Es war einmal eine Prinzessin, die lebte an einem sonnigen Hof in einem hellen Tal. Sie war fern und nah als die Sonnenprinzessin bekannt. Das Schloss, in dem sie lebte, war aus purem Gold und gelbe Rosen schmückten den großen Garten. Alle in ihrer Nähe trugen auch nur Gelb, womit sie ihre Ehrfurcht vor der Schönheit der Prinzessin ausdrücken wollten. Doch die Sonnenprinzessin war nicht glücklich. Obwohl sie alles bekam, konnte sie sich daran nicht erfreuen, denn sie war nicht frei. Der König und die Königin behielten sie im Schloss und verwöhnten sie von morgens bis abends. Ständig brachte man ihr Essen, obwohl sie nicht hungrig war, verlangte ihre Gesellschaft, obwohl sie allein sein wollte oder befahl sie zu Festen, an denen sie nicht teilhaben wollte. Die Sonnenprinzessin hatte versucht dem König und der Königin zu erklären, dass es ihr deshalb schlecht ging, doch der König und die Königin wollten nichts davon hören. Sie waren der festen Überzeugung, dass sie zu Wohle der Prinzessin handeln.
Die Sonnenprinzessin fühlte sich sehr einsam, denn obwohl sie viel Besuch von anderen Adelshäuptern bekam, waren sie alle nur auf ihr eigenes Wohl bedacht. Sie hörten der Prinzessin nie richtig zu oder legten Wert auf ihre Gefühle. Die Wünsche der Prinzessin taten sie als Possen ab und lachten, ob des Humors der Prinzessin. Sie besuchten sie im Grunde nur um den Schein eines guten Gefolges zu wahren. So hatte die Sonnenprinzessin am ganzen Hof keinen, mit dem sie sich wirklich unterhalten konnte und der sie verstand.
Eines Nachts als die Sonnenprinzessin wie üblich schlief, hörte sie Stimmen, die von der Scheune nicht weit ihres Turms, zu ihr getragen wurden. Sie wachte davon auf und war verdrossen darüber, wer es denn wagen könnte sie zu wecken. Der König und die Königin hatten ihrer Sonnenprinzessin aufgetragen in der Nacht zu schlafen, da es sich ihrer Meinung nach nicht ziemte zu solchen Zeiten außerhalb des Bettes zu sein. Doch nun wurde dieser befohlene Schlaf von jemandem gestört. Die Prinzessin ging mit festen Schritten zum Fenster und spähte zur Scheune hinüber. Dort sah sie, wie Lichter auf dem Boden tanzten und Schatten in den wenigen Lücken der Scheune hin und her huschten. Sie wunderte sich, was da los sein könnte, als die Tür der Scheune aufging und eine Gestalt in schwarzen Gewändern heraustrat. Die Gestalt lachte immer noch und tanzte leicht hin und her, als würde irgendwo Musik gespielt, die die Prinzessin nicht hören konnte. Nachdem die Gestalt einige Schritte von der Scheune entfernt war, schloss sich die Tür der Scheune und das Licht versiegte. Die Prinzessin bemühte ihre Augen, doch konnte sie nun keinen mehr entdecken. Auch hörte sie keine Schritte oder andere Geräusche, die von einer Person zeugen könnten. Sie wunderte sich etwas, beschloss aber dann wieder ins Bett zu gehen um dem möglichen Ärger von dem Königspaar zu entgehen.
Am nächsten Morgen fragte die Prinzessin eine der Zofen, was in der Scheune gefeiert wurde. Die Zofe sah jedoch die Prinzessin etwas irritiert an und erklärte, dass es in der alten Scheune schon seit Jahren keine Feste mehr gegeben habe. Die Sonnenprinzessin war dadurch noch irritierter, vergaß den Vorfall aber im Laufe des Tages wieder.
Viele weitere Nächte vergingen, ohne dass die Prinzessin in ihrem Schlaf gestört wurde. Dann jedoch wurde sie wieder von Stimmen geweckt. Diesmal wollte die Prinzessin es genau wissen. Sie zog sich ihren Morgenmantel an und ging, um genauer auf das Geschehen blicken zu können, auf den Balkon. Wie schon beim ersten Mal sah sie Lichtlanzen aus der Scheune in die Nacht stechen und hin und herhuschende Schatten, die diese durchbrachen. Sie beobachtete eine Weile dieses Treiben, ohne genau sehen zu können, was wirklich dort vor sich ging. Sie hörte fröhliche Stimmen, die zu ihr hochgetragen wurden, konnte jedoch nicht verstehen, was sie genau sagten. Plötzlich, wie am ersten Abend, ging die Tür auf und die vermummte Gestalt trat zum Lichtbogen raus. Sie wirkte, auch wenn man ihr Gesicht nicht erkennen konnte, fröhlich und unbeschwert. Die Prinzessin wurde immer neugieriger. Sie fragte sich, zu was die Gestalt da tanzte und warum sie solch ungewöhnliche Bekleidung trug. Doch sie traute sich nicht richtig nach der Person zu rufen. Sie verstand selbst nicht warum, aber sie wollte ihm einfach nur zusehen, wie er dort ein paar Schritt zurück und dann zur Seite tanzte, auf ein Bein sprang und eine halbe Drehung später wieder die Schrittfolge wiederholte. Es vergingen diesmal mehrere Stunden in denen die Gestalt einfach so tanzte und die Prinzessin sah ihr dabei die ganze Zeit zu. Irgendwann in ihrer Beobachtung hatte die Prinzessin angefangen leicht mit den Füßen zu wippen und trug ein leichtes Lächeln in die Nacht. Doch so schnell, wie alles aufgetaucht war, verschwand auch alles wieder. Von einem auf den nächsten Augenblick wurde es der Prinzessin Schwarz vor Augen.
