Eine etwas andere Liebesgeschichte
Ute Lehmann
Rote Rosen
Wutentbrannt warf ich die Fernsehzeitung an die Wand. Natürlich nicht ohne die in der Flugbahn stehende rote Vase zu streifen, die nun gefährlich wankte und meinen Frühstückskaffee vom Tisch zu fegen drohte. Der Kaffee, der diesen Namen nicht wirklich verdiente, bahnte sich seinen Weg in einem Rinnsal über die Tischplatte. Gierig ein paar verstreute Krümel aufsaugend, unaufhaltsam in Richtung cremefarbener Auslegware.
Na Klasse, dachte ich, das wurde ja auch Zeit, immerhin lag dieser Teppich schon drei Wochen in meinem Wohnzimmer, da sollten ihn unbedingt ein paar Gebrauchsspuren zieren. Also warum nicht Kaffee?
Ich seufzte und überlegte mit welchem von Omas Geheimtipps die Flecken wohl am besten rausgingen, da entschied sich die schöne Vase ihrem wankenden Gleichgewichtsgefühl nachzugeben und scheppernd auf dem Boden zu zerschellen. Ich stützte den Kopf in die Hände. War heute Freitag der dreizehnte? Ein Blick auf den Kalender verneinte das. Jedenfalls war mir klar: das wird nicht mein Tag.
Der Zeitungsartikel den ich schreiben sollte, fiel mir wieder ein: Rote Rosen. Lüneburgs Telenovela. Intrigen und Liebe. Kitsch pur. Ich verzog angewidert das Gesicht. Betrug und falsches Spiel, ein Netz von Intrigen: Das gibt es ja heute bekanntlich schon im Kindergarten, zumindest wenn man der Presse Glauben schenkt. Wie das wohl aussieht? Ich spann mir Geschichten zu recht von Kindern mit dunklen Sonnenbrillen und Mafiaverhalten. Aber Liebe? Wer glaubt denn noch an so was? Angestaubtes Wunschdenken. Wahre Liebe zwischen den Menschen ist doch längst ausgestorben. Ein Relikt aus vergangenen Tagen, eine Schlagzeile aus der Boulevardpresse von den Schönen und Reichen. Die unscheinbaren Mauerblümchen, wie ich, können von so etwas nur träumen, die werden bei der Vergabe der Herzen ohnehin nicht berücksichtigt.
Für mich hieße es bei der Partnervermittlung: Warten Sie mal, ich sehe mal unter der Rubrik „Sonstiges“ nach. Ich hätte da noch den netten Herrn mit dem feisten Bierbauch und der Glatze. Oder wie wäre es mit dem mit den Ohren wie Dumbo? Oder Zähnen wie Roger Rabbit?
Nicht dass ich wählerisch bin. Aber soll das wirklich alles gewesen sein? Immerhin, die Träume bleiben mir ja.
Ich grüßte höflich das Gesicht, das mir aus dem Spiegel des Schlafzimmerschrankes entgegengrinste, und versuchte mental meine „schönen Seiten“ zu finden. Da stand ich nun, nackt, der vollen Wahrheit ins Auge blickend. Mollig wäre noch die netteste Umschreibung. Das Hinterteil könnte einem Brauereipferd gehören, die Oberschenkel, schön wabbelig mit dekorativen Dellen, galant würde man sagen, meine Figur hätte Birnenform. Der Busen hatte sich widerstandslos der Erdanziehungskraft ergeben. Tief in meinem Inneren hörte ich das schmerzende Echo aus meiner Teenagerzeit : Klößchen hatten sie mich genannt. Man hatte mich verspottet und gehänselt, was zu immer weiteren Fressattacken geführt hatte. Na, was hab ich gesagt: Schublade auf, hässliches Entlein raus, fertig ist mein Spiegelbild. Ich überlegte mir kurz, was ich denn heute besonders hervorheben sollte: Die krumme, leicht nach links geneigte Nase oder die zu kleinen Augen mit den drei Wimpern. Jawohl, drei Wimpern verteilt auf zwei Augen, das hat nicht jeder, ist schon was Besonderes. Vielleicht die farblosen Lippen, die so schmal waren, dass man Lippenstift nur unter Nutzung einer Lupe auftragen konnte. Silvia, sagte ich mir, gib es auf, für deinen Topf gibt es keinen Deckel und nach einem Blick auf die Uhr fügte ich hinzu: wenn du dich nicht beeilst, auch keinen Job mehr.
