//Fortsetzung der Serie Project Albagan. Neue Episoden gibts in geraden Kalenderwochen Samstags ab 20.15 auf http://s-hilgert.blogspot.com //Zum Inhalt: Eigentlich wollte das Team auf Inistra nur etwas Urlaub machen, doch dann verschwinden Captain Hedgefield und seine Tochter - in derselben Nacht in der Hedgefields Frau ermordet wird. Der Captain steht unter dringendem Mordverdacht - ein Verbrechen, dass in seinem Heimatstaat Pennsylvania nach wie vor mit dem Tode bestraft wird. Das Team um Jan Ferden und Mary Lu Rosenthal macht sich auf um den Captain zu finden, und zwar bevor es die Polizei tut...
Dr. Jan Ferden biss herzhaft in eine ihm unbekannte aber verdammt leckere Frucht, als sich ein Schatten über ihn senkte. Es war Mary Lu Rosenthal, die ihn mit einer Geste aufforderte aufzustehen.
„Darf ich mal einen berühmten Griechen zitieren?“ fragte er mit verzogenem Mund. Rosenthal zuckte mit den Schultern.
„Geh mir aus der Sonne.“
Sie lachte.
„Gerne, „grinste sie, aber nur wenn du daraufhin aufstehst. Jack steht vor der Tür, wir haben ein Problem.“
Jan grunzte.
„Es gibt immer Probleme. Wär‘ ich doch mal nach Hause gefahren, so wie der Captain, dann müsste ich mich nicht im Urlaub damit rumschlagen.“
„Warum hast du’s denn nicht getan?“
„In Aachen ist grad Scheißwetter.“
„Es ist Sommer!“, rief Rosenthal aus.
„Deshalb ja. In Deutschland ist immer Scheißwetter. Deshalb hat Aachen ja auch die höchste Kneipendichte Europas, anders hält man es da nicht aus…“
Rosenthal hob eine Augenbraue.
„Ich dachte immer das sei ein Problem was nur die Iren und die Russen hätten, und das die Kneipen nur wegen der ganzen Studenten da seien, aber man lernt ja nie aus. Und jetzt komm, wir haben ein ernsthaftes Problem.“
Grummelnd stieg Jan aus seinem Liegestuhl.
„Darf ich dich daran erinnern, dass letztes Mal als du mich vom Sonnen abgehalten hast wir beinahe alle gestorben sind?“
Rosenthal antwortete nicht und so stapften sie still durch den fast leeren Hauptgang. Die meisten Teilnehmer der Expedition hatten Urlaub, Hedgefield war zu seiner Familie nach Philadelphia gefahren, genauso wie Lukas Rütli und Silvio Carabezzoni. McGarrett, Craig und ein paar andere hatten eine kleine Expedition ins Landesinnere gewagt und so waren nur noch Rosenthal, Jan und die beiden Sicherheitsexperten da.
„Ich wusste gar nicht, dass der General dich als Laufburschen angestellt hat, Jack“, begrüßte Jan den Assistenten des Generals.
„Ich hab den Fehler begangen ihm zu sagen ich bräuchte mehr Bewegung. Seitdem bin ich nur noch unterwegs.“
Sie klopften sich auf die Schultern.
„Also was gibt es so dringendes, dass du hier während meines Urlaubs auftauchst und mich aus meinem wohlverdienten Schönheitsschlaf weckst?“
Jack zuckte mit den Schultern.
„So genau weiß ich es auch nicht. Es geht um Captain Hedgefield, er meldet sich nicht mehr.“
„Viellicht ist er raus zum Fischen“, schlug Jan vor, „wohl kaum ein Grund hier aufzukreuzen, oder?“
„Eigentlich nein, aber der General weiß noch etwas, dass er mir nicht sagen wollte bevor nicht alle verfügbaren Leute in DC angekommen sind. Lukas und Silvio sind auch schon unterwegs. Ihr habt etwa eine halbe Stunde Zeit eure Sachen zu packen. Hopp!“
Drei Stunden später saßen Jan, Mary Lu, Lukas, Silvio, Zoe, Jack, ein Mann den sie nicht kannten und der General in einem Konferenzzimmer des Verteidigungsministeriums.
