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20. Kapitel: Chabrol unter Verdacht
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Chabrol rutschte ziemlich nervös auf seinen Holzstuhl hin und her als die Wittichs ihre Gemarkungsurkunden für das Land bei der Ulrichsburg unterzeichneten. Irgendetwas schien ihn rege zu beschäftigen. Nachdem alle Unterschriften im Beisein des Notars getätigt waren hob er an und sagte in gekünstelter Höflichkeit:
„Liebe Familie Wittich, ich gratulieren Ihnen recht herzlich zu Ihrem Eigentum, das einstmals dem angesehenen Hause der Rappoltstein, den Namensgebern unserer schönen Stadt Ribeauvillè, gehört hat! Hiermit darf ich Ihnen, im Namen unserer Stadt, die Schlüssel zu Ihrem Schloss im Strengbachtal überreichen!“
Chabrol gab Ludolf einen handgeschmiedeten Doppelbartschlüssel und sagt: „So, nun gehört das Schloss mit allem drum und dran Ihnen und Ihrer Familie!“ Dabei ging ein heimtückisches Flackern durch seine Augen.
Frederik, sowie Bernadette waren zusammen mit den beiden Helfer Pascale und Antonien auf ihrem Weingut zurückgeblieben, während Agatha mit zur Präfektur gefahren war. Sie spannten gerade die beiden Pferde vor den Wohnwagen der Wittichs damit diese, wenn sie von der Präfektur zurückkommen gleich geschlossen zum Jagdschloss fahren konnten.
Nachdem Ludolf den Schlüssel zum Schloss und die dazugehörende neue Besitzurkunde an sich genommen hatte bedankte er sich bei Chabrol, nicht ohne ihm nochmals zu sagen:
„Sie haben alles erdenkliche unternommen Chabrol, uns das Erbe der Rappoltstein streitig zu machen. Ich frage mich, warum Monsieur le Commissairè?“
Chabrol antwortete darauf nicht. Doch man sah, dass er leicht rot vor Zorn im Gesicht wurde, was seine Ähnlichkeit mit Napoleon Bonaparte zusehends verstärkte.
Als sie die Präfektur verlassen hatten sagte Ludolf zu Agatha und seiner Familie:
„Vor diesem Chabrol müssen wir uns sehr in Acht nehmen. Hab ihr nicht sein heimtückisches Klitzern in seinen Augen gesehen, als er mir den Schlüssel gab? Irgend etwas stimmt mit dem Jagdschloss nicht. Doch das finde ich noch heraus. Jedenfalls sind wir jetzt die stolzen Besitzer und Eigentümer einer ganzen Grafschaft!“ Damit umarmte er zunächst seine Frau und seine drei Kinder, dann die beiden Großeltern und am Schluss Agatha von Urslingen.
Dann fuhr man gemeinsam zum Weingut der Agatha von Urslingen zurück. Dort angekommen passierten sie die Toreinfahrt mit lautem Gehupe.
„Sie sind da“, ruft Frederik seiner Schwester zu. „Es scheint alles geklappt zu haben!“
„Dann sollten wir ja gleich gemeinsam zum Jagdschloss fahren. Ich bin schon ganz neugierig das Innere des Schlosses zu besichtigen. Ich war noch nie dort!“, schlug Bernadette ihrem Bruder vor.
Mit lautem Jubel steigt die Familie Wittich aus dem Citroen H und jubeln Frederik und Bernadette schon von Weitem entgegen: Wir sind die neuen Eigentümer, es hat alles geklappt. Hier ist unsere Besitzurkunde!“
Emma läuft schnellen Fußes ihrem geliebten Frederik in die Arme und fällt ihm um den Hals.
„Jetzt können wir bald heiraten, Liebster! Meine Familie und ich besitzen jetzt ein eigenes Haus im dem genug Platz für uns alle ist!“
Ludolf sieht bereits sein abfahrbereites Fuhrwerk auf dem Hof stehen und schwingt sich gleich auf den Bock.
„Aufsteigen!“, ruft er seiner Familie zu. „Es geht los!“
Emma, Agatha und Bernadette steigen zu Frederik in den Citroen, den dieser inzwischen wieder neu gestartet hatte. Nach siebenminütiger Fahrt erreichten sie mit dem Citroen das drei Kilometer entfernte Strengbachtal, wo sie beim Jagdschloss auf die Ankunft des Fuhrwerks von Ludolf warteten.
