Ein MĂ€rchen...
Einem kleinem MĂ€dchen wurde von ihrer GroĂmutter zu der Feier ihres ersten Lebensjahres eine auĂergewöhnliche Decke geschenkt. Sie war noch viel zu groĂ, so dass man das kleine Kind mindestens dreimal darin hĂ€tte einwickeln können. Nach ein paar Jahren, offenbarte die Decke ihre FĂ€higkeit: Sie zeigte die Geschehnisse des Lebens von dem MĂ€dchen in kleinen Bildern an. Ungeduldig beobachtete sie, wie sich von Zeit zu Zeit die Bilder anreihten. Wie eine Geschichte konnte man den Verlauf ihres Lebens nachvollziehen. Den ersten Schritt, die Einschulung, ihren ersten Freund, den Schulabschluss… Bald war sie in ihre Decke hineingewachsen.
Niemals wĂŒrde sich die Kleine von der Decke trennen, und auch spĂ€ter schmĂŒckte die Decke ihr Schlafzimmer mit prĂ€chtigen Farben. Irgendwann erschienen ein gutaussehender Mann und bald darauf nacheinander zwei kleine Zwerge, die der nun erwachsenen Frau sehr Ă€hnelten. Aber wie sie schon bald bemerkt hatte, hatte auch das Leben sein Ende, und sie begann sich Sorgen zu machen, als die Decke immer voller (und auch schöner) wurde. Sie konnte aber die Sorgen lange verdrĂ€ngen und genoss die Zeit mit ihrer Familie. Viel schneller, als sie es sich vorgestellt hatte, blieb bloĂ noch ein kleines Eckchen frei fĂŒr ein kleines Bildchen, fĂŒr einen kleinen Abschnitt in ihrem Leben. Angetrieben von der Furcht vor dem Tod entschied sie sich ihre Familie hinter sich zu lassen, sie aus ihrem Leben zu entfernen und sie zu vergessen. So hoffte sie auf eine gröĂere Lebensspanne. Sie war erfreut, als tatsĂ€chlich langsam die Bilder verblassten. Doch nach kurzer Zeit musste sie mit Erschrecken feststellen, dass keineswegs mehr Platz fĂŒr neue Bilder ĂŒbrig blieb. Nein, die Decke schien zu schrumpfen, und als sie an ihre spĂ€ten zwanziger angelangt war, blieb nur noch ein kleines Eckchen fĂŒr ein kleines Bildchen, fĂŒr einen kleinen Lebensabschnitt ĂŒbrig. Als sie in den Spiegel sah und nur eine alte, faltige Frau, die keine Familie hatte, erkannte, wollte sie keine weitere Lebenszeit genieĂen. Alles was sie hatte, waren fĂŒnfundzwanzig Lebensjahre, eine kleine Decke und graue Haare...