Wunschsternchen.
Der große weiße Mond hatte sein riesiges Sternenstaubnetz über das ganze Himmelszelt ausgebreitet. Müde reckten und streckten sich die kleinen Sternchen und suchten sich ihren Platz. Jedes hatte eine kleine weiße Wolke, auf der es wohnte.
Am Tag spielten die Sterne miteinander und schauten sich die Welt an, die ganz tief unter ihnen lag. Manchmal waren sie traurig, wenn sie sahen, wie böse manche Menschen miteinander umgingen, ein anderes Mal wieder waren sie sehr glücklich, wenn sie sahen, wie viel Liebe die Menschen in sich trugen.
Natürlich überlegten sie, wie sie alle Menschen glücklich machen könnten, aber dann sagte der große weise Mond: „Wisst ihr, kleine Sternchen, es ist ganz lieb von euch helfen zu wollen, aber die Menschen werden immer wieder auf die Probe gestellt, damit sie merken, dass Liebe etwas ganz schönes ist. So wie hier oben im Himmel, so scheint auch auf der Erde nicht ewig die Sonne, manchmal regnet es auch.
Bei uns hier oben nennen wir das Himmelstropfen. Die dort unten, nennen es Regen oder Tränen. Schaut, wenn der Himmel ein bisschen weint, wird die Erde nass und alles wird wieder gesund und genährt. Wenn aber ein richtiger Unwetterregen zur Erde fällt, dann kann er sehr viel zerstören, er kann ganze Ernten vernichten, kann Überschwemmungen mit sich bringen, kann Menschen sogar umbringen. Merkt ihr was, meine Sternchen? Himmelstropfen können Gutes und Böses mit sich bringen. Genau so ist es mit den Tränen, die die Menschen weinen, es können Tränen der Freude sein, weil sie gerade ganz glücklich sind. Es können auch Tränen der Sehnsucht sein, weil man sich nach der Liebe sehnt und dann gibt es noch die Tränen der Trauer, wenn jemand sich entschlossen hat zu gehen und uns allein lässt. Aber immer bringen Tränen eine Reinigung mit sich.
„Jajaja“ sagt das kleinste Sternchen, welches seine Füßchen in kleinen goldenen Sandalen versteckt hat „Aber wie ist das denn, wenn man sich wünscht, niemals Tränen zu haben, braucht doch keiner, oder? Ok, ich meine die traurigen Tränen braucht keiner. Es wäre doch super, wenn alle nur fröhlich wären. Lachtränchen, die sind ja ganz niedlich, aber sie schmecken auch salzig, ich mag kein Salz, ich mag lieber alles süß“.
„Du hast Ideen Wunschsternchen“, sagt das große Freudensternchen, „stell dir doch mal vor, Tränen würden nach Himbeersaft schmecken oder nach Kirschsaft oder sogar nach Waldmeister, erstens wären Tränen dann bunt und zweitens würde die ganze Welt immerzu weinen, weil die Tränen so lecker schmecken“.
Ja und wie sollte denn der Regen ausschauen? Rot, grün, gelb, vielleicht sogar pflaumenlilablau? Ein Platzregen in orange oder braun, oder sogar in schwarz? Hilfe, war wär das komisch“.
„Meine Sternenkinder habt ihr eigentlich keine anderen Sorgen, als rumzualbern? Setzt euch auf eure Plätze und zündet eure Lichtlein an, damit unten auf der Erde Licht wird. Ich glaube manchmal vergesst ihr, warum ihr hier oben sitzt. Ihr sollt den Kindern in den Schlaf leuchten und sie bewachen, den Erwachsenen Träume zaubern und den Tieren den Wald erhellen, damit sie auch in der Nacht noch Futter finden können“.
Die Sternchen zünden ihre kleinen Laternen an und setzen sich brav auf ihre Wolke, nur das kleine Wunschsternchen kann seine Laterne nicht finden, ganz scharf denkt es nach und überlegt, wo es den ganzen Tag war. Ganz weit hatte das Sternchen seine Gedanken weggeschoben, denn wenn jemand wüsste, dass es auf der Erde war und die kleine Carmen besucht hat, dann, o ja, dann würde Blitz und Donner, Hagel und Sturm über es hereinbrechen. Ganz sicher liegt die Laterne an Carmelitas Bettchen, denn dort hat das Wunschsternchen den ganzen Tag gesessen und dem kleinen Mädchen Himmelsgeschichten erzählt. So lange, bis es endlich die Augen zugemacht hatte und tief und fest eingeschlafen war. Eigentlich dürfen Sternchen am Tag nicht auf die Erde, niemals. Aber als das Sternchen das Weinen des Kindes hörte, hat es zwei drei Purzelbäume über die Regenbogenbrücke gemacht und ist dann direkt vor dem Bettchen gelandet. Mit einem weichen Sternenstaubtuch putze es der kleinen Carmen rasch die Tränen vom Gesicht und dann setzte sich das kleine goldene Wunschsternchen auf die Decke und hörte zu, warum Tränen flossen.
Carmen zieht ganz laut die Schniefnase hoch, reibt sich noch einmal die tränennassen Augen und beginnt zu erzählen: „Ich habe glaube ein Problem, auf jeden Fall macht es mich unheimlich traurig, dass mir Worte fehlen, ich suche und suche und finde sie einfach nicht mehr. Ich konnte wunderschöne Gedichte schreiben, sogar Geschichten. Und nun, sieh selbst, da liegt alles, das ganze bunte Papier und die wunderschönen angespitzten Stifte, aber so wie ich sie anfasse kann ich nichts mehr schreiben. Das Papier fliegt weg, gerade so, als würde ein Wind durchs Zimmer wirbeln. Ich lege das Blatt vor mich hin, nehme eine Stift in die Hand und witsch, weg ist das Blatt und flutsch rutscht mir der Stift aus der Hand. Es tut schrecklich weh, wenn man so gerne geschrieben hat wie ich. Ach Sternchen es tut so schrecklich weh“. Wieder rinnen Carmen dicke Tränen aus den Augenwinkeln, so verzweifelt ist sie, dass sie keine Worte mehr findet.