„Das hier ist Major James Torrez, ein alter Freund von mir,“ stellte Jack den Mann vor, „er war früher Detective beim NYPD. General Eagleson hat vorgeschlagen ihn einzubeziehen.“
Jan musterte Torrez. Er hatte gebräunte Haut und dunkles, schütteres Haar, dazu einen Kinnbart den er unablässig zwirbelte. Jan schätzte ihn auf Ende Dreißig.
„Entschuldigung General,“ fragte Rosenthal, „aber können sie uns bitte endlich sagen was eigentlich passiert ist? Und warum sie einen ehemaligen Detective einbezogen haben?“
Der General nickte finster.
„Very well. Ich hatte Ihnen schon gesagt, dass es sich um Captain Hedgefield handelt, und dass er sich seit ein paar Tagen nicht mehr meldet. Nun, das ist nur die halbe Wahrheit. Ich hatte zwei Leute losgeschickt die die Sache unter die Lupe nehmen sollten, so ein Bauchgefühl, verstehen sie? Nun, sie fanden seine Frau, Liza Hedgefield, tot auf dem Wohnzimmerboden. Erstochen. Captain Hedgefield ist verschwunden, genauso wie seine Tochter Abigail. Sie kennen den Captain vermutlich besser als ich und deshalb habe ich sie hergerufen. Damit wir schnellstens Licht in die Sache bringen können, möglichst, bevor die Presse davon Wind bekommt.“
„Ah ja,“ kommentierte Jan bissig, „das Militär will wieder mal alles vertuschen. Bei uns passiert nie was. Ihr seid genauso… jämmerlich wie die Kirche. Die versuchen auch immer alles unter sich zu lösen und machen es damit nur noch schlimmer“
Der General hieb mit der Faust auf den Tisch.
„Jetzt hören sie mal genau zu, Ferden: Selbst Sie mit ihrer obskuren Moral sollten verstehen, dass wir so wenig wie möglich von irgendetwas an die Öffentlichkeit lassen können wie möglich. Glauben Sie vielleicht der Mann auf der Straße wäre glücklich wenn er wüsste, dass irgendwo in Nevada ein Portal steht über das theoretisch eine Gruppe machtgieriger Aliens auf die Erde einfallen könnten? Das glaube ich kaum. Es ist also auch in Ihrem verdammten Interesse, dass wir nicht mit irgendwelchen Geheimnissen herumposaunen.” Sein Gesicht nahm etwas freundlichere Züge an. “Mal davon abgesehen gilt das für jedes Mitglied dieses Teams, ich würde mich für Sie also genauso einsetzen.”
Jan nickte langsam.
Rosenthal räusperte sich.
“Was genau wissen wir denn bisher überhaupt?” fragte sie.
Der General neigte den Kopf etwas. Dann sagte er,
„Cpt. Hedgefield ist am 29.10 in Nevada angekommen, zusammen mit Dr. Carabezzoni und Dr. Rütli. Er nahm dann einen Air-Force Flug nach Bolling Air Base hier in DC und fuhr von dort aus mit seinem Wagen nach Philadelphia. Dort ist er auch eingetroffen, da seine Nachbarn einen Tag später eine kleine Grillfeier veranstalteten, anlässlich der Rückkehr aus dem Irak, wo er offiziell stationiert ist. Einem der Nachbarn will aufgefallen sein, dass sich Hedgefield und seine Frau schlecht verstanden haben sollen. Soweit so gut, aber danach ist einfach nichts mehr. Hätten wir nicht versucht ihn zu erreichen, es wäre niemandem aufgefallen, dass seine Frau ermordet wurde.”
“Und daran besteht kein Zweifel?” fragte Jan.
“Absolut kein Zweifel. Sie wurde zweifelsfrei erstochen, laut dem Rechtsmediziner, den wir gerufen haben vermutlich am 31.10 abends. Hedgefield ist verschwunden, ebenso wie sein Auto, was eine Entführung unwahrscheinlich macht. Ebenfalls verschwunden bleibt auch seine Tochter, wir haben keinen Schimmer wo sie abgeblieben sein könnte.“
„Könnte sie bei ihm sein?“
„Möglich, aber zu welchem Zweck?“
„Vielleicht,“ meldete sich Torrez zu Wort, „sind sie beide Geflohen?“
Der General nickte.
