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25. Chabrols Ende
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Die Flucht Chabrols, alias Rafael Caprice, führt ihn vom Jagdschloss der Wittichs, über Guemar, am Weingut der Urslingen vorüber, nach Ribeauvillè.
Da sieht er im Rückspiegel, dass er von einer schwarzen Limousine Citroën Traction Avant verfolgt wird.
„Ah, das Diplomatenfahrzeug von diesem Monsieur Philippe Cardinale. Wenn der nicht vom Geheimdienst ist, dann fresse ich einen Besen!“
Er gibt Gas und fährt im rasanten Tempo zwischen den Weinäckern, die Rue de Guèmar entlang. Staubfontänen hüllen seinen Peugeot fast vollständig ein.
„Mal sehen, ob ihr mich kriegen könnt, ihr Bastarde!“, murmelt er laut vor sich hin. „Ich kenne in Ribeauvillè und Umgebung jeden Stein!“
Kaum, dass er diesen Gedanken zu Ende gedacht hat, tauchen auch schon die ersten Häuser der Stadt vor ihm auf.
Caprice fährt mit Vollgas durch die Straßen von Ribeauvillè und biegt in die Rue des Tanneurs ab. Dort, in der Nähe des Pfifferhus, hatte er unter seinem falschen Namen Chabrol eine geräumige Wohnung bezogen. Er parkt seinen Peugeot und hastet die Treppe hinauf, packt ein paar Sachen zusammen und schnappt sich die wichtigsten Unterlagen, die Aufschluss über seine wahre Identität gegeben hätten. Er steckt sein gesamtes Geld und gefälschte Reisepapiere in die Tasche und begibt sich, vorsorglich die Straße entlangschauend, zurück zu seinem Auto. Seine Flucht führte ihn weiter über Sasbach direkt zum Rhein.
Ohne von seinen Verfolgern entdeckt zu werden, er wusste nicht, dass nur Kommissar Anderlech hinter ihm her war, erreicht er die Rheinpromenade. Dort angekommen sieht er oberhalb von Aubergè du Rinè ein Rheinschiff, das gerade ablegen will. Es ist die Edmi Rosendaal aus Amsterdam. Hastig stellt er seinen Peugeot ab und rennt zum Schiff.
„Monsieur, Monsieur können Sie mich mitnehmen?“, ruft der dem Steuermann zu.
„Wo wollen Sie denn hin?“
„In die Schweiz!“, log Chabrol, da er wusste, dass die meisten Rheinschiffe zumindest bis zur Schweizer Grenze fuhren.
„Dann kommen Sie an Bord, wir fahren bis Basel!“
„Merci Monsieur le Capitainè! », grüßt er, als er an Bord gestiegen war.
Erleichtert, rechtzeitig ein Schiff erwischt zu haben, lehnt sich Caprice an die Reling und blickt zum Ufer auf die französische Seite. Da sieht er die Limousine des Abgesandten von Paris am Ufer auftauchen und neben seinem Peugeot anhalten. Kommissar Anderlech steigt aus und schaut in den Wagen. Dann stieg er wieder ein, um zurück nach Ribeauvillè zu fahren, hält aber kurz darauf nochmals an, weil er offensichtlich das Schiff bemerkt hatte und sieht Caprice an der Reling stehen.
„Hahaha!“, lacht Caprice hämisch und winkt seinem Verfolger triumphierend zu. Am liebsten hätte er ihm einige Boshaftigkeiten zugerufen, ließ es aber bleiben, da er sich gegenüber der Schiffsbesatzung nicht verdächtig machen wollte.
Die Edmi Rosendaal erreicht bald tieferes Fahrwasser und nahm Fahrt auf. Der ehemalige Commissairè Chabrol steht am Bug und blickt die Rheinschnellen entlang. Immer wieder schaut er zum Ufer, ob er nicht verfolgt wurde. Nach fast sechs Stunden Fahrt talwärts sieht er am rechten Ufer eine Kolonne von Pferdefuhrwerken, auf Höhe von Kembs, in Richtung Schweizer Grenze fahren.
Caprice wusste, dass es sich dort um eine Zigeunergruppe handelte, die er in Ribeauvillè auf dem Pfifferfest gesehen hatte. Sofort kommt ihm die Idee, unter dem Schutz dieser Leute, seine Flucht nach Süden fortzusetzen.
„Monsieur le Capitainè, wann legen Sie das nächste Mal an?“
„Noch etwa sechseinhalb nautischen Meilen, dann legen wir in Village-Neuf an! Wollen Sie von Bord?“
„Ja, dort drüben am Ufer sind Freunde von mir, die ich einholen wollte. Aus diesem Grund bin ich eigentlich nur mitgefahren, Monsieur!“, log Caprice den niederländischen Skipper an.