Auf dem Weg zur Arbeit hing ich meinen Gedanken nach: Liebe. Mir hatte sie kein Glück gebracht. Man hatte mich belächelt, mir die pickelgesichtigen Streber zugeschoben, die die keiner haben wollte, genau wie mich. Niemand hatte geahnt, wie sehr es in meiner jungen Seele schmerzte, immer nur die Außenseiterin zu sein, die Hässliche. Schnell hatten alle an der Schule erkannt wie man mich, wenn man mir Gefühl vorheuchelte, für eine schnelle Nummer haben konnte. Mit jedem verzweifelten und missglückten Versuch einer ernsthaften Freundschaft wurde mein Groll auf die Welt der Männer größer. Mein Tröster war der Kühlschrank. Mein Aussehen verbannte mich schließlich an einen Arbeitsplatz, an dem ich kein Aufsehen erregen konnte. Anfänglich war ich im Kundencenter einer Zeitung tätig, Anlaufpunkt für viele Kunden mit den unterschiedlichsten Interessen und Fragen. Ständig schienen mich die Menschen zu belächeln. Ich bekam die langweiligsten Aufgaben und musste fast täglich Überstunden machen. Argwöhnisch blockte ich alle freundlichen Kontaktversuche der Kollegen ab, schließlich hatte ich so meine Erfahrungen gesammelt. Und nicht gerade die besten. Es dauerte nicht lange, bis mein Chef mich an einen Schreibtisch in der hintersten Ecke der Redaktion versetzte. Die graue Maus, das Mädchen für alles. Da war es wieder: das alte Gefühl das ich eine Belastung für alle war, niemand an mich glaubte. Sicher hatten alle getuschelt und der Chef hatte genug von dem Gerede. Und ausgerechnet mich hatte der Redakteur auserkoren, den nächsten Artikel über Lüneburgs berühmte Telenovela zu schreiben. Mich! Mir war schon ganz schlecht bei dem Gedanken an den in wenigen Minuten stattfindenden Außentermin bei Blumen Müller. Sollte ich mich geschmeichelt fühlen? Ich war mir nicht sicher angesichts des Anfluges eines hämischen Grinsens in seinem Gesicht. Mit rasendem Herzklopfen und Übelkeit erreichte ich mein Ziel und beschloss, das Beste aus der Lage zu machen.
Im Verkaufsraum des Blumenhofs schwirrten Menschen wie Bienen in einer Imkerei, ein Gewirr von Stimmen erfüllte die Luft und alle paar Sekunden hetzte jemand an mir vorbei. Niemand nahm Notiz von mir. Es wunderte mich nicht, ich war dieses Verhalten gewöhnt. Nach mehrmaligen Versuchen von: „Hallo, ich bin Silvia von der Zeitung, ich…..“ gab ich resigniert auf und setzte mich auf den nächstbesten Stuhl. Bei meiner Körperfülle wären zwei besser gewesen und so hoffte ich auf seine Stabilität. In der Absicht Professionalität zu verkörpern, nahm ich Block und Stift zur Hand und stellte mit einer schwungvollen Handbewegung die Tasche neben meine Sitzgelegenheit. Mein Blick fiel auf meine Beine und ich erschrak: ich trug tatsächlich zwei verschiedene Strümpfe. Ich spürte, wie mir heiß wurde und die Schamesröte ins Gesicht stieg. Mit gesenktem Kopf blinzelte ich in die Runde. Hoffentlich hatte das noch keiner bemerkt. Ich fing den Blick eines jungen Mannes auf, der ganz in meiner Nähe stand. Augenblicklich wünschte ich mir, die Erde würde sich auftun und mich verschlingen.
Nach den ersten Schrecksekunden betrachtete ich ihn näher. Er schien eine Tätigkeit als eine Art „Mädchen für alles“ auszuüben. Seine blonden Haare standen ihm wirr vom Kopf und ein wüster ungepflegter 5-Tage-Bart sprießte ungeniert. Er war von schlaksiger Gestalt und schien ungefähr in meinem Alter zu sein. Seine Schultern hingen und er machte einen verschüchterten Eindruck. Anscheinend fühlte er sich, ähnlich wie ich, nicht wohl in seiner Haut. Doch seine Augen strahlten aufmerksam in einem wundervollen Blau. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, errötete er und lächelte mir verlegen zu. Freundlich nickte ich zurück. Zu meinem Erschrecken stellte ich fest, dass er meine Geste als Aufforderung verstanden hatte und sich in Bewegung setzte. Sein Gang war mehr ein Schlurfen als ein Gehen und seine Schuhe verursachten ein schleifendes Geräusch.
