Trick or Treat
Die Grenze zwischen Leben und Tod scheint ein schmaler Grat zu sein, besonders wenn extreme Gefühle, wie zum Beispiel Liebe oder Freundschaft, eine Rolle spielen. Wie diese Gefühle das irdische Leben schon immer besonders beeinflussten, so scheinen sie im Jenseits ihre Bedeutung und Wirkung nicht verloren zu haben. Eine Freundschaft über den Tod hinaus? Unmöglich! Doch seit einiger Zeit denke ich anders darüber. Haben Sie etwas Zeit? Ich erzähle Ihnen warum ich heute anders denke und was ich erlebte. Am 31.Oktober 2009.
Die Vorgärten und Eingangsbereiche unseres Ortes waren mal wieder sehr einfallsreich geschmückt. Hier gab es alles zu sehen, was das Herz eines Halloween-Verrückten wie ich es einer bin, zu beglücken. Angefangen von unzähligen Kürbis-Laternen, die ich so liebe, bis hin zu Vampir, Dämonen und Geister-Dekorationen aller Art, die ganze scheiß Palette halt. Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber ich bin nun mal so wie ich bin, auch heute noch. Lustlos blickte ich aus dem Fenster meines Zimmers, hinaus auf die Straßen. Ich habe aus meinem Dachfenster einen optimalen Blick auf einige Straßenteile des Bezirkes. Die Kinder zogen bereits von Haus zu Haus, in ihren albernen Feen, Elfen oder Hobbit Kostümen. Der Herr der Ringe war nun mal ein Knaller. Besonders für die junge Generation. Doch mir war die Lust daran vergangen. Eigentlich war mir die Lust an allem vergangen, seit Joey nicht mehr da ist. Mann, was hatten wir gerockt, an Halloween. Zwei Horror-Freaks zur besten Zeit des Jahres. Diese Feen und Elfen Scheiße! Sie hätten unsere Verkleidungen sehen sollen! Jason, Michael Myers, Freddy, such Dir was aus! Die Blagen haben geheult! Ach Scheiße, alles Geschichte! Seit Joey nicht mehr unter den Lebenden weilt, hat dieser Horror-Kram keine Bedeutung mehr für mich. Doch wir hätten diesen Kids wieder gezeigt was Horror ist, das können Sie mir glauben! Ja, mein Kumpel Joey. Ich hätte ihn gern als meinen besten Freund betitelt, eigentlich war er es ja auch, aber Joey hatte so seine Macken. In Sachen Horror und allem was damit zusammenhängt, waren wir sozusagen Seelenverwandt. Mann, wir liebten Stephen King und Clive Barker so sehr, dass wir Teile aus Büchern dieser Götter wortgetreu zitieren konnten. So zelebrierten wir Dialoge verschiedener Charaktere aus den Romanen und alles um uns herum war uns scheißegal. Doch er litt unter extremen Gefühlsschwankungen, die bis hin zur Depression reichten. Besonders wenn irgendetwas nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte, oder das Selbige nicht sofort passierte. Nun, Joey kam vor drei Monaten uns Leben. Gewollt oder ungewollt, das blieb ungeklärt. Aber man fällt nicht einfach so von einer Brücke und ertrinkt, oder? Meiner Meinung nach, hatte mein Kumpel den Hals von Allem mal wieder so voll, dass er es einfach tat, leck Arsch und Basta!