„Die Möglichkeit besteht. Deshalb möchte ich, dass Sie sich dort hinbegeben um die Sache etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dismissed.“
Captain Mike Hedgefield besaß ein nettes Haus mittlerer Größe in einem Wohngebiet etwas außerhalb von Philadelphia, in einer Nachbarschaft die ausschließlich aus Angehörigen der oberen Mittelschicht bestand. Das Haus selbst war typisch amerikanisch mit weißen Latten verkleidet und wurde von einem gut gepflegten Garten geziert, vermutlich das Reich seiner verstorbenen Frau. Das Gartentor war verschlossen und ein Siegel war am Schloss angebracht. Jan brach es ohne zu Zögern. Der General hatte alles nötige veranlasst, und die lokal zuständigen Cops waren schon unterwegs.
Ein Plattenweg aus Naturstein führte zum Haus. Die Tür war ebenfalls versiegelt und verschlossen. Da McGarrett nicht da war konnten sie leider nicht auf seine universellen Fähigkeiten zurückgreifen, und da sie keine potentiellen Spuren verwischen wollten indem sie die Tür einfach aufbrachen mussten sie auf die Cops aus Philadelphia warten. Die kamen gute fünfzehn Minuten später als vereinbart, und traten auf wie die Chefs der Welt.
Sie schlossen die Tür auf und gingen hinein. In der Wohnung hing ein süßlicher Geruch nach Verwesung. Eine Fliege summte an ihnen vorbei ins Freie. Detective Todd führte sie ins Wohnzimmer, in dem die Leiche lag, und ergoss sich dabei in wortreichen Ausführungen wieso ihr Besuch völlig unnötig sei und er alles unter Kontrolle habe. Was Jan mit dem Kommentar quittierte, ob er beim General anrufen solle, damit er veranlasse dass Todd der Fall entzogen werde wenn ihn dieser so langweilen würde. Woraufhin Todd schwieg, was allen lieber war.
Liza Hedgefield war eine schöne Frau gewesen, ohne Zweifel, mit langen dunkelbraunen Locken, die ihr bis über die Schulter fielen. Sie hatte leicht gebräunte Haut. Das T-Shirt, welches sie zum Zeitpunkt des Todes getragen hatte, war zerrissen und offenbarte ihren Rücken, während sie selbst auf dem Bauch lag. Sie lag in einer Pfütze von Blut, und jemand, vermutlich der Mörder hatte ihr mit Blut ein Kreuz auf den Rücken gemalt. Sie trug eine enge Jeans, die aber von hinten unversehrt aussah, was es unwahrscheinlich machte, dass sie vergewaltigt worden war. Der Mörder war gekommen, hatte sie umgebracht, ihr ein Kreuz auf den Rücken gemalt und war wieder verschwunden.
Det. Todd hatte sich inzwischen ein Paar Handschuhe übergezogen und drehte die Leiche vorsichtig um. Auf ihrem Bauch sah man eindeutig zwei Einstiche, wie von einem langen Messer.
„Wir haben die Leiche bereits untersucht,“ erklärte Todd hochnäsig, „sie wurde erstochen, wie unschwer zu erkennen ist, und zwar mit einem Küchenmesser, welches neben der Leiche lag.“
„Fingerabdrücke?“ fragte Torrez.
„Nur die von Mr. Und Mrs. Hedgefield, sowie ein weiteres Set, das vermutlich, zu Tochter Abigail gehört. Was wir aber nicht überprüfen können, solange sie verschwunden ist.“
Det. Todds Unterton zeigte seinen deutliche Missbilligung der Tatsache, dass Abigail Hedgefield nicht für eine Befragung bereitstand.
„Könnte sie entführt worden sein?“ fragte Rosenthal, „möglicherweise durch Cpt. Hedgefield?“
Todds Begleiter schüttelte den Kopf.
