Das ist der erste Teil meiner Geschichte "Die Nacht und ihre Tücken". Es geht um ein 17 jähriges Mädchen, das etwas schreckliches miterlebt, was es nicht los lässt, verfolgt und einholt.
Ein Traum wird zum Trauma...
Unruhig wendetet ich mich in meinem Bett. Ich war nass geschwitzt und immer wieder stöhnte ich gequält auf. Die Gedanken liesen mich nicht zur Ruhe kommen und auch wenn auf meinem Funkwecker schon die Ziffern 3:47 Uhr aufleuchteten und die Nacht so dunkel war, als hätte man mir eine Leinwand vors Fenster gestellt und sie schwarz angemalt, konnte ich nicht einschlafen.
Mit zitternden Knien stieg ich also wieder aus dem Bett und tapste müde die Treppenstufen hinunter, durch den düsteren Flur ins Bad. Dort setzte ich mich im Nachthemd unter die Dusche und drehte das kalte Wasser voll auf. Die klirrende Kälte lies mich zusammenzucken, doch es fühlte sich gut an. So, als während die Tropfen meine ganze Angst, all die Erinnerungen und die ganzen Tränen und Schweißtropfen im Gesicht einfach wegspülen. Ich zog die Beine eng an meinen Körper und umschlang sie mit meinen Armen, auf denen sich die feinen Härchen aufgestellt hatten und sich eine Gänsehaut bildete. Ein Schauer lief meinen Rücken herunter, doch da mein Kopf brannte und meine Nerven taub waren, spürte ich das eiskalte Wasser kaum. Ich saß lange unter der Dusche, irgendwann stellte ich das Wasser aus, doch blieb sitzen.
Es dauerte noch einige weitere Minuten, als mein Kopf müde auf meinen Schoß sank und sich meine Gedanken in Träume verwandelten. Aufeinmal war ich nicht mehr unter der Dusche, war nicht mehr in unserem Haus.
Ich befand mich in der Disco im Nachbarort, tanzte wild mit zwei Jungs, die ich dort kennengelernt hatte. Ihre Gesichter waren verschwommen, ihre Namen wusste ich nicht mehr.
Die Luft war stickig und verbraucht, weil so viele Leute hier waren und wie ich tanzten. Meine Beine bewegten sich im Takt zur Musik und mein Minirock hob sich ab und zu leicht, aber nur soweit, dass man nichts sehen konnte und legte sich dann wieder sanft um meine Oberschenkel. Ich hatte nur diesen Minirock und ein bauchfreies Top an und schwitzte trotzdem.
Es war heiß und ich war von beiden Seiten eingeengt. An einem Samstagabend war es hier immer voll. Es war die einzige Disco im Umkreis und obwohl sie klein und nicht wirklich zentral gelegen war, kamen immer viele Leute. Hier war die Musik einfach am Besten!
Ich war leicht angetrunken und die beiden Jungs flirteten mit mir, sie waren nett. Ich hatte anscheinend durch die paar Flaschen Bier meinen Freund Julian vergessen. Vielleicht wollte ich aber auch einfach nur Spaß haben.
Ich setzte mich mit einem von den beiden Jungen an die Bar und bestellte noch einen Drink für uns beide. In dem Moment bekam ich eine SMS von Julian.
Er schrieb, er wäre gerade mit der Arbeit fertig und fragte mich, ob ich mit ihm noch etwas trinken gehen will. Das schlechte Gewissen packte mich, doch als der Barkeeper kam und uns die Drinks hinstellte, schrieb ich nur zurück, dass ich schon im Pyjama sei.
Ich steckte das Handy wieder in die Hosentasche und zog an dem Strohhalm, während ich verführerisch zu dem jungen Mann blickte. Er war bestimmt mehr als fünf Jahre älter als ich, aber was sollte es. Nur ein paar Minuten später saßen wir knutschend auf dem Sofa, das in einer der Ecken stand.
Meine Freundinnen, mit denen ich hier war hatten sich auch ein paar Typen gekrallt und waren verschwunden. Das war das erste Mal in drei Jahren, das ich Julian betrog. Ich hatte keine Ahnung, warum ich es getan habe, aber seit Julian letztes Jahr angefangen hatte zu arbeiten, war er andauernd weg und hatte nie Zeit. Ich war 17, ich wollte Spaß haben! Plötzlich rief jemand meinen Namen.