Die Prinzessin wachte am nächsten Morgen in ihrem Bett auf und fühlte sich erfrischter, als sie es in den letzten Jahren je gewesen war. Sie richtete sich auf und dachte darüber nach, ob der gestrige Abend ein Traum gewesen sein könnte, doch dann erinnerte sie sich, dass kurz bevor alles verschwand, die Gestalt zu ihr aufsah und sie wunderschöne, silberleuchtende Augen trafen. Die Prinzessin verstand nicht warum es ihr so gut ging, doch sie sprang aus dem Bett und lachte und jubelte in ihrem Gemach. Das hörten der König und die Königin und eilten zu ihr. Als sie sahen, dass die Prinzessin in der Gegend herumtollte, riefen sie sie mit strenger Stimme zur Ordnung auf. Schlagartig wurde die Prinzessin ihrer guten Laune beraubt. Sie blickte entschuldigend zu Boden und begann ihr tägliches Morgenritual, welches aus anziehen, schminken und sich der Ordnung gemäß herzurichten, bestand.
Es vergingen wieder einige Tage bis das Schauspiel an der Scheune einsetzte. Dieses Mal war die Prinzessin sofort von einer kaum hörbaren Musik eingenommen und tanzte ausgelassen mit der Gestalt am Boden, obwohl sie sie nicht sehen konnte. Sie drehte sich mit einem Strahlen im Gesicht um und erschrak. Die vermummte Gestalt, die vorher die ganze Zeit unter ihrem Turm getanzt hatte, stand nun auf ihre Brüstung und klatschte zu ihren Bewegungen in die Hände. Die Prinzessin errötete und wusste nicht, was sie sagen sollte, doch die Gestalt machte keine Anstalten was zu sagen oder ihr Gelegenheit dazu zu geben. Sie machte einen kleinen Sprung auf sie zu und hielt ihr eine von schwarzem Samt verhüllte Hand hin. Die Prinzessin zögerte anfangs, aber ergriff dann doch die Hand, die sie sofort eine Pirouette vollführen und sie dann in den Tanz übergehen ließ, den sie so tanzte, als hätte sie seit ihrer Geburt nichts anderes gemacht. Ihr Lächeln erfüllte die Nacht und ihr glockenhelles Lachen wechselte irgendwann in ein Lied, welches zur Musik nicht hätte besser passen können.
Die Prinzessin erwachte am nächsten Morgen, doch diesmal war sie nicht glücklich. Ihr wurde klar, dass sie nun wieder tagelang im Unglück schwelgen müsste. Sie versuchte sich ihren Pflichten zu entziehen, doch der König und die Königin duldeten keine Widerworte. Die Prinzessin war sehr traurig.
Jedoch sollte sich die Sonnenprinzessin irren. Schon in der nächsten Nacht kam die Gestalt wieder. Die Prinzessin wurde von der nun hörbaren Musik geweckt und als sie auf den Balkon heraustrat wurde sie schon erwartet. Sie ergriff die Hand des vermummten Unbekannten und sie tanzten wie am Abend zuvor in die Nacht hinein. Sie tanzten, die Prinzessin singend, eine geraume Weile glücklich miteinander, bevor die Gestalt mit einer dunklen, doch schmeichelnden Stimme die Prinzessin fragte: „Warum siehst du immer so traurig aus, meine Prinzessin?“. Die Prinzessin war so überrascht, dass sie kurz stoppte und dabei das Gleichgewicht verlor. Doch ehe sie Bekanntschaft mit den Fliesen des Balkons machen konnte, fing die Gestalt, als würde es zum Tanz gehören, sie ab und zog sie zu sich hin. Die Prinzessin wusste nicht warum, aber sie erzählte dem Unbekannten von ihrem Leben, wie sie von dem König und der Königin ihrer Freiheit beraubt, von den Anderen in ihrem Umfeld behandelt wurde und dass sie keinen einzigen Freund im Schloss hatte. Die Gestalt hörte ihr interessiert zu und sagte zum Schluss: „Meine Prinzessin, du irrst dich, denn du hast einen Freund im Schloss: Mich.“ Da kamen der Prinzessin Tränen und sie umarmte die Gestalt, die nun wirkte, als würden sie sich seit Jahren kennen. Er erwiderte ihre Umarmung mit einem wissenden und verständlichen Lächeln.