„Einer der Nachbarn ist sich sicher sie gesehen zu haben, und zwar vor dem vermuteten Todeszeitpunkt der Frau. Wir gehen davon aus, dass sie aus irgendeinem Grund zumindest temporär von zuhause weggelaufen ist.“
Jan nickte. Er überlegte kurz, dann fragte er,
„Wissen sie denn schon, wie der Mörder in die Wohnung eingedrungen ist?“
Todd schnaubte verächtlich.
„Alle Hinweise deuten auf Mr. Hedgefield hin. Und der musste sich keinen Zugang zum Haus verschaffen, er war ja schon drin. Er hat seine Frau umgebracht und ist abgehauen. Wie gesagt, der Fall ist nicht die Mühe wert, dass Sie alle von was-weiß-ich-wo hier herkommen.“
„Aber es muss Sie doch interessieren, welches Motiv Captain Hedgefield gehabt haben sollte, auch wenn er seine Frau umgebracht hätte!“
„Wir werden ihn finden,“ erklärte Todd, „und dann werden wir ihn fragen. So einfach ist das.“
Jan drehte sich zu Rosenthal.
„Kann ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen?“ flüsterte er ihr ins Ohr. Sie nickte und die beiden gingen kurz vor die Tür. Silvio untersuchte noch einmal die Leiche, während die anderen unter der Leitung von Zoe Williamson und James Torrez das Haus unter die Lupe nahmen.
„Glaubst du wirklich, dass der Captain seine Frau umgebracht hat?“ fragte Jan, sobald sie an der frischen Luft waren.
Mary Lu zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht,“ gab sie zu, „ich meine, die Beweislage ist ziemlich eindeutig, oder? Vielleicht war es eine Affektreaktion, vielleicht stand er unter dem Einfluss von Drogen, Medikamenten oder sonst irgendetwas. Ich denke schon, dass er sie umgebracht hat, ich würde nur gerne wissen wieso.“
Jan nickte.
„Könnte es etwas auf Inistra sein, das seinen Geist vernebelt hat?“
Rosenthal legte den Kopf schief. Ihre Haare flatterten im Wind.
„Möglich, aber unwahrscheinlich. Ich meine, sonst ist bei keinem irgendetwas aufgetreten.“
Jan wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er ein Rascheln hörte. Er drehte sich um. Sie standen direkt unter einem Baum. Jan blickte nach oben, und sah einen Schatten, der genau auf ihn zukam.
Zur gleichen Zeit besah sich Lukas Rütli eine zerschmetterte Butterdose auf dem Boden. Hochkonzentriert studierte er das Muster, welches auf das Porzellan gedruckt war. Krampfhaft versuchte er das Bild der toten Frau ein Zimmer weiter mit dem des Porzellanmusters zu überdecken. Er hatte noch nie eine Leiche so nah in der Realität gesehen, selbst die Beerdigungen seiner Verwandten hatten bei geschlossenem Sarg stattgefunden. Unbemerkt trat Jack Springer neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Lukas zuckte zusammen. Jack zog seine Hand ruckartig zurück und entschuldigte sich.
„Ist schon okay“, murmelte Lukas, „es ist nur…“
Jack nickte.
„Bei mir auch. Ich kann kein Blut sehen.“
Lukas lächelte.
„Ich frage mich immer, wie die anderen das schaffen.“
„Ich glaube Jan und Mary Lu sind zu beschäftigt den Fall zu lösen, und die anderen… Zoe ist Soldat, dito James und Silvio hat mir letztens gesteckt, dass er im Studium Leichen aufschneiden durfte.“
„Fein.“
„Na komm,“ lächelte Jack, „lass uns mal zu den andern zurückgehen, vielleicht haben die ja bahnbrechende neue Erkenntnisse.
Jan bewegte sich keinen Millimeter. Über ihm knackte es in den Zweigen. Kleine Blätter rieselten herab. Er verfluchte sich dafür, nicht daran gedacht zu haben, dass sich vielleicht jemand im Gebüsch verstecken könnte, der etwas gegen die Aufklärung dieses Falls haben könnte. Gerade wollte er ansetzen etwas zu sagen um seine Haut zu retten, als eine Gestalt durch die Zweige brach. Eine kleine Gestalt.
