Kurzgeschichte
Katerchen

Katerchen

Der Herbst strahlt mit seiner ganzen Pracht zu mir ins Büro herein. Wie soll ich denn da noch arbeiten?

Er lockt mich zu sich,
will mich beschenken,
mit Licht und Farben mich umhüllen...

Ich kann und will nicht widerstehen, lass meinen Gedanken freien Lauf. Schlüpf in die Gestalt eines Katerchens und geh auf Entdeckungsreise.

Ein leiser Herbstwind säuselt durch die Bäume. Gemächlich schlendere ich dahin. Stupse mal da mal dort mein feuchtes Näschen an die immer noch saftig grünen Grashalme. Rieche am weichen erdigen Moos und bewundere die bunten Blätter, die tanzend durch die Luft wirbeln. Welch ein Spaß sie zu fangen! Dabei mache ich die verrücktesten Bewegungen und Sprünge, mein Herz hüpft vor Freude mit.

Ich lass mich einfach hinplumpsen, strecke alle Viere in die Höhe, schaue hinauf in den tiefblauen mit Quellwolken verzierten Himmel. Wie schnell sich diese Wattewölkchen verändern. Immer wieder nehmen sie neue Formen und Gestalten an. Ich erkenne Tiere, Gesichter, Kobolde, Engel und vieles mehr.

Neben mir beginnt die Erde leicht zu beben. Na was ist denn das? Verdutzt sehe ich, wie ein kleiner Hügel entsteht und mich daraus ein ebenso verdutzter süßer Maulwurf anstarrt. „Hallo mein Freund, ich tu dir doch nichts!" Und flugs ist er schon wieder weg.

Zwei Zitronenfalter taumeln verliebt über mich hinweg, denen bleibe ich auf der Spur. Sie führen mich zum Bächlein. Die Sonnenstrahlen werden vom glasklaren Wasser in funkelndes Gold verwandelt – für einen Moment bin ich doch tatsächlich ein König!

Ich lege mich auf einen großen warmen Stein, lausche dem gleichmäßig ruhigen Gesang des Wassers. Unweit von mir baden zwei Spatzen an einer seichten Stelle. Hui, wie die mit ihren Flügeln herumspritzen. Einen Augenblick juckt es mich, sie zu erhaschen, aber meine wohlige Zufriedenheit hält mich davon ab.
Erquickt springt eine Forelle aus dem kühlen Nass und taucht gleich wieder ein.

Die Müdigkeit überkommt mich. Ein winziger Marienkäfer krabbelt ganz nahe an mir vorbei, spreizt seine Flügelchen, hebt ab und braust davon.

Während ich herzhaft gähne, schaue ich zu den hohen Bergen hinauf. Bevor meine Augen zufallen, erkenne ich im Halbschlaf noch die weißen Spitzen – dann hebe auch ich ab…

Sanft berührt mich etwas an meinem Bäuchlein. Zwinkernd öffne ich meine Augen und sehe nur Weiß vor mir. Ach ja, der Schnee – will  wieder weiter schlafen. Uhhhh, nein! Ein weißes Kätzchen! Mein Herz beginnt zu rasen. Es legt sich zu mir, Näschen an Näschen, Pfötchen auf Pfötchen brrrrrrrrr, brrrrrrrrrr, brrrrrrrrr, schnurren wir gemeinsam in den Nachmittag…

Gerade eben habe ich beschlossen, dass ich wohl für den Rest meines Lebens lieber ein Katerchen bleibe…