Ich schreckte auf.
„Judy!“, rief Mam immer wieder.
Ich blinzelte sie müde an und guckte argwöhnisch. „Was ist passiert Mam? Was ist passiert, nachdem ich in der Disco war?“, fragte ich sie verwirrt.
Nun schaute Mam noch betrübter. Es viel ihr sichtlich schwer zu antworten, sie versuchte es mehrere Mal, gab es dann aber schließlich auf und stützte mich, während ich wieder die Treppe hoch in mein Zimmer ging.
Es waren so viele Gedanken in meinem Kopf, doch keine gab mir eine Antwort. Ich wusste, dass das, was ich geträumt hatte, wirklich passiert ist, aber ich wusste nicht, wie es weiter ging. Erschöpft legte ich mich wieder in mein Bett und träumte weiter.
„Judy!“, riefen Maike und Ekatharina und winkten mich zu sich rüber.
Ich löste mich von diesem Typ und ging auf sie zu, quetschte mich irgendwie zwischen die tanzenden Massen hindurch. Maike, Ekatharina und die anderen saßen an der Bar und Dora, die älteste von uns, unterhielt sich mit dem Barkeeper. Ich setzte mich zwischen Ekatharina und Maike auf einen Barstuhl und bestellte. Diesmal allerdings ein stilles Wasser. Meine Eltern mussten nicht unbedingt wissen, dass ich getrunken hatte. Auf stundenlange Vorträge hatte ich keine Lust. Ekatharina zündete sich eine Zigarette an, zog daran und reichte sie an ihren Freund, Alex, weiter.
„Schau Mal!“, rief mir Maike zu und es viel mir schwer sie bei der lauten Musik zu verstehen. Sie zeigte auf eine wild herum tanzende Person in der Mitte der Tanzfläche.
Als ich genauer hinschaute erkannte ich unseren Deutschlehrer, Herr Krog. Er war noch Referendar, also ziemlich jung und eindeutig noch im Disco-alter, aber es war trotzdem komisch seinen eigenen Lehrer hier so hemmungslos tanzen zu sehen. Er tanzte mit einer Frau und als er mich und Maike, die mit ausgestrecktem Finger auf ihn zeigte und wie ein Bekloppte lachte, sah, erstarrte er plötzlich. Er nickte uns peinlich berührt zu und nur wenige Minuten später war er verschwunden.
Plötzlich vibrierte das Handy in meiner Hosentasche wieder. Diesmal war es meine Mam. Ich nahm das Handy und ging ein Bisschen abseits der großen Menschenmenge. Ich lief den schmalen Gang entlang, zur Damentoilette und setzte mich auf den herunter geklappten Deckel.
„Judy? Wo bist du?“, fragt sie nervös.
Eigentlich hatte ich ihr heute früh schon gesagt, dass ich mit ein paar Freunden wegging, doch um sie zu beruhigen wiederholte ich es nochmal. Sie wollte, dass ich sofort nach Hause komme, da mein Vater wegen seines angeborenen Herzfehlers schon wieder in der Klinik und sie wollte mit ihm fahren und brauchte jemand der auf meine einjährige Schwester Summer aufpasste, da sie sie nicht mitnehmen wollte.
Mürrisch beendete ich das Gespräch und ging zu den anderen zurück. Als ich ihnen sagte, das ich aufbrechen wolle, meinte Maike, dass sie mitkommen würde. Sie trank noch schnell ihr Glas leer und sagte David Bescheid, der uns fahren wollte. Doch als sie mit ihm reden wollte, bemerkte sie, dass er so betrunken war, dass es unmöglich gewesen wäre, ihn vors Steuer zu setzen. Also gingen wir zu zweit raus in die Nacht.
Es war angenehm mild, eine typische Julinacht. Der sanfte Wind rauscht ein den Blättern und in dem fahlen Licht der Straßenlaternen wirkten unsere Gesichter blass. Quatschend gingen wir vor zur Tankstelle, die um die Uhrzeit menschenleer war, auch wenn an der Tür ein großes Schild angebracht war, auf dem „24 Stunden Service“ stand. Als wir ratlos vor dem Tankautomaten standen, scharrte Maike leicht fröstelnd mit den Füßen im Boden herum.