Der Kapitän der Edmi Rosendaal blickt zum Ufer, sieht die Zigeunersippe, und fragt: „Dann sind Sie wohl auch einer der Zigeuner da drüben?“
„Nein, ich bin nur mit ihnen gut befreundet!“
„Keine Sorge, wir kommen langen vor den Zigeunern in Village-Neuf an!“
Bevor Caprice von Bord ging, gab er dem Kapitän noch einige Franc in die Hand und bedankte sich fürs Mitnehmen. Mit den Skippern sollte man es sich nicht verderben, dachte Caprice sich, wer weiß, wozu man sie einmal braucht!
Nach über einer Stunde Warten sieht er die Wagenkolonne der Zigeuner auf sich zukommen. Vorn sitzt Ferdinand auf dem Kutschbock und führt die Kolonne an.
„Brrr!“, macht er und hält seine Pferde an, als er Caprice auf dem Weg stehen sieht.
„He Mann, kenne ich sie nicht irgendwoher?“
„Ja, wir kennen uns aus Ribeauvillè!“, gibt Caprice zur Antwort.
„Was machen Sie denn hier in Village-Neuf?“
„Ich muss in einer privaten Angelegenheit nach Genève, Monsieur! Leider ist mir mein Auto in Ribeauvillè kaputt gegangen und bin mit einem Dampfschiff losgefahren. Doch fuhr es leider nur bis hier nach Village-Neuf. Nun hoffe ich, hier jemanden zu finden, der mich ein Stück mitnimmt, bis ich eine passende Gelegenheit zur Weiterreise gefunden habe!“, log Caprice, Ferdinand an.
„Wir bleiben für heute hier in Village-Neuf liegen und fahren erst morgen weiter. Sie scheinen jedoch einen guten Beistand zu haben, denn wir fahren morgen weiter bis nach Genf. Wenn Sie es nicht allzu eilig habe und ein wenig Zeit mitbringen, können Sie mit uns mitreisen!“
„Abgemacht!“, sagte Caprice schnell und schwang sich mit seinem wenigen Gepäck neben Ferdinand auf den Kutschbock.
„Vielleicht finde ich ja unterwegs eine schnellere Möglichkeit nach Genève zu kommen!“, sagte Caprice und blickte die Wagenkolonne entlang hinter sich.
Ferdinand war viel zu gewieft, als das er Caprice seine Geschichte abkaufte. Der Mann befindet sich auf der Flucht, das sagte ihm sein logischer Menschenverstand und die Körpersprache von Rafael Caprice.
„Um welch eine Angelegenheit handelt es sich denn, weswegen Sie so eilig nach Genf müssen?“
„Ich sagte schon, es ist eine private Angelegenheit!“, wich Capris der Frage Ferdinands aus.
Sie fuhren schweigend weiter und erreichten bald eine geeigneten Lagerplatz für ihre Gespanne.
„Wir werden heute hier Lager machen!“, bestimmte Ferdinand und hielt sein Fuhrwerk an. Caprice springt vom Kutschbock herab und beobachtete das Treiben der Zigeunergruppe. Schnell waren alle Wagen in einem Kreis zusammengestellt und einige Lagerfeuer angezündet. Daran versammelte man sich in kleinen Gruppen, je nach Familiezugehörigkeit. Caprice saß am Feuer von Ferdinand und wurde von allen Sippenmitgliedern aus der Ferne neugierig beäugelt.
„Machen Sie sich nichts daraus, meine Leute sind Fremde nicht so sehr gewohnt. Aber keine Angst, Sie sind mein Gast und stehen somit automatisch unter meinem Schutz. Mein Name ist übrigens Ferdinand Rose und ich bin der Zigeunerkönig hier! Wie war denn Ihr Name noch?“
„Ich heiße Eduard Cardinale!“, sagte Chabrol, alias Caprice gegenüber Ferdinand, in einer Weise, als müsse er sich erst an seinen Namen besinnen. Dieser bemerkte an der zögerlichen Antwort sofort, dass Caprice log. Er nahm sich vor, diesen Mann im Auge zu behalten. Irgendeine innere Stimme sagte ihm, dass er diesem Menschen nicht trauen durfte.
Caprice beobachtete indes aufmerksam das Lagerleben und sah unter den vielen schönen Zigeunerfrauen einige sehr hübsche Mädchen. Besonders war ihm ein junges Mädchen mit langem, rotbraunem gewelltem Haar aufgefallen. Es war Maralda, die Tochter von Ferdinand Rose.