Nach etwa zwanzig Minuten kommt Ludolf mit dem Rest der Familie beim Schloss an.
Er steigt, gefolgt von Maria und Wilhelm vom Kutschbock, während die beiden alten Wittichs noch auf ihrem Wagen blieben. Nun sehen sie das Jagdschloss mit ganz anderen Augen als beim letzten Mal. Es war schließlich nun ihr Eigentum.
Mitten auf einer Waldlichtung, abgeschirmt von neugierigen Blicken, liegt dieses Schlösschen in einem Park mit altem Baumbestand und angrenzender Jagd. Nordwestlich Weinfelder soweit das Auge blickte. Das freistehende Schlösschen wurde 1702 erbaut und als Jagdschloss und Herrensitz genutzt. Während des Krieges diente es der Resistance als geheimer Unterschlupf für ihre Widerstandskämpfer. So zumindest erzählte es ihnen Agatha von Urslingen, die es jedoch selbst nicht genau wusste. Jedenfalls diente das Schloss in dieser Zeit einer geheimen Zusammenkunft.
„Hiermit Maria“, sagt Ludolf zu seiner Tochter, als er vor dem Portal steht, „gebe ich dir den Schlüssel. Du hast die große Ehre unser neues Heim als erste zu betreten, kannst es doch ohnehin nicht mehr erwarten endlich im Schloss nach Uralten Schätzen stöbern zu dürfen!“
„Ja Papa, das stimmt! Ich freue ich mich schon die ganze Zeit darauf endlich das Schloss zu betreten. Bin gespannt, was wir alles dort entdecken werden!“
Ludolf reichte seiner Tochter den großen Doppeltbundbartschlüssel und sagt: „Da bin ich aber selber sehr neugierig, ob das Schloss sich so leicht öffnen lässt. Agatha hatte uns ja erzählt, dass vor dem Krieg das letzte Mal jemand hier gewesen sei. Vielleicht ist das Türschloss inzwischen verrostet und geht gar nicht erst auf?“, lachte er.
Ohne auf die Worte ihres Vaters zu achten steckte Maria den Schlüssel in das Schloss und öffnet die schwere Eichenholztüre mit zwei leichten Rechtsdrehungen. Das Kastenschloss ließ sich ohne Weiteres öffnen, als wäre es erst gestern frisch geölt worden. Leichtgängig bewegte sich nun das schwere Bogenportal und gab den Blick in das Innere des Schlosses frei.
Einer nach dem anderen betritt den Vorraum und blieb überrascht stehen. So groß hatten sie sich das Innere nicht vorgestellt. An den Wänden prangten alte Gemälde, welche die früheren Herren des Hauses darstellten. Die Wände waren mit Weinroten Seidentapeten bespannt und mit Goldbrokaten verziert. Die Bogenfenstern erinnerten mit ihren Bleiverglasungen an alte Kathedralen. Es roch etwas muffig, dennoch war überall Sauberkeit zu sehen. Die Möbeln waren meistenteils mit Leinentüchern abgedeckt. So bot sich den dreien, Ludolf Wittich, Hedewig und Maria der erste Anblick dar. Notburga und Gunther folgten hinterher und blieben ebenso überrascht stehen. Agatha und Bernadette waren indes respektvoll draußen stehen geblieben und betraten das Refugium erst nachdem Ludolf rief:
„Kommt doch herein, ihr Beiden! Wo sind denn Emma, Wilhelm und Frederik?“
Emma, Frederik und Wilhelm schlossen sich diesmal den anderen nicht an, sondern sie wollten zunächst das ausgedehnte Grundstück mit den vielen Nebengebäuden, Schuppen und Remisen besichtigen und erkunden.
„Seht mal, dort in der Remise stehen zwei alte Kutschen!“, sagt Emma.
„Ja“, antwortet Frederik. „Die dürften noch aus der Zeit der alten Rappoltsteiner stammen. Wollen später sehen ob sie noch in Ordnung sind!“
Während sie weiter gingen, kommen sie bei einer offen Scheune an. Dort sieht man wieder eine Kutsche stehe, die zur Hälfte mit einer Segeltuchplane abgedeckt ist. Wilhelm geht hinzu, hebt die Plane etwas an, um zu sehen um welche Kutschenart es sich handelt und sagt auf einmal verwundert:
„Was ist denn das? Dies ist doch das Fuhrwerk von Raoul! Das müssen wir sofort unserem Vater melden!“, sagt Wilhelm und geht eiligen Schrittes zurück zum Haupthaus.