Aufeinmal schreckte ich wieder auf. Ein Blick auf den Funkwecker neben meinem Bett, sagte, dass ich nicht einmal drei Stunden geschlafen hatte.
Die Nacht, sauste es in meinem Kopf. Es musste in dieser Nacht passiert sein!
Was war dieses unbändige, schreckliche Gefühl der Trauer in mir? Woher kam es? Was war passiert?
Ich wusste nur noch, dass ich zuhause in meinem Bett aufwachte, dass ich nicht reden konnte und dass mein Kopf schmerzte. Als ich mir mit der Hand an meinen Schädel fuhr, spürte ich einen Verband, der um meine Stirn gewickelt war. Darunter spürte ich einen stechenden Schmerz.
Warum hatte David uns nicht gefahren? Wer hatte uns dann mitgenommen?
Ich fühlte mich wie in einem Traum. Ein Traum, der Erlebnisse wider spiegelte. Meine Erinnerungen waren nur trüb, aber ich wusste, dass etwas schlimmes passiert war. Etwas unheimliches, denn noch immer konnte ich nicht lachen.
Seit gestern Abend war nichts passiert, das wusste ich. Doch was war davor? Ich war in meinem Bett aufgewacht und niemand konnte mir Antwort geben...
Mehrmals hatten Leute für mich angerufen, doch Mam hatte keinen Anruf weitergeleitet. Sie erzählte mir nicht mal, was geschehen war. Ich fühlte mich einsam, niemand wollte anscheinend wissen, was passiert war und nicht mal ich wusste es. Man konnte doch nicht einfach so sein Gedächtnis verlieren. Vielleicht hatten wir einen Autounfall.
Summer schrie im Nebenzimmer und meine Mutter rannte mit ihr auf dem Arm in den Flur hinaus und versuchte sie durch Schaukeln auf ihrem Arm zu beruhigen, doch es half nichts. Mein Gehör war war nicht wirklich funktionsfähig und Summers Schreie hörten sich wie aus sehr, sehr weiter Entfernung an.
„Iss was, Liebes!“, forderte er mich auf, doch ich schüttelte den Kopf.
Meine Lippen schmerzten, in den Mundwinkel hatte sich Schorf gebildet, meine Unterlippe war rau und blutete leicht. Traurig nahm er das Tablett wieder von meinen Beinen runter und stellte es neben mein Bett.
„Es wird alles wieder gut, das verspreche ich dir!“, sagt er in beruhigendem Ton und tätschelte meine Schulter, wie er es gemacht hatte, als mein Wellensittich Paulchen vor fünf Jahren gestorben war.
Aber es ist doch niemand gestorben, dachte ich, zuerst etwas zögerlich, aber dann bestimmt. Nein, alle lebten, ich hatte halt eine Kopfwunde, aber sonst was alles okay, niemandem was etwas schlimmes passiert, wie auch? Ich schaute meinen Vater fragend an, doch er sagte mir ebenfalls nicht,was geschehen war.
„Ich liebe dich!“ , meinte er plötzlich liebevoll und umarmte mich herzlich.
Verwirrt schlang ich meine Arme ums seinen Rücken. Wieso sagte er mir das jetzt? Hatte ich irgendetwas tolles gemacht? Wohl er nicht, sonst würden meine Eltern nicht so traurig schauen und ich hätte nicht so ein merkwürdiges Gefühl in mir.
Den ganzen Tag über ging ich nicht aus dem Bett, aß nicht, lachte nicht, redete nicht. Ich musste wissen, was passiert war. Wenn es mir niemand sagen wollte, musste ich es selbst herausfinden. Ständig kamen meine Eltern in mein Zimmer, sagten mir, wie lieb sich mich hatten, wie froh sie seien, dass ich da wäre und fragten mich, ob ich irgendetwas brauchen würde.