„Wer…?“ setzte Mary Lu an und stockte.
Vor ihnen landete mit einem gekonnten Sprung ein Mädchen von kleiner und zierlicher Statur, gekleidet in ein rissiges T-Shirt und eine schmutzige Jeans. Ihre langen dunkelblonden Haare waren zerzaust und offensichtlich seit mehreren Tagen nicht mehr gepflegt worden. Dunkle Ringe zogen sich unter ihren tiefbraunen Augen entlang, trotzdem lag in ihren Augen eine bemerkenswerte Wachheit. Mary Lu schätzte ihr Alter auf 17 Jahre.
Jan wollte zu einer Frage ansetzen, aber Rosenthal kam ihm zuvor.
„Abigail?“ fragte sie vorsichtig. Das Mädchen musterte sie von oben bis unten.
„Wer sind Sie?“ fragte sie mit bestimmter Stimme.
„Mary Lu Rosenthal und Jan Ferden,“ sagte Rosenthal, „wir gehören zu einem Team der United States Air Force. Dem Team, welches dein Vater geleitet hat.“
Das Mädchen schnaubte verächtlich.
„Ich habe keinen blassen Schimmer, was für ein Team Dad geleitet haben könnte. Er hat nie darüber gesprochen. Er hätte auch Kloputzer am Polarkreis sein können. Ich weiß nur, dass seine ständige Geheimhaltung Mom bald in den Wahnsinn getrieben hat.“
„Haben sie sich oft gestritten?“ fragte Jan vorsichtig.
„Bei den drei malen im Jahr wo er mal nach Hause kam haben sie praktisch nichts anderes getan“, schnaubte sie.
„Abigail, ich-“ setzte Rosenthal an, kam aber nicht weiter.
„Nennen Sie mich Abby. Abigail nennt mich kein Mensch.“
„Abby, es tut uns allen furchtbar leid, was passiert ist. Aber wir müssen versuchen herauszufinden wie das hier passieren konnte, verstehst du?“
„Ich bin nicht dämlich, falls Sie das meinen. Und ganz so schwer nachzuvollziehen ist das alles auch nicht.“
„Du bist also davon überzeugt, dass dein Vater deine Mutter umgebracht hat?“ fragte Rosenthal besorgt.
„Sie haben sich gestritten, ich bin abgehauen, ich komme wieder und Mom ist tot und Dad ist verschwunden. Jedes Kleinkind kann das nachvollziehen.“
Da platze Jan ob der Schnodderigkeit des Mädchens der Kragen.
„Jetzt hör‘ mal zu: Es mag sein, dass jeder seine eigene Art hat mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen klarzukommen, aber das ist kein Grund uns hier so anzuschnauzen. Wir versuchen nämlich gerade die verdammte Haut deines Vaters zu retten, und herauszufinden ob er tatsächlich schuldig ist, und wenn ja ob er vielleicht unter einem strafmindernden Einfluss stand.“
Für einen Moment verschlug es Abby und Mary Lu die Sprache. Dann lächelte Abby.
„Du hast recht. Es ist nur… ich bin davon überzeugt, dass er sie umgebracht hat. Hell, ich weiß nicht einmal warum sie überhaupt geheiratet haben, so oft wie sie sich gestritten haben!“
Jan kam ein Gedanke.
„Hast du die… nun ja, Leiche deiner Mutter schon gesehen?“
Abby schüttelte den Kopf.
„Ich bin gegangen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Normalerweise kann man sich ja einfach irgendwohin setzen, und so tun als würde man nichts hören. Aber als sie angefangen haben sich über mich zu streiten, da konnte ich einfach nicht mehr. Ich bin weggerannt, und als ich wieder da war, hatte die Polizei bereits alles abgeriegelt.“
„Und warum hast du dich nicht bei den Cops gemeldet?“ fragte Jan.