„Vater, komm schnell, ich muss dir etwas wichtiges zeigen!“
„Was habt ihr den aufregendes entdeckt?“, will Ludolf wissen.
„Dort hinten, unter einer der Scheunen, steht der Kastenwagen von Raoul!“
„Raoul? Dann müssen wir auf der Hut sein, möglicherweise haben die beiden Verbrecher sich hier irgendwo in der Nähe versteckt, um uns auflauern!“
„Ich werde gleich mal zusammen mit Frederik die Gegend durchsuchen. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis, wo die beiden sich versteckt gehalten haben. Im Moment sind sie jedenfalls nicht hier, sonst hätten wir längst etwas von ihnen bemerkt!“
„Wartet, ich komme mit!“, sagt Ludolf.
Gemeinsam durchkämmen sie das ganze Gelände, ohne ein Lebenszeichen von Raoul und Marcel zu finden.
„Da stößt Wilhelm seinen Vater an und flüstert ihm leise zu: „Ich glaube, ich habe da Hinten sich etwas bewegen gesehen!“
Vorsichtig schleichen sie sich zu dritt im Schatten der einzelnen Gebäude in die Richtung, wo Wilhelm eine Bewegung bemerkt haben wollte. Es konnte ein Tier ebenso sein, wie ein Mensch. Jedenfalls war hier äußerste Vorsicht angebracht. Stück für Stück nähern sie sich der Stelle, wo Wilhelm die Bewegung gesehen hatte. „Da!“, ruft Ludolf und deutet in die Richtung wo gerade zwei Männer davon flüchten wollten.
„Das sind sie!“, ruft Wilhelm. In langen Sätzen sprintet Wilhelm hinter den Beiden her. Der eine von den Flüchtenden trägt die gleiche Jacke wie Raoul. Noch einige Meter und Wilhelm hatte die Beiden eingeholt. Frederik und Ludolf folgten ihm auf den Fuß.
„Halt! Stehen geblieben!“, ruft Wilhelm laut.
„Wie angewurzelt bleiben die Beiden stehen und heben zum Zeichen, dass sie keine Gegenwehr leisten wollen, die Hände. Es waren nicht Marcel und Raoul, sondern zwei Tippelbrüder, die vor einigen Tagen am Weingut der Urslingen um Almosen gebettelt hatten.
„Was sucht ihr hier?“ Wird der eine, der die Jacke von Raoul trug, von Ludolf gefragt.
„Wir haben nur nach einem Schlafplatz gesucht. Wir haben in Ribeauvillè erfahren, dass die Gebäude hier seit langem nicht bewohnt sind und fühlten uns hier sicher vor Entdeckung!“
„Und wie kommst du zu dieser Jacke?“, will Ludolf wissen, indem er auf das Jackett zeigte, die offensichtlich Raoul gehörte.
„Die haben wir dort hinten am Waldrand gefunden!“, gibt der eine Tippelbruder Ludolf bereitwillig Auskunft.
„Ihr wart doch vor drei Tagen noch bei unserer Bekannten auf dem Weingut! Wo habt ihr in der Zwischenzeit gesteckt?“, will Ludolf weiter wissen.
„Dort hinten in dem alten Kastenwagen!“ Dabei zeigte er auf den Kastenwagen von Raoul. „Der Wagen war nicht verschlossen!“
„Drei Tage sagtet ihr?“
„Ja, genau!“
„Vor etwas über einer Woche sind doch die Beiden Strolche mit ihrem Gespann vom Aubergè du Rhin heimlich abgehauen!“, sagt Wilhelm zu seinem Vater.
„Sollten sie vielleicht umgekehrt sein, um sich hier zu verstecken?“, fragt Frederik.
Da richtet Frederik die Worte an die beiden Tippelbrüder: „Habt ihr denn hier zwei Männer gesehen?“ Er gibt den Beiden eine genaue Beschreibung von Raoul und Marcel ab.
„Nein, als wir vor drei Tagen hier ankamen haben wir nur einen Mann gesehen, der brachte diesen alten Wagen hierher!“
„Könnt ihr uns diesen Mann beschreiben?“, fragt Ludolf.
„Wir brauchen ihn nicht zu beschreiben, wir kennen ihn aus Ribeauvillè!“, meldet sich erstmals der zweite Mann zu Wort.