Immer schüttelte ich nur den Kopf. Das einzige, was ich brauchte, war Klarheit, doch die wollten sie mir ja nicht geben! Ich musste es einfach herausfinden, doch ich traute mich nicht einzuschlafen, auch wenn mein Schädel brummte, ich todmüde war und am liebsten sofort die Augen geschlossen hätte. Was würde wohl passieren? Würde ich überhaupt weiter träumen? Die ganzen Fragen machten mich so fertig, dass ich irgendwann am frühen Morgen dann doch nicht mehr gegen den Schlaf ankämpfen konnte.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Maike mich.
„Trempen?“, schlug ich vor.
Kichernd streckten wir unsere Daumen auf die Straße und warteten ein Auto ab, doch anscheinend fuhr um diese Uhrzeit keiner mehr auf der abgelegenen Dorfstraße. Nach ein paar Minuten setzten wir uns erschöpft auf den Fahrbahnrand und Maike zückte ihr Handy aus der Tasche.
„Ich werde Nikolai anrufen, der holt uns schon ab!“, meinte sie und wählte die Nummer ihres großen Bruders.
Doch als sie gerade das Teil an ihr Ohr halten wollte, sahen wir in der Ferne zwei Scheinwerfer aufblinken. Hoffnungsvoll klappte Maike ihr Handy zu und wir beide streckten wieder die Hände auf die Fahrbahn.
Wir jubelten innerlich, als das Auto auch tatsächlich anhielt. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und wir blickten in das Gesicht eines Mannes im mittleren Alter. Er wirkte aber gepflegt und sehr sympathisch und als wir ihm unser Ziel mitteilten, winkte er uns ins Auto und Maike setzte sich auf die Rücksitzbank und ich auf den Beifahrersessel.
Seine Stimmer war tief und rau, irgendwie unangenehm und sie passte nicht zu dem Mann. Aber Hauptsache war ja, dass sie endlich nach Hause kommen würden. Die ersten paar Meter war nur Schweigen, dann bedankten wir Beide uns dafür, dass wir mitfahren durften. Der Mann grinste Maike im Rückspiegel zu und zwinkerte. Zuerst guckte Maike nur verwirrt, dann lächelte sie auch.
„Na, bei so hübschen Damen...“, meinte er und ich schüttelte wieder den Kopf, diesmal allerdings ohne Lachen. Er beachtete mich einfach nicht und guckte in den Rückspiegel. Seine Blicke wirkten konzentriert und amüsiert. Als ich mich umdrehte erschrak ich. Maike hatte immer noch den Kopf in den Nacken gelegt und döste halb und ihr Top war vorne etwas heruntergerutscht, sodass man ihren halben Busen sehen konnte. Einer ihrer Träger war ihre Schulter heruntergerutscht und nur ihre blonden Locken konnten einen Teil ihres Dekolletees verdecken. Ich blickte immer wider zu ihr und zu den lüsternen Blicken des ekelhaften Mannes. Ich versuchte mich laut zu räuspern, doch weder Maike noch der Mann bemerkten mich.
Was war das denn für ein Typ?, fragte ich mich und mir lief ein Schauer über den Rücken bis hin zu meinen Beinen, ich bekam Gänsehaut und fühlte mich, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Plötzlich hob Maike den Kopf wieder und sah die Augen von dem Mann auf ihrem Ausschnitt ruhen. Sie wirkte auch erschrocken und zupfte schnell ihr Oberteil zurecht. Der Mann lachte ekelhaft und Maike und meine Blicke begegneten und hilfesuchend im Beifahrerspiegel.
Maikes Blicke huschten zur Tür und dann wieder zu mir und ich nickte.
„Wir möchten hier bitte aussteigen!“, sagte ich vorsichtig und lächelte unsicher an.
Ich hatte eigentlich erwartete, dass der Mann zur Seite fahren würde, doch er lachte nur weiter sein oberflächliches unechtes Lachen.
„Ich glaube nicht, dass ihr hier mitten auf einer langen Bundesstraße ausgesetzt werden wollt! Außerdem müsst ihr doch noch mit mir tanzen!“
Ich schnaufte und Maikes Hand ergriff von hinten meine Schulter und umschloss sie verzweifelt.
„Fahren sie bitte sofort außen ran!“, sagte ich nun nicht mehr so höflich und meine Stimme zitterte etwas.
Doch er lachte und lachte... Maikes Griff wurde immer fester und sie wimmert mir ins Ohr.