Aber, ich wollte Ihnen doch erzählen, was an diesem Halloween passierte. Oder besser gesagt, was mir allein wiederfuhr, denn ich war an diesem Abend allein. Meine geliebte Mutter, alleinerziehend, musste an Halloween arbeiten. Sie half ab und zu in einer unserer Kneipen aus und in dieser Bar veranstalteten sie dieses Jahr eine Halloween-Party. Das Personal war knapp und Mutter sagte nicht nein. Sie sagte eigentlich nie nein, denn der Rubel musste rollen. So saß ich also allein und lustlos vor dem PC und ignorierte das sonst so geliebte Grusel-Spektakel mit Erfolg. Das Game, Jericho von Clive Barker ersetzte meinen Hunger nach Horror bestens und das Blut spritzte nur so umher, als plötzlich Jemand gegen unsere Eingangstür hämmerte. Aus der geliebten, künstlichen Realität des Spiels gerissen, blickte ich mich um und bemerkte, dass es bereits dunkel geworden war. „Ach, das sind bestimmt die Kids und spielen Süßes oder Saures“, sagte ich so zu mir selbst und ging die Treppe hinab in den Flur. „Na, warte, denen werde ich gehörig an die Karre pissen. Wenn mein Halloween schon am Arsch ist, dann eures erst Recht.“ Voller Vorfreude riss ich die Eingangstür auf. Der Anblick, welcher sich mir bot, zerrte mir förmlich den Boden unter den Füßen weg. Traumgleich, taumelte ich rückwärts, nur weg von diesem Bild, welches mein Gehirn offensichtlich nicht in der Lage war zu verarbeiten. Joey stand vor der Tür! Oder besser gesagt, Etwas, das einmal mein Kumpel gewesen sein könnte. In zerfetzter, triefender Kleidung, die stellenweise einen Blick auf aufgequollene, weiße Haut zuließ und einen beißenden Verwesungsgeruch ausströmte. Von seinem aufgedunsenen Kopf, hingen die Haare in dünnen Strähnen herab, und aus milchig-trüben Augen starrte er mich an. Sein Mund, oder was noch davon übrig war, fing an sich zu bewegen. Die Oberlippe fehlte fast ganz. Vereinzelte Haut-Fransen hingen herab, und ließen sein Gesicht absurd grinsend erscheinen. „Hey, Joel! Kommst du nun oder was? Trick or Treat schon vergessen?“ Bei jedem Wort, rann Flüssigkeit aus seinem Mundwinkeln, und der Satz hörte sich ungefähr so an: „Hey, Schoel! Kommscht du nun oder wasch? Trick or Treat schon vergeschen?“ Er bewegte sich mit langsamen Schritten durch den Eingang auf mich zu. Kein Zweifel. Dieses Ding dort vor mir, war einmal mein Kumpel Joey gewesen. Aber Joey war tot .Das stand so fest wie das Amen in der Kirche. Ich stolperte weiter rücklings durch den Flur und prallte schließlich gegen eine Wand. Starr blieb ich stehen und sah hilflos zu, wie er immer näher an mich heran hinkte. Flüssigkeit tropfte von seiner Kleidung herab und ein muffiger, fauliger Gestank erfüllte das ganze Haus. Ich wollte schreien, wollte irgendetwas sagen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Kennen Sie dieses Gefühl? Sie wollen schreien, aber bringen vor Angst keinen scheiß Laut heraus? Schließlich krächzte ich ein erbärmliches „Was willst du von mir?“, und sank mit dem Hintern auf den Boden. „Wir müssen los. Es ist bereits dunkel. Trick or Treat! Kinder erschrecken. Komm jetzt Alter!“ Fauliges Wasser rann an seinem Kinn herab und tropfte auf den Holzboden. „Ja, ne super Verkleidung hast du ja schon mal.“, dachte ich. Meine Verkrampfung löste sich etwas, jetzt war ich in der Lage zu reden. „Ich hab mich noch nicht verkleidet, wie du siehst. Warte einen Augenblick, ich gehe kurz nach Oben.“, stammelte ich. Ängstlich stahl ich mich an ihm vorbei in Richtung Treppe. Sein Blick, aus den milchig, toten Augen, verfolgte mich aufmerksam. „Lass mich nicht zu lange warten Joel!“, sabberte er noch, dann raste ich die Stufen hinauf, in mein Zimmer und verschloss die Tür. Ich öffnete mein Dachfenster, floh über das Dach hinaus und kletterte am Fallrohr der Rinne hinab. Kein Blick zurück. Ich rannte einfach los, weg von unserem Haus vorbei an singenden Kindern, den geliebten Kürbislaternen und dem ganzen Scheiß.
Die Halloween-Party war in vollem Gange. Die Kneipe überfüllt von tanzenden, verkleideten Personen in einer Dunstwolke aus Nikotin und Alkohol. Ich stellte mich an den Tresen und sah meiner Mutter bei ihrer stressigen Arbeit zu. Sie sah mich nicht. In diesem Augenblick liebte ich sie mehr als jemals zuvor.
Ja, das ist mir vor genau einem Jahr passiert. Sie wissen, heute ist der 31. Oktober 2010. Doch falls Joey zurückkehrt, bin ich verdammt nochmal nicht da! Meine Freundin Anna holt mich sicher gleich ab. Wir gehen auf eine Party. Ich habe mich als Pinhead aus dem Horrorfilm Hellraiser verkleidet. War das eine Arbeit mit den vielen Nägeln und so. Ich bin sehr aufgeregt. Wir gehen zum ersten Mal zusammen aus. Ah, es hat geklopft! Aber wieso benutzt sie denn die Türklingel nicht?...........