„Wer war denn dieser Mann, der das Fahrzeug hierher brachte?“
„Es war der Commissairè Monsieur Chabrol!“
„Chabrol?“ Frederik, Wilhelm und Ludolf sehen sich gegenseitig verblüfft an.
„Was hat denn Chabrol mit den beiden Verbrechern zu tun?“, fragt sich Ludolf erstaunt.
„Könnte es sein Vater, dass Chabrol heimlich mit den beiden unter einer Decke steckte? Möglicherweise wusste er von ihnen über den Wert unserer Urkunde Bescheid?!“
„Das wäre sehr gut möglich, als nämlich Chabrol die Urkunden in seinem Office gesehen hatte, bemerkte ich sofort die Gier in seinen Augen. Er musste die Urkunden auf Grund einer Beschreibung erkannt haben!“
„Können wir jetzt gehen?“, fragte der Eine der beiden Tippelbrüder zaghaft, als er merkte, dass von Seiten der Dreien nichts zu befürchten war.
„Einem Moment noch. Sagtet ihr nicht, als ihr vor drei Tagen bei Madame Urslingen vorspracht, dass ihr auf der Walz seid, um Arbeit zu suchen?“
„Ja, das stimmt, wir sind auf der Suche nach Arbeit!“
„Gut, dann könnt ihr Beiden hier bleiben. Wir brauchen in den nächsten Wochen, vielleicht auch Monaten tüchtige Helfer. Wie ihr sehen könnt liegt dieses Anwesen hier seit langem brach. Es gehört uns und wir wollen es wieder neu bewirtschaften. Habt ihr denn schon mal in einem Weinberg oder auf einen landwirtschaftlichem Hof gearbeitet?“
„Wir haben schon alles mögliche gearbeitet, Monsieur. Mein Freund hier ist Schmied von Beruf und ich habe das Handwerk des Tischlers erlernt. Wir haben aber auch schon gemeinsam auf einem Bauernhof geholfen und im Weinberg gearbeitet!“
„Gut, dann seid ihr hiermit eingestellt. Wir werden nachher mal sehen, wo ihr für die Dauer der Anstellung bei uns unterkommen könnt! Vielleicht vorerst in einer der Tennen! Viel bezahlen kann ich Euch leider nicht, aber Unterkunft und Verpflegung werdet ihr haben. Später, wenn hier alles wieder in Schuss ist, kann ich Euch auch einen festen Lohn zahlen!“
„Merci Monsieur!“, bedankten sich die Beiden und fragten gleich wobei sie denn sofort behilflich sein können? Sie hatten nämlich gesehen wie zuerst Frederik mit dem Auto und dann später Ludolf mit dem Fuhrwerk angekommen waren. Aus diesem Grund hatten sie versucht sich noch rechtzeitig vor ihnen zu verstecken.
„Wir wollen nun erst einmal das Haus vollends besichtigen!“, sagte Ludolf. „Dann könnt ihr Beiden uns später dabei helfen unsere Sachen vom Wagen abzuladen und ins Haus zu schaffen! Vor allem solltet ihr jetzt erst einmal mitkommen und der Frau von Urslingen berichten, wen ihr gesehen habt den Kastenwagen hierher zu bringen!“
„Das tun wir gerne Herr...?“
„Wittich ist mein Name! Wie heißen Sie denn überhaupt?“
„Ich bin der Franz und mein Kollege hier, ist der Bernhard!“ Damit reichte man sich gegenseitig die Hand.
„Dann folgt uns mal mit zum Haus!“, sagte Ludolf und ging voran.
Die Anderen hatten sich inzwischen das Haus angesehen.
Im Erdgeschoss befand sich ein großer Empfangsraum, von dem ein breiter Treppenaufgang mit einer schönen alten Holztreppe in die oberen Geschosse führte. Überall in den Räumen hingen Kronleuchter von den Decken herab. Es gab ein Arbeitszimmer, eine Küche mit Esszimmer, einen Hauswirtschaftsraum, Abstellrau und Toiletten. Der größte Raum im Erdgeschoss war der Salon mit Kachelkamin und einer separaten Essecke mit Erker.
Im Mittelgeschoss befanden sich ein Schlafzimmer mit Balkon, zwei weitere Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und ein Badezimmer. Im Zwischengeschoss befand sich ein geräumiges Arbeitszimmer mit Panoramablick und ebenfalls ein Erkerzimmer in dem eine Bibliothek untergebracht war, und im Obergeschoss wahren mehrere Gästezimmer mit Bad und Toilette. Die sanitären Anlagen schienen allerdings veraltert und offensichtlich lange vor dem Krieg eingebaut worden zu sein.
