Fantasy & Horror
Ich, Dr. Frankenstein

Ich, Dr. Frankenstein

Es ist wieder Herbst geworden. Die Zeit der langen Abende und dunklen Nächte. Wie jedes Jahr verspüre ich die innere Lust, den Drang, ja die Sucht, mich als Frankenstein zu betätigen. Den ganzen Sommer über hatte ich mein Opfer im Visier und heute Abend ist es soweit. Schon vor Wochen habe ich mein langes Fleischmesser besonders scharf geschliffen und der Operationstisch in der Garage steht bereit.

Heute Nachmittag nun, durchschnitt ich ihm gekonnt die Kehle und trennte seinen Kopf ab. Alles ging sehr schnell

und lautlos, kein Aufschrei, niemand hat etwas davon mitgekriegt.
Ich brauche ihn für mein außergewöhnliches Werk.

Zwei Neonröhren spenden mir genügend Licht, um das Messer exakt führen zu können. Im Raum ist es kühl, und eiskalt ist mein Vorgehen. Ohne Mundschutz und Operationshandschuhe gehe ich ans Werk, nur eine Schürze habe ich mir umgebunden. Ich mag es, meine Patienten mit den bloßen Händen zu spüren.
Zuerst gilt es die Schädeldecke zu entfernen. Mit dem extrascharfen Messer geht das ziemlich gut. Meine jahrelange

Erfahrung ist dabei Gold wert. Ich weiß ganz genau, wie ich schneide, wo ich am besten durchkomme, und wie groß die Öffnung sein muss, damit ich später die Gehirnmasse entfernen kann.
So…, das ging wieder ausgezeichnet. Nun packe ich den Schopf, hebe den Deckel vorsichtig ab, und lege ihn bei Seite.
Ich will meinem Werk eine neue Identität geben, daher ist es zwingend nötig, sein Gehirn restlos zu entfernen. Dieser Schritt ist vergleichsweise einfach. Zum Aushöhlen und Ausschaben genügt ein großer Kochlöffel. Es gibt nur wenig Gehirnflüssigkeit, die zudem beinahe geruchlos

ist.
Und jetzt kommt das, auf was ich mich immer am meisten freue. Diese Phase ist sehr schwierig, aufwändig und zeitintensiv – aber es lohnt sich, hier Geduld aufzubringen. Wie herrlich ist es, aus dem Schädel die Augen auszustechen. Hierfür benutze ich kleinere Messer. Äußerst konzentriert öffne ich den Mund. Während dem ich vorsichtig das linke Auge herauslöse, umkreist die Zungenspitze langsam meine Oberlippe… hervorragend gelungen… und jetzt dasselbe noch beim rechten Auge. Die werden funkeln, wenn er wieder lebt!
Dann korrigiere ich auch noch den Mund.

Er ist etwas vom Wichtigsten im menschlichen Gesicht. Absolute Maßarbeit ist gefragt, von Mundwinkel zu Mundwinkel. Selbstverständlich bekommt er auch schöne Zähne, damit er der Damenwelt so richtig einfährt.
Geschafft…, er sieht fantastisch aus!

Nun ist der Zeitpunkt gekommen, ich werde ihn zum Leben erwecken. Ich, sein Schöpfer.
Vorsichtig setze ich die Schädeldecke wieder auf und nehme den wohlgeformten Kopf mit. Draußen ist es stockdunkel geworden. Mit einer brennenden Kerze steige ich die Stufen zur Terrasse hoch. Hier platziere ich

mein Werk in Richtung Strasse schauend. Hebe den Deckel ab und aufgepasst…, stelle die Kerze hinein, und mache den Deckel wieder zu.

Ein jäher Aufschrei ertönt. Eine Passantin ruft völlig außer sich: „Ein Geist, ein Geist…“

Ja, ich habe ihn zu neuem Leben erweckt – meinen „Kürbisgeist“!
Und ich fühle eine tiefe, innere Befriedigung.
Ich, Dr. Frankenstein.