblick hatte die Magierin ihren Spruch beendet. Entschlossen richtete sie die Spitze ihres Dreizacks auf das dunkle Wesen, dessen Silhouette ich wegen seiner irren Geschwindigkeit nur verschwommen erkennen konnte.
Geschwind, wie als wäre das Wasser lebendig, fing es an in dünnen Fäden aus dem Meer aufzusteigen und sich vor den drei Spitzen zu sammeln. Es formte eine kleine Kugel, die unaufhörlich wuchs. Doch währenddessen kam der Dämon immer näher. Und meine Panik wuchs. Ich konnte schon sehen, wie dieses Monster das kleine Boot zertrümmern würde. Schreckliche Bilder, wie es mich danach in die Tiefen des Meeres zog und jämmerlich ertrinken ließ, blitzten vor meinem geistigen Auge auf.
Doch bevor ich mir noch schlimmere Szenarien ausmalen konnte, riss mich die Magierin aus meinen Gedanken.
„Tobender Sturm, Hüter der ewigen Quelle, erhöre mich. Als Gesegnete des sanften Stroms gebiete ich dir die Wellen deines Zorns zu glätten!“, rief sie plötzlich aus, während sie dabei mit dem Dreizack eine komplizierte Form in die Luft zeichnete. Sobald das letzte Wort ihre Lippen verlassen hatte, schossen tausende Wasserfäden aus der Kugel heraus. Innerhalb eines Wimpernschlags hatten die Fäden den Dämon erreicht. In atemberaubender Geschwindigkeit wickelten sie den muskulösen Körper ein und zurrten ihn mit einem einzigen Ruck zusammen. Das Monster kämpfte gegen die Magie an. Seine unmenschlichen Schreie durchdrangen mich bis ins Mark, sie paralysierten meine Gedanken. Ich konnte mich nur an das Boot klammern und zu sehen, wie die Bestie aus ihrer Flugbahn geschleudert wurde und neben mir auf der Meeresoberfläche einschlug. Gischt spritzte mir entgegen, Salzwasser durchnässte die letzten trockenen Reste meiner dünnen Kleidung. Doch selbst das Brennen des Salzes in meinem Auge beachtete ich nicht.
Ich war wie gelähmt. Eine seltsame Taubheit ergriff meinen Körper. Ich wollte mich bewegen, meinen Blick abwenden, doch kein einziger Muskel schien mir zu gehorchen. Ich war gefangen. Gefangen in dem schier unendlichen Blick dieses Wesens. Regungslos trieb er an der Oberfläche und starrte mich aus seinen saphirblauen Augen an. Mir fiel auf, dass die Farbe der Augen der Haarfarbe der Magierin erstaunlich ähnlich war. Nur waren sie viel reiner und von einer göttlichen Schönheit, deren Einzigartigkeit ich in diesem Moment nicht begreifen konnte. Ich versuchte mich zu wehren, zu wiederstehen, doch diese Augen ergriffen mich. Wie im unaufhaltsamen Sog eines Strudels zerrten sie meinen Geist aus mir heraus.
„Wage es dich! Was ist in dich gefahren, Hüter der ewigen Quelle?“, rief die Magierin wütend aus und schlug mir mit der flachen Seite des Dreizacks sanft gegen mein rechtes Auge. Sofort wurde ich aus dem seltsamen Bann gerissen und plumpste ungeschickt auf meinen Hintern. Ich schluckte schwer, blinzelte und schaute starrte währenddessen abwechselnd zu der Magierin und ihrem gefesselten Gegner, dessen Augen noch immer auf mir ruhten. Vielleicht mochte ich nicht verstanden haben, was gerade geschehen war, aber daraus gelernt hatte ich alle Male. Sofort, als ich den Blick des Ungetüms zu treffen drohte, starrte ich zu Boden.
Und plötzlich brach eine Stimme über uns herein, die einer Flut glich. Donnernd spülte sie über mich hinweg und ich schnappte unwillkürlich nach Luft. „Sie gehen immer weiter. Unaufhörlich drängen sie vorwärts, nehmen uns unser Land und stehlen uns unsere Kraft. Der Samen wollte nur leben und doch haben sie ihn aus der Erde gerissen. Gesegnete des sanften Stroms, ich kann nicht mehr nur zusehen. Das strahlende Licht hat seinen Glanz eingebüßt und ist verrottet. Und trotzdem folgen die Menschen ihnen, wie Motten dem Feuer in der Nacht. Öffne deine Augen Gesegnete! Du hast erkannt, dass dein Volk den falschen Weg eingeschlagen hat, aber die Menschen haben breitwillig ihre Rolle akzeptiert!“
„Und deswegen ist es besser sich ihrer zu entledigen? Oh Hüter der ewigen Quelle, du bist gefallen! Sie wissen nicht, was sie tun. Selbst ihr, die ältesten und weisesten Wesen dieser Welt, wisst nicht, wie es das fahle Licht schafft, sich ihrer zu bedienen! Sie zu richten, steht euch nicht zu!“, brauste die Magierin nicht weniger wütend auf. Und sie schien damit etwas bewirkt zu haben. Eine gespannte Stille kehrte zwischen den beiden ein und ich schaute langsam zu der Magierin auf. Mit einem Schlucken stellt ich fest, dass sie dem Dämon direkt in die Augen sah. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Was, wenn der Dämon gerade das Gleiche versuchte, wie mit mir? Was, wenn das Ungetüm sie irgendwie außer Gefecht setzen würde? Doch dann stieß sie plötzlich ein erschöpftes Seufzen aus und verlagerte ihr Gewicht ein Stückchen auf den Dreizack. Ich wollt noch gefragt haben, ob alles in Ordnung sei, allerdings wurde ich davon abgelenkt, wie sich das Netz aus Wasserfäden langsam auflöste. Mit gemischten Gefühlen beobachtete ich den massigen Leib des Dämons, der sich langsam auf unser Boot zubewegte. Panisch wanderte mein Blick zurück zur Magierin, doch sie schenkte mir nur ein erschöpftes, aber selbstsicheres Lächeln. Dann stupste das Wesen das kleine Boot mit der Schnauze an und plötzlich fing mein linkes Auge erneut an zu jucken. Reflexartig presste ich die Hand auf die Augenklappe und starrte entgeistert zum Dämon. Dieser fixierte mich ein letztes Mal mit seinen unergründlichen Augen und tauchte dann ohne Vorwarnung ab. Ein paar Bläschen verrieten noch seine Anwesenheit, doch dann war er endgültig verschwunden. Auch der Wellengang hatte sich beruhigt und nach einigen Momenten, in denen ich nur das friedliche Rauschen des Meeres hörte, wandte ich mich langsam der Magierin zu.
Sie begegnete mir mit einem Blick, aus dem ich Zufriedenheit, als auch Mitleid herauslesen konnte. Zögernd fragte ich: „Was bei den sieben, verfluchten, Heiligen war das?“