Mensch Junge, dachte ich, heb doch bitte die Füße, das sind Schuhe, mit denen du läufst und keine Skier. Da war es auch schon passiert. Einer seiner riesigen Füße verhedderte sich in einem Kabel und dicht neben ihm ging ein Scheinwerfer krachend zu Boden. Das splitternde Glas verteilte sich wie die Bestandteile eines Kaleidoskops auf dem sauber gefegten Fliesenboden. Nachdem das Geräusch der zerberstenden Lampe verklungen war, wirkten ihre kläglichen Reste wie ein übergroßer Smiley, der uns hämisch angrinste.
Nach einer Schrecksekunde, in der absolute Stille herrschte, prasselte eine Salve von Flüchen auf ihn nieder. Der Regisseur war außer sich und tobte wie ein wütender Kobold durch den Raum. Ich musste an das Märchen von Rumpelstilzchen denken und konnte nicht verhindern, dass sich ein Grinsen in mein Gesicht stahl. Der junge Mann zog die Ohren noch tiefer zwischen die Schultern. Alle redeten durcheinander. Ein formvollendetes Chaos bildete sich vor meinen Augen und ich saß wie vom Donner gerührt unbeteiligt dazwischen. Eine Katastrophe, die nicht ich hervorgerufen hatte. Ich fühlte mit dem Unglücksraben und fragte mich im Stillen, ob wir wohl verwandt seien. Zwei solche Tollpatsche kann es doch nicht geben, nicht unabhängig voneinander. Der Kameramann deutete mit einer energischen Handbewegung an, man solle es gut sein lassen und rief alle wieder an die Arbeit. Meinen wesensähnlichen Zwilling schickte man Kaffee holen. Sein Gesicht erhellte sich und er setzte seinen Weg in meine Richtung fort. Erwartungsvoll blieb er vor mir stehen und sah mich an. Er zögerte.
„Mö…, mö…, möchte.., möchten Sie auch ein.., einen Kaffee?“, stotterte er um einen klaren Satz bemüht. Sein Blick war verzweifelt und er wartete auf den lange zum Alltag gehörenden Spott.
Ich nickte ihm aufmunternd zu und antwortete: „Ja danke, sehr gerne, wenn es geht mit Milch bitte. Ich bin übrigens Silvia. Silvia von der Zeitung“.
Mit diesen Worten streckte ich ihm meine Hand entgegen. Sichtbar erfreut, dass ihn keine neue Spotttirade traf, ergriff er sie und drückte sie behutsam. Ein Seelenverwandter, dachte ich, einer der mich versteht, so wie ich ihn.
„I.., i.., ich bin Jan. Ka.., Ka…, Kaff…, Kaffee mi.., mit Milch. Ko…, kom…, kommt sofort“.
„Danke Jan. Das ist nett von Ihnen“.
Er machte einen großen Schritt ohne mich aus den Augen zu lassen und streifte dabei meinen Block. Mit einem Poltern fiel das Diktiergerät zu Boden und die Batterien rollten davon. Jan wurde rot und bückte sich eilig, um die kleinen Energiequellen aufzuhalten. Meine reflexartige gleiche Bewegung bescherte uns eine Beule am Kopf und das Gelächter der Anwesenden. Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt man. Wir schmunzelten uns mit hochroten Köpfen an und beeilten uns, Normalität zu schaffen. Jan eilte davon und ich ordnete meine Unterlagen. Mit viel Mühe vertiefte ich mich in meine Aufzeichnungen. Der Dreh wurde fortgesetzt und ich war dankbar, die Aufmerksamkeit nicht mehr auf mich zu ziehen. Konzentriert hielt ich meine Beobachtungen fest und warf ab und zu einen suchenden Blick nach Jan, der aus meinem Blickfeld verschwunden war. Netter junger Mann, ging es mir durch den Kopf, ein Leidensgenosse. Ein wenig tollpatschig, aber sympathisch.