„Schwierig, sehr schwierig“, sagt das kleine Wunschsternchen. „Ich habe mit Worten und schreiben so gar nichts am Hut, ich bin mehr für Beleuchtung und Wünsche da. "weißt du eigentlich brauche ich nicht einmal zu sprechen, ich zünde am Abend meine Laterne an, suche mir mein Kind aus und dann bewach ich es. Jeder Stern hat sein eigenes Kind, aber als ich dich so weinen sah, da dachte ich: *Wunschsternchen, da braucht jemand deine Hilfe, also mach dir keine Gedanken und flieg einfach los, es wird schon keiner merken, na und so bin ich halt hier bei dir gelandet*. Phhuu, wo sollen wir denn nun die Worte hernehmen, hast du sie verloren oder suchst du Neue, das ist nämlich ein großer Unterschied. Verlorene Worte und Buchstaben können wir suchen. Neue Worte müssen wir basteln. Nun sag was ist, verloren oder neu?“ Die kleine Carmelita überlegt und überlegt. Also so richtig genau weiß sie das jetzt selbst nicht. Kann man denn überhaupt neue Worte basteln und versteht denn dann ein anderer was man sagen will.
„Weißt du kleines Sternchen, das ist mir eigentlich vollkommen Sternschnuppe, ich will einfach nur wieder schreiben können und will, dass mich meine Freunde wieder lesen und natürlich will ich auch, dass sie mich verstehen. Ich möchte wieder fröhlich sein und weißt du was ich noch möchte? Aber das ist nun wirklich mein allerallergrößter Geheimwunsch. Ich möchte so gern ein Buch schreiben. So ein richtig echtes Buch. Schau mal, dort auf der alten Kommode liegt ein Buch, da habe ich mitgeschrieben, IIIIIIICH, ja echt ich und seit dieses Buch da liegt, kann ich nicht mehr schreiben und nun wünsche ich mir jeden Tag mehr, dass ich ein eigenes Buch schreiben kann. Aber es geht nicht“. Laut schluchzt das kleine Mädchen in das Sternenstaubtaschentuch.
„Ojeoje, hör doch auf zu weinen, nun weiß ich endlich warum ich zu dir gekommen bin. Eigentlich hätte auch das Freudensternchen oder das Kichersternchen oder irgendein anderes Sternchen dich hören können, aber genau ich war es. Glaub mir, die hätten dir zwar das Lachen und das Albern sein gebracht, aber ich kann dir deinen Wunsch erfüllen. Das heißt, du kannst wünschen und ich erfülle. Aber liebste Carmen, du musst dir sehr genau überlegen, was du dir wünschst, denn jeder Wunsch hat nicht nur schöne sondern auch andere Seiten. Die Worte fallen nicht einfach vom Himmel, du musst auch mit ihnen arbeiten und sie pflegen, manchmal musst du sie neu gestalten und ihnen noch ein paar Buchstaben hinzufügen“.
„Ich werd verrückt, du kleines Sternchen kannst mir helfen, dass ich wieder schreiben kann? Ehrlich ich mache alles, alles, alles was du willst, wenn du mir nur helfen kannst. Uuuund du meinst, ich kann dann wirklich ein eigenes Buch schreiben? Ich, ich Carmen, schaffe das?“
„Carmelita, alles was man sich von reinem und ehrlichen Herzen wünscht geht in Erfüllung. Vielleicht nicht in dieser Sekunde, aber es geht in Erfüllung und nun nimm dir dein schönstes Blatt und schreib deinen Wunsch auf. Danach legst du ihn in das Buch, in dem schon deine Worte stehen, nun klappst das Buch zu und vergisst alles wieder. Irgendwann fällt das Blatt mit deinem Wunsch vor deine Füße und du wirst sehen, dein Wunsch hat sich erfüllt“.
Das kleine Mädchen nimmt sich ein himmelblaues Blatt Papier, einen dunkelblauen Stift und schreibt: *Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass ich wieder schreiben kann und ich wünsche mir, dass ich ein eigenes Buch schreibe*. Carmen ist gar nicht bewusst, dass die Buchstaben von ganz allein auf das Blatt fallen, sie tanzen geradezu federleicht auf das Papier.
Als ihr bewusst wird, dass sie wieder schreiben kann nimmt sie das Wunschsternchen ganz fest in den Arm und drückt es so fest, dass dieses nur noch AUAAAA, schreit und dann doch lachen muss. Carmen legt noch rasch den Zettel mit den Wünschen in das große schwarze Buch, dann kuschelt sie sich unter die Decke und schon träumt sie von all den Zauberworten und ihrem ersten eigenen Buch.
Als Carmelita spät in der Nacht aufwacht, steht an ihrem Bett eine kleine goldene Laterne, die mit lauter kleinen glitzernden Sternchen beklebt ist. Carmen schlüpft in ihre roten Pantoffeln, setzt sich an den kleinen Tisch, nimmt sich ein Blatt Papier und beginnt zu schreiben:
***Heute Nacht besuchte mich ein kleines Sternchen, es war ein ganz wunderbares, golden glänzendes Sternchen und es konnte tatsächlich alle meine Wünsche erfüllen.***
© Ute AnneMarie Schuster 1.11.2010