Nachdem sich die Prinzessin etwas beruhigt hatte, lösten sie sich voneinander und die Gestalt zeigte zum Himmel. „Siehst du diese Sterne, meine Prinzessin? Sie alle sehen einsam aus, wenn man sich jeden einzeln von ihnen betrachtet. Doch jeder Einzelne von ihnen weiß, dass sie ihren Nachbarn zum Freund haben. So schicken sie jede Nacht ihr Licht zu ihren Nachbarn hinüber, damit sich diese nicht einsam fühlen. Du bist, wie einer der blasen Sterne, meine Prinzessin. Du hast vergessen, wie sehr du leuchten kannst.“
Die Prinzessin sah zum Himmel. Sie hatte dies, so schwer man es glauben mag, in der Nacht nie getan. Sie war immer nur die Sonnenprinzessin und so kannte sie nur die Sonne. Nun jedoch sah sie die wahre Schönheit, die ihr all die Jahre vorenthalten wurde. Sie war so gerührt, dass sie sich an das Geländer lehnen musste, damit ihr ihre Beine nicht versagen. Als sie sich ein wenig wieder gefangen hatte, fiel ihr Blick auf eines der Beete im Garten. Alle Rosen, die am Tage gelb waren, leuchteten in einem klaren Blau, während der frische Tau wie Diamanten auf ihnen glitzerte. Ihre ganze Welt wurde langsam auf den Kopf gestellt. Wie hatte sie dies alles nicht bemerken können, fragte sie sich. So fasste sie einen Entschluss und wollte nicht mehr die Sonnenprinzessin sein. Sie ging zur vermummten Gestalt und bat sie, sie mitzunehmen. Der Unbekannte sah sie eine Weile ruhig an, sah in den Augen der Prinzessin, dass sie es ernst meinte und sagte: „Nur unter einer Bedingung, Sonnenprinzessin, und ich möchte, dass du dir gut überlegst, ob du dies willst.“ Während die Gestalt sprach, zog sie sich den Handschuh ab und eine Hand so weiß wie Marmor kam zum Vorschein. „Wenn du meine Hand nun nimmst, wirst du nie wieder die Sonnenprinzessin sein. Auch wirst du nie wieder den König und die Königin zu Gesicht bekommen. Du wirst auch nie wieder unter der Sonne gehen können.“
Ohne die letzten Worte der Gestalt abzuwarten, ergriff die Sonnenprinzessin die weiße Hand und ein elektrisierendes Gefühl durchfuhr sie. Der Morgenmantel, welchen sie gerade eben noch trug, wandelte sich in ein silberglänzendes Kleid mit blauem Schimmer drin. Ihr goldenes Haar färbte sich schwarz und ihr Schatten find hinter ihr fröhlich zu tanzen an. „Willkommen in deinem Reich, meine Schattenprinzessin“ sagte die Gestalt und ließ sein Gewand fallen. „Darf ich mich dir nun endlich vorstellen, ich bin dein Schattenprinz.“ Vor ihr stand ein wunderschöner Jüngling nicht älter als sie selbst und lächelte über das ganze Gesicht. Ihre Wangen röteten sich und sie schaute verlegen zur Seite. Der Schattenprinz fasste aber sanft ihr Kinn an, sah ihr in die Augen und küsste sie. Die Schattenprinzessin ließ sich nun innerlich ganz fallen, legte ihre Arme um ihren Prinzen und küsste ihn mit ihrer ganzen Leidenschaft zurück. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen bis sie sich lösten und der Schattenprinz zum Vollmond zeigte. „Das freie Reich deiner Träume erwartet dich, meine Schattenprinzessin. Lass uns aufbrechen.“
Am nächsten Morgen war das ganze Schloss im Aufruhr. Nirgends konnte man die Prinzessin finden. Es gab keine Spur von ihr. Der König ließ ins ganze Land Suchtrupps entsenden bis sie, nach einigen Tagen auf einer kleinen Lichtung weitab des Schlosses, gefunden wurde. Dort lag sie mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen umgeben von wunderschönen Blumen und fröhlichem Vogelgesang tot im Gras. Die Ärzte untersuchten sie und diagnostizierten, dass sie einem Sonnenschock erlegen ist.
Eine große Trauerfeier wurde veranstaltet, die bis in die Nacht hinein ging. Die Prinzessin lag die ganze Zeit in einem offenen, goldenen Sarg für die Beileidsbekundungen im Thronsaal. Als jedoch die Sonne untergegangen war, schrie jemand auf. Alle Anwesenden eilten zum Sarg und mussten mit ansehen, wie die Prinzessin langsam durchsichtig wurde und dann ganz verschwand. Der goldene Sarg, in dem sie lag, ließ das Gold von sich laufen und ein silberleuchtender Sarg kam zum Vorschein. Die Trauernden, die zu dieser Stunde noch anwesend waren, erzählten später, dass sie eine wunderschöne Melodie hörten, die ihren Ursprung im offenen Sarg zu haben schien.
Hätten sie aber auch aus dem Fenster geschaut, so hätten sie ein tanzendes Paar im Mondenschein den Sternen entgegen treiben sehen.
„Und wenn sie nicht gestorben sind“, gibt es hier nicht, denn sie wurden in der Ewigkeit glücklich miteinander.