Maria Wittich war am meisten vom Gewölbekeller angetan. Er bestand aus Sandsteinmauerwerk, von wo mehrere Türen links und rechts abzweigten.
„Hier werden bestimmt irgendwo die alten Dokument und Bücher aufbewahrt sein, in denen die Geheimnisse der Magie und Alchemie niedergeschrieben sind!“, sagte sie voller Forscherdrang zu ihrer Mutter, die hinter ihr stand.
„Danach kannst du später forschen, wenn wir hier eingezogen sind. Lass uns jetzt wieder noch oben gehen, mir ist es hier zu duster!“, antwortet Hedewig ihr.
Es gab hier außer dem wenigen Licht, dass über die Kellertreppe herab fiel, keinerlei Beleuchtung.
Als Maria mit ihrer Mutter wieder im Erdgeschoss ankommen, Emma hatte inzwischen die oberen Zimmer inspiziert, sehen sie Ludolf mit Frederik und Wilhelm gerade zur Türe hereinkommen. Hinter ihnen folgten die beiden Tippelbrüder Franz und Bernhard.
Gerade kommt ihnen Agatha aus dem Salon entgegen.
„Ein tolles Schloss, dass ihr da habt!“, meinte sie begeistert.
„Agatha, diese beiden Männer haben etwas wichtiges zu erzählen!“
„Ich kenne diese Männer doch!“, sagte Agatha bei deren Anblick.
„Waren Sie nicht vor etwa drei oder vier Tagen bei mir auf dem Weingut und baten um Essen und Almosen?“, fragte Agatha die Beiden.
„Oui Madam!“
„Was machen Sie denn nun hier, wenn ich Sie höflich fragen darf? Herr Wittich sagte eben, Sie hätten etwas wichtiges mitzuteilen? Dann schießen Sie mal los meine Herren!“
Da mischt sich Ludolf zuerst ins Wort und sagte: “Wir haben den Wagen von diesem Raoul hier in einem der Schober entdeckt! Was meinst du, wer diesen hierher gebracht hat?“
„Ich weiß es nicht!“
„Dann frage die beiden Herren hier!“, er deutet auf die beiden Franz und Bernhard.
„Madam Urslingen wir haben gesehen, wie der Commissairè Chabrol diesen Wagen hierher gebracht hat und das Pferd danach wieder mit sich weg führte!“
„Commissairè Chabrol?!“
Agatha war nicht wenig erstaunt über diese Nachricht. „Was hat denn der Commissairè mit diesen Verbrechern zu tun?“
„Das haben wir uns auch schon gefragt!“, gibt Ludolf zur Antwort. „Ãœbrigens hat dieser Mann die Jacke von Raoul irgendwo am Waldrand gefunden, wie er sagte!“ Dabei deutete er auf Franz, der das Wort die ganze Zeit führte.
„Ja, das stimmt!“, pflichtet dieser eifrig bei.
„Dann sind die beiden Ganoven also nicht geflüchtet, sondern halten sich hier irgendwo versteckt!“, überlegte Agatha laut.
Da meldet sich Bernhard das erste Mal zu Wort und sagt: „Außer uns, war in den letzten drei Tagen niemand hier, Madame!“
„Dann verstehe ich das auch nicht!“, sagt Agatha.
„Es kann uns inzwischen auch egal sein!“, meint Wilhelm. Lasst uns mal lieber unsere Sachen vom Wagen abladen und uns im Haus gemütlich einrichten, bevor es Abend wird! Die Gaslampen scheinen noch alle zu funktionieren!“
Wilhelm nimmt ein Zündholz aus der Taschen und zündet versuchsweise eine der Gasstrumpflampen an. „Ja“, sie funktioniert.