Wie hypnotisiert verfolgt Caprice von nun an alle Bewegungen dieses Mädchens.
Als sich Maralda aus dem Lager entfernt, um am Rhein Wasser zu schöpfen, geht Caprice ihr hinterher. Hinter einem Baum stehend beobachtet er sie heimlich und in ihm stieg die Lust auf, sie zu besitzen.
Maralda kehrt vom Wasser holen zurück, steigt die leichte Rheinböschung hinauf, und sieht einen Schatten hinter einem Baum. Erschrocken bleibt sie stehen. In der Zwischenzeit war es dunkel geworden, sodass Maralda nicht erkennen konnte, wer da vor ihr hinter einem Baum steht.
„Wer ist da?“, fragt sie zögerlich. „Emilio, bist du es?“
Da tritt Caprice hinter dem Baum hervor und sagt: „Komm doch her, ich tu dir nichts!“
Maralda erkennt sofort den Gast ihres Vater und fragt: „Was suchen Sie hier, gefällt es Ihnen nicht in unserem Lager?“
„Doch, doch, es gefällt mir sogar sehr gut. Oder besser gesagt, du gefällst mir sehr gut!“
Caprice geht die paar Schritte auf Maralda zu und fasst sie um ihre Hüften. „Komm, zier dich nicht so“, sagt Caprice mit leichtem Keuschen und hält Maralda noch fester umschlungen.
Maralda lässt die Wasserschüssel fallen, kratzt Caprice mit beiden Händen im Gesicht und schlägt wild um sich. Nach einigem wilden Strampeln und Schlagen kann Maralda sich von Caprice losreißen und rennt schreiend zum Lager zurück.
„Hilfe, Hilfe, der Mann will mich Not züchten!“
Ehe Caprice sich versehen kann, sind mehrere Männer zur Stelle, dringen auf Caprice ein, nehmen ihn in zwischen sich und bringen ihn zum Lager zurück. Hier wird er mitten auf den Platz gestellt. Alle Anwesenden bilden eine weiten Kreis um ihn. Da durchbricht Ferdinand den Kreis und geht auf Caprice zu.
„So also dankst du mir meine Gastfreundschaft, indem du meine Tochter vergewaltigen wolltest?“
Die Augen von Ferdinand Rosen wurden mit einmal tiefschwarz, als er ins Gesicht Caprice blickte.
„Na du Nabelo, weißt du was das bei uns zu bedeuten hat, dass du meiner Tochter so offensichtlich nachgestellt bist, um ihre Ehre zu beschmutzen? Du wirst die Ehre meiner Tochter wieder herstellen müssen, indem du sie heiratest, wozu du soviel Geld brauchst, das du aber nicht hast. Also wirst du mit mir, ihrem Vater mit dem Tschuri (Messer), um ihre Ehre kämpfen!“, donnert ihn Ferdinand Rose an.
Caprice steht eingeschüchtert vor dem König der Zigeuner und traut sich nicht ihm in die Augen zu sehen.
„Gebt diesem Mann ein Messer!“, ruft Ferdinand in die Runde.
Sofort werden ihm mehrere Messer gebracht. „Hier, such dir eines dieser Messer aus und dann kämpfe mit mir!“
Der ehemalige Schlächter von Toledo merkte, dass es ernst wurde und besann sich auf seine alte Kampfeskunst bei der Légion Étrangère. Er nimmt eines der Messer von Boden auf, die ihm Ferdinand vor die Füße geworfen hatte, und sagte zornig:
„Ja, lass uns mit dem Messer kämpfen, du Bastard!“, und stach sofort zu. Ferdinand war eine solche Hinterhältigkeit nicht gewohnt, wich aber in letzter Sekunde dem Stich aus. Da wurden die Augen Ferdinands noch einen Tick dunkler, eine rasche Bewegung seines rechten Arms und die Klinge von Ferdinands Messer fuhr Caprice in die Brust. Tödlich getroffen sinkt dieser zu Boden.
„Los, werft ihn in den Rhein und dann brechen wir unser Lager hier ab. Wir fahren zurück nach Ribeauvillè. Ich fand nämlich unter den Papieren dieses Bastards den Namen Wittich verzeichnet. Ich muss unbedingt wissen, was mit meinem Freund Ludolf und seiner Sippe in Ribeauvillè passiert ist!“
Das Lager wurde abgebrochen und alle Spuren des Kampfes beseitigt. Im Zweifelsfall war der Tod von Chabrol, alias Caprice, dem Schlächter von Toledo Notwehr.
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