„Als ob die mir geholfen hätten.“
„Das ist ihre Aufgabe. Jedenfalls ist das bei uns zuhause so üblich.“
„Die Cops würden mir nicht helfen. Ich kenne die Kerle besser als die meisten anderen in dieser Stadt.“
„Also hast du gewartet?“
„Yep. Und es hat funktioniert. Ich habe tagelang gewartet, und jetzt fühle ich mich wieder als könnte ich weiterleben…“
In dem Moment schaltete sich Rosenthal ein.
„Gut, dass du so gut damit klar kommst… Abby, ich weiß, das ist jetzt alles ziemlich hart, aber wir brauchen deine Hilfe...“
Mike Hedgefield fühlte sich, gelinde gesagt, beschissen. Alleine saß er auf der Motorhaube seines schwarz glänzenden 7er BMW und besah sich die feinen Nieseltropfen, die sich vor ihm durch die dichten Tannen des Waldes kämpften. Nur wenig Licht drang durch die Bäume und verliehen dem Ort etwas Gespenstisches. Hedgefield haderte mit sich selbst. Hätte er doch nur die Kontrolle behalten! Aber was geschehen war, war geschehen. Seufzend stieg Hedgefield von der Motorhaube und ging einmal um das Auto herum. Die Felgen und der untere Bereich der Karosserie waren braun verschmiert von Dreck des Waldweges, den er gefahren war. Hedgefield öffnete die Tür und langte hinüber zum Beifahrersitz. Aus einer Tasche zog er einen matten, schwarzen Gegenstand. Es handelte sich um eine 9mm Beretta M9, die in der Lage war ihre Munition auf über 300 Meter pro Sekunde zu beschleunigen. Hedgefield legte den Kopf schief. Dann legte er die Waffe zurück. Später.
Abby Hedgefield war bleich wie ein Blatt Papier. Eine Träne sickerte aus dem linken Augenwinkel, während sie über ihre tote Mutter gebeugt stand. Jan hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt und vermutlich war das der einzige Grund, warum sie nicht längst zusammengeklappt war.
Torrez deutete auf das Kreuz aus Blut.
„Sagt dir das irgendwas?“ fragte er leise.
Abby musste sich zweimal räuspern, dann flüsterte sie,
„Mom war religiös, Dad war es nicht. Sie haben oft darüber gestritten, auch darüber wie christlich ich erzogen werden sollte. Bis ich hingegangen bin und gesagt hab, ‚hört zu, ich entscheide selbst wie christlich ich bin und ihr habt das akzeptieren oder ich hau ab‘. Daraufhin haben sie sich über andere Dinge gestritten.“
„Könnte das Kreuz eine Art bizarre Rache deines Vaters sein?“ fragte Torrez.
„Hören sie,“ sagte Abby heiser, „ich habe Ihnen gesagt, dass ich glaube, dass Dad es war, müssen wir das jetzt so detailliert auseinandernehmen?“
In dem Moment schaltete sich Rosenthal ein.
„Abby, gibt es einen Ort an dem dein Vater sich verstecken würde?“
Abby überlegte. Dann sagt sie,
„Es gibt da einen Wald in North Dakota. Wir sind mal hingefahren, ich glaube es ist der Ort zu dem Dad immer gefahren ist wenn er als Kind Probleme hatte. Er stammt aus der Gegend.“
Rosenthal und Jan sahen sich an.
„Meinst du, du findest den Weg?“
Abby nickte.
„Dann nichts wie hin.“
Es dämmerte bereits, als sie den Wald erreicht hatten, von dem Abby gesprochen hatte. Seit sie die Staatsgrenze überquert hatten regnete es, was dem Ort, zusammen mit der einsetzenden Dunkelheit eine bedrohliche und unheimliche Atmosphäre verlieh. Auf einmal zeigte Abby auf eine fast unsichtbare Abzweigung.
„Da, Reifenspuren! Jedenfalls irgendjemand ist hier gewesen…“, rief sie und deutete auf eine kaum sichtbare Spur im aufgeweichten Erdreich. Rosenthal bog ab und war froh, dass sie sich einen Geländewagen aus dem Carpool der Air Force geliehen hatten. Einige Minuten später erreichten sie eine Lichtung. Zwischen zwei Bäumen stand Hedgefields BMW. Sie hielten an und stiegen aus. Von Hedgefield selbst war nichts zu sehen. Gemeinsam gingen sie die Lichtung ab, ohne Ergebnis.