Nach zwei fertigen Szenen nahm ich ihn aus dem rechten Augenwinkel wahr. In der Hand ein großes Tablett mit Kaffeebechern balancierend, schritt er zielsicher in Richtung des Geschehens. Sein Kopf wich Ranken von Hängebegonien aus und seine Füße liefen einen Slalom zwischen Blumenkübeln und mannshohen Vasen. Wenige Meter bevor er mich erreichte, nahm das Schicksal des Armen seinen nicht abwendbaren Lauf. Er übersah eine Pfütze, die sich um den Topf einer tropischen Palme gebildet hatte und sein linker Fuß verlor die Bodenhaftung. Das Tablett geriet ins Wanken und die Kaffeebecher vollführten vor seinen entsetzten Augen einen Veitstanz. Wie durch Zauberhand gelang es ihm, dass Unglück abzuwenden und die wilden Becher zu beruhigen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und ein tiefer Seufzer entwich ihm. Mutig setzte er seinen Weg fort. Er war nur noch wenige Meter von mir entfernt, als sein Fuß eine dunkelrote Vase streifte, die sofort ins Taumeln geriet. Erschrocken versuchte er mit der freien Hand das Unglück zu verhindern. Doch sein Griff ging ins Leere. Eine Wasserflut ergoss sich über meine Schuhe und ließ einen Strom von unzähligen roten Rosen fließen. Jan selbst landete mitsamt Kaffee und Rosen zu meinen Füßen. Für wenige Sekunden herrschte absolute Stille. Erschrocken sah ich mich in der Runde der Schweigenden um und dann zu Jan, der vor mir in einem Meer von Rosen saß.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich solch ein Chaos verursacht habe. Lassen Sie sich nicht von Ihren Dreharbeiten abhalten. Ich bringe das schnell wieder in Ordnung“.
Hatte ich das eben wirklich gesagt? Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Woher kam so plötzlich dieses Selbstbewusstsein? Bevor mein ungeahnter Mut erschüttert wurde, ging ich in die Hocke und begann Jan beim Aufräumen zu helfen. Jans Augen hafteten auf mir und dankten mir schweigend. Er versuchte ein zaghaftes Lächeln und sah dann niedergeschlagen zu Boden. Eine Welle von Sympathie und Mitgefühl ergriff mich. Ein zweites Mal am heutigen Tag tat ich etwas völlig Unerwartetes: ich ergriff seine Hand und drückte sie herzlich. Jan sah mich stumm an. Er hielt meine Hand und strich zärtlich über meine Finger. Mit einer vorsichtigen Bewegung nahm er eine der Rosen aus der Pfütze zwischen uns und hielt sie mir mit liebevoller Geste entgegen.
„Danke für deine Hilfe“, sagte er mit großer Erleichterung, „noch nie hat sich jemand für mich eingesetzt. Warum tust tust du das?“
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. Was hatte ich schon zu verlieren? Ein Leben als einsame Jungfer? Silvia, setz alles auf eine Karte, sagte ich mir, jetzt oder nie. Ich setzte zaghaft mein charmantestes Lächeln auf und sagte mit einem zärtlichen Klang in meiner Stimme:
„Das erkläre ich dir gerne mein Rosenkavalier. Aber nicht hier. Hättest du heute Abend Zeit für ein Glas Wein?“
Ich zwinkerte ihm vielsagend zu und wurde mit dem strahlendsten Lächeln, das ich je gesehen hatte, belohnt.
Liebe und rote Rosen. Vielleicht ist ja doch was dran.
UteSchuster Hat mir sehr gut gefallen, wie sie zwischen Nettigkeit und Wut - rumtanzt deine Protagonistin liebe Grüße an dich Ute, Ute |
littleute Re: :-) - Zitat: (Original von Bonnie am 14.11.2010 - 15:50 Uhr) Wow! Ein wahnsinnig toller Text! Vor allem kann ich mich, was in Sachen Sarkasmus und Wut angeht, mit der Protagonistin gut identifizieren. :-D Liebe Grüße, Anna Hallo Anna, vielen lieben Dank, es freut mich wenn dir meine Heldin gefällt... tja so ist das Leben, nicht immer fair, aber letztendlich trifft doch jeder(fast) sein Herzblatt, dann wenn er es am wengsten vermutet. Schön dich hier zu treffen. Liebe grüße Ute |