Alles war ruhig. Der dichte schwarze Mantel der Nacht hatte sich auf die Geräusche des Lebens gelegt und sie sanft erdrückt. Ein Blick hinaus auf die verschwommenen Schemen der entfernten Bäume, die das letzte Licht des Tages in ihren Kronen trugen. Langsam sickerte die Stille hinein. Mit jedem Stern erlosch ein Geräusch. Die Ohren verzehrten sich nach den Klängen des Tages. Jeden noch so kleinen Ton hörten sie. Selbst der eigene Atem fand Gehör. Auch die Augenlider regten sich, doch ihr Gang wurde nicht leichter, mit jeder Minute wurden sie schwerer. Doch hinter den Lidern wohnte verborgen der Geist. Er war wach, doch nicht weil er wach sein wollte, sondern weil das Herz ihm keine Ruhe gönnte. Ohne Unterlass drang es auf ihn ein, bis er es nicht mehr ertragen konnte..
„ Was willst du von mir ?“ schrie der Geist in tiefer Verzweiflung.
„ Ich will nichts weiter, nur das du auch willst“ sagte das Herz friedvoll und mit sanfter Stimme.
„Was wollen ? Immerzu zehrst du an mir, doch den Weg verrätst du mir nie. Wie soll ich da wollen, was du willst ?“ Der Geist war wütend. Nie wurde ihm Ruhe gegönnt, stets hämmerte das Herz gegen die Brust. Er wollte doch nur Schlafen mehr nicht.
„ Du sollst es einfach wollen, ich will nicht immer alleine sein, so sei du mit mir lieber Geist.“
Das Herz mochte den Geist, war er doch stets gut zu ihm, nie hatte er es bedrängt. Sie hatten lange zusammen gelebt, hatten Vieles geteilt und waren sich helfende Stütze in der Not gewesen. Das Herz hatte es nicht vergessen. Doch seit das Herz etwas wollte, was der Geist nicht verstehen konnte, stritten sie häufig. Das Herz war betrübt, mochte es den Streit doch nicht.
„ Was willst du also nun, dass ich für dich tue?“ fragte der Geist erneut mit bohrender Stimme.
„ Du sollst auch wollen?“ antwortete das Herz abermals.
„ Soll was wollen, nun sag es mir doch endlich.“ fordert der Geist unnachgiebig, er mochte nicht länger raten. Auch er war des Streitens müde, nichts mehr als Stille wünschte er sich.
„ Ich sagte es dir schon so oft. Aber mit jedem Mal hörtest du weniger hin, ließest mich allein mit meinem Willen, dass schmerzt mich.“ Die sanfte Stimme des Herzens war brüchig geworden. Der Geist wollte nicht, dass sich das Herz grämte und so sprach er: „ Du weißt, dass wir zusammen gehören, erinnere dich an die Zeit in der wir einander halfen. Niemals würde ich weg hören, wenn du sprichst.“
Das Herz vernahm die Stimme des Geistes, wusste es doch, dass der Geist nur trösten wollte, was er nicht verstand. Die brüchige Stimme des Herzens schwoll an, wo vorher Trauer wohnte, war nun Bitterkeit geboren.
„Und doch tust du es. Hast mein Klagen nicht gehört, hast meine Schreie nicht gehört, hast mein Jubeln nicht gehört, hast meine Angst nicht gehört, hast meine Freude nicht gehört.“
Die Bitterkeit die der Geist hörte verwunderte ihn und so sprach er leise und behutsam zu dem Herzen: „ Wovon sprichst du Herz ? Nichts von alledem hast du je gesagt.“
„ All das habe ich getan ! Hörtest du denn nie mein Weinen ?“
Mit einer Woge war die Bitterkeit von Tränen hinfort gespült und das Herz schluchzte leise.
„ Dein Weinen ?“ fragte der Geist besorgt.
Er verstand nicht, warum nur war das Herz so betrübt.
„ Ohh, Geist, warum nur konntest du mein Klagen nicht hören. Wärst du an meiner Seite gewesen, hätte kein Schmerz mich niederringen können.“ rief das Herz ihn an und der Geist antwortete:
„ Ich war niemals weg, war stets hier an deiner Seite. Sag mir warum du weinst.“
„ Weil ich verlor, was ich so sehr wollte, weil mir entglitt, was ich halten wollte. Weil ich liebte.“
„ Weil du was getan hast ?“
„ Weil ich liebte.“
„ Was heißt zu lieben ?“
„ Geist, du weißt nicht was Liebe ist ?“
„ Nein, ich habe nie davon gehört, erkläre es mir.“
„ Man fühlt es.“
„ Du fühlst es also, doch woran merkst du, dass du es fühlst?“
„ Weil mich ein Lächeln betäubt, ein Wort lähmt und es mich im Ganzen zerreißt.“
„ Was ? Es betäubt, lähmt und zerreißt dich. Es muss schrecklich sein. Armes Herz, dass du all das ertragen musstest. Ich wusste nicht, was dich so quälte, doch nun weiß ich es. Es ist die Liebe.“
„ Sie ist keine Qual, sie ist das Glück. Nichts lieber will ich tun, als zu lieben.“
„ Doch du sagtest, es sei lähmend, betäubend, reißend, wie kann es dann Glück gewesen sein.“
„ Weil ich in meiner Betäubung umsorgt, in meiner Lähmung behütet und in meiner Zerrissenheit zusammengehalten wurde.“
„ Doch, wenn es Glück ist, woher dann dein Weinen.“
„ Weil ich gelähmt, betäubt und zerrissen bin.“
„ Du sagtest doch auch das seie Glück. Sag mir warum ist es Glück und gleichsam Leid.“
„ Weil ich in meiner Lähmung nicht mehr behütet werde, sondern verletzt. Weil ich in meiner Betäubung nicht mehr umsorgt werde, sondern in ihr unberührt verharren muss. Weil ich in Tausend Teile zerrissen bin und mich niemand zusammenfügt.“
„ Ich verstehe nicht liebes Herz, doch ich will dir helfen, sag mir wie kann ich dir helfen ?“
„ Indem du verstehst.“
„ Ich kann alles für dich tun nur jenes nicht.“
„ Nur dein Verstehen kann mir helfen.“
„ Ich werde dich schützen liebes Herz. Ich will nicht, dass du noch einmal weinen musst.“
„ Wie willst du mich schützen, Geist ?“
„ Ich werde nicht mehr zu lassen, dass du gelähmt, betäubt und zerrissen wirst. Nie wieder werde ich es zu lassen.“
„ Nie wieder ?“ fragte das Herz, es hatte aufgehört zu weinen.
„ Nie wieder. Ich verspreche es dir.“ sagte der Geist.
„ Dann will ich sterben lieber Geist.“ antworte das Herz und schwieg.