Jan war bereits völlig durchweicht von dem fiesen Nieselregen, der in langen Bindfäden vom Himmel fiel. Ächzend schob er einen langen Ast zur Seite, als er den kalten Lauf einer Pistole im Nacken spürte. Eine Stimme, wie ein Reibeisen, wenn auch unverkennbar die von Mike Hedgefield fragte,
„Warum seid ihr hier?“
Jan wagte nicht sich zu bewegen.
„Captain,“ sagte er laut, „sind Sie wahnsinnig geworden? Nehmen Sie die verdammte Pistole weg!“
In dem Moment rief Rosenthal, die ein Stück vor Jan gegangen war, alle her. Mit einem Mal bildete sich ein vager Halbkreis um die beiden.
„Dad!“ rief Abby und lief auf ihren Vater zu. Der schwenkte die Pistole, sodass sie nun auf seine Tochter zeigte. In seinen Augen lag ein fast wahnsinniger Ausdruck. Feiner Schweiß mischte sich auf seinem Gesicht mit dem Regen.
Abby blieb stehen. Einen Moment lang hörte man nur das fieseln des Regens. Eine gespenstische Ruhe und Bewegungslosigkeit lag über der Szenerie. Dann mit einem mal preschte Abbys Fuß in einem weiten Bogen vor und schlug dem Captain die Pistole aus der Hand. Ein Schuss löste sich, der krachend ins Unterholz ging. Dann, mit einem genau abgezielten Sprung warf sich Abby gegen ihren Vater und riss ihn von den Füßen, noch ehe die anderen überhaupt verarbeitet hatten, dass er seine Pistole nicht mehr in der Hand hielt. Das nächste, was Jan realisierte war, dass Hedgefield am Boden lag, und dass seine Tochter ihm mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Reflexartig sprangen er und Zoe vor und hoben das Mädchen von ihrem Vater, der regungslos am Boden lag. Abby schrie und trat um sich, konnte aber gegen die beiden Erwachsenen nichts ausrichten.
„Warum!?“, kreischte sie, „warum hast du das getan? Wie konntest du so etwas tun? Hast du denn völlig den Verstand verloren?“
Jan versuchte sie zu beruhigen, bis plötzlich der Captain sich regte, und etwas vor sich hinmurmelte. Mit einem mal verstummten alle, selbst Abby.
„Ich…“, krächzte der Captain, „es tut mir leid… ich wollte nicht… Abby… lauf nicht weg… wir werden uns schon wieder vertragen, deine Mutter und ich… es ist nur… so schwierig…“
Er hustete und spuckte etwas schleimiges in den Dreck. Abby sah ihren Vater an.
„Bitte Abby…“
Zoe ließ das Mädchen los und kniete sich zu Hedgefield hinab.
„Mike…“, sagte sie, „Mike sie ist tot. Liza ist tot.“
Ein Ruck ging durch den Körper des Captains.
„Was? Nein… Nein, das darf nicht… ich… das ist doch… warum?“
Zoe seufzte.
„Wir hatten gehofft, du könntest uns genau diese Frage beantworten. Bisher sind wir nämlich davon ausgegangen, dass du sie umgebracht hast.“
Schock machte sich auf dem Gesicht des Captains breit.
„Ich… was? Nein! Ich würde doch nicht… ich könnte doch nicht…“
Seine Augenlieder flatterten. In dem Moment schaltete sich Dr. Carabezzoni ein, der sich bisher vornehmlich im Hintergrund gehalten hatte.