„Ach so Agatha“, sagte Ludolf, „ich habe diese beiden Männer bei mir als Arbeiter eingestellt. Es gibt schließlich in der nächsten Zeit hier sehr viel zu tun!“
„Das war eine gute Idee Ludolf, denn Frederik, ich und meine Tochter können Euch im Moment nicht viel helfen, da wir selbst auf unserem Weingut genug zu tun haben. Wir haben jetzt die Zeit der Weinlese. Nur Frederik wird ab und zu herkommen und Euch beim Aufbau behilflich sein, wie ich ihn kenne!“
Dieser nimmt Emma in den Arm und sagt: „Ich werde jeden Tag hier sein, Mama!“
Während die beiden neuen Helfer unter der Aufsicht von Gunther, Notburga und Hedewig den Wagen abluden und das wenige Hab und Gut der Wittichs ins Haus brachten, gingen die anderen los das Gelände zu erkunden und die anderen Gebäude zu besichtigen. Der ihnen ausgehändigte Schlüssel passte erstaunlicherweise in alle Schlösser und Türen dieses großen Anwesens. Bald wurde auch eine Schlafstatt für die beiden neuen Helfer gefunden. Es gab in einem der Nebengebäude ein Gesindehaus, in dem man mehrere Kammern mit Bett und Schrank vorfand. Dort zogen die beiden Männer später ein.
Die Urslingen und die Wittichs verbrachten noch den ganzen Nachmittag zusammen und richteten sich in ihrer neuen Heimstatt so gut ein, wie es eben fürs Erste ging. Man war es noch nicht gewohnt in gepolsterten Möbeln zu sitzen und in weichen Betten zu schlafen.
Frederik fuhr gegen Abend mit seiner Schwester Bernadette und Mutter zurück zu ihrem Weingut, das nur drei Kilometer von den Wittichs entfernt gelegen war.
Den Wagen von Raoul und Marcel hatte man erst einmal im Schober stehen gelassen und wieder mit der Plane abgedeckt. Man hoffte die Beiden doch noch zu fangen, wenn sie ihren Wagen abholen wollten. Nur, was der Commissairè der Stadt Ribeauvillè, Chabrol damit zu tun hatte war allen Schleierhaft.
Frederik kam jeden Nachmittag mit seiner Schwester Bernadette zu Besuch und halfen Emma und den Anderen, wo immer sie nur konnten. Bernadette und Maria steckten wie gewöhnlich ihre Köpfe zusammen und kicherten, wenn sie was lustiges gesagt zu haben glaubten.
Die Beiden Helfer entpuppten sich als ausgesprochen gute und fleißige Arbeiter und so ging es mit dem Herrichten und Einrichten zügig voran. Nach einer Woche kommt auch Agatha mit Frederik und Bernadette wieder zu den Ludolfs und brachte eine Zeitung mit.
„Ich habe wichtige Neuigkeiten für Euch!“, ruft sie, kaum dass sie aus dem Auto ausgestiegen war. „Hier, lest!“
Sie drückte Ludolf die Zeitung in die Hand und zeigte mit ihrem Finger auf einen Artikel, den sie mit Bleistift angestrichen hatte.
Ludolf las:
„Nachrichtenagentur Reuters/ „Zwei männliche Leichen, in Köln am Rhein, innerhalb weniger Stunden nacheinander an Land gespült!
Nach Auffassung der Landespolizei Köln handelt es sich bei den beiden Leichen um Langgesuchte Betrüger, Taschenspieler und Diebe.
Eine erste Untersuchung brachte Zutage, dass die beiden Leichen seit mindestens sieben Tagen im Wasser gelegen haben müssen. Eine genaue Berechnung ergab, das die zuvor durch mehrere Messerstiche getöteten Männer in der Höhe von Straßburg ins Wasser geworfen worden sein könnten. Durch die vielen Windungen und Wasserströmung des Rheins hätten die Leichen in zirka sieben Tage genau diese Strecke von Straßburg nach Köln zurücklegen können. Eine Untersuchungskommission wurde eingerichtet!“
Es folgte eine Genaue Beschreibung der beiden Leichen, worauf Wilhelm sagte: „Das sind Raoul und dieser Marcel Herzberger, daran gibt es für mich keinerlei Zweifel!“
Auch die Anderen waren sich hierin einig, dass es Raoul und Marcel waren.
„Wir sollten die Polizei darüber benachrichtigen, was wir über die beiden Verbrecher wissen!“, meinte Emma.
„Das lasst mal lieber im Moment noch bleiben. Wenn ich nämlich genauer darüber nachdenke“, sagte Agatha, „dann hat dieser Chabrol irgend etwas mit den beiden Morden zu tun! Ihm dürft ihr überhaupt nichts mitteilen. Ihr solltet eher den Wagen von Euerem Grundstück so schnell als möglich verschwinden lassen, sonst macht man euch am Ende noch für den Tod der Beiden verantwortlich!“
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