„So bringt das nichts. Der Mann befindet sich in einem Schockzustand und muss dringend ins Krankenhaus, wenn ich mir diesen Schleim so ansehe.“
Vorsichtig beugte er sich zu dem Mann hinunter, während Rosenthal im Hintergrund einen Krankenwagen rief. Abby stand indes ziemlich ratlos und niedergeschlagen etwas ab von den anderen. Es schien, als hätte sie alle Energie aufgespart für diesen einen Moment, in dem sie ihrem Vater gegenübertreten würde. Nun schien diese Energie völlig verpufft zu sein und ließ Abby wie einen Schatten ihrer selbst wirken. Nachdem sie aufgelegt hatte ging Rosenthal zu ihr hinüber und nahm sie in den Arm. Abby weinte leise, innerlich zerrissen zwischen Wut auf ihren Vater und der Frage, was es bedeuten würde wenn er gar nicht schuld war.
Nach einigen Minuten gesellte sich Jan zu ihnen.
„Scheint fast so, als hätten wir den Falschen verdächtigt…“, sagte er leise. Jan nickte.
„Wir müssen noch mal komplett bei null anfangen. Aber vielleicht kann uns der Captain ja etwas helfen, sobald e wieder auf den Beinen ist.
Gemeinsam warteten sie im immer dichter werdenden Regen auf den Krankenwagen. Sie wären ja auch selbst gefahren, aber da niemand wusste wo das nächste Krankenhaus ist wollten sie kein Risiko eingehen.
Es dauerte eine gute Dreiviertelstunde, bis der Krankenwagen endlich da war. Zoe und Lukas hatten sich an der nächsten Einfahrt zum Wald positioniert, um den Wagen durch die Waldwege lotsen zu können.
Als der Krankenwagen da war, hatte Mike Hedgefield bereits das Bewusstsein verloren. Gemeinsam fuhren sie ins nächstgelegene Krankenhaus, wobei sich das Team aus Inistra auf der nächsten Air Force Base einquartierte, die glücklicherweise nur wenige Minuten mit dem Auto entfernt lag. Sobald Hedgefield wieder stabil war, sollte er auf das Basiskrankenhaus verlegt werden, aber davon war er im Moment noch weit entfernt. Während Abby, die sie nur mit Mühe aus dem Krankenzimmer ihres Vaters gezerrt hatten, sich im Zimmer nebenan das erste Mal seit Tagen duschen konnte, standen Jan und Mary Lu in einem der Zimmer am Fenster und betrachteten die Sterne. Die Wolken hatten sich verzogen und über ihnen erstreckte sich ein klares Firmament.
„Ich habe gerade mit dem General gesprochen,“ sagte Jan, „er holt die anderen hier her, sobald sie von ihrer Expedition zurück sind, was planmäßig morgen oder übermorgen sein sollte. Vielleicht fällt denen ja was ein…“
Rosenthal blickte auf die Uhr.
„Es ist fast eins, und da hast du den General noch erreicht?“
Jan zuckte mit den Schultern.
„Ich hab ihn aus dem Bett geklingelt.“
Rosenthal schüttelte den Kopf. In dem Moment trat Abby durch die Tür. Zoe hatte ihr ein paar Air Force Klamotten organisiert, damit sie ihre schmutzigen Sachen erst mal los war. Allerdings passten die Sachen nicht wirklich und schlabberten an allen Ecken und Enden. Vorsichtig trat sie auf das Fenster zu. Sanft legte Rosenthal ihre Hand auf Abbys Schulter.
„Irgendwann,“ sagte sie leise, „müsst ihr mit aber erzählen, was das für eine seltsame Einheit ist, zu der ihr gehört…“
Jan und Mary Lu sahen sich an.
„Naja. Eigentlich ist es auch nicht so wichtig. Jedenfalls ist es gut, dass ihr da seid… Danke.“
Mary Lu lächelte. Jan hätte auch gerne gelächelt, aber ihm erinnerte die Situation zu sehr an einen Abend, der diesem sehr ähnlich war, gut zehn Jahre zuvor. Er hatte geglaubt diesen Dämon der Vergangenheit abgeschüttelt zu haben, aber es stimmte nicht. Er schüttelte kurz den Kopf, dann sagte er,
„Irgendwo da draußen liegt die Antwort. Vielleicht nicht in dieser Welt, aber irgendwo da draußen liegt die Antwort…“
Fortsetzung Folgt